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7. Brief von Luise

Oktavius war in einem Gefängnis ohne Gitter in Neuffen. Zum Nichtstun verurteilt und dies auf unbestimmte Zeit. Die seelische Folter an seinen Gedanken, an seinem Herz für Luise waren unerträglich. Noch überwog sein gesunder Menschenverstand über seine Wut. Seine Wut über das Württembergische Königshaus mit König Friedrich I. mit all seinen königlichen Marionetten. Wie lang konnte sein Menschenverstand gegen seine Wut standhalten? Wie lange noch?

Mitternacht am Donnerstag dem, 7. August 1806. Wie oft schon hörte Oktavius die Glocken der Martinskirche von Neuffen. Aber die Hilfe von Eugen Ehrenfried, Wengerter Reblieb und dessen Sohn Armin gaben ihm Kraft und Hoffnung für die Zukunft. Und dies nach fünf Wochen in dem Neuffener Unterstand. Doch diese Mitternacht sollte das Leben von Oktavius dramatisch ändern.

In dieser Nacht brachte wie üblich Eugen die neuesten Nachrichten. Diesmal jedoch hatte Eugen noch einen Brief aus Nürtingen dabei. Dieser Brief konnten seine Freunde vom Droschkenlenker- und Fuhrmann Bund Neckar-Alb nur unter größtem Risiko durch die scharfen Kontrollen an den jeweiligen Stadt- und Dorfgrenzen durchschleusen und nach Neuffen zu Eugen bringen. Es war ein Brief von Luise.

Oktavius nahm mit zittrigen Händen den Brief entgegen. Er schaute sich den Umschlag an und wendete diesen dabei mehrmals. Die Vorder- und die Rückseite waren nicht beschriftet. Dies wäre auch zu gefährlich gewesen.

Um den Inhalt des Umschlages nicht zu beschädigen, öffnete Oktavius den Brief sehr vorsichtig. Währenddessen dreht sich Eugen um und wärmte seine Hände über einer brennenden Kerze. Oktavius nahm den Brief aus dem Umschlag. Er faltete das Papier langsam auf. Kurz bevor er mit Lesen begann, fasste er sich mit seiner rechten Hand an die Stirn und verharrte auf einem Holzstumpf sitzend für einen kurzen Augenblick. Es war die erste Nachricht seit Wochen von seiner innig geliebten Luise. Sein Herz pochte wie ein von Wasserkraft angetriebener Schlaghammer einer Schmiede. Was wird ihm Luise schreiben? Hoffentlich geht es ihr gut. Er beginnt ängstlich aber mit Hoffnung den Brief im Kerzenschein zu lesen.

Mein herzallerliebster Oktavius,

ich hoffe, Du hast diese Zeilen bald in Deinen Händen. Ich hoffe inbrünstig, daß es Dir gut geht. Ich sehne mich so nach Dir, lieber Oktavius. Ich bete Tag und Nacht auf ein baldiges Wiedersehen und daß wir uns bald wieder in die Arme nehmen können.

Über Nürtingen sind dunkle Wolken aufgezogen und kein Sonnenstrahl vermag hindurch zu dringen.

Lieber Oktavius, hoffentlich hat der liebe Gott ein Einsehen und bringt König Friedrich zur Vernunft. Damit diese schreckliche Zeit bald ein Ende hat.

Oft denke ich an unsere gemeinsamen Spaziergänge entlang unseres geliebten Neckars und an die Landpartie nach Neuffen.

Ich weiß nicht, wo Du zurzeit bist, aber ich hoffe sehnlichst auf ein baldiges Wiedersehen. Ich werde auf Dich warten, egal wie lang.

Lieber Oktavius ich liebe Dich

Deine Luise

Luise wusste natürlich von einem Versteck in Neuffen. Trotz des enormen Risikos konnten die Freunde von Eugen, die Mitglieder vom Droschkenlenker- und Fuhrmann Bund Neckar-Alb, ihr ab und an, eine Nachricht überbringen. Den Freunden von Eugen war mittlerweile das Risiko egal. Hatten sie doch die gleiche Gesinnung wie Oktavius und Eugen. Um ihren lieben Oktavius nicht zu gefährden, hat Luise in ihrem Brief den Aufenthaltsort ihres Liebsten nicht erwähnt.

