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II. Versuchsfeld Polen. Die Waffen-SS als Instrument der Besatzungspolitik 1939–1941

1. Ein rassistischer und antisemitischer Angriffskrieg

In den Morgenstunden des 1. September 1939 überfiel Deutschland den östlichen Nachbarn Polen. Dem schnellen Vormarsch der modern ausgerüsteten deutschen Armeen vermochten die polnischen Truppen nur wenig effektiven Widerstand entgegenzusetzen. Schon am 28. September kapitulierte Warschau nach schwerem Bombardement durch die Luftwaffe, Anfang Oktober endeten die letzten Kämpfe.1 Zum vierten Mal in seiner Geschichte wurde Polen von den Siegern geteilt, zu diesem Zweck hatten sich das nationalsozialistische Deutschland und die Sowjetunion unter Josef Stalin verbündet. Die westlichen und nördlichen Gebiete Polens fielen an die deutschen Provinzen Ostpreußen und Schlesien, zudem entstanden aus polnischem Territorium die späteren Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Wartheland. Gemäß den Bestimmungen des geheimen Zusatzprotokolls zum Hitler-Stalin Pakt vom 23. August 1939 wurde die Osthälfte Polens ab dem 17. September von der Sowjetunion besetzt. Die verbleibenden Gebiete Zentral- und Südpolens um die Städte Warschau, Radom, Lublin und Krakau wurden als faktische Kolonie Deutschlands mit der bereits während des Ersten Weltkriegs von deutscher Seite verwendeten Verwaltungsbezeichnung „Generalgouvernement“ von dem NS-Juristen Hans Frank beherrscht.2

Nach der deutsch-sowjetischen Teilung lebten rund zwei Drittel seiner Bewohner, insgesamt 20,2 Millionen Menschen, im deutschen Einflußbereich. Darunter waren 17,3 Millionen christliche Polen, ungefähr 2 Millionen Juden und 675 000 sogenannte Volksdeutsche. Allein im Generalgouvernement lebten im Oktober 1939 etwa 1,3 Millionen Juden; das entsprach einem Anteil von 12 Prozent an der Gesamtbevölkerung.3 Bereits in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn zeichnete sich in den deutsch besetzten Gebieten eine Politik ab, die im Hinblick auf die begonnene Ermordung der polnischen Führungsschicht eindeutig genozidale Züge trug. Die Politik gegenüber den im deutschen Herrschaftsbereich lebenden Juden stellte sich angesichts der Deportations- und Ghettoisierungspläne ebenfalls als äußerst bedrohlich dar.

Als wichtiges Exekutivorgan zur Umsetzung der mörderischen Pläne wurden den einzelnen deutschen Armeen insgesamt sieben Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei in einer Gesamtstärke von etwa 2700 Mann zugeteilt. Basierend auf einer Vereinbarung Himmlers mit dem Oberkommando des Heeres war ihnen im Vorfeld die vielfältig interpretierbare „Bekämpfung aller reichs- und deutschfeindlichen Elemente in Feindesland rückwärts der fechtenden Truppe“ übertragen worden. Tatsächlich führten die Einsatzgruppen in der Folgezeit zahlreiche Erschießungen von Juden und Polen aus, die häufig ganz willkürlich zu Vertretern der gesellschaftlichen Elite erklärt worden waren.4 Die im ganzen Land stattfindenden Massenmorde an Polen und Juden wurden außerdem von Einheiten der Ordnungspolizei und von den schnell entstandenen Verbänden des volksdeutschen „Selbstschutzes“ begangen.5

Neben diesen Kräften waren bereits während des Krieges Einheiten der Verfügungstruppe sowie drei SS-Totenkopfstandarten im Einsatz. Auf Weisung Hitlers waren dem Oberkommando der Wehrmacht am 19. August 1939 die SS-Regimenter „Germania“ und „Deutschland“, das motorisierte Regiment der Leibstandarte und der SS-Pionier-Sturmbann der Verfügungstruppe unterstellt worden.6 In verschiedene Armeen des Heeres eingegliedert, war damit der größte Teil der Verfügungstruppe am Überfall auf Polen beteiligt. Die Verbände scheinen sich an der Front nicht sonderlich bewährt zu haben. Im Vergleich zum Heer erlitten sie ungleich höhere Verluste, wurden nach kurzem Einsatz wieder aus den Frontlinien herausgezogen und als Reserve in die rückwärtigen Gebiete zurückgenommen.7 Größere Aufmerksamkeit erregte die bewaffnete SS bei ihren Exzessen gegen die Zivilbevölkerung. Generalmajor Loch, der Kommandeur der 17. Infanteriedivision, teilte seinen Vorgesetzten dazu mit, Angehörige der „Leibstandarte“ würden in bewohnten Gebieten ziellos mit ihren Waffen herumschießen und in aller Regelmäßigkeit polnische Ortschaften abbrennen.8 Bei anderer Gelegenheit trieben der SS-Sturmmann Ernst, Angehöriger des Artillerieregiments der Verfügungstruppe sowie ein Wachtmeister der Feldpolizei fünfzig Juden, die bei Ausbesserungsarbeiten an einer Brücke eingesetzt worden waren, nach beendeter Arbeit in einer Synagoge zusammen. Dort erschossen beide die Juden.9

