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ОглавлениеWarten in Trier – Selbstfindung in Berlin
Die Jahre 1837 bis 1842
Karl Marx hatte größte Schwierigkeiten mit sich selbst und seiner Zukunftsplanung. Nach dem Wechsel an die Universität in Berlin erkannte er, dass er nicht den juristischen Berufsweg einschlagen wollte, aber er zögerte, dies dem Vater mitzuteilen. Heinrich Marx konnte dem Sohn manches vorwerfen, jedoch nicht Faulheit oder Nichtstun. Im Gegenteil: Karl widmete sich so eifrig den Fächern, die er nicht studieren sollte, dass der Vater sich Sorgen um seine Gesundheit machte. „Ein siecher Gelehrter ist das unglücklichste Wesen auf Erden“1, warnte er. Das war nicht das Einzige, was ihm Sorgen bereitete. Er beobachtete bei seinem Sohn einen Charakterzug, den Jenny noch nicht erkannte. Immer deutlicher kristallisierte sich nämlich heraus, dass Karl Marx mit Geld nicht verantwortungsvoll umgehen konnte. „Soviel sah ich, daß Du Geld brauchst, und deswegen habe ich Dir 50 Thaler geschickt. Das macht mit dem was Du mitgenommen immer 160 Thaler. … Lieber Karl, ich wiederhole Dir, daß ich alles recht gerne thue, daß ich aber als Vater von vielen Kindern – und Du weist recht gut, ich bin nicht reich – nicht mehr thun will, als zu Deinem Wohl und Fortkommen nothwendig ist“2, ermahnte Heinrich Marx seinen Sohn; denn wie er die Beträge aufbrachte, kümmerte den Sprössling nicht. Im Mai 1836 erhielt der Sohn weitere 100 Taler, im November 50 Taler. Trotz Aufforderung schien er ein Jahr später noch immer keinen überblick über seine Ausgaben zu haben. „Als wären wir Goldmännchen, verfügt der Herr Sohn in einem Jahre für beynahe 700 Thaler gegen jede Abrede, gegen alle Gebräuche, während die Reichsten keine 500 ausgeben. Und warum? Ich lasse ihm die Gerechtigkeit widerfahren, daß er kein Prasser, kein Verschwender ist. Aber wie kann ein Mann, der alle 8 oder 14 Tage neue Systeme erfinden, und die alten mühsam erwirkten Arbeiten zerreißen muß, wie kann der, frage ich, sich mit Kleinigkeiten abgeben?“3, schrieb der erboste Vater, der es dennoch nicht übers Herz brachte, seinen Sohn mittellos leben zu lassen. Studiosus Karl brauchte doch Geld für Wein, Bier, Tabak und Essen, für Papier, Tinte, Wohnung und Kerzen. Jenny erfuhr von diesen innerfamiliären Problemen wenig, und sie interessierte sich auch nicht für Marx’sche Geldangelegenheiten.
Heinrich Marx war zwar stolz, dass sein Sohn eine so vortreffliche Partie gemacht hatte, aber ihm schwante nicht nur Gutes für die Zukunft des jungen Paares. Er fürchtete, dass Jenny kein leichtes Leben erwarten würde. „So sehr ich Dich über alles – die Mutter ausgenommen – liebe, so wenig bin ich blind, und noch weniger will ich es seyn. Ich lasse Dir viele Gerechtigkeit widerfahren, aber ich kann mich nicht ganz des Gedankens entschlagen, daß Du nicht frei von Egoismus bist, etwas mehr als zur Selbsterhaltung nöthig. Du wirst und musst nun früh Familienvater werden. Aber weder Ehre noch Reichthum noch Ruf werden die Frau und die Kinder beglücken. Du allein kannst es, Dein besseres Ich, Deine Liebe, Dein zartes Benehmen, das Hintansetzen stürmischer Eigenheiten, heftiger Aufbrausungen kränkelnder Empfindsamkeit etc. etc. etc.“4, schrieb er besorgt an seinen Sohn.
Jedes Gerücht, jedes Wort konnte von Dritten weitergetragen werden, zu einer atmosphärischen Trübung führen und dann war der Vater der beste Vermittler. „Daß sie Dir nicht schreibt, ist – ich kann es nicht anderst nennen – kindisch, eigensinnig. Denn daß sie Dich mit der aufopferndsten Liebe umfaßt, läßt sich gar nicht bezweifeln, und sie war nicht weit davon, es mit ihrem Tode zu besiegeln. … Du kannst sicher seyn, und ich bin es (und Du weist es, ich bin nicht leichtgläubig) daß ein Fürst nicht imstande, sie Dir abwegig zu machen. Sie hängt Dir mit Leib und Seele an – und Du darfst es nie vergessen –, in ihrem Alter bringt sie Dir ein Opfer, wie gewöhnliche Mädchen es gewiß nicht fähig wären“5, beruhigte Heinrich Marx seinen Sohn im August 1837.
Jenny, die bisher so überlegene, selbstbestimmte junge Dame entwickelte einen Hang zu nervöser Aufgeregtheit, jetzt noch euphemistisch Exaltiertheit genannt. Die Familie war ob dieser Veränderung besorgt und schickte sie zusammen mit dem kranken Bruder Carl zur Kur. Von Mitte August bis Mitte September 1837 logierten die Geschwister in Kreuznach im „Goldenen Adler“, bevor sie nach einem Abstecher über die aufregende freie Stadt Frankfurt in die Heimat zurückkehrten. Bruder Carl berichtete Ferdinand: „Jenny hat sich nun nachgerade von den Mühseligkeiten der Reise, die sie doch sehr angegrifen hatte, etwas erholt. Die Reise nach Frankfurt, die fast ununterbrochene Conversation auf derselben, das viele Umherlaufen auf der Messe und die nächtliche Fahrt nach Mainz hatten sie leider so ermüdet, daß sie von der schönen Wasserparthie nach Coblenz wenig genossen hat. übrigens war sie mit mir der Meinung, dass unsere Gegend bei Trier doch eigentlich von keiner der Rheingegenden, welche wir passierten, übertroffen werde. Dagegen fand sie das Leben dort freilich viel interessanter als hier. Denn uns fehlen die größeren geistigen Genüsse hier, und der unermeßliche Menschen-Wirwarr und all’ die schönen Luxus-Gegenstände und Annehmlichkeiten des Lebens, die durch Messe und Fremde dort hingebracht werden. Uns winkt übrigens in dieser Hinsicht auch eine freundlichere Aussicht. Denn am 1. October will die Rheinische-Dampfschiffahrtgesellschaft den Versuch einer Dampfbootfahrt auf der Mosel machen.“6 Ab 1839 verkehrten Dampfschiffe von Metz nach Trier und ab 1841 bis Koblenz. Die Natur um Trier gefiel Jenny bestens, das Stadtleben in Klein-Trier hingegen empfand sie als langweilig, auch weil Karl nicht an ihrer Seite war.
Student Karl stürzte in eine Selbstfindungskrise, nachdem ihm, wie er dem Vater im November 1837 offenbarte, bewusst geworden war: „Ich musste Jurisprudenz studieren und fühlte vor allem Drang, mit der Philosophie zu ringen.“7 Nur von Angesicht zu Angesicht meinte er seinen Gewissenskonflikt dem Vater darlegen zu können: „Glaube mir, mein theurer, lieber Vater, keine eigennützige Absicht drängt mich, (obgleich ich seelig sein würde, Jenny wiederzusehn)…“8 Jenny ging ihm nicht aus dem Sinn, nicht einmal die „Kunst …(war) so schön, als Jenny.“9 „Grüße gefällig meine süße, herrliche Jenny. Ihr Brief ist schon zwölfmal durchlesen von mir, und stets entdecke ich neue Reize. Es ist in jeder, auch in stilistischer Hinsicht der schönste Brief, den ich von Damen denken kann.“10 Jenny lächelte geschmeichelt und glückselig über das Lob und fühlte ihre geistige Brillanz bestätigt.