Wäre der Brief in die falschen Hände gelangt, wäre dies für Oktavius sehr verhängnisvoll gewesen. Auch hatte sie es vermieden, Oktavius über Einzelheiten von der Lage in Nürtingen zu berichten. Sie wollte Oktavius nicht unnötig beunruhigen. Aber Oktavius konnte auch zwischen den Zeilen lesen, und verharrte immer noch auf dem Holzstumpf sitzend.

Doch dann stand er wütend auf und packte mit seinen Händen Eugen an den Schultern. Er bat ihn, nein er befahl ihm:

»Himmel Herrgott Sakrament, Eugen erzähl, was geht in Nürtingen vor.«

Zögerlich begann Eugen die aktuelle Situation in Nürtingen zu schildern. Trotz Oktavius angespannten Nervenkostüms berichtete Eugen wie üblich im Flüsterton. Diesmal waren die Nachrichten nicht so spärlich wie bisher.

Eugens Bericht:

»Oktavius, deiner Luise geht es soweit gut. Ihren Eltern und deinen Eltern geht es soweit auch gut. Allerdings traut sich Luise nicht mehr auf die Straße, da in unregelmäßigen Abständen die königlichen Soldaten ihre Patrouillengänge durchführen.«

Bei dieser Information schossen Oktavius wieder die Vorkommnisse im Fischerschuppen der Familie Redlich durch den Kopf.

Eugen weiter:

»Den acht Familien, die direkt am Neckar ihren Besitz, ihr Zuhause verloren haben, wurde eine Entschädigung zugesichert. Diese Entschädigung, durch Oberamtsrat Strengler vom Oberamt und Stadtschultheiß Mauschler verkündet, ist aber nur ein Zehntel des tatsächlichen Wertes. Dies ist keine Entschädigung, sondern letztendlich eine Enteignung. Sich dagegen zu wehren ist wegen des Ausnahmezustandes in Nürtingen unmöglich. Die zwei Schergen, Strengler und Mauschler, haben die volle Rückendeckung von König Friedrich I. von Württemberg.«

Oktavius konnte nur noch den Kopf schütteln. Kommentarlos hörte er sich die weiteren Ausführungen von Eugen an:

»Hinzu kommt, dass der Stadtschultheiß Mauschler von Nürtingen seine Stadträte voll im Griff hat. Oktavius, du weißt, dass dies schon teilweise vor der Ernennung Friedrich I. zum König der Fall war. Der Stadtrat war ja schon damals zu zwei Dritteln mit Kopfnickern besetzt. Nur ein Drittel waren Querdenker. Aber was gestern Nacht in der Weinschenke hinter dem Steinernen Bau durch einen betrunkenen Stadtschreiber herauskam, schlägt dem Fass den Boden aus.«

Oktavius war jetzt voller Neugierde:

»Was? Erzähl schon, ich will alles wissen.«

Eugen:

»Die politische Arbeit von Stadtschultheiß Mauschler ist denkbar einfach. Die Mechanik des Kopfnickens der Zweidrittel-Fraktion wird geschmiert durch besondere Zuwendungen. Unter anderem durch Erhalt von bestem Ackerland gegen einen geringen Obolus. Die Geschmierten können von den Bauern für einen so wertvollen Ackerboden einen hohen Pachtzins verlangen. Ein weiterer Schmierstoff waren die Zuwendungen von Geldbeträgen aus der Stadtschatulle. «

Eugen weiter:

»Diese Beträge wurden in der Stadtkämmerei unter dem Konto "Führungshilfe" verbucht. Nur das restliche Drittel, die Querdenker, waren für den Stadtschultheiß Mauschler immer noch ein Dorn im Auge. Haben es doch diese Bürger, diese Stadträte von Nürtingen gewagt, fast immer eine andere Meinung zu haben.«

Oktavius:

»Gott sei Dank. Aber rede weiter.«

Eugen:

