Читать книгу Jenny Marx - Marlene Ambrosi - Страница 10
ОглавлениеErste Erfahrungen mit dem Obrigkeitsstaat
Die Jahre 1832 bis 1835
Die 17-jährige Jenny hakte das Abenteuer Ver- und Entlobung ab, ärgerte sich höchstens über das Gerede der Verwandtschaft und der Leute in der Stadt. Aber auch das ging vorbei.
Zu ihrem 18. Geburtstag überraschte der Vater sie mit „100 Rtr [Reichstaler] zur Reise nach Paris oder in die Schweiz.“ 1 Ein schönes Geschenk für die junge Dame. Allerdings gibt es keinen Hinweis, ob und wann die Reise stattfand.
Die junge Baronesse wurde auf die traditionelle Rolle der Hausherrin vorbereitet, wobei das Nähen ihre liebste praktische Tätigkeit wurde. Es blieb ihr nebenbei noch genügend Zeit sich weiterzubilden und mit dem Vater, Edgar und Karl über die sozialen und politischen Missstände zu debattieren, Reformen einzufordern und einen Funken Aufruhr auf deutschem Territorium zu ersehnen. Für einen kurzen Augenblick glomm Hoffnung auf Veränderung auf. Vom 27. bis zum 30. Mai 1832 trafen sich 30.000 Bürger/innen auf dem Hambacher Schloss in der Pfalz; Liberale und Demokraten, unter ihnen zahlreiche Vertreter der 1819 durch die Karlsbader Beschlüsse verbotenen Burschenschaften. Zum ersten Male erschallte in der deutschen Öffentlichkeit der Ruf nach Demokratie und Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit. Redner wie Johann Georg August Wirth, Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Ludwig Börne plädierten für die Souveränität des Volkes und die nationale Einheit in bundesstaatlicher Form. Ob Monarchie oder Republik als Staatsform sollte das Volk entscheiden. Derartige Forderungen mussten von der Obrigkeit unterbunden werden. Die Wortführer wurden vehement verfolgt und im Bundestag ein Verbot politischer Vereine und öffentlicher Kundgebungen beschlossen. Das Hambacher Fest sollte eine Episode bleiben. Allerdings waren die Herrschenden vorgewarnt und wurden immer nervöser, auch in Trier. Johann Hugo Wyttenbach, Direktor des Gymnasiums zu Trier, wurde unter staatliche Aufsicht gestellt und systemkritische Lehrer wurden observiert. Das führte zu erregten Debatten und Unmut unter einigen der Eleven dieser Anstalt, zu denen Karl Marx und Edgar von Westphalen gehörten, und auch Jenny nahm regen Anteil.
1834 traf der Arm des Staates erstmals unmittelbar das häusliche Umfeld von Jenny und Karl, nunmehr 20 und 16 Jahre alt. Karls Vater war in den Verdacht geraten, kein staatstreuer Untertan zu sein. Am 12. Januar hatte der Justizrat anlässlich eines Festes zu Ehren der vier Abgeordneten der Stadt Trier und Umgebung nach ihrer Rückkehr vom vierten rheinischen Provinziallandtag in einer Rede verkündet: „Ein Gefühl vereinigt uns zu dieser Feierlichkeit. Ein Gefühl beseelet in diesem Augenblicke die ehrenwerthen Bürger dieser Stadt: das Gefühl der Dankbarkeit für ihre Stellvertreter, von denen sie die Ueberzeugung haben, dass sie mit Wort und Tat, und Eifer und Muth, für Wahrheit und Recht gekämpft. Doch bevor wir dem Ergusse dieses Gefühls uns ganz überlassen, erfüllen wir eine ebenso angenehme als heilige Bürgerpflicht, indem wir unseren innigsten Dank, unsere heißesten Wünsche unserem gütigen Monarchen bringen, dessen Hochherzigkeit wir die erste Institution einer Volksvertretung verdanken. In der Fülle der Allgewalt hat er aus freiem Willen Ständeversammlungen angeordnet, damit die Wahrheit zu den Stufen seines Thrones gelange. Und wohin möchte die Wahrheit gelangen, wenn nicht dort?“ 2 Trotz gebührender Lobpreisung des obersten Herrn in Berlin missfielen diese in der „Kölnischen Zeitung“ am 23. Januar 1834 veröffentlichten Worte. Carl Albert Christoph Heinrich von Kamptz, als preußischer Justizminister auch mit der obersten Leitung der Justizangelegenheiten in der Rheinprovinz befasst, schaltete sich ein und forderte Strenge; denn dieser Herr, seit dem Wartburgfest 1817 und nach einer Auseinandersetzung mit „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn der „Liberalen-Fresser“ genannt, war mit der Justiz im Rheinland nicht uneingeschränkt zufrieden. Die Polizei und die Richter kamen nach seiner Ansicht ihrer Pflicht zwar überwiegend korrekt nach, aber man führe „die Bewachung und Untersuchung gegen die wegen politischer Umtriebe verdächtigen Personen mit größter Leichtigkeit durch. Vielen werde die Flucht ermöglicht.