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6. Nürtingen im Untergang

Durch die mitternächtlichen spärlichen Nachrichten von Eugen erfuhr der in die Neuffener Weinberge Geflüchtete was sich in Württemberg, insbesondere in seiner Geburts- und Heimatstadt Nürtingen ereignete.

Neben den Steuererhöhungen für die Handwerkszünfte wurden durch einen neuen Erlass von König Friedrich I. nun auch Steuererhöhungen für die restliche Bürgerschaft erhoben. Betroffen waren fast alle. Die Schreiberlinge, Werkarbeiter, Knechte, Mägde, Tagelöhner und andere Bürgerstände.

Ausgenommen von Steuererhöhungen waren nur des Königs Bedienstete wie Beamte des Königshauses, der Oberämter, der Städte und Dörfer. Besonders hochgestellte Beamte bekamen statt einer Steuererhöhung besondere Zuwendungen. Diese Zuwendungen waren inoffiziell. Somit gab es auch keinen schriftlich fixierten Erlass. Von dieser Art der Vorteilsgabe wussten nur die engsten Vertrauten von König Friedrich I.

Zu den Vorteilsnehmern gehörten auch der Oberamtsrat Strengler vom Oberamt Nürtingen sowie der Stadtschultheiß Mauschler von Nürtingen. König Friedrich I. versuchte mit den Zuwendungen das Band zwischen König und Beamte zu festigen. Was ihm auch gelang.

Dies bemerkte man besonders an Oberamtsrat Strengler vom Oberamt Nürtingen. Die offiziellen königlichen Erlasse hatte Strengler bis auf den letzten Punkt umgesetzt. Diese Erlasse waren für die Normalbürger nicht mehr begreiflich. Keiner konnte sie verstehen. Der Oberamtsrat konnte schalten und walten, wie er wollte. Mit dieser vom Königshaus legitimierten Macht, zog in seinen sächsischen Charakter die Selbstherrlichkeit ein. Vor dem Zubettgehen immer das gleiche Ritual. Der "Beamtenfürst" betrachtete sich im Spiegel. Mit stolzer Brust:

»Welch große Taten habe ich wieder vollbracht«.

Seine "Taten" gab er zudem im Nürtinger Wochenblättle bekannt. In keiner Ausgabe durfte sein gezeichneter Beamtenschädel fehlen.

Aber nicht nur in Nürtingen war das bürgerfeindliche Schalten und Walten des zuständigen Oberamtsrates gängige Praxis. Ganz Württemberg war verseucht.

Das Schwabenvolk fragte sich, wofür der enorme Geldzufluss aufgrund der Steuererhöhungen an das Königshaus von Württemberg verwendet wird.

Wie sich herausstellen sollte, wurde ein beträchtlicher Teil des Geldes für das Königshaus mit dem inzwischen enorm gewachsenen Beamtenapparat und für das königliche Militär verbraucht. Unnütze Prunkbauten und ausschweifende Feste am Königshaus verschlangen einen weiteren Großteil der Steuereinnahmen. Für die öffentliche Infrastruktur blieb nur ein erbärmlicher, kläglicher Rest des Geldes übrig.

Das Nürtinger Spital konnte kaum noch die medizinische Grundversorgung aufrechterhalten. Verbandsmaterial und medizinische Gerätschaften waren bald Mangelware.

Der Schulbetrieb konnte nur noch unzureichend fortgeführt werden. Lehrbücher und Lehrmaterialien konnten nicht mehr angeschafft werden. Somit blieben auch die Tintengläser in den Schulen leer. Die Schreibfedern blieben trocken.

Der Zustand der Landwege wurde zunehmend schlechter. Durch Regen entstanden Schlaglöcher. Eine Ausbesserung erfolgte nicht. Auf einer Länge von nur zwanzig Schritten waren die Schäden nicht mehr zu zählen. Kein Vergleich wie vor einigen Wochen als Oktavius und Luise eine Landpartie nach Neuffen unternahmen. Die Mitglieder vom Droschkenlenker und Fuhrmann Bund Neckar-Alb fluchten, was das Zeug hielt. Das Lexikon aller schwäbischen Kraftausdrücke musste herhalten. Die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen von Nürtingen gingen den Bach runter oder besser gesagt den Neckar runter.

Mit jeder weiteren Mitternachts-Post von Eugen kamen neue Hiobsbotschaften dazu. Eugen hatte immer mehr Bedenken seinen Freund Oktavius mit neuen Nachrichten zu versorgen. Er wusste, in welchem desolaten Zustand sich das Nervenkostüm von Oktavius befand. Doch Oktavius wollte unbedingt alles wissen, was sich in der "Welt" ereignete. In der dreißigsten Nacht nach der Flucht erfuhr der Wagner Oktavius Pfleiderer am 5. August 1806 die bis dahin schrecklichste Nachricht.

Alle acht Handwerkerfamilien, die direkt am linken Neckarufer Richtung Neckarhausen wohnten, wurden aus ihren Häusern vertrieben. Zu den Betroffenen gehörte auch die Familie Redlich. Die unangekündigte Räumung der einzelnen Familien wurde federführend vom Oberamtsrat Strengler mit zehn Soldaten des Königlichen Garde-Regiments durchgeführt.

Die schwammige Begründung vom Oberamtsrat Strengler war, dass Grund und Boden für das Gemeinwohl dringend benötigt werde. Eine Entschädigung wird zu gegebener Zeit ausgezahlt. Die Familien aber wollten lieber ihr Eigentum behalten und auf die Entschädigung verzichten. Und die Entschädigung? Wann? Wie hoch? Und vor allem, warum und für was wurde das Privateigentum am Neckar so dringend benötigt. Dies fragten sich nicht nur die betroffenen Familien, sondern die ganze Nürtinger Bevölkerung. Die Hintergründe dieser Amtswillkür wurden erst später bekannt. Die vertriebenen Familien konnten vorübergehend bei nicht betroffenen Familien Unterschlupf finden. Für die Eltern von Oktavius war es selbstverständlich, dass sie die Familie Redlich aufnahm.

Oktavius war rasend vor Wut. War seine Tat vom Samstag, dem 5. Juli 1806 im Fischerschuppen der Redlich´s, der Auslöser der Zwangsräumungen? Er trommelte mit seinen Fäusten gegen das Mauerwerk des Unterstandes, bis die Fäuste bluteten.

Er schrie nur einen Namen:

»Luise«.

Eugen packte ihn, riss ihn von der Mauer und hielt mit seiner rechten Hand Oktavius Mund zu. Eugen versuchte, Oktavius klar zu machen, dass sein Lärm das Versteck für die königlichen Soldaten auffindbar machen würde.

Seit seiner Flucht wurden in Nürtingen und im gesamten Oberamtsbezirk von Nürtingen, also auch im Neuffener Tal und in der Stadt Neuffen königliche Soldaten stationiert. Soldaten, die auf der Suche nach Oktavius waren. Allein in der Nähe von Nürtingen, in südöstlicher Richtung auf der Anhöhe beim Breiten Weg, waren 500 Soldaten vom Königlichen Garde-Regiment aus Stuttgart stationiert. Darunter königstreue Offiziere, die mit tödlicher Sicherheit kein versöhnliches Ansinnen hatten.

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