Читать книгу BePolar - Martha Kindermann - Страница 5

Prolog

Оглавление

Ich schließe die Augen und sauge die kühle Luft der Ungewissheit tief in mich ein. Die Blicke der anderen brennen auf meiner Haut und ich weiß, dass es jetzt kein Zurück mehr gibt. Verdammte Zwickmühle.

Meine zittrigen Finger krallen sich in die kalte Tischplatte, während ich versuche, aufzustehen. Leichter gesagt als getan, mit einem Stein in der Magengegend, der gut fünf Kilo auf die Waage brächte.

Ich fokussiere die Lichter der Stadt und versuche, den inneren Ballast mit purer Willenskraft zu zerschmettern. All die Orte, an denen ich gewesen bin, schießen mir durch den Kopf. All die Menschen, die ich getroffen und jene, die ich verloren habe, ziehen vor meinem inneren Auge ihre Bahnen.

Die Straßen sind leergefegt, die Bewohner der Stadt in ihre scheinbar sicheren Häuser zurückgekehrt. Es ist ruhig da draußen und es wird allmählich ruhig in mir.

Sobald ich den Mund aufmache, werde ich über mein weiteres Leben entscheiden. Schwanzeinziehen ist also keine Option. Ich werde das Wagnis wählen, das Unbekannte, das Tollkühne, die Gerechtigkeit und meine Liebe, für die sich das Abenteuer lohnt. Also schlucke ich die Nervosität hinunter und beginne mit vermeintlich starker Stimme zu den Anwesenden zu sprechen.

»Ich bin Roya«, Mist – schon fehlen mir die Worte, »Roth – also mein Nachname – aber das wissen Sie natürlich.« Atmen, denken, Atmen, reden – ganz einfach!

»Im letzten Sommer bin ich siebzehn Jahre alt geworden. Ich lebe seit meiner Geburt in NW/74 und gehe hier zur Schule. Im nächsten Jahr werde ich den Abschluss machen und im Anschluss, na ja, wohl das Schicksal herausfordern.« Ein Schmunzeln zeigt sich auf den Gesichtern der Zuhörer. Ich senke den Blick und rücke mit einem gekonnten Handgriff die Brille zurecht. Sie lächeln, also ist alles in Ordnung, oder? Meine Worte hören sich laut ausgesprochen so falsch an, so auswendig gelernt, so kalkuliert, so endlich, so absolut nicht nach mir. Mir, der grausten Maus unter der Sonne, deren Motto ›immer schön unauffällig bleiben‹ in Großbuchstaben auf ihrer Stirn prangt.

Als ich den Kopf hebe, sehe ich meinem Spiegelbild in der Fensterfront entgegen. Die braunen Haare hängen mir wirr über die Schultern und ich streiche sie langsam, aber bewusst hinter die Ohren. Die Maskerade muss halten.

»Meine Schwester Rhea war es, die mich hier her gebracht hat. Ich glaube sogar, sie hat mich überall hingebracht.« Da - schon wieder – woher nehme ich diese vorgefertigten Floskeln? »Sie lehrte mich, eine Schleife zu binden, da war ich erst vier. Sie nahm mich in den Arm, wenn ich Albträume hatte und sie gab mir den nötigen Arschtritt, sobald die Schulleistungen nachließen. Bitte entschuldigen Sie die Wortwahl.« Ich kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken, obwohl mir die Tragik der Geschichte fast den Atem nimmt. Nahezu unbemerkt wische ich eine Träne aus dem linken Auge, als mir klammheimlich ein Taschentuch zugesteckt wird. Ich danke meiner Tischnachbarin für diese aufmerksame Geste, lasse das Geschenk jedoch in der Lederjacke verschwinden. Keine Zeit für sentimentale Ausbrüche. Du willst tough wirken – erinnere dich.

Die Gefühle sind wieder unter Kontrolle. Die innere Stimme auf lautlos gestellt.

»Ich bin unendlich dankbar für die Zeit, die sie in meinem Leben wirken konnte und ich bin gewillt, alles zu tun, um ihr Vermächtnis weiter zu führen. Sie glaubte fest an diese Sache und opferte schlussendlich ihr eigenes Leben, um der nächsten Generation eine bessere, gerechtere, menschlichere Zukunft zu ermöglichen.« Ich sollte mich möglicherweise als Verfasserin epischer Romane versuchen.

»Wird ihr Plan aufgehen? Werde ich es schaffen, ihre Erwartungen zu erfüllen? Kann ich der fehlende Stern am Polarhimmel sein? Ich weiß es nicht.« Ausnahmsweise die volle Wahrheit. »Aber wenn Sie mir ihr Vertrauen schenken, dann reiße ich mir verdammt nochmal den Arsch auf, um die Möglichkeit zu erhalten, etwas Außergewöhnliches zu erreichen.«

BePolar

Подняться наверх