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Auch der Pfaff gab seinen Segen

September 1842 bis Oktober 1843

Mit der übersiedlung in das heutige Bad Kreuznach entgingen Mutter und Tochter der Leere nach dem Ableben Ludwigs und Christianes und dem lästigen Gerede über die ewige Braut. Edgar nannte als Grund Unannehmlichkeiten mit der Familie Marx, für die es allerdings keine Belege gibt. Sie bezogen zum 1. Oktober 1842 eine kleine Wohnung, die der Gastwirt „Zur Sonne“, Valentin Keller, in der Hohen Straße 16, „der Hauptstraße in der sog. Neustadt, die von Sobernheim nach Bingen führt“1, vermietete. Betty Bloem, später Frau Lucas, aus der Hohen Straße 12 bestätigte die Adresse. Im Hause gegenüber war die Kanzlei des Notars Burger, bei dem Heinrich Clemens eine Notariatsausbildung absolvierte, ein ehemaliger Klassenkamerad und Studienkollege von Karl Marx. Ganz fremd war das Umfeld für Jenny nicht. Sie war zweimal mit Bruder Carl zur Kur in dem Ort gewesen.

Jenny freute sich über neue Bekanntschaften, mit einer Ausnahme. Bettina von Arnim weilte Anfang Oktober 1842 zur Kur in der Stadt und soll dort Karl Marx in Beschlag genommen haben. Die beiden kannten sich aus Berlin, und vielleicht war der Student in ihrem Hause zu Soireen geladen gewesen und durfte sich jetzt für die Gastfreundschaft revanchieren. Jenny gefiel das gar nicht. Nur für einige Tage weilte der Geliebte bei ihr und dann vereinnahmte ihn diese Frau, der man nicht zu widersprechen wagte. Nachbarin Betty erinnerte sich, dass sie „eines Abends rasch und ohne Anklopfen in das Zimmer Jennys getreten und im Halbdunkel eine kleine Gestalt auf dem Sofa kauern sah, die Füße heraufgezogen, die Kniee von den Händen umschlossen, eher ein Bündel als einer menschlichen Gestalt ähnlich und ich begreife heute noch nach mehr als zehn Jahren meine Enttäuschung, als dieses Wesen vom Sofa glitt, um mir als Bettina von Arnim vorgestellt zu werden … Das Ohr hätte sich schließen mögen vor dem Klagen über die Hitze, den einzigen Worten, die ich aus dem gefeierten Munde vernahm, denn alsbald trat Marx ein, und sie bat ihn in so bestimmten Ausdrücken, sie zum Rheingrafenstein zu begleiten, dass er, obschon es 9 Uhr abends und der Fels eine Stunde entfernt lag, mit einem wehmütigen Blick auf seine Braut der ‚Gefeierten‘ folgte.“2 Bettina von Arnim liebte Mondscheinspaziergänge und anregende Gespräche. über ihren Aufenthalt in Kreuznach notierte sie: „Manches habe ich hier erlebt was mir wichtig ist. Auch von hier aus lässt sich ein sicherer Blick auf die große Weltbühne werfen, der einen sogar orientirt, wie das moralische Netz was eine untüchtige Politik in sehr verkehrter Ansicht webt sehr bald durch die Tatze des Loewen der sich darinn gefangen fühlt, zerrissen wird.“3 Das klang fast prophetisch und deutete vielleicht auch auf einen intensiven Gedankenaustausch mit dem kritischen Karl Marx hin. Bettina war den Ideen der Frühsozialisten gegenüber aufgeschlossen, plädierte jedoch für das Volkskönigtum, nicht für eine Republik. In ihr berühmtes Werk „Dies Buch gehört dem König“, das ein Jahr später erschien, mögen Erkenntnisse aus Kreuznach eingeflossen sein.

