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3. Zwangsarbeit und Ghettoisierung

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Bereits unter Militärverwaltung waren zahlreiche Juden zur Zwangsarbeit herangezogen worden. Mit der Einführung der Zivilverwaltung wurde am 26. Oktober 1939 für die im Generalgouvernement lebenden Juden im Alter zwischen 14 und 60 Jahren ein genereller Arbeitszwang eingeführt. Anfangs wurde bestimmt, daß Juden dazu jeweils in Kolonnen zusammengefaßt werden würden; in der Folge wurde zunehmend mit der Errichtung von eigenen Zwangsarbeitslagern begonnen. Die gesamte Organisierung des jüdischen Zwangsarbeitssystems wurde Krüger als Höherem SS- und Polizeiführer im Generalgouvernement übertragen, der damit eine weitgehende Kontrolle über die in seinem Machtbereich lebenden Juden ausübte.56

In ihrer Funktion als Besatzungstruppen waren die Totenkopfstandarten im Generalgouvernement umfassend an der Organisierung jüdischer Zwangsarbeit beteiligt. Sturmbannführer Josef Fritz, dem Kommandeur der 3. Schwadron der 2. SS-Totenkopf-Reiterstandarte, war nach eigenen Angaben im Kreis- und Stadtgebiet von Zamosc die „Judenfrage“ übertragen worden. Damit war der Schwadronsführer automatisch für die Aushebung jüdischer Zwangsarbeiter verantwortlich. Umgehend machte er sich an die Realisierung der Aufgabe. Am 10. und 11. Juni 1940 ließ Fritz durch seine SS-Reiter im Kreisgebiet 615 Juden und am 14. Juni nochmals 156 Juden zusammentreiben, die anschließend für den Einsatz bei Wasserregulierungsarbeiten in ein Zwangsarbeiterlager nach Zamosc gebracht wurden. Schon die Aushebung erwies sich mitunter als tödlich. So wurde beim Zwangsarbeitertransport der 3. Schwadron am 14. Juni ein Jude „auf der Flucht“ erschossen.57

An Großeinsätzen zur Festnahme und Deportation arbeitsfähiger Juden war die Waffen-SS häufiger beteiligt. Weil in Kielce die vom jüdischen Ältestenrat benannten Juden angeblich „nicht vollzählig“ zur Zwangsarbeit erscheinen würden, fand am 7. August 1940 unter Beteiligung der 1. Schwadron der SS-Kavallerie, des Polizeibataillons 111 und der örtlichen Außenstelle des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD eine Großaktion statt. In deren Verlauf wurden nach dem Bericht der Reiterschwadron „sämtliche arbeitsfähige Juden und junge Jüdinnen in den ausgesprochenen Judenvierteln der Stadt Kielce festgenommen und dem Arbeitsamt zur Verfügung gestellt“.58 Die Schwadron war dazu in zahlreiche Orte der Umgebung ausgeschwärmt, um auf dem Land den Abtransport von Juden zur Zwangsarbeit sicherzustellen. In diesem Fall trieb die Einheit 131 Juden zusammen, die anschließend per Bahn nach Belzec abtransportiert wurden.59 Die geschilderte Aktion fand vor dem Hintergrund der Errichtung eines riesigen Zwangsarbeiterlagers bei Belzec im Distrikt Lublin statt. Die über 10 000 jüdischen Zwangsarbeiter, die bis Ende August 1940 dort konzentriert waren, wurden zu umfangreichen Befestigungsarbeiten an der deutsch-sowjetischen Demarkationslinie herangezogen.60


Abb. 1. Kolonne jüdischer Zwangsarbeiter in Zamosc 1940.