Karls Probleme wurden durch den Vater und durch die Geliebte verstärkt. Im November 1837 meldete sich der Vater, nachdem er „mehrere Briefe geschrieben, die manche Auskunft verlangten. Und statt alles dessen ein fragmentarisch abgerissener, und was noch viel schlimmer ist, ein zerrissener Brief––––. Offenherzig gesprochen, mein lieber Karl, ich liebe dies moderne Wort nicht, worin sich alle Schwächlinge hüllen, wenn sie mit der Welt hadern, daß sie nicht ohne alle Arbeit und Mühe wohl möblierte Palläste mit Millionen und Equipagen besitzen. Diese Zerrissenheit ist mir eckelhaft, und von Dir erwarte ich sie am allerwenigsten. Welchen Grund kannst Du hierzu haben? Hat Dir nicht seit der Wiege an alles gelächelt? Hat die Natur Dich nicht herrlich begabt? Haben Deine Eltern Dich nicht mit verschwenderischer Liebe umfaßt? Hat es Dir bisher jemals daran gefehlt Deine vernünftigen Wünsche zu befriedigen? Und hast Du nicht // auf die unbegreiflichste Weise das Herz eines Mädchens davongetragen, das Dir Tausende beneiden? Und die erste Widerwärtigkeit, der erste mißlungene Wunsch bringt dennoch Zerrissenheit hervor! Ist das Stärke? Ist das männlicher Karackter?“11 Auf diese bitteren Vorhaltungen folgte der nächste Schlag: „… nur Kinder beschweren sich über das gegebene Wort, wenn sie beginnen das Drückende zu fühlen.“12 Das las Karl Marx nicht gerne, gerade weil es stimmte. Mit 20 Jahren hatte er sich aus Liebe an eine vier Jahre ältere Adlige gebunden, für deren Schicksal er nun die Verantwortung übernehmen musste.
Karl Marx
Der nächste Brief des Vaters im Dezember gefiel dem Sohne noch weniger. „Wenn man seine Schwäche kennt, so muß man Maaßregeln dagegen ergreifen. … Ich will also meine Klagen in Aphorismen aushauchen, denn wirklich Klagen sind es, die ich vorbringe. „1. Welches ist die Aufgabe eines jungen Mannes, dem die Natur unbestritten ungewöhnliches Talent verliehen, besonders
… b. Wenn er ohne sein Alter und seine Lage zu Rath zu ziehen, eines der edelsten Mädchen an sein Schicksal gekettet, und
c. Dadurch eine sehr ehrwürdige Familie in die Lage versetzt hat, ein Verhältnis gut zu heisen, was anscheinend und nach dem gewöhnlichen Weltenlauf für dieses geliebte Kind voller Gefahren und trüber Aussichten ist“13, schrieb der Vater und da er um die bewusste Sprachlosigkeit seines Sohnes bei Kritik wusste, fügte er die Antworten hinzu:
„… b. Ja er mußte bedenken, daß er eine, möglicherweise seine Jahre übersteigende, aber desto heiligere Pflicht übernommen sich selbst dem Wohl eines Mädchens zu opfern, das seinen ausgezeichneten Verdiensten und seiner geselligen Stellung nach ein großes Opfer brachte, wenn sie ihre glänzende Lage und ihre Aussichten für eine schwankende und grauere Zukunft hingab, und sich dem Schicksale eines jüngeren Mannes ankettete. Ihr eine Zukunft zu schaffen ist die einfache // und praktische Auflösung, ihrer würdig, in der wirklichen Welt, nicht im beräucherten Zimmer, bey der dampfenden Oehllampe neben einem verwilderten Gelehrten;
c. Ja er hat eine große Schuld abzutragen, und eine edle Familie fordert großes Vergeltungsrecht für ihre dahingegebenen schönen und durch die trefliche Persönlichkeit ihres Kindes so sehr gegründeten Hoffnungen. Denn wahrlich Tausende von Eltern würden ihre Einwilligung versagt haben. Und in düstern Augenblicken wünscht Dein eigner Vater beynahe, sie hätten es gethan – denn zu sehr liegt mir das Wohl dieses Engelmädchens am Herzen, das ich zwar wie eine Tochter liebe, aber für deren Glück mir eben so sehr bangt.“14 Den Vater trieb das Schicksal seiner zukünftigen Schwiegertochter um, um ihr Glück bangte es ihm – und was machte sein Herr Sohn stattdessen? „//Das sei Gott geklagt!!! Ordnungslosigkeit, dumpfes Herumschweben in allen Theilen des Wissens, dumpfes Brüten bey der düsteren Oehllampe; Verwildrung im gelehrten Schlafrock und ungekämmter Haare … auf die schmutzige Stube beschränkt, wo vielleicht in der klassischen Unordnung die Liebesbriefe einer J und die wohlgemeinten und vielleicht mit Thränen geschriebenen Ermahnungen des Vaters zum Fidibus, was übrigens besser wäre als wenn sie durch noch unverantwortlichere Unordnung in die Hände Dritter kämen“15, klagte Heinrich Marx. Ein düsteres Szenario aus der Feder des Vaters! Und dabei arbeitete Karl besessen an grundlegenden Neuerungen in Philosophie und Rechtswissenschaften. Der Vater fügte erbarmungslos hinzu: „Ich will und muß Dir sagen, daß Du Deinen Eltern vielen Verdruß gemacht, und wenig oder keine Freude.“16 Ein niederschmetterndes Urteil von einem Menschen, der Karl über alles liebte und bedingungslos unterstützte – und die Worte waren nicht Ausdruck einer momentanen Gefühlslage, sondern Ergebnis langer Reflexionen. Dem Vater war die Kritik nach eigenem Bekunden nicht leicht gefallen: „Es geht mir zwar troz meines Vorsatzes sehr tief, es erdrückt mich beynahe das Gefühl Dir weh zu tun, und schon weht mich wieder meine Schwäche an, aber um mir zu helfen – ganz wörtlich – nehme ich die mir vorgeschriebenen reellen Pillen, verschlucke alles herunter, denn ich will einmal hart seyn und meine Klagen ganz aushauchen. Ich will nicht weich werden, denn ich fühle es daß ich zu nachsichtig war zu wenig mich in Beschwerden ergoß, und dadurch gewissermaßen Dein Mitschuldiger geworden bin.“17 Ein schonungsloser Brief. So gnadenlos analysiert, so treffend charakterisiert zu werden, muss Karl Marx geschmerzt haben. Und doch sind die Briefe von Heinrich Marx an seinen Sohn ein Zeugnis unendlicher Liebe, verbunden mit harter Kritik und unbestechlichem Blick. Heinrich Marx war sich vermutlich darüber im Klaren, dass niemand und nichts seinen Sohn würde ändern können, nicht einmal die geliebte Frau. Alle, aber auch wirklich alle Befürchtungen des Vaters werden in den nächsten Jahrzehnten eintreten.