Jenny wird es ähnlich wie ihrer Nachbarin Betty ergangen sein; sie war enttäuscht von der emanzipierten Frau, die Unabhängigkeit und geistige Freiheit für sich in Anspruch nahm. Sie sah in der Dichterin nur eine launische, alte Frau von 57 Jahren. Bettina von Arnim nervte durch ihre Aufdringlichkeit, störte ihre Zweisamkeit. Die Baronesse hatte doch mit ihrem Verlobten Wichtiges zu besprechen. Nachdem die preußische Regierung ihre restriktive Politik auch im Rheinland durchgesetzt hatte, war Karl Marx’´ Chance sich zu habilitieren dahin. Liberale Wissenschaftler – von radikalen, sprich demokratischen oder republikanischen ganz zu schweigen – bekamen keine Lehrstühle mehr, wurden von den Universitäten verjagt. Karl Marx musste umdisponieren und entschied sich für die journalistische Arbeit. Rautenberg, Redakteur in Köln bei der „Rheinischen Zeitung“, der Marx aus dem Doktorenklub in Berlin kannte, hatte ihn aufgefordert, Artikel für seine Zeitung zu schreiben, und diese hatten überzeugt. Ludolf Camphausen bot Karl Marx zum 15. Oktober 1842 in Köln eine Stelle bei der seit dem 1. Januar 1842 erscheinenden „Rheinischen Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe“ zu einem Jahresgehalt von 600 Talern an. Marx sagte im Einverständnis mit seiner Braut zu; zum einen entsprach diese liberale, bürgerliche Zeitung seinem Geschmack – noch war er kein Kommunist – und zum anderen brauchte er eine Existenzgrundlage, nachdem er vergebens bei der Mutter darauf gedrungen hatte, sein Erbe vorzeitig ausbezahlt zu bekommen. Die Mutter hatte für die noch unverheirateten Töchter Caroline, Henriette, Louise, Emilie zu sorgen und für Sohn Hermann, – der in diesen Tagen, am 14. Oktober 1842, im Alter von nur 23 Jahren an „Lungensucht“ starb. Da Karl Marx seine Stelle bei der „Rheinischen Zeitung“ in Köln am 15. des Monats antrat, dürfte er bei der Beerdigung des Bruders am 17. Oktober nicht anwesend gewesen sein. Die Verpflichtungen der Mutter interessierten den Sohn wenig. „Meine Familie legt mir Schwierigkeiten in den Weg, die mich, trotz ihres Wohlstandes, momentan den drückendsten Verhältnissen aussetzen“4, schimpfte er bei Arnold Ruge.