“ 3 Untersuchungsgefangene, so der Justizminister, hätten größte Freiheiten; in der Stadt Trier lasse man sie sogar in der Öffentlichkeit promenieren und Steckbriefe würden nur im Amtsblatt und nicht in den Zeitungen im benachbarten Ausland bekanntgemacht. Den Beschuldigten werde geglaubt, ohne den Wahrheitsgehalt zu ermitteln. Kurz: man verkenne, dass politische Verbrechen für Staat und Gesellschaft gleich gefährlich seien wie „private“ Verbrechen und infolgedessen genauso rigoros zu ahnden seien. Jedes Verfahren und jeder Richter werde in Zukunft überprüft, um zu verhindern, dass Richter zu nachsichtig mit politischen Angeklagten, Holzdieben und anderen Rechtsbrechern verfuhren, weil sie bei der Urteilssprechung die Gründe für die Vergehen berücksichtigten – und diese fand mancher Richter in Unterdrückung und Elend. Und in der Tat wurden zu milde Urteile vom Revisions- und Kassationshof in Berlin kassiert 4
Der Herr Justizminister war nach dem Fest im Casino im Januar 1834 auch voller Empörung darüber, dass „die Stadt Trier … das erste Beispiel gegeben (hat), dass die durch Subskription zusammengebrachten Mittagsgesellschaften von Privatpersonen sich herausgenommen haben, Verhandlungen einer von des Königs Majestät und nur allerhöchst demselben verantwortlichen Versammlung, ja selbst die Grundsätze und Abstimmungen und das Benehmen einzelner Mitglieder in ebenso unkundiger als unbefugter Weise zu beleuchten und tadeln. Schon halten die große Mehrzahl von Landtagsdeputierten sich nicht für deutsche landständische Landtagsdeputierte, sondern für Repräsentanten des Volkes und werden von dem Publikum in diesem Wahn bestärkt, wenn sie, wie in England, in Tavernen über ihre Verdienste auf dem Landtag, über die Gefahren und Pläne, welche dem Landtag gedroht, und durch sie abgewandt wurden, Reden empfangen und halten und von Gästen die Bürgerkrone erhalten.“ 5 Ein derartiges Verhalten konnte nicht geduldet werden. Advokat Heinrich Marx wurde zwar nicht namentlich genannt, da er nur einer von mehreren Rednern vor 160 Versammelten war. Aber sein Mut, mit dem er offen seine bürgerlichen Ansichten kundtat, wurde registriert und sein Name auf die Liste der Verdächtigen gesetzt. Die Lage spitzte sich zwölf Tage später zu. „Er. Hochgeboren halte ich mich für verpflichtet von einem höchst bedauerlichen Vorfalle Anzeige zu machen, welcher sich am Abend des 25 d. Mts. bei Gelegenheit einer zur Feier des Stiftungstages des hiesigen literarischen Casinos, in dem Lokale desselben gegebenen Abendtafel kurz(er) maßen zutrug. Eine Anzahl Mitglieder des Casinos, unter denen namentlich die Herren … Marx, Justizrath, … waren, sammelten sich an dem entgegengesetzten Ende des Tisches und stimmten unter Musikbegleitung zuerst Lieder unschuldiger Natur, als „Denkst du daran“ und dergleichen mehr an. Hierauf begannen einige von ihnen das bekannte „Was ist des Deutschen Vaterland?“ zu singen, welches jedoch bei den ersten Versen durch Zischen unterbrochen wurde, wogegen die Marseillaise, welche nun folgte, eine desto günstigere Aufnahme fand. Dieser Gesang steigerte sich unter wilden Schlägen auf den Tischen bis zur Exaltation, und ganz besonders nahm das Toben bei denjenigen Stellen überhand, aus welchen der revolutionäre Geist entflammt“ 6, denunzierte Freiherr von der Horst neben anderen Bürgern auch Heinrich Marx beim Grafen zu Dohna, dem interimistischen Kommandeur der 16ten Division. Der Gipfel der Unverfrorenheit war, dass, so von der Horst, „die Marseillaise und die Parisienne … wohl mehrmals gesungen (wurden) und ein trikolorenes Tuch, den Gefallenen der Julirevolution gewidmet, geküsst worden sei.“ 7 Ein solch´ provokantes Verhalten musste Konsequenzen haben.