Warum ging der Vater so hart mit dem Sohne ins Gericht? „Die Stimmung, in der ich mich befinde, ist in der That auch nichts weniger als poetisch. Mit einem Husten, der jährig ist, und mein Geschäft mir drückend macht, und mit einer seit kurzem hinzugekommenen Gicht verpaart, finde ich mich selber mehr verstimmt als billig, und ärgere mich meiner Karackterschwäche, und so kannst Du freylich nur erwarten die Schilderungen eines alternden grämlichen Mannes, der sich über die ewigen Täuschungen ärgert, und besonders darüber, daß er seinem eignen Idol einen Spiegel voller Zerrbilder vorhalten muß“18, fügte er in seinem Brief vom 9. Dezember 1837 hinzu. Statt dem Vater zu antworten, beklagte sich der Sohn so bitterlich über die Vorhaltungen, dass sich sogar sein zukünftiger Schwiegervater bei Sohn Ferdinand echauffierte über „das wirkliche Unrecht, was ihm der strenge, ihn durchaus nicht schonende Vater quasi ab irato u. durch eigenes langes Unwohlsein u. das Gefühl einer herannahenden schweren eigenen Krankheit u. durch häusliches großes Leid sehr verstimmt … zugefügt hat – u. wodurch diese nun zugleich wohl auch durch übermenschliche besonders nächtliche Geistesanstrengung dessen nun Gottlob gehobene gefährliche Krankheit erzeugt worden. Er hatte, wie er wähnte, zur Befriedung seines von ihm hoch verehrten, über alles geliebten Vaters, diesem ein opus von 300 enggeschriebenen Bogen über einen höchst trockenen Theil der Rechtswissenschaften mitgetheilt, wovon der Vater selbst einräumen mußte, sie zeuge von vielen gründlichen Rechtskenntnissen, tiefem philosophischen Geist, Originalität, scharfem, eindringlichem Urtheile u. sey mit gr(oßer) Klarheit in reinstem fasslichem Style abgefasst, an deren Ende u. im Schluß Resultate der Verfasser aber selbst anerkannt, er habe aus falschen unhaltbaren Prämissen ein völlig unhaltbares, falsches System entwickelt und die Arbeit sey zu verwerfen. Daraus nimmt nun der Vater Anlaß zum schärfsten Tadel seiner unpractischen unersprieslichen Arbeits– und Beschäftigungsweise… dass er auf diesem Wege niemals zu seinem Zwecke kommen und stets leeres Stroh dreschen werde – u. nun folgt nichts als wie strenger herber Tadel auf Tadel.“19 Eine schöne Verteidigungsrede für Karl und doch relativierte Westphalen sein barsches Urteil, als er auf die schlimmen Wochen im Hause Marx hinwies. Eduard, der jüngste Sohn, war nach langer Krankheit am 14. Dezember 1837 im Alter von nur 11 Jahren gestorben. Er war, wie Ludwig von Westphalen anfügte, „von dem Augenblicke an, wo er das Gymnasium besuchte – in eine d(urch)aus räthselhafte Auszehrungskrankheit aus einem blühenden kräftigen Jungen verfallen …, bis der Tod ihn u. die armen Eltern und Geschwister von so großem Leiden befreite.“20 Jenny, die das Sterben des kleinen Eduard mit bangem Herzen verfolgt hatte, vernahm nach den Worten ihres Vaters mit Tränen „das klugrührende Testament des kl(einen) Engels, worin er seine liebe Jenny vorzüglich bedachte!“21 Diese Zeilen von Karls jüngerem Bruder sind nicht erhalten.
Zu gleicher Zeit kriselte es in der Beziehung zwischen Jenny und Karl. Mit der Post, die ihm den schonungslosen Brief des Vaters so kurz vor dem Tode des jüngeren Bruders gebracht hatte, war auch ein Brief „von seiner vergötterten Jenny“ angekommen. Dieser war, wie Ludwig von Westphalen meinte, „in solchem zufällig ähnlichem Tone geschrieben also quasi ein zwischen Vater und Schwiegertochter gegen ihn, der etwas argwöhnischer Natur – in der Liebe wenigstens – zu sein scheint, getriebenes Spiel – so tief gekränkt u. erschüttert hat, dass er in eine sehr gefähr(liche) schwere Nervenkrankheit verfallen war, von der er jedoch Gottlob jetzt wieder – dank sey es seiner eisernen Constitution – völlig genesen ist.“22 Ob Jenny in dem nicht überlieferten Brief, aus welchen Gründen auch immer, ihre Verlobung in Frage gestellt und vielleicht sogar mit Trennung gedroht hat, ist nicht zu eruieren, aber ihre Worte zeigten Wirkung. Karl geriet an den Rand eines Zusammenbruchs und ließ sich auf ärztlichen Rat in dem kleinen Fischerdorf Stralau bei Berlin nieder. Zu seiner Erholung trug die Beseitigung des Missklanges zu Jenny bei. Die Verlobte hoffte, Karl suche nun das klärende Gespräch über Weihnachten, vergebens. Karl ahnte jedoch ihre grenzenlose Enttäuschung und schickte ein wunderbares Trostpflaster: Gedichte aus seiner Feder. „8 Tage hätte man an diesen reichen Schätzen zu lesen u. sich mit Wonne u. Bewunderung gegen den seltenen Menschen mit wahrer Götterspeise (zu) füllen, denn wahrlich ich … schwamm … – u. Jennys Gefühle waren sicher meinen gleich – in einem Meer von Entzücken“23, begeisterte sich Ludwig von Westphalen über Karls Geschenk. Voller Emphase las Jenny den Eltern, Bruder Carl und Tante Christiane am Weihnachtsabend 1837 die Gedichte vor. Die Dichtungen sind (vermutlich) nicht mehr erhalten.
Karl Marx fuhr im Frühjahr 1838 nach Trier, weil nach Aussage von Ludwig von Westphalen Heinrich Marx daniederlag „an einem schlimmen schwer zu heilenden Gichthusten, den er ganz vernachlässigte, woran er schon über ein Jahr laboriert.“24 Wie schlimm es um den starken, schweren Mann stand, erkannte niemand, da sogar der behandelnde Arzt Hoffnung auf Heilung äußerte. Drei Tage nach des Sohnes Abreise, am 10. Mai 1838, starb Heinrich Marx. Tröstlicherweise hinterließ er seiner Witwe und den unmündigen Kindern ein ansehnliches Vermögen. Das Aktivvermögen betrug 22.110 Taler, wovon allerdings 13.100 Taler von Henriette Marx mit in die Ehe gebracht worden waren. Abzüglich der Passiv-Masse konnten ca. 9.000 Taler unter der Mutter und den sieben Kindern verteilt werden. Der Mutter stand die Hälfte zu und nach ihrem Ehevertrag vom 21. November 1814 zudem ein Viertel „eigen-thümlich“ und ein Viertel „niesbräuchlich“. Jedes Kind erbte 482 Taler, wie in einer Urkunde vom 23. Juni 1841 festgehalten wurde. Auch Sohn Karl unterschrieb diese Berechnung. Er musste sich keine Sorgen um die weitere Finanzierung seines Studiums machen. „Lieber Carl, hierbey empfangs du die Summe von 160 thaller welche du zu promowiren brauchst“25, beruhigte ihn die Mutter im Oktober 1838. Der Herr Sohn ließ sich Zeit und so zahlte die Mutter vermutlich nicht nur einmal.