Braut Jenny hoffte angesichts der Offerte aus Köln, dass die Heirat in Kürze stattfinden könnte. Doch wieder musste sie sich gedulden; aber sie hatte die Gewissheit, dass Karl es ernst mit seinem Ja-Wort meinte. Das hob ihr Selbstwertgefühl, und sie wurde zunehmend gelöster und selbstbewusster. Zu Karl: „Obgleich bei der letzten Konferenz der beiden Großmächte über einen gewissen Punkt nichts stipuliert worden, auch kein Vertrag über die Pflicht der Korrespondenzeröffnung geschlossen war, folglich kein äußeres Zwangsmittel existiert, so fühlt sich das kleine Schreiverchen mit seinen schienen Locken im Innersten gedrungen, den Reigen zu eröffnen.“5 Natürlich war sie zum ersten Schritt bereit, wie immer, denn sie verzehrte sich vor Leidenschaft. Jenny schrieb: „Mein lieb, gut, einzig Herzensmännchen. Ich mein’, Du wärst noch nie lieber und herziger gewesen, und doch war ich jedes Mal entzückt als Du schiedest und hätte Dich immer wieder zurückhaben mögen, um Dir noch einmal zu sagen, wie lieb, wie ganz lieb ich Dich hab. Aber das letzte Mal ist doch Dein Siegesabgang; ich weiß gar nicht wie lieb Du mir warst im tiefsten Herzen, als ich Dich nicht mehr leiblich sah, und nur Dein einzig treu Bild mir so lebendig vor der Seele stand, in all seiner Engelsmilde und Güte, Liebeshoheit und Geistesglanz. Wärst Du doch jetzt hier mein lieb Karlchen; wie viel Empfänglichkeit für Glück würdest Du in Deinem Wackerchen, Deinem Vifchen antreffen, und solltest Du mit noch so schlechter Tendenz, noch so böswilligen Absichten herausrücken.“6 Die „schlechte Tendenz“, die „böswilligen Absichten“ schienen ihr sehr willkommen, und das Gesäusel von Engelsmilde, Güte, Liebeshoheit und Geistesglanz zeigte ihre Verliebtheit. Damit anheim gingen die Bereitschaft: „überall begleit ich Dich hin, und geh vor Dir, und folg Dir nach“7 und der Wunsch: „Könnt ich Dir die Wege doch all ebnen und glätten und alles wegräumen, was hindernd Dir entgegentreten sollte. Aber das ist nun einmal nicht unser Loos, daß wir auch mit in des Schicksals Räder thatkräftig eingreifen sollten. Wir sind vom Sündenfall // von Madame Eva’s Verstoß her, zur Passivität verurtheilt, unser Loos ist das Warten, hoffen, dulden, leiden.“8 Trotz aller Ironie: Jenny von Westphalen akzeptierte das gesellschaftlich diktierte Los der Frau. Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich Jenny von Westphalen nicht für Karl Marx entschieden hätte, wenn sie auf die Rolle der Hausfrau reduziert worden wäre – und sie vertraute ihm wohl auch, dass er dies später, wenn sie ihm ausgeliefert war, nicht einfordern würde. Und Karl Marx hätte eine ungebildete, zu allem ja-sagende Frau kaum ertragen. Das war aber nicht gleichbedeutend mit einer Forderung nach oder Förderung der Emanzipation der Frau, und für Jenny waren später immer die Pflichten der Mutter, Hausfrau und Privatsekretärin vorrangig. Die von ihr angeführte traditionelle, geschlechtsspezifische Aufgabenteilung nach dem Motto: „höchstens wird uns der Strickstrumpf, die Nadel, der Schlüssel anvertraut, und was darüber ist vom übel“9 erweiterte sie nur um den winzigen, entscheidenden Punkt, nämlich „wenn es darauf ankommt den Druckort der Deutschen Jahrbücher zu bestimmen, dann mischt sich ein weiblich Veto mit ein, und spielt unsichtbar ein Hauptröllchen.“10 Auf Einfluss und Mitbestimmung wollte Fräulein von Westphalen nicht verzichten. Im überschwange der Gefühle drohte sie: „Hast Du Dich auf dem Dampfer gut gehalten oder war wieder eine Madame Hermann am Borde. Du böser Schelm. Ich will Dir das mal vertreiben. Immer auf den Dampfschiffen. Dergl. Irrfahrten laß ich im contrat social, in unserem Heirathsakt gleich mit Interdikt belegen und werden solche Abnormitäten verbaliter bestraft. Ich laß alle Fälle specificiren und mit Bußen belegen und schaff ein zweites hochnothpeinliches Landrechtähnliches Eherecht.“11 Fast auftrumpfend sprach die Baronesse von Interdikt und Eherecht, wollte Gleichstellung dokumentieren, und Karl Marx lächelte über dieses Ansinnen, weil es ihn nicht wirklich tangierte. Seine künftige Frau war für ihn – trotz ihres adligen Standes – eine gleichberechtigte Partnerin.

