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ОглавлениеTEIL II – SIEBEN LANGE JAHRE
Liebe auf den tausendsten Blick
Das Jahr 1836
Jenny von Westphalens Bestimmung war es, zu heiraten und die Zukunft der Familie durch Kinder abzusichern. Aber die Zeit verging und sie lehnte jede Offerte ab, trotz fortgeschrittenen Alters. Kein Heiratskandidat fand ihr Wohlgefallen. Von einem preußischen Militär hielt sie nach ihrer Erfahrung mit Pannewitz wahrscheinlich nicht viel, weil sie annehmen musste, dass ihre politisch-gesellschaftlichen Haltungen konträr zueinander waren. Aber einen tüchtigen, adligen Herrn, in der Verwaltung tätig und liberalen Reformen nicht abgeneigt, hätte sie vielleicht erhören können. An einen, allerdings bürgerlichen Verehrer, Peter Reichensperger, meinte sich Bruder Edgar später erinnern zu können. Der Zentrums-Politiker kam allerdings erst 1844 an das Landgericht Trier, als Jenny schon verheiratet war.
Warum konnte sich die junge Dame nicht entscheiden? Lag ihre Unentschlossenheit darin begründet, dass sie sich immer mehr zu dem klugen, rebellischen Karl Marx hingezogen fühlte und die Verwandtschaft ihrer Seelen und ihre übereinstimmung im Geiste spürte? Mit ihm zu debattieren war eine Freude, schulte die Dialektik und beide konnten sich an ihren geistigen Höhenflügen begeistern. Der geniale Geist des vier Jahre Jüngeren, seine ironische überlegenheit, seine Beredsamkeit, sein Temperament und sein unkonventionelles Benehmen, später sprach man von schlechten Manieren, hatten sie zunehmend fasziniert. Als versteckte Liebesbeweise, kleine Zärtlichkeiten hinzukamen, wurde ihr bewusst, dass sie sich auch körperlich zu ihm hingezogen fühlte. Irgendwann gestand der stürmische Junge, dass er sie liebte. Zunächst hielt sie dies für eine Verirrung und Verwirrung der Gefühle, aber bald musste sie sich eingestehen, dass auch bei ihr aus Sympathie Verliebtheit und letztendlich Liebe geworden war. Die Baronesse und Karl Marx beschlossen sich zu verbinden. Aber wie sollte Jenny die Einwilligung der Eltern erhalten? Die Eltern schätzten Karl Marx, aber auch als Schwiegersohn? Der gesellschaftliche Konsens würde erheblich gestört werden, wenn eine Adlige einen Bürgerlichen heiratete. Das war nicht nur ungewöhnlich, das war schockierend, auch für Jennys Eltern. Erst im September 1834 war Ludwig von Westphalen mit Kindern auf eigenen Antrag in das Adelsverzeichnis für das Rheinland aufgenommen worden – und nun wollte die Tochter einen Schritt unternehmen, der zum Verlust ihres Adelstitels und aller damit verbundenen Privilegien führen würde? Eine Abkehr vom Pfad des Standes war schwer vermittelbar, war ein Skandal – außer für die verliebte Jenny. Wie würden die verwandten Adelsfamilien reagieren, die Krosigks, Veltheims, Florencourts und die anderen Westphalens? Die Skala würde von Missbilligung bis zu offener Ablehnung reichen, kaum von Verständnis bis Wohlwollen.
Für Naserümpfen würde neben dem Standesunterschied auch die Jugend des Bräutigams sorgen. In Jennys Kreisen war der Ehemann gewöhnlich erheblich älter als die Frau, hatte einen Beruf und war in der Lage, eine Familie zu ernähren. Das alles traf auf Karl Marx nicht zu, er war noch nicht einmal erwachsen. Hinzu kam der jüdische Hintergrund, obwohl die jüdischen Wurzeln von Marx die Aversion gegen die Verbindung nicht verstärkt haben müssen. Karl Marx hat jeden diesbezüglichen Hinweis vehement bestritten, und es ist auch festzuhalten, dass Juden in der Mitte des 19. Jahrhunderts über ihre Religion definiert wurden, nicht durch ihre Ethnie. Die Religion als Ablehnungsmerkmal spielte nach der Konversion der Familie von Heinrich Marx 1824/25 keine Rolle.
Karl Marx, ein Bürgerlicher, vier Jahre jünger als die adlige Braut, ein Student, ohne Einkommen, ohne Vermögen, war als Ehekandidat unmöglich. Aber die Entscheidung Jenny von Westphalens war unwiderruflich auf Karl Marx gefallen.