Mit einem deutlichen Schwerpunkt während des Sommers 1940 fanden in weiten Teilen des Generalgouvernements unter massiver Beteiligung der Waffen-SS zahlreiche Einsätze zur Aushebung jüdischer Zwangsarbeiter statt. In einigen Gegenden hatten die Aktionen eine annähernd totale Erfassung der arbeitsfähigen Juden zur Folge. Eine vorübergehend in dem Ort Krasnystaw südöstlich von Lublin stationierte SS-Reiterschwadron meldete schon im Juli 1940 über die Situation vor Ort, daß die „jüdische männliche Bevölkerung […] größtenteils in die Lager von Zamosc und Belzec eingezogen worden“ sei.61 Abgesehen von dem unbestreitbaren Nutzen für die deutsche Kriegsökonomie interpretierten Einheiten der Waffen-SS den Zwangsarbeitseinsatz in ihrer Berichterstattung zudem als erfolgversprechende Maßnahme zur „Befriedung“ des Landes. Die Gesamtlage sei „im Grossen und Ganzen insbesondere deshalb ruhig, weil die männliche jüdische Bevölkerung zum größten Teil zum Arbeitseinsatz erfaßt worden ist“, meldete das 1. SS-Kavallerieregiment Anfang September 1940.62 Wenig später berichtete die 4. Schwadron des 2. Regiments: „Das freche Verhalten der Juden ist durch das Einziehen ins Arbeitslager etwas zurückgegangen.“63

Die SS-Totenkopfstandarten zogen Juden auch für eigene Belange heran. Bei der Reitenden Batterie in Krakau wurden im November 1939 für „die Reinigung des Kasernenhofes sowie die Ausräumung der Reitbahn und der Wagenschuppen […] täglich 20 Juden eingesetzt“.64 In Warschau forderte der Stab der SS-Kavallerie Ende Mai 1940 bei der Jüdischen Gemeinde jeden Tag 40 Zwangsarbeiter zur Verwendung bei Renovierungsarbeiten an einem Stabsgebäude an.65 Alltäglich war der Einsatz jüdischer Zwangsarbeiter bei allen Teileinheiten des Reiterverbandes. Immer wieder wurden Schuster, Schneider, Sattler, Elektriker oder Maler zum Bau der Unterkünfte, zu Installations- und Ausbesserungsarbeiten an Einrichtungen oder der Ausrüstung gezwungen.66 Als sich die Gesundheitsversorgung der jüdischen Bevölkerung des Generalgouvernements als Folge der deutschen Zwangsmaßnahmen zusehends verschlechterte, hatte dies direkte Auswirkungen auf den Besatzungsapparat. Im Februar 1940 brach im Judenviertel von Zamosc eine Fleckfieberepidemie aus, in deren Folge der gesamte Wohnbereich abgesperrt wurde. Nach einem entsprechenden Befehl des Ortskommandanten der Wehrmacht, konnte auch die Waffen-SS keine jüdischen Zwangsarbeiter mehr für eigene Belange heranziehen.67 Von ähnlichen Auswirkungen berichtete die 5. (Schwere) Schwadron des 2. SS-Totenkopf-Reiterregiments. Im Dezember 1940 grassierte auch im Ghetto von Lukow eine Flecktyphusepidemie, weshalb die Einheit gezwungen war, statt der jüdischen Zwangsarbeiter nunmehr Polen zur Verrichtung verschiedener Arbeiten heranzuziehen.68

Neben der Organisierung der Zwangsarbeit wurden seitens der nationalsozialistischen Führung bereits in der dritten Kriegswoche konkrete Absichten zur Ghettoisierung der polnischen Juden formuliert. Halder, der Generalstabschef des Heeres, erfuhr von der Besprechung Wagners mit Heydrich, daß derlei grundsätzliche Gedanken bestünden und nur „im einzelnen noch nicht klarliegend“ seien.69 Ab Ende 1939 wurde im Generalgouvernement und in den größeren Städten des Warthegaus mit ersten Vorbereitungen zur Schaffung von Ghettos begonnen. In diesem Prozeß war das Motiv einer effektiven Kontrolle und weitgehenden Isolierung längst nicht das einzig Ausschlaggebende. Himmler hatte im November 1939 seine eigenen Überlegungen zur Bildung von Ghettos in Polen folgendermaßen formuliert: „Es wird höchste Zeit, daß dieses Gesindel zusammengetrieben wird, in Ghettos, und dann schleppt Seuchen hinein und laßt sie krepieren.“70