An Weihnachten 1842 legten die Turteltauben den Heiratstermin für den Wonnemonat Mai fest, und die Braut malte sich schon ihr aufregendes Leben an der Seite des einflussreichen Chefredakteurs in Köln aus. Es kam anders als geplant. Mit Bestürzung und Empörung verfolgte Jenny die Pressepolitik der preußischen Regierung. Am 20. Januar 1843 wurde ein Verbot der „Rheinischen Zeitung“ zum 1. April verfügt, kein Aprilscherz. Die „Hure am Rhein“, wie Friedrich Wilhelm IV. das Blatt nannte, war nicht wie erhofft auf natürlichem Wege wegen Mangels an Lesern eingegangen, im Gegenteil: Zwischen August 1842 und Januar 1843 war ihre Abonnentenzahl von 885 auf 3.400 gestiegen – weil oder obwohl die Tendenz der Zeitung im Verlaufe der letzten Monate unter der Redaktionsleitung des Herrn Dr. Marx immer kritischer geworden war. Seine Berichte über die katastrophale Lage der Winzer im Moselgebiet, für die die preußische Regierung verantwortlich zeichnete, und die Anprangerung des russischen Wirtschaftsprotektionismus´ hatten Missmut erregt. Zum Verbot der Zeitung führte angeblich ein Artikel, „der gegen die servile Abhängigkeit Preußens von Russland polemisierte.“12 Der Zar soll ob der Kritik getobt haben und Friedrich Wilhelm IV., König der jüngsten und kleinsten Großmacht Europas und dynastisch eng mit dem russischen Herrscherhaus verbunden, wurde angehalten zu handeln. Die preußischen Zensoren entzogen der „Rheinischen Zeitung“ auf Anweisung von oben die Druckerlaubnis „wegen Zügellosigkeit des Ausdrucks und der Gesinnung“. Marx, in die Redaktion zunächst wegen seiner Sachlichkeit und ausgleichenden Kraft aufgenommen, war durch seinen zunehmend schärferen, polemischen Stil zu einem „Totengräber“ der Zeitung geworden. Auf Beschluss der Aktionäre, die ihre Zeitung retten wollten, wurde Marx entlassen, aber das Verbot blieb. Karl Marx sah sich als Opfer der staatlichen Willkür und verfolgte von nun an noch entschiedener seinen Weg, von dem ihn nichts und niemand mehr abbringen konnte. Jenny spürte seine Entschlossenheit und warnte ihn: „Nun mengelierst Du Dich noch gar in die Politik. Das ist ja das Halsbrecherischste.“13 „Es ist schlimm, Knechtsdienste selbst für die Freiheit zu verrichten und mit Nadeln statt mit Kolben zu fechten. Ich bin der Heuchelei, der Dummheit, der rohen Autorität und unseres Schmiegens, Biegens, Rückendrehens und Wortklauberei müde gewesen. Also die Regierung hat mich wieder in die Freiheit gesetzt“14, brachte Karl Marx seine Befindlichkeit bei Arnold Ruge auf den Punkt und beschloss sein Heimatland zu verlassen, denn „in Deutschland kann ich nichts mehr gewinnen. Man verfälscht sich hier selbst.“15 Zuvor beabsichtige er, weil er „ohne alle Romantik … von Kopf bis Fuß und zwar allen Ernstes liebe“16, in Kreuznach zu heiraten. Der Schritt war überfällig. „Ich bin schon über 7 Jahre verlobt und meine Braut hat die härtesten, ihre Gesundheit fast untergrabenden Kämpfe für mich gekämpft, theils mit ihren pietistisch-aristokratischen Verwandten, denen ,der Herr im Himmel’ und der ,Herr in Berlin’ gleiche Cultusobjekte sind, theils mit meiner eignen Familie, in der einige Pfaffen und andre Feinde von mir sich eingenistet haben. Ich und meine Braut // haben daher mehr unnöthige und angreifende Conflikte Jahrelang durchgekämpft, als manch andre, die dreimal älter sind und beständig von ihrer ,Lebenserfahrung’ (Lieblingswort unseres Juste–milieu) sprechen.“17 Diese Aussage Ruge gegenüber war übertrieben. Natürlich stieß die Verbindung auf Vorbehalte; die Eltern beider Partner jedoch hatten ihren Segen gegeben.

Jenny von Westphalen wurde nicht die Ehefrau eines Chefredakteurs in Köln, aber das Paar war nicht perspektivlos. Arnold Ruge hatte Marx das Angebot gemacht, die „Deutsch-Französischen Jahrbücher“ mither-auszugeben, und es lag nach Recherchen des Historikers Elsner angeblich eine andere Offerte vor: „Der geheime Oberrevisionsrat J.P.Esser aus Berlin, ein Freund von Heinrich Marx aus Trierer Tagen und von Karl Marx auf Bitten seines Vaters während seines Berliner Studiums aufgesucht, übermittelte Marx das Anerbieten der preußischen Regierung, als Redakteur der ,Allgemeinen Preußischen Staats-Zeitung’ … zu arbeiten.“18 Man wollte den genialen Geist ködern, aber Karl Marx lehnte ab. Das machte ihn verdächtig, und der preußische Geheimdienst behielt ihn vorsichtshalber im Auge und brachte in Erfahrung, Dr. Marx sei entschlossen, Preußen zu verlassen, nachdem er in Trier seine Braut heimgeführt habe. Der Wohnortwechsel der Braut war den Observierenden unbekannt geblieben.