Das Geburtshaus von Karl Marx in Trier
Die Familie des Bräutigams war in Trier angesehen. Die Juden hatten in den von Napoleon I. besetzten Gebieten das volle Bürgerrecht erhalten, und diese Zusage sollte ab 1818 auch in Preußen gelten. Sie konnten viele Berufe ergreifen, nicht aber „Beamte, Richter, Offiziere, Advokat oder Apotheker“ 1 werden. Heinrich (Hirschel, Heschel) Marx, Karls Vater, geboren am 15. April 1777 in Saarlouis, entschloss sich daher zur Namensänderung und Konversion, nachdem Trier preußisch geworden war und er in Preußen nur als Christ ungehindert seinen Beruf als Advokat ausüben konnte. Der Religionswechsel war ein bemerkenswerter Schritt, immerhin kam der Anwalt Dr. Marx aus einer Rabbinerfamilie. Wann seine Taufe und Aufnahme in die evangelische Gemeinde Triers erfolgte, ist nicht belegt, doch nicht vor Mitte 1819, da sein ältester Sohn Mauritz David am 15. April 1819 noch auf dem jüdischen Friedhof in Trier beerdigt wurde; damit könnte auch Karl Marx nach jüdischem Ritus noch beschnitten worden sein. Die Mutter wagte aus Rücksichtnahme auf ihren Vater, einen Rabbiner, erst nach dessen Tode im September 1825 zu konvertieren. Am 26. August 1824 wurde Karl zusammen mit seinen Geschwistern zu Hause getauft.
Zu der Familie gehörten neben dem verstorbenen Mauritz David und dem am 5. Mai 1818 geborenen Karl noch weitere sieben Kinder. Sophia (13.11.1816) war die Jugendfreundin von Jenny von Westphalen. Mit 26 Jahren heiratete sie den Anwalt Wilhelm Robert Schmalhausen aus Maastricht, mit dem sie vier Kinder hatte. Sie starb im Dezember 1886. Karls jüngerer Bruder Hermann (30.10.1819, als einziges Kind des Ehepaares Marx nicht in Trier, sondern in Nymwegen geboren) erlernte in Amsterdam und Brüssel das Handelsgewerbe. Später lebte er bei seiner Familie in Trier und starb mit 23 Jahren am 14. Oktober 1842. Henriette (28.10.1820) heiratete den Architekten Albert Simons, ließ sich mit ihm im heutigen Oberhausen nieder und starb wenige Monate nach ihrer Vermählung im Jahre 1845. Louise (14.11.1821) wurde im Juni 1853 die Frau des Notariatskandidaten und späteren Verlegers und Buchhändlers Johann Carl Juta und wanderte nach Kapstadt/Südafrika aus, wo sie am 3. Juli 1893 starb. Die ein Jahr jüngere Emilie (24.10.1822) vermählte sich 1859 mit dem Wasserbauaufseher Johann Jakob Conradi. Sie war die einzige, die in Trier blieb und sich um die Mutter kümmerte, mit der sie spätestens ab 1861 in einem Haushalt lebte. Im Oktober 1888 erlag sie einem Herzleiden. Caroline (30.07.1824) starb mit 23 Jahren im Dezember 1847 an Schwindsucht und Eduard (07.04.1826) segnete mit elf Jahren im Dezember 1837 das Zeitliche. Vater Heinrich erlebte nur den Tod seines Erstgeborenen und seines Jüngsten, seine Frau musste zusätzlich den Verlust von Sohn Hermann und der Töchter Henriette und Caroline verkraften.
Eine Ehe zwischen der Baronesse und dem Bürgerlichen war trotz der Freundschaft zwischen den Vätern und den Kindern aus den genannten Gründen aufsehenerregend. Das war auch Jenny bewusst, und sie beschloss abzuwarten. Die Eltern wollten nach ihrem Eindruck nichts sehen und wissen, obwohl sie doch die verliebten Blicke, die heimlichen Zärtlichkeiten hätten wahrnehmen müssen. Jenny schwieg, obwohl es ihr schwerfiel. Fürchtete sie, man würde ihr die Unmöglichkeit der Verbindung vor Augen führen? Sie konnte sich nur auf wenige Frauen berufen, die aus Liebe den Standesverlust in Kauf genommen hatten. Vielleicht war Charlotte Schiller, eine geborene von Lengefeld, ein gutes Beispiel, aber diese hatte immerhin einen schon berühmten Dichter geheiratet, der zu ihrer großen Erleichterung später in den Adelsstand erhoben wurde. Auch Frau Hegel war eine gebürtige Marie von Tucher gewesen; ihr Ehemann, Georg Wilhelm Hegel, war bei ihrer Heirat allerdings schon Schuldirektor.