In der Familie Marx hatte man größte Angst um den Vater, befürchtete seine Inhaftierung. Karl und auch Jenny und Edgar waren fassungslos, wie schnell ein so seriöser, redlicher, braver Bürger, der sich doch letztendlich immer anpasste aus Angst vor Nachteilen für seine Familie, in den Verdacht kommen konnte, ein Staatsfeind zu sein. Der Vater hatte zum einen doch nur seiner aufgeklärten Haltung in wohlgesetzten Worten Ausdruck verliehen und zum anderen ein wenig gefeiert. Sollte dies ein Verbrechen sein? Oberbürgermeister Haw gelang es nur mit Mühe und vermutlich unter dem Hinweis auf zu hohen Alkoholkonsum und folglich eingeschränkter Zurechnungsfähigkeit, die Angelegenheit gütlich zu klären. In der Familie Marx war man unendlich erleichtert, dass der Vater sich nicht vor einem Gericht rechtfertigen musste.
Ort der Verfehlungen war das Casino gewesen. Dort verkehrten die Oberschicht der Stadt und die hohen Militärs. Die „Casinogesellschaft“ wurde im Juli 1834 aufgelöst und einen Monat später durch Wyttenbach, Haw und Heinrich Marx wieder gegründet nach „Vereinigungsverhandlungen mit einer von Offizieren und Beamten gegen die Casinogesellschaft gegründeten Vereinigung, die sich ‚Erholung‘ nannte.“ 8 Man zeigte Preußentreue, um weiterhin existieren zu dürfen.
Die eigene Erfahrung mit der bedrohlichen übermacht des Staates brachte das politische Weltbild von Jenny, Karl und Edgar endgültig ins Wanken und sie verurteilten einen Staat, der sein Volk so maßregelte. Wie konnten Eltern und Lehrer, auch wenn sie diesen Missmut teilten, die empörten jungen Menschen von unüberlegten Äußerungen oder Protesten abhalten? Ihre Erregtheit konnte man ihnen als altersbedingtes Phänomen nachsehen und hoffen, dass die jungen Männer durch den Militärdienst auf den rechten Weg gebracht werden würden und der etwas aus dem weiblichen Rahmen fallenden Jenny würde ein gestandener Ehemann die Grillen austreiben.
Die Familie von Westphalen wurde von den Aufregungen in der Casinogesellschaft nicht unmittelbar tangiert, da Vater Ludwig bei der verhängnisvollen Sitzung wohl aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend war – im Nachhinein eine glückliche Fügung. Für die Behörden wäre es nämlich eine elegante Lösung gewesen, den Beamten aufgrund ungebührlichen Benehmens vom Dienst suspendieren zu können. Aus Sicht seiner Vorgesetzten wurde Westphalen den Anforderungen seines Amtes seit längerem nicht mehr gerecht. Der Regierungspräsident von Trier hatte der Staatsregierung in Berlin dessen Pensionierung mit der Begründung vorgeschlagen, „v. Westphalen habe bei großem Diensteifer und Fleiß wenig geleistet, weil eine ganz übertriebene Weitschweifigkeit ihn bei seiner Tätigkeit davon abgelenkt habe, worauf es eigentlich ankomme. Dem Vernehmen nach sei über ein übertriebenes Abhärtungssystem sein körperlicher Zustand sehr geschwächt. Seine zitternden Hände hinderten ihn beim Schreiben. Er habe jedoch einen sehr lebendigen Geist und sei diensteifrig wie in früheren Jahren. Andererseits habe v. Westphalen keine Ahnung von seiner Unbrauchbarkeit und werde sich daher durch das Ansinnen auf Pensionierung schwer verletzt fühlen.“ 9 Zwischenzeitlich besserte sich Westphalens Zustand und man sah von seiner Entlassung ab. Dieser unternahm, wie Sohn Ferdinand sich erinnerte, im Herbst 1834 „in Begleitung seiner beiden Töchter Franzisca und Jenny, und Carls eine mehrtägige Fußwanderung an der Mosel durch die herrlichsten Gegenden über Berncastel hinaus, begünstigt vom schönsten Wetter.“ 10 Wenig später plädierte Hausarzt Dr. Schleicher für Dienstuntauglichkeit aufgrund eines „heftigen Lungenkatarrhs“. Westphalen reichte seine Pensionierung ein und wurde noch im Dezember 1834 in den Ruhestand verabschiedet.