Sieben unendlich lange Jahre hatte Jenny von Westphalen sehnsüchtig ausgeharrt, bis sie endlich die notwendigen Schritte für die Heirat einleiten durfte. Sie hatte genaue Vorstellungen, wie sie an ihrem Festtag aussehen wollte. „Ich war heut Morgen raus und hab beim Kaufmann Wolf viele neue Spitzen gesehen. … – bitte Herzchen laß das Kaufen jetzt. Auch mit dem Blumenguirlandchen. Ich fürcht’ du musst zu viel geben. … gehst du nicht von Blumen ab, so nimm sie in rosa. Das paßt am besten zu meinem grünen Kleide“19, lautete eine der Anweisungen für den zukünftigen Ehemann. Wichtiger als rosafarbene Blümchen waren Dokumente. Aus Salzwedel, Jennys Geburtsstadt, und aus Trier trafen die Kopien der Geburtsurkunden fristgerecht ein. Das erste Aufgebot in Kreuznach erfolgte am Sonntag, dem 21. Mai, das zweite eine Woche später. Am 30. oder 31., einem Dienstag oder Mittwoch, sollte im Standesamt das Eheversprechen gegeben werden. Alles war vorbereitet, die Trauzeugen informiert, das Hochzeitsessen bestellt, die Blumen geordert und die Garderobe ausgewählt, als unerwartete Verzögerungen eintraten. Die Behörden in Bonn und Köln hatten notwendige Papiere nicht rechtzeitig ausgestellt, und vermutlich eilte Karl Marx auf Drängen der immer nervöser werdenden Braut an den Rhein, um persönlich die Unterlagen in Empfang zu nehmen – niemand hatte ein Veto gegen die Verbindung eingelegt. Nach Zahlung von sechs Talern und 15 Silbergroschen wurde ein notarieller Ehevertrag aufgesetzt, in dem das Paar Gütergemeinschaft bei Erbangelegenheiten vereinbarte. Ein Passus lautete: „Jeder Ehegatte soll für sich besonders die Schulden bezahlen, welche er vor der Ehe gemacht oder contrahieret, ererbt und auf andere Weise sich zugezogen hat; demzufolge sollen diese Schulden von der Gütergemeinschaft ausgeschlossen bleiben.“20 Eine Abmachung, die die Baronesse nicht sonderlich interessierte; sie selbst hatte keine Schulden und mögliche Verbindlichkeiten ihres Mannes würden irgendwie schon getilgt werden. Für die Braut waren Frisur, Garderobe, Schmuck wichtiger.

Jenny von Westphalen und Karl Marx heirateten am 19. Juni 1843, einem Montag, in Kreuznach. Eine strahlende Braut gab ihr Ja-Wort in einem grünen Kleid, mit einem harmonierenden rosafarbenen Bouquet. Jennys Mutter und Bruder Edgar, die Trauzeugen und einige Bekannte verfolgten die Zeremonie. Aus Karls Familie war niemand gekommen, aber Mutter Henriette hatte bereits am 28. Januar 1843 vor einem Notar in Trier ihr Einverständnis zu der Heirat gegeben. Der Oberbürgermeister von Kreuznach, Franz Buss, nahm die standesamtliche Zeremonie vor. Nach der beiderseitigen Bejahung, einander heiraten zu wollen, „erklärte ich im Namen des Gesetzes, dass Carl Marx und Johanna Bertha Julie Jenny von Westphalen – miteinander verehelicht sind.“21 Die Heiratsurkunde wurde von Dr. Carl Engelmann, dem Notariatskandidaten Heinrich Balthasar Christian Clemens, dem Rentner Elias Mayer, Gastwirt Valentin Keller und Mutter Caroline von Westphalen unterschrieben. Mit der zivilrechtlichen Trauung war Jenny von Westphalen nunmehr Frau Marx. Innerhalb von Minuten war sie aus ihrem adligen Geburtsstand in den bürgerlichen Stand gewechselt, ein revolutionärer Schritt. Einen weiteren revolutionären Schritt ging sie nicht, indem sie auf den kirchlichen Segen verzichtete. Ob aus Rücksicht auf ihre nächste Umgebung, aus Tradition oder aus echtem Glauben, bleibt dahingestellt. Karl versagte sich ihrem Wunsche nicht. In der Pauluskirche (oder in der inzwischen abgerissenen Wilhelmskirche22) versprachen sich Frau Marx und Dr. Marx vor einem Pfarrer und den Trauzeugen Valentin Keller und Friedrich Gothier in guten wie in schlechten Zeiten zusammenzustehen und sich ewig treu zu sein. „No. 20 Der Carl Marx, Doctor der Wissenschaft, wohnhaft in Trier, evangelischer Konfession 25 Jahre Sohn des Heinrich Marx und der Henriette Presburg und Julie Jänni von Westphalen, wohnhaft in Salzwedel, evangelischer Konfession 29 Jahre Tochter des Ludwig von Westphalen und der Katharina Häubel sind am 19. Juni 1843 kirchlich getraut worden“23, lautete der Eintrag von Pfarrer Superintendent Johann Wilhelm Schneegans in das Kirchenbuch. Damit war die Ehe auch vor Gott gültig.