Jenny stand glücklicherweise keiner geschlossenen Front in der Familie gegenüber. Edgar war eingeweiht und Bruder Carl würde nicht gegen sie intrigieren. Aber Ferdinands Einfluss auf den Vater war nicht gering zu schätzen. Als er später von der Verbindung erfuhr, sprach er sich entschieden gegen die Mesalliance aus. Wenn es in seiner Macht gestanden hätte, hätte er diese Heirat verboten. Auch deshalb zögerte Jenny, ihr Glück offen zu zeigen. Sie kam mit Karl überein, nichts zu übereilen und ihre Liebe auf die Probe zu stellen. Die Gelegenheit ergab sich im Herbst 1835, als der junge Mann das Studium der Rechtswissenschaften an der neu gegründeten Königlich Preußischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn aufnahm.
In der kleinen Stadt am Rhein lebten 700 Studenten, und viele organisierten sich nach dem Verbot der Burschenschaften in Landsmannschaften, Karl Marx in der „Trevirania“. Der vielseitig interessierte Student besuchte Vorlesungen in Jura und Philosophie, bildete sich in Geschichte und Literatur weiter und war sich nicht sicher, ob er Jurist werden wollte. Sein Vater wusste um die vielfältigen Begabungen des Sohnes und zeigte sich gegenüber anderen Berufszielen durchaus aufgeschlossen, nicht jedoch gegenüber der Dichtkunst, zu der sich Karl zeitweilig berufen fühlte. Heinrich Marx, sehr intelligent, sehr gebildet und sehr belesen, reagierte reserviert: „Ich sage es Dir unverhohlen, mich freuen innig Deine Anlagen, und ich verspreche mir viel davon, doch es würde mich jammern, Dich als gemeines Poetlein auftreten zu sehen.“ 2 Immerhin wurden zwei Gedichte Karls, die „Wilden Lieder“, vier Jahre später in der Berliner Wochenzeitschrift „Athenäum“ in der Ausgabe vom 23. Januar 1841 veröffentlicht.
Jenny musste ohne Karl in Trier ausharren, aber sie ging gesellschaftlichen Pflichten und Vergnügungen nach. In Begleitung ihrer Eltern besuchte sie beispielsweise im August 1837 einen Ball, der zu Ehren der preußischen Prinzessin Marie gegeben wurde, und sie war eine begehrte Tanzpartnerin. „Jenny war zu einer auf einem Maskeradeball in der Erholungsgesellschaft aufzuführenden Quadrille, wozu sich 12 Paare vereinigt hatten, ebenfalls engagirt worden“ 3, erwähnte Bruder Carl in einem Brief an Ferdinand im Februar 1836.
Karl Marx wechselte nach nur einem Studienjahr in Bonn mit der Erlaubnis, vielleicht auch auf Wunsch des Vaters den Studienort. Er entschied sich für Berlin. Ob konkrete Gründe ihn zwangen, ist nicht erwiesen. Vielleicht war es ihm in Bonn zu eng geworden, der Kontakt zu den Kommilitonen aus Trier zu lästig oder der Vater befürchtete einen Verweis, da der Herr Student wegen einer Rauferei und eines Duells mit Säbel unangenehm aufgefallen war. Das war nichts Ungewöhnliches in einem Studentenleben der damaligen Zeit, vor allem, wenn ein temperamentvoller Trierer Student mit einem arrogant auftretenden preußischen Studenten aneinandergeriet. Karls neue Wirkungsstätte, die 1809 auf der Grundlage von Wilhelm von Humboldts berühmter Denkschrift gegründete Berliner Universität, die alma mater berolinensis, hatte einen hervorragenden Ruf. In Berlin ging es geistig freier zu, und diese liberalere Atmosphäre zog Studenten aus allen Teilen des preußischen Staates an, auch Karl Marx. „An Trinkgelage, an Duelle, an gemeinschaftliche Fahrten usw. ist hier gar nicht zu denken; auf keiner anderen Universität herrscht wohl solch allgemeiner Fleiß, solcher Sinn für etwas Höheres als bloße Studentengeschichten, solches Streben nach Wissenschaft, solche Ruhe und Stille wie hier. Wahre Kneipen sind andere Universitäten gegen das hiesige Arbeitshaus“ 4, rühmte Ludwig Feuerbach die Friedrich-Wilhelms-Universität. Als Edgar von Westphalen im Herbst 1837 unschlüssig war, ob er nach Berlin wechseln sollte, riet Bruder Ferdinand: „Berlin ist des Vaterlandes stolze Mitte, – am reichsten ausgestattet mit tüchtigen Professoren und wissenschaftlichen