Ludwig von Westphalen hatte wider Erwarten nicht Karriere gemacht und erst „bei der Versetzung in den Ruhestand erhielt er den Ehrentitel eines Geheimen Regierungsrates.“ 11 Statt der ursprünglichen Vergütung von 1.800 Talern standen ihm nur noch 1.125 Taler, 5/8 seiner früheren Bezüge zu. Der treue Beamte hoffte vergebens auf das Gnadenachtel, das alleine der König aussprechen konnte. Er bekam zwar noch „einige Zinsen aus der Erbschaft der Schottischen Tanten“, musste jedoch von seiner Pension seinem Bruder Heinrich jährlich 200 Taler für einen vor vielen Jahren erhaltenen Kredit zurückzahlen und Sohn Edgar würde in Kürze 500 Taler im Jahr kosten. Die finanzielle Einbuße belastete den Vater, denn er fühlte sich seinem Stand und seiner Position verpflichtet und meinte, entsprechend repräsentieren zu müssen. Sohn Carl, inzwischen Landgerichtsrat, half die finanzielle Verschlechterung zu mildern, indem er sich 1835 nach Trier versetzen ließ und wieder bei den Eltern Quartier bezog, nach Ansicht seines älteren Bruders „ein Opfer, welches, beim Zusammenleben mit der Stiefmutter und ihrer Schwester, vermöge der mehrfachen Beschränkungen und Entsagungen, die er sich in seinem blühendsten Lebensalter auferlegen musste, in seiner ganzen drückenden Schwere sich nur zu früh schon entwickelte.“ 12 Von Carls Anwesenheit profitierten auch die jüngeren Geschwister, da sie dreimal pro Woche einer Stunde Privatunterricht in Englisch beiwohnen durften. Jenny las außerdem „viel Französische Bücher aus einem … neu arrangierten Lesezirkel.“ 13 Englisch und Französisch fließend zu sprechen, erleichterten ihr später das Leben erheblich. Auch im Geschäftsleben wurde die junge Frau aktiv, wie eine Abrechnung zeigt, „die sich – wie er (der Vater, M.A.) selbst schrieb – auf eine Weinankaufsspekulation seiner Tochter bezog, die am 28. Januar 1835 10 1/3 Fuder Kaseler Wein des Jahres 1834 gekauft hatte. Davon waren 250 Taler aus ihrem und 900 Taler aus seinem Vermögen. Danach schenkte er ihr zwei Staatsschuldscheine im Gesamtwert von 1.000 Talern.“ 14 Das 100 Reichstaler-Geschenk zu ihrem 18. Geburtstag könnte in Jennys geschäftliche Unternehmung geflossen sein.
1 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.512
2 Schöncke, Karl und Heinrich Marx und ihre Geschwister, S.229/230
3 Monz, Karl Marx. Grundlagen der Entwicklung zu Leben und Werk, S.139
4 Monz, Karl Marx. Grundlagen der Entwicklung zu Leben und Werk, S.139
5 Schöncke, Karl und Heinrich Marx und ihre Geschwister, S.230
6 Schöncke, Karl und Heinrich Marx und ihre Geschwister, S.230/231
7 Schöncke, Karl und Heinrich Marx und ihre Geschwister, S.231
8 Monz, Karl Marx. Grundlagen der Entwicklung zu Leben und Werk, S.137
9 Monz, Karl Marx. Grundlagen der Entwicklung zu Leben und Werk, S.326
10 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.513
11 Monz, Karl Marx. Grundlagen der Entwicklung zu Leben und Werk, S.324
12 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.514
13 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.514
14 Monz, Karl Marx. Grundlagen der Entwicklung zu Leben und Werk, S.332