Heinrich Marx hatte seit Beginn der Liebesbeziehung manche Differenz abschwächen, manches Missverständnis beseitigen können. Nach seinem´ Tode prallten Jennys und Karls Meinungsverschiedenheiten aufeinander, wie ein Brief der Braut vom Mai 1838 zeigt. Jenny an Karl: „Ich war still, mein Herz hörte auf zu schlagen; da Fühltest Du was Du gethan und batest um Verzeihung. Das konntest Du in Augenblicken der höchsten Liebe, was kann ich erwarten, wenn sie einst erkaltet sein wird. Sieh Karl, das ist ein Gedanke der Hölle in sich schließt. Ihn nähren wäre Selbstmord und dazu muß es noch schlimmer kommen. Verzeih, daß ich das geschrieben, aber zuweilen durchzuckt mich noch jetzt der Schmerz. Es war der 3te Mai, dem 7ten reistest Du, am 10ten war Er nicht mehr da. Es war zuviel. Das war Vorgefühl des Todes … das zweite Mal wär es mein Tod.// Karl, daß Du mir sagen konntest, ich sei ein gemeines Mädchen, daß Du es mir in jener Zeit sagen konntest, war nicht recht. Ich bin Dir nicht böse deshalb. Du hast ja vielleicht recht; aber es thut so weh …Weißt Du noch, wie ich im Anfang immer sagte, ja ich habe Dich lieb, wie ich mich nie zu dem Wort lieben entschließen konnte? In dem haben liegt noch ein bischen Freundschaft, Bruderliebe, damit wollte ich es beschönigen. … Dich lieb’ ich. Verstehst Du mich, wie ich das meine? Es beleidigt Dich doch nicht? Ich sinne hin und her ob ich in meinem letzten Brief nichts kränkendes gesagt! Ich kanns nicht finden und dann wars auch nicht Absicht; die wars aber auch damals nicht, so wahr ein Gott lebt, aber ich war so beleidigt, so aufgeregt und du weißt ja wie eitel ich bin und Karl verzeih mir nur dies eine Mal noch, verbrenne den Brief und vergiß ihn. … Wenn Du nur wohl bist, einziges, einziges Herzchen.“26 Mit „Augenblicken der höchsten Liebe“ waren vermutlich die innigen Gefühle nach der langen Trennung gemeint, nicht mehr. Als „gemeines Mädchen“ bezeichnet zu werden, hatte Jenny tief getroffen und offen gestand sie, nicht die Kraft zu haben, eine solche Situation ein zweites Mal durchzustehen: „es (wär) mein Tod“. Sie übertrieb sicherlich, aber sie fühlte nach dem Tode von Heinrich Marx alles „so trübe, so unheilverkündend, die ganze Zukunft so dunkel, kein freundliches Bild lächelt mir entgegen, keine einzige frohe Aussicht. … jeder Tag, jeder Augenblick mahnt mich daran, … daß er nicht mehr unter uns ist, der Herrliche, der unsre Liebe gesegnet, daß er keine segnenden, belebenden Sonnenstrahlen mehr in die Dunkelheit der Gegenwart hineinfressen kann, daß er uns für ewig entrissen, für ewig dahin ist.“27 Jenny von Westphalen trauerte um einen Menschen, der stets zu ihr gehalten hatte, sogar gegen den eigenen Sohn. Sie ahnte den unermesslichen Verlust, als sie schrieb: „Er sprach herrliche köstliche Worte, goldne Lehren in mein Herz, sprach zu mir mit einer Liebe einer Herzlichkeit, einer Innigkeit, deren nur ein so reiches Gemüht, wie das seinige, fähig ist. Mein Herz hat sie ihm treu erwidert, diese Liebe, wird sie ihm ewig bewahren! – Es gibt eine Liebe, die unendlich ist, und diese gehört ihm. … Verzeihe, Karl, diese Ausbrüche des Schmerzes, verzeihe, daß ich so lange bei dem ewig unvergeßlichen, hochheiligen Gegenstande Deiner und unser aller Trauer verweilte. Ich sende Dir hierbei einige Haare von dem Teuren, es ist das letzte, was uns von seiner äußern Hülle übrig geblieben. Kummer und Sorge haben sie gebleicht. Ich habe sie mit meinen Küssen bedeckt, mit meinen Tränen benetzt. Möchten sie Dir ein Talisman durch dieses (L)eben werden.“28 Die Haare des Vaters hat Sohn Karl ein Leben lang aufbewahrt.
Die Beziehung Jenny von Westphalens zur Familie Marx änderte sich mit dem Tode Heinrichs. War sie zuvor fast täglich zu Gast in der Simeonstraße gewesen, so ließ sie sich kaum noch blicken. Karls Mutter, die in kürzester Zeit zwei schwere Schicksalsschläge überstehen musste, zeigte sich noch zwei Jahre später sehr verletzt. Niemand aus dem Westphalschen Hause habe ihr Trost gespendet, sondern man habe sich verhalten, als ob man sich nicht kenne. Jede Familie habe ihre Besonderheiten, schrieb Henriette ihrem Sohn, und die der Familie von Westphalen sei die Exaltiertheit, „kein juste milieu findet da nicht stat – entweder wird man in die himmlischen sfären versetzt oder man muss sich mit dem abgrund begnügen…“29 Karl Marx hätte das Verbindungsglied sein können, aber er war in Berlin und entfremdete sich seiner Familie zusehends und Jenny zeigte durch ihren Rückzug ihr Desinteresse nur allzu deutlich.
Zu Hause bemühte man sich, der Braut das Warten zu erleichtern. Jenny begleitete den kranken Bruder Carl in Kurbäder, im Juni 1838 nach Niederbronn im Elsaß und Mitte Juli nach Kreuznach. „Jenny wird ja nur um des Vergnügens willen die Reise mitmachen, verstehe das, wer mag – besonders nach dem betrübenden Tode des Vaters des C. Marx!“30, ereiferte sich Bruder Ferdinand bei seiner Frau, um doch noch eine positive Funktion zu erkennen, nämlich dass „Carl dann eine Pflegerin bei sich hat, die ihm in schlimmen Fällen beistehen kann.“31 Jenny schrieb den Eltern aus Niederbronn: „Seit gestern im Besitz Deines lieben, lieben Briefes, mein teures Mütterchen, für den ich Dir aus der Fülle meines Herzens den wärmsten Dank sage, eile ich gleich heute in aller Frühe zum Schreibtisch, um Euch, Ihr Lieben, einmal wieder vollständigeren Rapport über unser Leben und Treiben abzustatten.“32 Die ehrerbietigen Floskeln wechselten sich mit weltfraulichem Gehabe ab: „Doch müßt ihr nicht glauben, daß es hier gar keine geistigen Genüsse gäbe, daß man ein bloß materielles Leben führe. Wir haben Bücher die Hülle und Fülle, französische…, deutsche…, und was mehr wert ist, – höchst interessante, liebenswürdige Menschen zu unserm täglichen Umgang. Besonders intim bin ich mit der Frau eines Predigers, die jeden Nachmittag zu mir in den Kursaal kommt. Ihr Mann hat kürzlich angefangen, den Jean Paul zu übersetzen. Es ist überhaupt merkwürdig, wieviel man sich hier und in Frankreich mit deutscher Literatur beschäftigt, wieviel Deutsches hier in dem Volk noch überall durchblickt. Denkt Euch, in Straßburg wird in den meisten Kirchen deutsch und nur ausnahmsweise französisch gepredigt. Im Elsaß wird nur deutsch in den untern Volksklassen gesprochen …“33 Fräulein von Westphalen fühlte sich wohl, angemessen akzeptiert und konnte ihre Kenntnisse über eine andere Grenzregion erweitern. Aber, wo immer sie war, Karl fehlte. „Daß er hinter mir liegt, der Ort des Jammers, das alte Pfaffennest, mit seiner Miniatur-Menschheit, sagt Dir die überschrift dieses Blättchens; es soll Dir nun weiter erzählen von unsrer Reise ins Land der Vogesen, meinem innern und äußern Leben in der kleinen, freundlichen Baderesidenz, vorher aber mußt Du stille sein und lauschen, Du teurer Liebling, lausche den trauten Liebesgrüßen, die es Dir bringt, den süßen, zarten Worten der Liebe, die es Dir zulispelt. Teurer Karl, könntest Du jetzt bei mir sein, dürft’ ich an Deinem Herzen ruhen, mit Dir vereint hinausschauen ins heitre, freundliche Tal, die anmutigen Wiesengründe, die Berge mit ihren waldigen Höhen! Doch ach, Du weilst so fern, so fern, so unerreichbar; vergebens sucht Dich mein Auge, vergebens breiten sich meine Arme nach Dir aus, vergebens rufe ich sie Dir zu, alle die süßen Namen der zärtlichsten Liebe; den stummen Zeugen Deiner Liebe muß ich sie aufdrücken, alle die heißen Küsse …“34, schrieb Jenny am 24. Juni 1838 an Karl voller Sehnsucht. All ihr Denken und Sehnen galt nur dem Verlobten im so fernen Berlin. Wann würde ihr größter Wunsch erfüllt und sie seine Ehefrau werden? Die Entscheidung lag beim Manne. Nach drei Studienjahren war der Zeitpunkt für einen Abschluss mit Doktordiplom noch zu früh, und dies bedeutete warten, warten, warten und jedem Brief entgegenzufiebern.