»Eine andere Meinung! Das passte nicht mehr zu Mauschler´s selbstherrlichen Gedankengängen. In den letzten Wochen konnte das Stadtoberhaupt von Nürtingen mit schmutzigen Winkelzügen einen Querdenker nach dem anderen aus dem Stadtrat entfernen. Zu Mauschler´s Intrigen gehörten Rufschädigungen, Unterstellungen von Straftaten, angebliches unehrenhaftes Verhalten und vieles mehr. Beauftragte Denunzianten haben dies unter die Nürtinger Bevölkerung gestreut. Den Querdenkern blieb nichts anderes übrig als das Mandat im Stadtrat aufzugeben. Die freien Plätze im Stadtrat wurden dann von Fall zu Fall durch weitere konforme Kopfnicker ersetzt. Auch bei diesen wurde die "Kopfnickmechanik" entsprechend geschmiert.

Jetzt kann der Mauschler, im vollen Umfang seine Interessen ohne Gegenrede durchsetzen. Alles mit dem Segen vom König von Württemberg.«

Oktavius war zunächst sprachlos. Er konnte es nicht fassen:

»Dieser Verbrecher von Stadtschultheiß gehört ungespitzt in den Erdboden gehauen, damit ihn der Herrgott mit der Beißzange wieder herausziehen muss.«

Eugen:

»Oktavius, das ist noch nicht alles. Weißt du, was der Mauschler mit den acht enteigneten Häuser am Neckar vorhat?«

Oktavius mit fragenden Augen:

»Was?«

Eugen:

»Die Gebäude sollen abgerissen werden. Mit einem Teil der freigelegten Steine soll in den Neckar, dicht an der Uferböschung, eine Mauer in den Neckar gesetzt werden. Mit den restlichen Steinen soll der Zwischenraum zwischen Mauer und Uferböschung aufgefüllt werden. Darauf soll dann eine stattliche Uferpromenade, nach Stuttgarter Vorbild entstehen.«

Oktavius mit hochrotem Kopf:

»Was, das schöne Neckarufer soll verschandelt werden?«

Eugen weiter:

»Ja, auf der freien Fläche der abgerissenen Häuser sollen neue große Gebäude entstehen. Gebäude mit insgesamt dreißig Domizilen. Der betrunkene Stadtschreiber von gestern Nacht hat angedeutet, dass der Großteil der Domizile bereits unter der Hand vergeben wurde.«

Oktavius:

»Bereits vergeben? An wen?«

Eugen:

»An hohe Beamte vom Rathaus und Oberamt Nürtingen und an verdiente Stadträte von Nürtingen. Auch Interessenten von Stuttgart, aus dem gleichen Milieu, soll es geben.«

Oktavius wütend:

»Das ist doch eine granadenmäßige Sauerei.«

Eugen:

»Oktavius, stell dir vor, die Gebäude sollen ohne ein Giebeldach gebaut werden. Also mit einem flachen Oberteil. Anscheinend soll dies, der neueste Baustil aus Stuttgart sein.«

Oktavius konnte nicht glauben, was Eugen erzählte.

»Häuser ohne Giebeldach? Das wären ja grausige Kästen an unserem schönen Neckarufer. Wenn der Bauherr Mauschler mit seinem Dachschaden wirklich so bauen lässt, denkt jeder Auswärtige, dass aus der Stadt Nürtingen ein Narrenhaus Nürtingen geworden ist.«

Eugen:

»Aber ob diese Schnapsidee durchgeführt werden kann, ist fraglich. Denn bei der Plauderstunde mit dem betrunkenen Stadtschreiber in der Weinschenke waren auch zwei Zimmerleute. Die zwei haben sofort erklärt, dass kein Zimmermann aus Nürtingen oder Umgebung solche hässlichen Bauten errichten würde. Es gäbe immer noch eine Handwerkerehre.«

Oktavius:

»Hoffentlich bleiben sie standhaft.«

Das Gespräch zwischen Eugen und Oktavius im Neuffener Versteck dauerte die ganze Nacht. Kurz vor Sonnenaufgang verabschiedete sich Eugen von Oktavius. Eugen musste noch die Dunkelheit ausnützen, um unerkannt sein Zuhause in Neuffen zu erreichen. Auf diesem Heimweg durch die Weinberge hoffte er, dass Oktavius keine unüberlegte Aktion durchführen werde. Eugen hoffte vergebens.

Der Albschreck

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