Hülfsmitteln, – also für den Hauptzweck andern Universitäten überlegen; aber freilich sehr entfernt …“ 5 Das empfand seine Schwester Jenny auch so und nahm daher den Schritt Karls mit ambivalenten Gefühlen auf. Sie fand es aufregend, dass er in der preußischen Hauptstadt mit mehr als 300.000 Einwohnern leben wollte, aber ihr Herz wurde schwer, wenn sie an die Entfernung Berlin-Trier dachte. Mehr als 700 Kilometer trennten sie. Musste das wirklich sein?, wird sie sich bisweilen im Stillen gefragt haben. Aber sie hatte keine Einspruchsmöglichkeit und Karl sollte doch vor allem glücklich sein und an der besten Universität sein Studium fortsetzen. Der sehnsüchtige Wunsch mit ihm zusammen nach Berlin zu gehen, war ohne Trauschein unmöglich und eine Heirat mit dem studierenden Habenichts ausgeschlossen. Für Jenny gab es nur einen Trost: Karl liebte sie, hatte sich ihr versprochen und sie vertraute ihm – was blieb ihr auch anderes übrig, gefangen in der weiblichen Abhängigkeit. Die beiden fanden eine Lösung. Bevor Marx im Spätsommer 1836 nach Berlin aufbrach, versprach sich das junge Paar ewige Liebe und Treue und, um seinem Schwur einen Hauch von Legalität zu verleihen, verlobte es sich im Geheimen. Die romantische Jenny wünschte sich zwar ein rauschendes Fest, wollte ihr Glück allen mitteilen, aber sie beugte sich der Realität. Auch die Heimlichkeit hatte ihren Reiz. Es ist anzunehmen, dass Jenny von Westphalen und Karl Marx dennoch feierten, vielleicht in einer lauen Spätsommernacht im Palastgarten, auf dem Markusberg oder im Mondschein an der Mosel bei einer Flasche Champagner, beglückwünscht von ein paar verschwiegenen Freund/innen.
Abiturzeugnis von Karl Marx aus dem Jahre 1835
Heinrich Marx gehörte zu den wenigen, die über die heimliche Verlobung der beiden Bescheid wusste, und er hatte sich überreden lassen, Mittelsmann zu sein. Es blieb nicht bei dieser Rolle, sondern der Vater versuchte, seinen Sohn bereits im Dezember auf Jennys schwierige Lage hinzuweisen: „Wäre ich mächtig genug, um dieses edle Wesen durch kräftiges Eingreifen in mancher Beziehung zu schützen und zu beruhigen, mir wäre kein Opfer zu groß. – Aber ich bin leider in jeder Hinsicht schwach. Sie Bringt Dir ein unschätzbares Opfer – sie beweist eine Selbstverleugnung, die nur von der kalten Vernunft ganz gewürdigt werden kann. Wehe Dir, wenn Du je in Deinem ganzen Leben, dies vergessen könntest! Doch jetzt kannst Du nur selbst wirkend eingreifen … und für Deine Anstrengungen lächelt Dir in der Zukunft ein Glück, welches zu verdienen jede Mühseligkeit ebenet.“ 6
Auch Schwester Sophie Marx war in die Liebesgeschichte involviert. „Dein letzter Brief, lieber Karl, hat mir bitt’re Thränen erpresst, wie konntest Du denken, dass ich versäumen würde, Dir Nachricht von Deiner Jenny zu geben? Ich träume und denke nur an Euch. Jenny liebt Dich; wenn der Unterschied der Jahre ihr Kummer macht, so geschieht’s Ihrer Eltern wegen. Sie wird dieselben jetzt nach und nach vorzubereiten suchen; alsdann schreibe Ihnen selber, Du giltst ja viel bei Ihnen. Jenny besucht uns häufig. Gestern war sie noch bei uns, und weinte bei Empfang Deiner Gedichte Thränen der Wonne und des Schmerzes. Unsere Eltern und Geschwister lieben sie sehr, letztere über alle Maßen; vor 10 Uhr darf sie uns nie verlassen, wie gefällt Dir das?“ 7, schrieb sie dem Bruder am 28. Dezember 1836. Vergeblich hatte Jenny zum Weihnachtsfest auf ein Geschenk des Verlobten gewartet. Erst nach den Festtagen trafen seine drei Gedichthefte „Das Buch der Liebe“ (Band 1 und 2) und „Das Buch der Lieder“ für die „teure, ewiggeliebte J. v. W.“ in Trier ein. Es waren Gedichte und Lieder über Sehnsucht, Verzweiflung, Kampf, Tod und Verderben – und natürlich über Karls Liebe zu Jenny. Eine Kostprobe:
„Menschenstolz“
„Jenny, Darf ich kühne es sagen,
Daß die Seelen liebend wir getauscht,
Daß in eines sie glühend schlagen,
Daß ein Strom durch ihre Wellen rauscht.