Handschriftliche Volksliedersammlung von Karl Marx für Jenny von Westphalen von 1839
Karl wusste um ihre Sehnsucht und stellte für Jenny im Winter 1838/39 eine Volksliedersammlung zusammen, insgesamt 80 Lieder in allen deutschen Mundarten, in Spanisch, Griechisch, Lettisch, „gebunden in einem Oktavband von 164 Seiten in einem Rokokoeinband, gelblich-weiß mit goldfarbenem Muster, grünen Girlanden und roten Rosen; in der Mitte eine Vase mit Trauben und Blumen.“ 35 Die Braut sang die Lieder sicherlich mit Leidenschaft und überlegte, welche Liebesbotschaft sie enthielten und war beseelt über die Liebesbeweise. Ein Jahr verging.
Um die Jahreswende 1839/40, Karl war zur großen Enttäuschung über die Festtage wieder in Berlin geblieben, manövrierte sich das Paar in eine neuerliche Krise. Jenny war angeblich mit einem anderen Mann gesehen worden, der Verlobte hatte darauf mit heftigsten Vorwürfen reagiert und Briefe von Jenny hatten die Missstimmung noch gesteigert. Die Braut hielt die Ungewissheit nicht lange aus und griff zur Feder, um dem genauso unglücklichen Karl ihre Befindlichkeit zu vermitteln.
Ölbild von Jenny von Westphalen im Alter von 25Jahren (1839)
„Liebes, einziges Liebchen!
Ich war so aufgeregt als ich zuletzt schrieb, und in solchen Augenblicken sehe ich dann alles noch viel schwarzer und schrecklicher als es wirklich.
Verzeih mein einziges Liebchen, daß ich Dich so ängstigen konnte, aber ich war vernichtet durch Deinen Zweifel an meiner Liebe und Treue. Sag Karl wie konntest Du das … niederschreiben, einen Verdacht äußern blos weil ich etwas länger als gewöhnlich geschwiegen … Ach Karl wie wenig kennst Du mich, wie wenig siehst Du meine Lage, und wie wenig fühlst Du, worin mein Gram besteht, an welcher Stelle mein Herz blutet. Die Liebe des Mädchens ist anders als die des Mannes, sie muß auch anders sein. Das Mädchen kann freilich dem Manne nichts anderes geben als Liebe und sich und ihre Person so wie sie ist, ganz ungetheilt und ewig. In gewöhnlichen Verhältnissen muß auch das Mädchen ihre volle Befriedigung in der Liebe des Mannes finden, sie muß alles andre in der Liebe vergessen“ 36, schrieb sie noch ganz aufgelöst. Konnte eine fortschrittliche Frau und für eine solche hielt sie sich doch, die Frau nur auf das Gefühl Liebe und körperliche Hingabe reduzieren? Jenny schien internalisiert zu haben, dass die Erfüllung der Frau durch den Mann erfolgte, – trotz ihrer Betonung der „gewöhnlichen Verhältnisse“. Ihr spezielles Problem war ihre Ungewissheit hinsichtlich Karls wahrer Gefühle und folglich beklagte sie: „Du achtest mich nicht, Du vertraust mir nicht, und daß ich Deine jetzige schwärmerische Jugendliebe nicht zu erhalten im Stande bin, hab’ ich ja von Anfang gewußt, tief empfunden, noch ehe man mir das so kalt und klug und vernünftig auseinandergesetzt hat.“ 37 Was hatte Karl nur geschrieben, dass sie wieder an allem zweifeln musste? Er sollte doch wissen, dass sie anders war als alle anderen Mädchen. Jedenfalls meinte sie: „Ach Karl, darin liegt eben mein Jammer daß das, was ein jedes andre Mädchen mit namenlosen Entzücken erfüllen würde Deine schöne rührende leidenschaftliche Liebe, die unbeschreiblich schönen Aeußerungen darüber, die begeisternden Gebilde Deiner Phantasie, daß dies alles mich nur ängstigen und oft zur Verzweiflung bringt.“ 38 Jenny von Westphalen konnte den Augenblick nicht genießen und im Moment des Glückes musste sie sogleich an dessen Vergänglichkeit denken, trotz aller Liebesschwüre. Seit Jahren wartete sie auf den Geliebten, und sie hatte keine Möglichkeit, die Angelegenheit „Hochzeit“ eigenständig voranzutreiben. Sie konnte nicht aktiv handeln und so wurde ihr die Zeit immer länger. Es blieb nur der Appell an den Verlobten: „Bedenk nur immer, dass Du daheim ein Liebchen hast, das da hofft und jammert und ganz abhängig von Deinem Schicksal ist.“ 39 Unentwegt dachte sie über sich und Karl nach und so mancher trübe, zweiflerische Gedanke nistete sich in ihrem Kopf ein. Zu Karl: „Je mehr ich mich der Seligkeit hingeben würde, desto fürchterlicher würde mein Schicksal sein, wenn Deine feurige Liebe aufhören, Du kalt und zurückhaltend werden solltest. Sieh Karl die Sorge um die Fortdauer Deiner Liebe raubt mir allen Genuß, ich kann mich Deiner Liebe nicht so ganz freuen, weil ich mich ihrer nicht mehr versichert glaube, es konnte nichts schrecklicheres für mich kommen als das. Sieh Karl deshalb bin ich nicht ganz so dankbar, ganz so beseligt über Deine Liebe, wie sie es wirklich verdiente, deshalb erinnre ich Dich öfter an äußre Dinge, an das Leben an die Wirklichkeit, statt wie Du es verstehest, mich ganz an der Welt der Liebe an dem Aufgehen in ihr und einem höheren theueren geistigen Eins Seiens mit Dir festzuhalten und alles andre in ihr zu vergessen, Trost und Seligkeit allein in ihr zu finden. Karl könntest Du den Jammer doch fühlen, Du würdest milder gegen mich sein und nicht überall gräßliche Prosa und Gewöhnlichkeit sehen, nicht überall Mangel an wahrer Liebe und Gefühlstiefe erblicken. Ach Karl könnt ich in deiner Liebe sicher ruhn, mein Kopf würde nicht so brennen, mein Herz nicht so stechen und bluten. Könnt ich an Deinem Herzen ewig sicher ruhen, Karl bei Gott meine Seele dachte nicht ans Leben und die kalte Prosa. Aber Engelchen Du achtest mich nicht, vertraust mir nicht und Deine Liebe für die ich alles hingäbe, kann ich nicht frisch und jung erhalten. … Ich fühle so ganz wie recht Du in allem hast, aber denk Dir auch meine Lage, meinen Hang zu trüben Gedanken, denk Dir das alles einmal recht wie es ist und Du wirst nicht mehr so hart gegen mich sein. Könntest Du doch nur ein Bischen mal ein Mädchen sein und dazu noch so ein sonderbares wie ich.“ 40 Mädchen – Seligkeit – hingeben, diese Worte lassen auf einen inneren Konflikt schließen – oder auf Ansprüche Karls. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die junge Frau dem Verlobten wohl den Beischlaf verweigert, trotz aller Versuchungen bei seinen seltenen Besuchen; zu oft hatte sie von Mädchen gehört, die den Verführungen erlegen und dann von dem Manne, nachdem er sein Vergnügen gehabt hatte, als gefallenes, unmoralisches Mädchen geschmäht und in die Verzweiflung gestoßen wurden. Ein Opfer dieser Doppelmoral wollte Jenny von Westphalen nicht werden.