In der „Kreuznacher Zeitung“ Nr. 96 war am 20. Juni 1843 und in der „Trier’schen Zeitung“ Nr. 166 am 22. Juni zu lesen:

„Ihre heute vollzogene Verbindung

Zeigen an

Dr. Marx

Jenny Marx geb. von Westphalen

Kreuznach, den 19. Juni 1843.“24

Jetzt waren alle, auch die letzten Zweifler, darüber informiert, dass Fräulein von Westphalen Frau Marx geworden war; ein Schritt, den nur aufgeklärte Geister gut heißen konnten. Heute hätte sich Jenny vielleicht Frau von Westphalen-Marx und Karl vielleicht Herr von Westphalen genannt.

Was sich die Frischgetrauten zur Vermählung schenkten, ist nicht bekannt, aber die Geschenke der Mutter. 20 Jahre später erwähnte Jenny bei Bertha Markheim: „Der Herzog von Argyle ist ein naher Verwandter meiner Vorfahren, und als ich mich verheiratete, gab mir mein Herzens-Mütterchen viel prachtvolles Silberzeug mit, das von Schottland stammte und das Argylesche Wappen auf sich hatte“25 – traditionelle Gaben der Mutter an die Tochter am Tage der Vermählung. über das Schicksal dieser Kostbarkeiten meinte sie zu Frau Markheim lapidar: „Silber und Wappen sind natürlich längst bei all´ den Ausweisungen, Wanderungen und Emigrationen ‚from the blue bed to the brown’´ flöten gegangen, und das bischen, was ich aus dem Schiffbruch gerettet, schwankt auch stets zwischen Tod und Leben und ist meistens in den Händen des ‚Onkels‘.“26

Nach der zivilen und kirchlichen Zeremonie ging das junge Ehepaar auf Hochzeitsreise. Jenny in ihren Erinnerungen: „Wir reisten von Kreuznach über die Ebernburg nach der Rheinpfalz und kehrten über Baden-Baden nach Kreuznach zurück.“27 Verliebt genossen Jenny und Karl die bezaubernde Landschaft, stiegen in schönen Herbergen ab und freuten sich über das ungestörte Zusammensein bei Tag und Nacht. Frau Jenny Marx war nach sieben langen Jahren restlos glücklich und entspannt. Die Momente nervöser Anspannung gehörten der Vergangenheit an, die Ruhe und Gelassenheit ihres Mannes übertrugen sich auch auf sie. Die Flitterwochen finanzierte entweder Marx, der für seine Beiträge in den „Deutschen Jahrbüchern“ mit 500 Talern entlohnt worden sein soll, oder Jenny mit einer kleinen Erbschaft des im Mai verstorbenen Verwandten Friedrich Perthes.

Jennys Glück war vollkommen, als sie Gewissheit hatte, dass das erste Kind unterwegs war. Sie war froh, in ihrem Alter noch so problemlos schwanger geworden zu sein. Nach ihrer Berechnung würde das Kind im April oder Mai des folgenden Jahres auf die Welt kommen, wo, das wusste sie noch nicht. Sie genoss die Zeit, ließ sich von ihrem Ehemann und der Mutter verwöhnen. Die junge Ehefrau las philosophische Werke und zeigte sich „sehr eingeweiht in die neue Philosophie“, wie Arnold Ruge anerkannte. Auch der Mann war emsig am Lesen und Exzerpieren und soll 20.000 Seiten für die „Deutsch-Französischen Jahrbücher“ durchgelesen haben. Er hatte sich zur Mitarbeit entschieden, obwohl inzwischen klar war, dass das Projekt „beide Nationen geistig durch ein eigenes Organ zu befreunden“ in deutschen Landen nicht realisiert werden konnte. Man visierte das grenznahe Straßburg an, entschied sich dann aber kurzfristig für Paris, das für Marx „die alte Hochschule der Philosophie … und die neue Hauptstadt der neuen Welt“28 war. Mit Zustimmung seiner frisch Angetrauten verpflichtete sich Marx im Oktober 1843 in der französischen Metropole zu sein. Jenny wäre zwar lieber bis zur Geburt des ersten Kindes in der Nähe der Mutter geblieben, aber das hätte eine Trennung von Karl bedeutet. Die Jungvermählten blieben bis Oktober in Kreuznach, bevor sie in ihr neues Leben aufbrachen, und auch die Mutter kehrte nach Trier zurück und bezog in vertrauter Umgebung in der Brückergasse Nr. 625B eine Wohnung.