Dann werf’ ich den Handschuh höhnend
Einer Welt ins breite Angesicht,
Und die Riesenzwergin stürze stöhnend,
Meine Glut erdrückt ihr Trümmer nicht.
Götterähnlich darf ich wandeln,
Siegreich ziehn durch ihr Ruinenreich,
Jedes Wort ist Glut und Handeln,
Meine Brust dem Schöpferbusen gleich.“ 8
Besonders wird Jenny das Sonett aus dem „Buch der Lieder“ gefallen haben:
„Sieh, ich könnte tausend Bücher füllen,
Und nur „Jenny“ schrieb ich stets hinein,
Und doch würden sie Gedanken hüllen,
Ew’ge That, unwandelbaren Willen,
Süße Dichtung, zartes Sehnsuchtstillen,
Alle Gluth und Allen Aetherschein,
Alle Götterlust und Wehmuthspein,
All mein Wissen und mein eigen Sein.
In den Sternen kann ich ihn nur lesen,
Aus dem Zephyr tönt er mir zurück,
Aus der Welle Rauscherfülltem Wesen,
Und ich denk’ ihn einst in solchen Bann zu schreiben,
Daß Jahrhunderte erschaut sein Blick,
Jenny soll der Liebe Name bleiben.“ 9
Handschriftliches Gedicht von Karl Marx
Karls Gedichte waren keine dichterischen Glanzstücke, aber für Jenny Kleinode, die sie ein Leben lang aufbewahrte.
Vater Heinrich Marx sah die Zukunft des Paares nicht so rosig und schrieb das seinem Sohn im März 1837 auch: „Ich will und kann meine Schwäche gegen Dich nicht verbergen. Mein Herz schwelgt zuweilen in Gedanken an Dich und Deine Zukunft. Und dennoch zuweilen kann ich mich trauriger, ahnender Furcht erregender Ideen nicht entschlagen; wenn sich wie ein Blitz der Gedanke einschleicht: Ob Dein Herz Deinem Kopfe, Deinen Anlagen entspricht? – Ob es Raum hat für die irdischen aber sanftern Gefühle, die in diesem Jammerthale dem fühlenden Menschen so wesentlich trostreich sind? … Ob Du je, – und das ist meinem Herz nicht der wenigst peinigende Zweifel – je für wahrhaft menschliches – häusliches Glück – empfäng(lich) sein wirst? Ob Du je – und dieser Zweifel ist seit kurzer Zeit mir nicht weniger marternd, – seit ich eine gewisse Person wie mein eigenes Kind liebe – das Glück auf (die) nächste Umgebung zu verbreiten im Stande seyn wirst?“ 10 „Ob Dein Herz Deinem Kopfe entspricht?“, fragte der Vater dunkel ahnend und forderte: „Einen festen Entschluß mußt Du fassen – wenn auch nicht in dem Augenblicke, doch in diesem Jahre, und wenn er gefaßt ist, ihn fest ins Auge fassen und unerschütterlich verfolgen. … Drückend ist es für sie, // daß ihre Eltern nichts wissen, oder wie ich glaube, nichts wissen wollen. Sie kann sich selbst nicht erklären, wie sie, die ganz Verstandmensch zu seyn glaubte, sich so hinreißen ließ. Etwas Menschenscheu mag mit unterlaufen.“ 11 Die Verlobte war so unglücklich, fühlte sich so verlassen in Trier, dass Karl vom Vater den dringenden Rat erhielt: „Ein Brief von Dir, … den aber nicht der phantastische Poet diktiren darf, kann Trost bringen. Er muß zwar, wie ich daran übrigens nichts zweifle, voll zarten hingebenden Gefühls und reiner Liebe seyn, aber er muß hell und klar das Verhältniß auffassen, die Aussichten erörtern und beleuchten.