Beim Niederschreiben all´ ihres Kummers wurde ihr leichter ums Herz und sie milderte ihre Vorhaltungen und Zweifel ab: „Doch Karlchen ich muß doch noch einmal ein Bischen ernst mit Dir reden, sag wie konntest du an meiner Treue zweifeln? Ach Karl Di ch durch einen andern verdunkeln zu lassen, nicht als ob ich andrer Leute gute vorzügliche Eigenschaften verkannte und Dich für unübertrefflich hielte, aber Karl ich liebe Dich ja so unaussprechlich und sollte an einem andern nur irgend etwas liebenswerth finden. Ach Karlchen ich habe nie gegen Dich gefehlt nie nie und dennoch vertraust Du mir nicht …“ 41 Kein Liebesgeständnis ohne Einschränkung. Jenny gab zu, sich gerne mit Fremden zu unterhalten und bei diesen nicht zu verstummen. Bei ihm, dem so innig Geliebten hingegen „weiß ich vor Angst kein Wort, da stockt mir das Blut in den Adern und meine Seele bebt.“ 42 Das war übertrieben, denn mit ihrem Karl konnte sie stundenlang turteln, reden, lachen – und dennoch war die Ambivalenz ihrer Gefühle erstaunlich.
Karl Marx trieb Jenny zu einem Zeitpunkt an den Rand der Belastbarkeit, als sie seinen Beistand dringend gebraucht hätte. Bei Westphalens herrschte niedergedrückte Stimmung, wie man am 9. März 1840 in der „Trier’schen Zeitung“ lesen konnte:
„Heute den 8. März 1840 um halb 7 Uhr Morgens, verschied zum bessern himmlischen Leben unser geliebter Sohn und Bruder
Carl Hans Werner von Westphalen
Königlicher Landgerichtsrath hierselbst.
Im noch nicht vollendeten 37. Jahre, nach mehrwöchentlichen Leiden am Nervenfieber. Voll Edelmuth und Selbstaufopferung, von Wahrheitssinn und Gerechtigkeit durchdrungen, war er im Leben unser Stolz, der Menschen liebevoller Freund, der Armen Helfer, und in seinem amtlichen Beruf voll Pflichtgefühl und Milde.
Mit tiefbetrübtem Herzen zeigen wir seinen unersetzlichen Verlust … an.“ 43
Binnen weniger Monate verlor Jenny nach Heinrich Marx einen weiteren Freund, der durch seine ruhige, ausgleichende Art ihr Halt gegeben hatte. Die Geschwister hatten viel miteinander unternommen und bis auf wenige Jahre war der große Bruder immer an ihrer Seite gewesen und hatte sie beschützt. Ob er Jennys Entscheidung für Karl Marx gut befand, ist nicht belegt, aber er wird sie nicht verurteilt haben, denn er kannte den Verlobten sehr gut. Jetzt fühlte sich Jenny in Trier noch einsamer und wünschte sich noch sehnlicher eine Veränderung ihrer Lebensverhältnisse und dies wusste Karl und schuf eine wichtige Voraussetzung für eine gemeinsame Zukunft.
In Berlin gehörte Marx dem „Doktorklub“ der Junghegelianer an, die in den von Arnold Ruge gegründeten „Halleschen Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst“ ihre Ideen verbreiteten. Ihre Religionskritik führte zu einer radikalen Gesellschaftskritik, die in einer Forderung nach Abschaffung des Staates gipfelte. Diese verbale Aufmüpfigkeit wurde durch den liberalen preußischen Kultusminister von Altenstein noch geduldet, aber 1840 änderte sich die Lage. Friedrich Wilhelm IV., seit Juni König von Preußen, hatte nicht den erhofften liberalen Kurs eingeschlagen und duldete keine Äußerungen wie ‚Gott existiere nicht‘´ und demnach könne der Monarch auch nicht von Gott eingesetzt sein und daher sei der in diesem Staat lebende Mensch dem Monarchen nicht untertan. Derartige subversive Ideen durften nicht publiziert und ihre Verkünder auf keinen Fall an den Universitäten tätig sein. über radikale Denker wie die Junghegelianer wurde ein Berufsverbot verhängt. Für Karl Marx war demzufolge die Chance vertan, in Berlin Dozent zu werden. Bruno Bauer, inzwischen Privatdozent in Bonn, überredete ihn mit Nachdruck zum Abschließen seiner Promotion, um ihm mit dieser Qualifikation an der Bonner Universität eine Assistenzstelle mit Aussicht auf eine Habilitation zu verschaffen. Bauer kannte Marx vom Doktorenclub in Berlin und war über seine Verlobte bestens informiert. Obwohl beide sich noch nicht persönlich kannten, prognostizierte er bei Marx weitblickend: „Deine Braut ist fähig, alles mit Dir zu ertragen, und wer weiß, was noch kommen wird.“ 44
Nach der üblichen vierjährigen Studienzeit, die er trotz Krankheit nicht verlängert hatte, exmatrikulierte sich Karl Marx in Berlin und reichte am 6. April 1841 seine Promotion in absentia an der Universität in Jena ein, die dafür bekannt war, dass man an ihr schnell und problemlos den Doktortitel erlangen konnte. Dekan Bachmann von der philosophischen Fakultät urteilte über „Die Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie“: „Das Specimen zeugt von ebenso viel Geist und Scharfsinn als Belesenheit, weshalb ich den Kandidaten für vorzüglich würdig halte.“ 45 Der Gutachter hatte trotz des Schnellverfahrens die Fähigkeiten des Verfassers erkannt, vorausgesetzt, es handelte sich nicht um ein vorgefertigtes Statement. Karl Marx erhielt in Berlin das am 18. April 1841 in Jena ausgestellte Doktordiplom. Jenny war glücklich über „ihren Herrn Doktor“, und ihr Vater freute sich über Karls Widmung: „Seinem teuern väterlichen Freunde, dem geheimen Regierungsrathe Herrn Ludwig von Westphalen zu Trier, widmet diese Zeilen als ein Zeichen kindlicher Liebe der Verfasser“ 46 und über Karls Dank: „Sie, mein väterlicher Freund, waren mir stets ein lebendiges argumentum ad oculos, dass der Idealismus keine Einbildung, sondern eine Wahrheit ist.“ 47
Die Verlobte glaubte, die Zeit des Wartens nähere sich dem Ende. Die Hoffnung trog. Für Jenny bedeutete dies, weiterhin auf Karl zu warten und ihre Gefühle ihm schriftlich mitzuteilen: „Was Du aber ein liebes süßes, einziges Herzens Liebchen bist! Und wie Deine Briefe mich beseligen, erheben, mit stillem Jubel erfüllen!“ 48 Um die quälende Wartezeit zu überbrücken, bildete sie sich weiter, lernte Griechisch und monierte, als ihre Anstrengungen nicht gebührend gewürdigt wurden: „Aber bei all dem vermiß’ ich doch eins: Du hättest mich wohl ein bißchen loben können wegen meines Griechischen und meiner Gelehrsamkeit einen kleinen lobenden Artikel widmen können; so seid ihr aber mal, Ihr Herrn Hegelinge – nichts erkennt ihr an, und wenn es das Allervortrefflichste wäre, wenns nicht grade in Eurem Sinne ist.“ 49 Kritische Worte, die sie anderen verübelt hätte; doch ihre Liebe relativierte jede Kritik. Zu Karl: „Schwarzwildchen wie freu ich mich, daß Du froh bist und daß mein Brief Dich erheitert, und daß Du Dich nach mir sehnst, und daß Du in tapezirten Zimmern wohnst und daß Du in Cöln Champagner getrunken hast und daß es Hegelklubbs giebt und daß Du geträumt hast und daß Du, kurz daß Du mein, mein Liebchen, mein Schwarzwildchen bist.“ 50 Trotz allen Getändels trieb sie die Frage um: „Gelt ich kann Dich doch heirathen?“ Karl beruhigte sie, aber einen konkreten Termin konnte er nicht nennen. Schritt für Schritt, lautete seine Devise. Er hatte Berlin im Mai verlassen, um sich an der Universität Bonn zu habilitieren – ein höchst erfreulicher Schritt für Jenny. Endlich war der Geliebte näher bei ihr. Sechs Wochen verbrachte er im Sommer 1841 in Trier bei der Mutter und drei Monate im Winter 41/42. Wo er unterkam, ist nicht belegt, möglicherweise bei den Eltern der Braut.
