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5. Flucht nach Neuffen

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Zu Hause angekommen, rannte Oktavius zu seinem Blitzle in den Stall. Hastig wurde das Zaumzeug angelegt. Seine Eltern bemerkten das hektische Treiben. Sofort eilten sie in die Stallung:

»Oktavius, was soll das? Warum dieses Gehetze?«

Oktavius berichtete ihnen mit schnellem Atem von den zurückliegenden Ereignissen.

Ohne großes Nachfragen packte Mutter Pfleiderer für ihren Sohn das Nötigste zusammen. Bestehend aus einer warmen Decke, einen Laib Brot, Speck und einer Tonflasche mit Most. Oktavius packte die Sachen in die Satteltasche. Er umarmte seine Mutter und seinen Vater. Vater und Sohn schauten sich kurz in die Augen. Beide wussten, was die Stunde geschlagen hat.

Oktavius schwang sich auf sein Blitzle. Der Flüchtende ritt im scharfen Galopp davon. Nach ein paar Metern noch ein kurzer Blick zurück zu seinen geliebten Eltern. Wann wird er sie wiedersehen? Wird er sie überhaupt wiedersehen? Nach all den dramatischen Ereignissen fand in seinem Kopf ein geistiges Unwetter statt. Doch in diesem geistigen Unwetter mit Donner und Blitz leuchtete beharrlich ein großer Stern. Ein Stern mit der lieblichen Erscheinung von Luise. Aber für Gefühle war jetzt kein Platz.

Er musste schnellstens weg von Nürtingen. Aber wohin? Nur Eugen Ehrenfried konnte ihm helfen. Er war ja einer seiner besten Freunde. Der Einzige der nicht mehr in Nürtingen wohnte. Er wusste, Eugen wird ihm helfen.

So ritt er mit seinem Pferd in Richtung Neuffen abseits der offiziellen Wege, um nicht entdeckt zu werden. Denn König Friedrich I. hat seit seinem Antritt als König immer mehr und mehr Soldaten in Württemberg verteilt und dies war Oktavius bekannt.

Einsam ritt nun Oktavius mit seinem Pferd Blitzle durch die inzwischen hereingebrochene Nacht.

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind,

es ist der Wagner auf der Flucht geschwind.

Mag die Obrigkeit des Bürgers Leib unterjochen,

doch deren Geist hört niemals auf zu pochen.

Trotz allem Übel vom Königsthrone

Der Kampf gegen Willkür wird sich lohnen.

Abgeänderte Ballade Der Erlkönig

Johann Wolfgang von Goethe

In den Abendstunden erreichte Oktavius das Haus der Familie Ehrenfried in Neuffen. Er klopfte heftig und mehrmals an die Tür.

Eugen öffnete:

»Oktavius du hier, zu dieser Zeit!«

Eugen wusste nicht sofort, was los war. Doch die langjährige Freundschaft, die Ereignissen der letzten Wochen und einen Blick in die Augen von Oktavius genügten. Wortlos packte Eugen seinen Freund fürsorglich am Arm und zog ihn in sein Haus.

Oktavius erzählte mit schnellem Atem, was er heute getan hat. Beide wussten, dass jetzt Soldaten vom Königlichen Garde-Regiment in Nürtingen und Umgebung auf der Suche nach Oktavius sind. Bald würden sie auch in Neuffen sein. Für Oktavius war es klar, er muss schleunigst von Eugens Domizil verschwinden:

»Eugen, ich muss hier weg, sonst bringe ich dich und deine Familie in Gefahr.«

Eugen dachte sofort an seinen Nachbarn Wengerter Reblieb. Der Neuffener Weinfachmann hat dem Fassmacher aus Nürtingen bei dessen Aufbau einer Küferei und Brennerei in Neuffen tatkräftig geholfen. Die Ehefrauen der beiden verstanden sich auf Anhieb. Zwischen den Familien Reblieb und Ehrenfried entstand eine feste Freundschaft.

Noch in der Nacht holte Eugen seinen Freund Wengerter Reblieb. Im Hause Ehrenfried erfuhr Wengerter Reblieb den Grund, warum ihn Eugen zur nachtschlafenden Zeit geholt hatte. Für Wengerter Reblieb war eine sofortige Hilfe für Oktavius selbstverständlich.