In der Familie Westphalen und bei den adligen Anverwandten Florencourt, Veltheim, Krosigk, Asseburg und Röder war ein heiß diskutiertes Thema, was die Ex-Baronesse an der Seite dieses unberechenbaren Mannes erwarten würde. Franziska, die frömmelnde, unverheiratete Schwester in Berlin, meinte zu dem inzwischen nach Liegnitz versetzten Vize-Regierungspräsidenten Ferdinand: „Sie erscheinen mir unendlich beklagenswerth …, der Dr. Marx u. Jenny in ihrer Verblendung u. Abhängigkeit von Grundsätzen, … u. in Folge davon sie, fürchte ich, heimathlos wie Flüchtlinge von Ort zu Ort, von Land zu Land zu ziehen genöthigt sein werden.“29 Franziska ahnte nicht, wie prophetisch ihre Prognose war; zutreffend war auch ihre Befürchtung, die sich für sie aus einem nicht mehr erhaltenen Brief ergab: „welchem Geschäft er sich dort zu widmen beabsichtigt, schreibt sie mir nicht … Wenn nur nicht wieder das Unternehmen einen abenteuerlichen Grund hat …“30 Die Verbindung hätte im Familienkreis akzeptiert werden können, wenn Dr. Marx wenigstens eine Beamtenstelle in der preußischen Verwaltung angestrebt hätte. Aber Karl Marx ging konsequent einen anderen Weg und an seiner Seite, unbeeindruckt von dem Gerede der in ihren Augen bigotten Verwandtschaft, die junge Ehefrau.

Jenny Marx hat, wie Engels später an ihrem Grabe sagte, von diesem Zeitpunkt an „die Schicksale, die Arbeiten, die Kämpfe ihres Mannes nicht bloß geteilt, sie hat daran mit dem höchsten Verständnis und mit der glühendsten Leidenschaft größten Anteil genommen.“31

1 Elsner, Karl Marx in Kreuznach 1842/43, S.118

2 Krosigk, Jenny Marx, S.41

3 Elsner, Karl Marx in Kreuznach 1842/43, S.114

4 Schöncke, Karl und Heinrich Marx und ihre Geschwister, S.309

5 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx Anfang März 1843

6 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx Anfang März 1843

7 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx Anfang März 1843

8 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx Anfang März 1843

9 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx Anfang März 1843

10 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx Anfang März 1843

11 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx Anfang März 1843

12 Friedenthal, Karl Marx, S.173

13 Krosigk, Jenny Marx, S.43

14 MEGA III,1 Karl Marx an Arnold Ruge am 25.1.1843

15 MEGA III,1 Karl Marx an Arnold Ruge am 25.1.1843

16 MEGA III,1 Karl Marx an Arnold Ruge am 13.3.1843

17 MEGA III,1 Karl Marx an Arnold Ruge am 13.3.1843

18 Elsner, Karl Marx in Kreuznach 1842/43, S.117

19 MEGA III, 1 Jenny von Westphalen an Karl Marx im März 1843

20 Raddatz, Karl Marx, S.57

21 Schöncke, Karl und Heinrich Marx und ihre Geschwister, S.846

22 Rudolf Stumpf schreibt in der homepage „Mein Gästebuch“ am 15. Mai 2004: „Ich selbst habe das Kirchenregister der Wilhelmskirche noch eingesehen, als diese Kirche noch stand. Dort war auch die Hochzeit vermerkt.“

23 Schöncke, Karl und Heinrich Marx und ihre Geschwister, S.846

24 Schöncke, Karl und Heinrich Marx und ihre Geschwister, S.847

25 MEW Bd. 30 Jenny Marx an Bertha Markheim 1863

26 MEW Bd. 30 Jenny Marx an Bertha Markheim 1863

27 Schack, Jenny Marx, S.25

28 Elsner, Karl Marx in Kreuznach 1842/43, S.118

29 Gemkow, Edgar von Westphalen, S.426

30 Gemkow, Edgar von Westphalen, S.426

31 Schack, Jenny Marx, S.229ff.

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