“ 12 „Meine Ruh’ ist hin, mein Herz ist schwer“, mit Gretchens Worten aus Goethes „Faust I“ ließe sich die Gemütslage der heimlichen Braut beschreiben und nur Karl, der Mann, konnte Heilung bringen. Heinrich Marx forderte: „Die Gute verdient jede Rücksicht, und ich wiederhole es, ein ganzes Leben voll zarter Liebe vermag nur sie für das was sie schon gelitten, zu entschädigen, und selbst was sie noch leiden wird …“ 13 Nur eine offizielle Erklärung Karls konnte aus seiner Sicht Jennys Seelenfrieden retten, denn „ich sehe eine auffallende Erscheinung in Jy. Sie, die sich so ganz mit ihrem kindlichen Gemüthe Dir hingiebt, zeigt zuweilen unwillkührlich und gegen ihren eigenen Willen, eine Art von Furcht, von ahnungsschwangerer Furcht, die mir nicht entgeht, und die ich nicht zu erklären weis, und wovon sie jede Spur in meinem Herzen zu vertilgen suchte, sobald ich sie darauf aufmerksam machte – …unglücklicherweise erlaubt meine Erfahrung es nicht, daß ich mich leicht irre führen lasse.“ 14 Heinrich Marx bezog sich vermutlich auf die Ankündigung seines Sohnes, bei seinem nächsten Besuch bei Ludwig von Westphalen um Jennys Hand anzuhalten. Nach seiner Beobachtung schien sich Jenny vor diesem Treffen zu fürchten; denn sie war sich nicht sicher, ob ihr Vater seine Einwilligung geben würde und ein Nein hätte vermutlich die Trennung des Paares bedeutet. Dieses Mal würde sie sehr viel mehr leiden als sechs Jahre zuvor als junge, naive 17-Jährige; jetzt war sie eine erwachsene Frau mit 23 Jahren, schon mehr als reif für die Ehe. Sie hätte sich bei einem Ende der Beziehung vielleicht so sehr in ihren Kummer hineingesteigert, dass Schlimmstes zu befürchten gewesen wäre. Wer hätte sie auffangen können? Die Eltern hätten neben tröstender Zuwendung praktische überlegungen angestellt, wie man das „ältere Fräulein“ mit bedenklichem Vorleben doch noch an einen Mann bringen konnte. Einmal verlobt und entlobt mit einem preußischen Offizier, ein Verhältnis mit einem vier Jahre jüngeren Studenten – das wäre eine schwere Hypothek gewesen. Die Dame war zwar schön und charmant, aber nicht mehr ganz jung und vielleicht in Liebesdingen zu erfahren. Sie kam zwar aus gutem Hause, aber ihre Mitgift war sehr bescheiden, wenn auch interessant, weil mit dem Wappen der Herzöge von Argyll verziert. Bei näherem Kennenlernen konnte zudem die geistige Aufmüpfigkeit der Dame abschrecken. Bei einem passenden Kandidaten hätte Jenny kaum Widerspruchsmöglichkeiten gehabt und selbst bei geschickter Hinhaltetaktik hätte sie sich letztendlich fügen müssen. Hätte sie sich vehement gegen eine Verheiratung gewehrt, wäre ihr Schicksal das eines alternden Fräuleins im Hause der Eltern gewesen.
1 Jacobs, Existenz und Untergang der alten Judengemeinde der Stadt Trier, S.23
2 Blumenberg, Karl Marx mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, S.26
3 Gemkow, Aus dem Leben einer rheinischen Familie, S.514
4 Raddatz, Karl Marx, S.41
5 Gemkow, Edgar von Westphalen, S.415/416
6 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 28.12.1836
7 MEGA III,1 Sophie Marx an Karl Marx am 28.12.1836, Anlage zum Brief von Heinrich Marx am 28.12.1836
8 MEGA I,1 Buch der Liebe, Erster Teil, S.487
9 MEGA I,1 Buch der Lieder, S.607
10 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 2.3.1837
11 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 2.3.1837
12 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 2.3.1837
13 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 2.3.1837
14 MEGA III,1 Heinrich Marx an Karl Marx am 2.3.1837