Im Laufe der Jahre 1940 und 1941 wurden im Generalgouvernement und in Teilen der annektierten polnischen Gebiete zahlreiche Ghettos errichtet.71 Die Bildung des Ghettos von Lodsch stellte einen frühen Versuch der aufwendig vorbereiteten Ghettoisierung einer großen jüdischen Gemeinde dar.72 In einem geheimen Schreiben entwickelte Friedrich Uebelhör, der Regierungspräsident von Kalisch und Lodsch, am 10. Dezember 1939 konkrete Planungen zur Errichtung und Verwaltung des Ghettos und eines zusätzlichen Lagers für jüdische Zwangsarbeiter. In die Planungen einbezogen war auch die in Lodsch und Umgebung stationierte 9. Schwadron der SS-Kavallerie, deren Mannschaften zur Zusammentreibung und Bewachung der Juden bei der Schaffung des Ghettos vorgesehen waren.73 Die eigentliche Anordnung wurde im Februar 1940 erlassen. Bewacht unter anderem von den SS-Reitern, mußten mehr als hunderttausend Lodscher Juden in den folgenden Wochen zwangsweise in das Elendsviertel Baluty und einige angrenzende Wohnbereiche umziehen, in dem bereits 62 000 Juden lebten. Am 30. April zogen die letzten Juden in den zugewiesenen Wohnbereich; zehn Tage später wurde das Ghetto von der übrigen, mittlerweile in Litzmannstadt umbenannten Stadt abgeschlossen.74 Noch bis Ende des Jahres 1940 waren Einheiten der SS-Kavallerie damit beschäftigt, in der gesamten Region nach Juden zu fahnden und diese in Litzmannstadt und in kleineren Städten zu ghettoisieren.75 Gerade das Beispiel Lodsch dokumentiert aber auch den vorläufigen Charakter sämtlicher Ghettoisierungsmaßnahmen der Deutschen und zeugt von der im Denken einzelner Personen der NS-Nomenklatura bereits 1939 kursierenden Zielvorstellung. Wie letztlich mit den Juden seines Verwaltungsbezirks zu verfahren sei, hob Uebelhör in aller Deutlichkeit hervor, als er am Ende seiner Expertise feststellte: „Die Erstellung des Ghettos ist selbstverständlich nur eine Übergangsmaßnahme. Zu welchen Zeitpunkten und mit welchen Mitteln das Ghetto und damit die Stadt Lodsch von Juden gesäubert wird, behalte ich mir vor. Endziel muß jedenfalls sein, daß wir diese Pestbeule restlos ausbrennen.“76

Im Generalgouvernement verlief der Prozeß der Ghettoisierung weit schleppender. Verantwortlich dafür waren die noch während der ersten Monate deutscher Besatzung aufkommenden Pläne zur großangelegten Umsiedlung der Juden in den Distrikt Lublin sowie die 1940 kursierenden Pläne eines Judenreservats in Madagaskar, die eine aufwendige Ghettoisierung der Juden nicht mehr opportun erscheinen ließen. Partiell setzte die Bildung von Ghettos erst wieder nach dem Scheitern dieser Planungen im Verlauf der Vorbereitungen auf den Feldzug gegen die Sowjetunion ein.77 Die Krakauer Juden wurden im März 1941 in ein Ghetto gesperrt, in Lublin entstand das Pendant erst im April 1941. In Warschau, der Stadt mit der größten jüdischen Gemeinde Europas, ergingen diesbezügliche Anordnungen im Oktober 1940.78 Dazu mußten sich in einem Teil des noch unter Militärverwaltung ausgewiesenen „Seuchensperrgebiets“ innerhalb von sechs Wochen alle Warschauer Juden niederlassen. Zu den über 310 000 dort bereits lebenden Menschen kamen binnen kurzem etwa 138 000 weitere hinzu. Nach der Abriegelung des Ghettos lebten 445 000 Menschen auf einer Fläche von 3,36 Quadratkilometern. Die restliche Fläche der polnischen Metropole, auf der nur doppelt so viele Menschen wohnten, betrug mehr als das vierzigfache.79

Mit ihren vielfältigen Bewachungsaufgaben trugen die in Warschau stationierten Einheiten der SS-Kavallerie dazu bei, daß sich die Ernährungssituation der jüdischen Bevölkerung rapide verschlechterte. Als etwa die von SS-Reitern gestellte Eskorte einer jüdischen Arbeitskolonne am 18. März 1941 ihre Bewachungsaufgaben vernachlässigte, hatten die Zwangsarbeiter ausnahmsweise die Möglichkeit, sich außerhalb des Ghettos mit zusätzlichen Lebensmitteln zu versorgen. Umgehend kritisierte Fegelein im Jargon des deutschen Herrenmenschen, daß „die Juden die Gelegenheit sofort wahrnahmen und Lebensmittel sowie verschiedene andere Sachen in rauhen Mengen zusammenhausierten und vollbeladen nach Hause wanderten“. Die polnische Polizei habe „diese Horde“, so der SS-Kommandeur, zurück ins Ghetto geleiten müssen. Als Appell an die Disziplin seiner Truppe, aber auch als Charakterisierung der Lebensbedingungen der Warschauer Juden war die Feststellung zu verstehen, mit der Fegeleins Befehl endete: „Wir leben heute nicht mehr in derart polnischen Zuständen, dass jeder tun und lassen kann, was ihm beliebt.“80