Jenny spürte seinen Rückhalt und forderte bei den Eltern mehr Freiheit und Selbstbestimmung ein, mit Erfolg. Die Siebenundzwanzigjährige erhielt die Erlaubnis, ihren Verlobten treffen zu dürfen, und Ende August 1841 konnte ihn Jenny auf einer Reise nach Neuss zu Freunden in Köln in die Arme schließen, unter Aufsicht. Im „Verzeichnis der gestern angekommenen Fremden“, abgedruckt im „Kölnischen Anzeiger“, war neben Frl. v. Westphalen und Marx, Dr. auch ein Herr v. Westphalen, Referen(dar) a(us) Trier vermerkt. Die Eltern waren besorgt und Jenny musste sich bei dem Geliebten über die Mutter ereifern, die sie ermahnt hatte, „nur äußern und innern Abstand zu beachten, weil ich Dich sonst in Bonn nicht besuchen könnte. Ach, Herzchen, wie mir da alles zentnerschwer auf die Seele fiel! äußerer und innerer Anstand!! – ach, mein Karl, mein süßer einziger Karl!“ 51 Die elterlichen Ermahnungen wurden nicht beachtet, Jenny und Karl schritten zur Tat. Sie verbrachten Stunden der Liebe oder einige Liebesnächte zusammen, endlich ungestört. Jenny befand sich in einem wahren Liebesrausch und stammelte eingedenk des höchsten Glücksgefühls einige Tage später in ihrem Brief aus Neuss: „Und dennoch Karl ich kann, ich fühle keine Reue, halte ich mir die Augen fest, fest zu und Seh ich dann Dein selig lächelndes Auge – sieh, Karl dann bin ich selbst in diesem Gedanken selig – Dir alles gewesen zu sein – andern nichts mehr zu sein. Ach Karl ich weiß sehr gut was ich gethan und wie ich vor der Welt geächtet wäre, ich weiß das Alles, alles und dennoch bin ich froh und selig und gäb selbst die Erinnerung an jene Stunden um keinen Schatz der Welt dahin. Das ist mein Liebstes und soll es ewig bleiben.“ 52 Von nun an ergriff die sexuelle Leidenschaft die junge Frau mit aller Macht und zog sie zu dem Manne hin, den sie „unaussprechlich, grenzen-, zeit- und maßlos liebt(e)“. Noch war sie nicht am Ziel, ein Horror. Ihr graute: „Nur wenn ich denke noch so lange von Dir getrennt leben zu müssen, so ganz wieder umringt von Jammer und Elend, dann beb ich zusammen. … Jede selige Stunde durchlebt’ ich noch einmal, noch einmal lag ich an Deinem Herzen, liebeberauscht und selig! Und wie Du mich anlächeltest und froh warst. Karl, Karl, wie lieb ich Dich! … Lieber süßer Engel denkst Du denn noch oft an all die Seligkeit, ach, mein lieb, lieb Herzchen wie war ich so glücklich, so überselig! Karl Dein Weib zu sein, welch ein Gedanke – vielleicht, o Gott mir schwindelt dabei!“ 53 Das „Vielleicht“ verdrängend, beschwor sie ihren Karl umso entschiedener: „Gelt ich bin aber schon ein bischen viel Dein Fräuchen? Karlchen sag werd’s ich noch ganz. Ach, wenn ich an Trier denke, schaudre ich zusammen – meine Eltern wohnen da, meine alten Eltern, die Dich so lieben, ach Karl ich bin recht schlecht und nichts ist mehr gut an mir als meine Liebe zu Dir – die aber ist über alles groß und ewig.“ 54 Jenny von Westphalen betrachtete sich von nun an als Karls Frau, moralische Bedenken, dass ein sittsames Mädchen jungfräulich in die Ehe gehen sollte, bedeuteten nichts gegen die Liebe. Und doch stürzten ihre Gedanken für ein paar Sekunden jäh aus der Glückseligkeit in tiefste Resignation: „Karlchen wenn Du mich jetzt vergäßest – nein nein das kannst Du nicht – kannst es nie. Das Ende Deiner Liebe und das Ende meines Daseins fallen in einen Moment zusammen.“ 55 Diese Worte waren keine Drohung, kein Erpressungsversuch, eher eine Liebeserklärung, und doch offenbarten sie innere Unsicherheit. Jenny liebte Karl Marx und wusste, dass ihre Gefühle erwidert wurden, aber eine dunkle Ahnung konnte sie nicht unterdrücken.
Nach den Tagen der Leidenschaft verging die Zeit noch langsamer für die reife Braut. Eine willkommene Abwechslung war die Taufe von Louise und Ferdinands drittem Kind. Nach Stammhalter Ferdinand (1836 – 1906) und Louise Caroline Wilhelmine Franziska (1839 – 1928) war Anna Elisabeth Charlotte Jenny von Westphalen am 22. September 1841 in Trier zur Welt gekommen. Jenny wurde als Namensgeberin zugleich Patin, zusammen mit Wilhelm Chassot von Florencourt, dem Bruder Louises. Jenny durfte das Baby in den Armen halten, als es am 8. November um 9 Uhr getauft wurde. Sie genoss das Gefühl, ein Kind in den Armen zu wiegen, und wünschte sich vielleicht, es wäre ihr eigenes Kind. Lange konnte sich Jenny nicht um ihr Patenkind kümmern, Klein-Jenny starb noch im Kindesalter.
Es war das letzte heitere Familienfest, das nächste Zusammentreffen hatte einen traurigen Anlass. Am 3. März 1842 starb Vater Ludwig im Alter von 71 Jahren abends um 6 Uhr nach monatelangem Leiden an Entkräftung. Auch wenn man mit seinem Ableben hatte rechnen müssen, die Trauer war groß. „Die Hinterbliebenen des Verblichenen“, offiziell vertreten durch die Söhne Ferdinand und Edgar, ließen die Bürger Triers wissen: „Die irdische Hülle des theuern Entschlafenen wird am Sonntag den 6. dieses Monats; Nachmittags 3 Uhr; zur Erde bestattet werden; seine Freunde und Bekannte, die Mitbürger Triers, die ihm so theuer geworden waren und die ihn auf dem letzten Gange zu begleiten wünschen, wollen sich zu jener Stunde im Sterbehause einfinden.“ 56 Wie viele kamen, wissen wir nicht, aber einer stand Jenny treu zur Seite, und das war das Wichtigste. Karl Marx hatte mit ihr am Totenbett geweilt, und es war bei der Beerdigung des Vaters tröstlich, den Geliebten um sich zu haben, der sie in den Arm nahm und an dessen Brust sie sich ausweinen durfte. Alle konnten sich vergewissern, dass dieser Mann fest zu ihr stand. Nichts konnte sie trennen, signalisierte die Baronesse ihrem Umfeld. Um seiner Braut beizustehen, verbrachte Marx im Sommer 1842 wieder mehrere Wochen in Trier und laut Fremdenliste der „Trier’schen Zeitung“ logierte er im Gasthof „Venedig“ in der Brückenstraße, nicht bei seiner Mutter. In Begleitung seiner schönen Braut feierte er im Juli mit seiner Familie die Hochzeit von Schwester Sophie, Jennys Kinderfreundin, mit dem Advokaten-Anwalt Robert Schmalhausen.
