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2. Teil: Sozialstruktur und Mentalitäten

IV. Politische Soldaten. Die Männer der Waffen-SS

Über das Personal der SS-Verbände des Kommandostabes Reichsführer-SS ist bislang wenig bekannt. Mit der Biographie über Kurt Becher existiert gerade mal ein Buch über einen SS-Führer, der zeitweilig als Schwadronschef und Stabsoffizier bei der Kavallerie eingesetzt war. Kurzbiographien gibt es daneben von drei zeitweiligen Kommandeuren dieser Truppe.1 Mannschaftsdienstgrade und Unterführer der Verbände blieben bisher völlig im Dunkeln. Damit wirkt die verbreitete Selbststilisierung der Männer der Waffen-SS als treu dem Vaterland ergebene, unpolitische „Soldaten wie andere auch“ faktisch bis heute fort. Um dieses Bild einer kritischen Überprüfung zu unterziehen, bedarf es einer Untersuchung der Mannschaften und Offiziere des Kommandostabes und der unterstellten Brigaden. Ins Blickfeld rücken hierbei Fragen nach Alter, sozialer Herkunft, nach Beruf oder dem Grad der ideologischen Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus und seinen antisemitischen und rassistischen Kernaussagen.

Für eine solche Annäherung an die Sozialstruktur der SS-Männer bot sich eine Auswertung von Justizakten der Zentralen Stelle in Ludwigsburg an. Ein zwischen 1960 und 1976 geführtes umfangreiches Ermittlungsverfahren gegen Führerdienstgrade der 1. SS-Brigade umfaßt Aussagen von insgesamt 1736 ehemaligen Einheitsangehörigen.2 Diese einzigartige Sammlung von Personalangaben wurde systematisch nach Geburtsjahr und Geburtsort der Veteranen, nach deren Schulbildung sowie dem erlernten Beruf ausgewertet. Ferner wurden die Nationalität, der Zeitpunkt des Eintritts in die Waffen-SS und die jeweilige Einheitszugehörigkeit erfaßt. Schließlich wurden sämtliche Daten über eine eventuelle Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer ihrer Unterorganisationen, über die Freiwilligkeit des Eintritts in die Waffen-SS, die Dauer von Kriegsgefangenschaft oder Internierungshaft und das allgemeine Aussageverhalten bei der Nachkriegsvernehmung erhoben. Von der Gesamtzahl der 1736 Datensätze wurden von vornherein 29 Personen ausgeschlossen, die Offiziersränge innerhalb der Brigade bekleideten und damit eine statistische Erhebung zu den Unterführer- und Mannschaftsdienstgraden verfälscht hätten. Zum Führerkorps des Kommandostabes und der Brigaden wurde daneben eine gesonderte Untersuchung anhand von 101 Personalakten aus dem Bestand des ehemaligen Berlin Document Centers geführt.

Zur Untersuchung der Mannschaften und Unteroffiziere der 1. SS-Brigade verblieb damit ein Sample von 1707 Vernehmungsprotokollen, deren Auswertung Ergebnisse von hohem statistischen Wert erwarten ließ. Die im einzelnen erzielten Resultate stellten sich hinsichtlich ihrer Repräsentativität letztlich allerdings als sehr unterschiedlich heraus, da die Staatsanwaltschaften bezüglich der Personalangaben nicht nach einem einheitlichen Fragekatalog vorgingen. Zu manchen der angedeuteten Fragestellungen wurden Zeugen fast grundsätzlich befragt, während andere Aspekte nur selten thematisiert wurden und demnach einen entsprechend geringeren statistischen Wert aufweisen. Die Summe der Aussagen spiegelt einen temporären Ausschnitt aus der Realität der Brigade wieder, der in der Logik des Ermittlungsverfahrens begründet lag. Gegen die ehemaligen Einheitsangehörigen wurde aufgrund von Tatvorwürfen ermittelt, die sich ausschließlich auf die Jahre 1941 und 1942 bezogen. Zeugen, die nach 1942 in den SS-Verband eingegliedert worden waren, wurden deshalb nur in Ausnahmefällen vernommen. Die Summe aller Vernehmungsprotokolle ergibt damit ein partielles Abbild der Zusammensetzung der 1. SS-Brigade für den Zeitraum zwischen Sommer 1941 und Jahresende 1942. Spätere Umstrukturierungen des Verbandes sind nicht berücksichtigt. Weil der besagte Zeitraum auch für die vorliegende Studie von vorrangigem Interesse ist, erwies sich die zeitliche Beschränkung der Ermittlungen keineswegs als Nachteil. Somit konnte nur das Personal der Brigade analysiert werden, welches für die dargestellten Verbrechen verantwortlich war, während der weniger relevante Personalbestand späterer Jahre ausgeblendet wurde.

Neben der Auswertung des Ermittlungsverfahrens bot sich anhand der gleichen Fragestellungen die Untersuchung von Personalunterlagen aus dem umfangreichen Quellenbestand zur SS-Kavalleriebrigade an. In den ab September 1939 geführten Unterlagen des Reiterverbandes sind mehrere namentlich geführte Besetzungslisten einzelner Schwadronen erhalten, die jeweils getrennt nach Führer- und Mannschaftsdienstgraden zusätzliche Angaben wie Alter, Berufsgruppe oder den Anteil von Reichs- und Volksdeutschen in der jeweiligen Einheit enthalten und damit einen interessanten Vergleich zur Auswertung des Personals der 1. SS-Brigade bieten. Darüber hinaus sind die Schwadronslisten der SS-Kavallerie zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen 1940 und 1942 angelegt worden, wodurch neben der synchronen auch eine diachrone Vergleichsebene ermöglicht wird.

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