Aussagen ehemaliger Einheitsangehöriger der Totenkopfstandarten belegen außerdem, mit welchem Ausmaß an alltäglichen Übergriffen die jüdischen Gemeinden konfrontiert waren. Innerhalb ihres zu der Zeit noch nicht abgeriegelten Wohnbereichs mußten die Krakauer Juden als Objekte zur Schulung der jungen Rekruten der 8. SS-Totenkopfstandarte herhalten. Franz H., ein ehemaliger Angehöriger des Verbandes, berichtete, wie sein Bataillon um Weihnachten 1939 zu einem Einsatz befohlen wurde. Dabei wurden dienstältere Soldaten zur Absperrung des Viertels eingesetzt, während die jungen Rekruten in den Häusern – gewissermaßen als Vorbereitung auf zukünftige Aktionen – mit dem Raub von Schmuck und anderen Wertgegenständen beschäftigt waren.81 Bei einer solchen Aktion beobachtete Josef W., SS-Mann derselben Einheit, wie Offiziere des I. Bataillons, darunter der Bataillonskommandeur und sein Adjutant, auf der nahen Weichselbrücke zwei Juden anhielten und beide nach einem kurzen Handgemenge in den eisigen Fluß warfen.82 Die im Mai 1940 nach Krakau verlegte 10. Totenkopfstandarte suchte ebenfalls häufig den jüdischen Wohnbezirk heim. Trupps von Freiwilligen des Verbandes waren im Frühjahr 1941 regelmäßig an Aktionen in dem am 20. März endgültig abgeriegelten Ghetto der Stadt beteiligt. Nach Abschluß des Einsatzes wurden die Männer von ihren Vorgesetzten jeweils mit Vergünstigungen belohnt.83 Den ‚Kameraden‘ erzählten die Freiwilligen anschließend „schauerliche Dinge“. So seien Juden erschossen worden, „daß das Blut nur so spritzte.“84

Im Ghetto von Lublin waren Einheiten des 2. SS-Kavallerieregiments während des Frühjahrs 1941 bei großangelegten Aktionen gegen die Juden der Stadt eingesetzt. In mehreren Einsätzen sperrten die Reiter nachts das im April 1941 eingerichtete Ghetto ab und holten zahlreiche jüdische Bewohner mit großer Brutalität aus ihren Betten. Anschließend wurden die zusammengetriebenen Juden abtransportiert. Seit dem 10. Mai 1941 wurden dabei innerhalb von drei Wochen etwa 10 000 Juden aus Lublin unter anderem nach Rejowiec, Siedliszcze und Sosnowica deportiert.85 Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich noch der Fall des SS-Hauptscharführers August Hennemann, der ein anschauliches Beispiel dafür liefert, wie seine 6. Kompanie im jüdischen Viertel von Lublin wütete. Am Abend des 16. November 1940 zog es Hennemann in eine Lubliner Kneipe, obwohl er eigentlich als Führer vom Dienst im Kompaniequartier eingeteilt war. Nach dem Genuß mehrerer Schnäpse begab sich der Hauptscharführer wieder auf den Heimweg und erschoß dabei auf offener Straße ohne ersichtlichen Grund eine polnische Passantin. Dem nach der Tat herbeigeeilten Gerichtsoffizier seiner Einheit beichtete Hennemann nach vorherigem Leugnen, daß er betrunken sei. Als Grund für die Schußabgabe gab der Unterführer an, wegen seines Alkoholgenusses sei er fälschlicherweise der Meinung gewesen, sich noch im Lubliner Judenviertel zu befinden, wo er tagsüber an einem Einsatz seiner SS-Reitereinheit teilgenommen habe.86

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