Obrigkeiten waren für den Wengerter schon immer ein Übel:

»Ich kenne da ein Versteck.«

Ohne große Worte führte Wengerter Reblieb Eugen und Oktavius noch in der Nacht Richtung Burg Hohenneuffen. Zu einem Versteck oberhalb der Neuffener Weinbergen in den angrenzenden Wald. Bei dieser Zufluchtsstätte im Wald, unterhalb der Burg, handelte es sich um einen gemauerten Unterstand mit einem flachen Dach aus Holz, geschützt durch Bäume und Buschwerk. Mauerwerk und Dach waren mit Moos überwuchert. Der grüne Moosteppich überdeckte alles wie ein Tarnmantel. Nur bei genauerem Hinsehen war der schmale Eingang zu erkennen. Für Fremde war dieses Versteck nicht zu finden.

Der Innenraum war drei auf vier Meter mit einer niedrigen Decke. Nur gebückt konnte man sich darin aufhalten. Ausgestattet nur mit einer Holzbank, drei Holzstümpfen, Kerzen, Zündhölzern und einer abgegriffenen Bibel. Mag es ein karges Loch sein, aber das beste Versteck was Wengerter Reblieb zu bieten hatte. Das wusste Oktavius. Er wusste auch, welches Risiko die zwei Fluchthelfer auf sich nahmen:

»Danke, für alles.«

Der Traubenliebhaber und Eugen verließen noch in der Nacht die neue "Heimstätte" von Oktavius. Wie lange muss der Wagner aus Nürtingen hier ausharren?

In der folgenden Zeit wurde der Wagner aus Nürtingen durch den 14-jährigen Armin, Sohn von Wengerter Reblieb, mit Speis und Trank versorgt. Der 14-Jährige war flink und hatte Augen wie ein Luchs. Armin kannte sich natürlich in der Gegend aus. Er konnte über Schleichwege unentdeckt immer in den frühesten Morgenstunden zu Oktavius gelangen.

Um Mitternacht brachte Eugen mündlich die bruchstückhaften Nachrichten aus Stuttgart, Nürtingen und Umgebung. Diese spärlichen Nachrichten erhielt Eugen von Freunden die Mitglieder im Droschkenlenker- und Fuhrmann Bund Neckar-Alb waren. Zuständig für das Transportwesen in der Region. Die Mund-zu-Mund Kommunikation funktionierte nur teilweise. Nachrichten von Luise waren bis dahin überhaupt nicht zu überbringen. Die Freunde von Eugen hätten sich durch Nachfragen nach Luise selbst in höchste Gefahr gebracht. Soldaten und Spitzel von König Friedrich I. wussten inzwischen von dem Verhältnis zwischen Luise und Oktavius.

Der Besuch des 14-jährigen Armin und der Besuch von Eugen waren die einzigen Abwechslungen für Oktavius. Ansonsten war er stundenlang zum Nichtstun verurteilt. Sein Herz sehnte sich nach Luise. Seine Gedanken waren bei ihr. Auch dachte er an seine und Luises Eltern. Seine Gedanken waren auch bei seinem geliebten Nürtingen und seinem geliebten Württemberg.

Während Oktavius zum Nichtstun verurteilt war, hat Oberamtsrat Strengler gleich nach der Flucht des Wagners eine Meldung über den Vorfall in dem Fischerschuppen an den in Nürtingen diensthabenden Offizier Stramm des Garde-Regimentes gemacht. Sofort schickte der Offizier Suchtrupps in allen Himmelsrichtungen.

Oberamtsrat Strengler hat sich mit eiligen Schritten in das Nürtinger Rathaus begeben. In der dortigen Amtsdruckerei mussten sofort Steckbriefe gedruckt werden. Strengler hatte Glück, dass an diesem Samstagabend noch zwei Amtsgehilfen in der Druckerei anwesend waren. Sie wollten gerade Feierabend machen. Mit Erscheinen des Oberamtsrates hatte sich das erledigt. Bis in die Nachtstunden mussten die zwei schuften.

Die ersten schwarz gedruckten Steckbriefe wurden sofort in Nürtingen verteilt. Dann erfolgte die Verteilung durch berittenen Soldaten im Umland von Nürtingen. Bald war an jeder Tür einer öffentlichen Einrichtung das Papier mit Hammer und Nagel angeschlagen. Selbst die Eingangsportale der Kirchen mussten den Nagel mit dem Steckbrief erdulden.

Mit einem Steckbrief in der Hand verkündigte Oberamtsrat Strengler lauthals:

»Der Totschlag eines Soldaten vom königlichen Garderegiment Württemberg darf nicht ungesühnt bleiben.«

Der Albschreck

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