Gemäß einem Befehl Hitlers waren den Armeen des Heeres neben der Verfügungstruppe außerdem Theodor Eickes SS-Totenkopfstandarten „Oberbayern“, „Brandenburg“ und „Thüringen“ als zusätzliche Sicherungskräfte für die bereits eroberten Gebiete unterstellt worden.10 Der Sicherungsauftrag wurde von den ehemaligen KZ-Wächtern allerdings sehr spezifisch ausgelegt. Die Standarte „Brandenburg“ unter Standartenführer Paul Nostitz fiel am 22. September in die einhundertfünfzig Kilometer nordwestlich von Warschau gelegene Stadt Wloclawek ein und begann umgehend eine Terrorkampagne gegen die dortigen Juden. In den folgenden Tagen plünderten und verwüsteten SS-Männer jüdische Geschäfte, die Hauptsynagoge der Stadt wurde in Brand gesetzt und schließlich gesprengt. Gleichzeitig starteten die SS-Männer unzählige Übergriffe gegen die Juden der Stadt, wichtige Gemeindemitglieder wurden verhaftet und etliche von ihnen von der SS erschossen.11

Generaloberst Johannes Blaskowitz, der Heeresbefehlshaber Ost, notierte für einen Vortrag beim Oberbefehlshaber des Heeres 33 Fällen, in denen es zu Übergriffen und Kriegsverbrechen seitens der SS- und Polizeitruppen in Polen gekommen war.12 Am 23. November 1939 beschwerte sich der Befehlshaber im Wehrkreis XXI (Posen) über willkürliche Erschießungsaktionen der SS, die die Aufbauarbeit in den besetzten Gebieten behindern würden.13 Solche vereinzelte Kritik war jedoch in keiner Weise repräsentativ für die allgemeine Wehrmachtshaltung. Vielmehr verschlossen die Militärs in der Regel einfach die Augen angesichts der Dimension der stattfindenden Massenverbrechen.14 Der Stabschef des Generalquartiermeisters des Heeres, Oberst Eduard Wagner, hatte bei der Besprechung mit Heydrich am 19. September im Namen des Oberkommandos des Heeres lediglich zum Ausdruck gebracht, daß das Heer bei der von der SS ins Auge gefaßten „Flurbereinigung“ in Polen nicht involviert sein wolle, weshalb das Gros der Maßnahmen nach den Wünschen des Heeres erst mit der Einrichtung der Zivilverwaltung einsetzen sollte.15 Daneben exerzierte die Wehrmacht ihrerseits eine Besatzungspolitik, die durch zahlreiche verbrecherische Maßnahmen gekennzeichnet war. Immer wieder wurden Häuser und ganze Ortschaften in Brand gesetzt, die männliche wehrfähige Zivilbevölkerung wurde in einigen Regionen in großem Umfang interniert. In zahlreichen Orten wurden von den deutschen Truppen präventiv Geiseln aus der Zivilbevölkerung genommen, die dann oftmals aus nichtigen Anlässen erschossen wurden.16

Schließlich war es auch das Heer selbst, welches aus Mangel an eigenen Sicherungsverbänden in den rückwärtigen Gebieten um Verstärkungen beim SS- und Polizeiapparat nachsuchte und dadurch der SS die Möglichkeit zur Ausweitung der Mordaktionen in die Hand gab. Als sich bereits in den ersten Kriegstagen dieser Kräftemangel bemerkbar machte, erreichte Oberst Wagner am Abend des 5. September bei der Ordnungspolizei eine Verstärkung der Sicherungsverbände durch zwei Polizeiregimenter und sechs Bataillone, die in der folgenden Nacht unter anderem aus Hamburg, Münster und München eilig per Bahn nach Polen transportiert wurden.17 Zudem suchte das Hauptamt Ordnungspolizei bei der Dienststelle Heißmeyer um eine Verstärkung durch SS-Totenkopfstandarten nach, deren Verlegung nach Polen für den 16. September in Aussicht gestellt wurde.18

In den folgenden Wochen und Monaten wurden die Totenkopfstandarten als Exekutivorgan der deutschen Besatzungspolitik im besetzten Polen stationiert oder sogar erst vor Ort aufgestellt. Allein am Beispiel derjenigen Verbände, die im Frühjahr 1941 dem Kommandostab Reichsführer-SS unterstellt werden sollten, lassen sich sämtliche Charakteristika der deutschen Besatzungspolitik in Polen aufzeigen. Belege für die Tätigkeit der späteren SS-Infanterieregimenter sind in der originalen Überlieferung allerdings nur spärlich vorhanden; Kenntnisse von deren Einsätzen ergeben sich hauptsächlich aus den Nachkriegsaussagen ehemaliger Einheitsangehöriger. Dagegen ist von den SS-Kavallerieeinheiten ein umfangreicher Quellenbestand erhalten geblieben. Auf Zehntausenden von Seiten in vielen hundert Aktenbänden findet sich eine Vielzahl von Befehlen und Einsatzberichten der Reiterverbände, die detailliert deren Tätigkeit von September 1939 bis zum Abmarsch in die Sowjetunion im Juni 1941 dokumentiert.

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