Nach dem Tode des Vaters wurde die Situation im Hause Westphalen schwieriger. Die Witwe erhielt ein Drittel oder vier Zehntel der Pension ihres Mannes, eine drastische Einbuße. Jenny und Edgar mussten finanziert werden, und um zu sparen, zog die Mutter mit Tochter und Schwester Ende März aus der großen Wohnung in der Brückergasse 625b in eine kleinere Wohnung in der Brückergasse Nr. 602. Wann die Familie in die Brückergasse 625b gezogen war, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Nur drei Monate später, am 12. Juni, starb ihre 67jährige Schwester Christiane Sophie, deren Ableben von Edgar von Westphalen und Dr. Marx angezeigt wurde. Ihr Tod war vielleicht der letzte Anstoß für eine übersiedlung nach Kreuznach.
Der Ortswechsel war mit einigen Beschwernissen verbunden. „Die verwittwete Geh.-Reg.-Räthin von Westphalen sucht bei ihrer Wohnungsverlegung nach Kreuznach eine stille Familie an die Stelle ihres bis zum 1. April k.J. fortlaufenden Mietvertrags“ 57, inserierte die Mutter am 14. Juli 1842, und in einer zweiten Annonce am 23. September gab sie bekannt: „Mit Wehmuth scheide ich aus dieser Stadt, in welcher mein unvergesslicher Mann und ich uns von den Theuern Einwohnern so vieler Güte und Wohlwollens zu erfreuen hatten. Haben Sie Dank, dass Sie eine lange Reihe von Jahren uns so viele Beweise Ihrer uneigennützigen Freundschaft gaben und erhalten Sie auch in der Ferne meinen Kindern und mir eine freundliche Erinnerung.“ 58
Der Umzug fand im September statt, in einem Monat, in dem in Trier äußerst aufregende Ereignisse anstanden. Am 18. September 1842 wurde Wilhelm Arnoldi mit Verzögerung zum Bischof geweiht. Drei Jahre zuvor war er ein erstes Mal in das Amt gewählt worden, aber die preußische Regierung hatte ihm die Bestätigung verweigert, weil er wie der Kölner Erzbischof Droste von Vischering ein Gegner ihrer Misch-ehenpolitik war.
Die Rheinlande waren vor 1815 fast rein katholisch gewesen und erst im Zuge der Eingliederung zu Preußen kamen in größerer Zahl Protestanten, zumeist Armee- und Verwaltungsangehörige, in die Gegend, die Partnerinnen fanden. Nach preußischer Regelung sollten Kinder aus Mischehen nach der Konfession des Vaters erzogen werden. Die katholische Kirche hingegen weigerte sich, diese Ehen einzusegnen, und versuchte die Braut mit Drohungen wie Exkommunikation ihrer Familie dazu zu bewegen, die katholische Erziehung ihrer Kinder durchzusetzen. Einem derartigen Arrangement versagte die Regierung die zivilrechtliche Gültigkeit der Ehe; sie wollte den protestantischen Gläubigen schützen und seine Vorrechte als Familienoberhaupt sichern. Als der Erzbischof von Köln 1837 in Verhandlungen keinerlei Bereitschaft erkennen ließ, von der katholischen Haltung abzugehen, wurde er auf der Festung Minden gefangen gehalten und erst zwei Jahre später freigelassen. Dieses Vorgehen sorgte bei den Katholiken in ganz Deutschland für Empörung und Protest, natürlich auch in Trier. König Friedrich Wilhelm IV. signalisierte Entgegenkommen und bestätigte Arnoldi nach einer zweiten Wahl als Bischof. Bei der feierlichen Inthronisation im Trierer Dom am 18. September war der oberste weltliche Repräsentant nicht anwesend. Friedrich Wilhelm IV. kam erst einen Tag später in seine Garnisonsstadt. Als Zeichen seines königlichen Wohlwollens ließ er den neuen Bischof sogar zu einem Empfang laden.
Anlässlich seines Besuches verlieh der Herrscher besonders verdienstvollen Persönlichkeiten Orden – und zu diesen gehörte Oberregierungsrat Ferdinand von Westphalen. Aus der Hand seines verehrten Königs erhielt er den „rothen Adlerorden dritter Klasse mit der Schleife“ „in der IV. Kategorie“. Ob zu den Gratulanten auch noch Jenny gehörte? Oder war sie mit ihrer Mutter bereits auf dem Wege nach Kreuznach? Das wäre die eleganteste Lösung für alle gewesen; denn für eine derartige Auszeichnung aus der Hand des allerhöchsten reaktionären Preußen, für Ferdinand und Louise eine unbeschreibliche Ehre, hatte sie vermutlich nur Hohn und Spott übrig.
1 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 18.11.1835
2 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 19.3.1836
3 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 9.12.1837
4 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 12.8.1837
5 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 12.8.1837
6 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.515
7 MEGA III,1 Karl Marx an Heinrich Marx am 10.11.1837
8 MEGA III,1 Karl Marx an Heinrich Marx am 10.11.1837
9 MEGA III,1 Karl Marx an Heinrich Marx am 10.11.1837
10 MEGA III,1 Karl Marx an Heinrich Marx am 10.11.1837
11 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 17.11.1837
12 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 17.11.1837
13 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 9.12.1837
14 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 9.12..1837
15 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 9.12.1837
16 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 9.12.1837
17 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 9.12.1837
18 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 9.12.1837
19 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.520
20 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.520
21 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.520
22 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.518
23 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.518
24 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.518
25 MEGA III,3 Henriette Marx an Karl Marx am 22.10.1838
26 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx nach dem 10.5.1838
27 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx am 24.6.1838
28 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx am 24.6.1838
29 MEGA III,1 Henriette Marx an Marx am 29.5.1840
30 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.520
31 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.520
32 Schack, Jenny von Westphalen an Caroline von Westphalen am 2.7.1838, S.59ff.
33 Schack, Jenny von Westphalen an Caroline von Westphalen am 2.7.1838, S.59ff.
34 Schack, Jenny von Westphalen an Karl Marx am 24.6.1838, S.53
35 Raddatz, Karl Marx, S.40
36 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx 1839/1840
37 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx 1839/1840
38 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx 1839/1840
39 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx am 10.8.1841
40 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx 1839/1840
41 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx 1839/1840
42 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx 1839/1840
43 Gemkow, Heinrich, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.521
44 Monz, Karl Marx. Grundlagen der Entwicklung zu Leben und Werk, S.349
45 Raddatz, Karl Marx, S.47/48
46 MEW, Ergänzungsband, Erster Teil, S.259
47 MEW, Ergänzungsband, Erster Teil, S.260
48 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx am 13.9.1841
49 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx am 10.8.1841
50 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx am 10.8.1841
51 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx am 13.9.1841
52 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx am 13.9.1841
53 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx am 13.9.1841
54 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx am 13.9.1841
55 MEGA III,1 Jenny von Westphalen an Karl Marx am 13.9.1841
56 Schöncke, Karl und Heinrich Marx und ihre Geschwister, S.880/881
57 Elsner, Karl Marx in Kreuznach 1842/43, S.111
58 Elsner, Karl Marx in Kreuznach 1842/43, S.112