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|26|3. Exodus und Befreiung

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Nach dem Zeugnis des Alten Testaments steht die Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft und Sklaverei am Anfang der Geschichte des Volkes Israel: In der Fremde konstituiert sich das Gottesvolk, und in der Fremde wird Jahwe zum Gott Israels (vgl. Hos 12,10), so dass der Ägyptologe Jan Assmann formulieren konnte: »Exodus und Sinaioffenbarung als die zentralen Ursprungsbilder Israels beruhen auf dem Prinzip der Exterritorialität« (Assmann 1992: 201). Was Assmann als »Ursprungsbild« der israelitischen Religion bezeichnet, nennt man in der alttestamentlichen Wissenschaft das »Urbekenntnis«: Jahwe hat Israel aus Ägypten heraus- oder heraufgeführt (vgl. zum Folgenden mit unterschiedlicher Akzentuierung Crüsemann 2001 und Becker 2006).

Am Anfang war der Exodus, man könnte auch sagen: Am Anfang war die Befreiungstat Jahwes! Aber wie ist das genauer zu verstehen? Zwar gab und gibt es immer wieder Versuche, den Exodus historisch genauer zu fassen und überdies mit einem sozialrevolutionären Impuls zu versehen. So stand für Rainer Albertz am Beginn der Glaubensgeschichte Israels, noch in vorstaatlicher Zeit, »die Religion der befreiten Großgruppe« (Albertz 1992: 68–104). Sie setzte sich zusammen aus Kriegsgefangenen und gesellschaftlich Entwurzelten, die als Fronarbeiter im ramesidischen Ägypten tätig waren, dort ihrem Gott Jahwe, dem »Gott der Hebräer« (Ex 3,18) begegneten, unter der Führung Moses in die Freiheit zogen und ihren Freiheitsgedanken in die Stämme Israels einbrachten. Sieht man einmal von den heute problematisch gewordenen »befreiungstheologischen« Nebentönen dieses Konzeptes ab, kommt man bei einer kritischen Prüfung der Belege nicht um die Einsicht herum, dass die Exoduserzählung in Ex 1–14 kaum vor dem 7. Jahrhundert v.Chr. entstanden sein kann (vgl. Otto 2006: 27–42) und das sogenannte Urbekenntnis vom Auszug aus Ägypten weder alt noch umfassend ist. Denn die Glaubensformel findet sich fast ausnahmslos in späten, vor allem deuteronomistisch geprägten Literaturbereichen, ist also kaum vor dem 6. Jahrhundert v.Chr. belegt. Am häufigsten findet man sie im Buch Deuteronomium.

Nun ist das, was das Alte Testament über den Exodus zu erzählen |27|weiß, sicherlich nicht gänzlich erfunden oder fiktiv; einen Anhalt an der Geschichte der ausgehenden Spätbronzezeit (ca. 1400–1200 v.Chr.) hat die Überlieferung durchaus. Denn in dem geographischen Raum, aus dem das spätere Israel hervorging, verband man mit dem Namen »Ägypten« vor allem zwei Dinge: Nahrung und Fronarbeit. In den Quellen gibt es Hinweise auf Fronarbeiter aus dem semitischen Raum; sie werden dort Hapiru genannt. Doch um im Dienste der Ägypter zu stehen, musste man nicht in Ägypten sein: Palästina selbst stand, wie die Amarna-Korrespondenz zwischen dem ägyptischen Hof und den kanaanäischen Stadtkönigen aus dem 14. Jahrhundert belegt (vgl. Weippert, Historisches Textbuch zum Alten Testament 125–147), in der damaligen Zeit unter der Oberherrschaft der Pharaonen, und selbstverständlich hatte die einheimische Bevölkerung – gewissermaßen die Vorfahren der späteren Israeliten – Frondienste zu leisten. Der allgemeine Erfahrungshintergrund für das, was einmal zur Exodustradition geworden ist, war also seit dem 13./12. vorchristlichen Jahrhundert durchaus gegeben. Mehr wissen wir freilich nicht. Denn allein darauf kommt es an: Wo immer und wann immer das Alte Testament vom Exodus redet, redet es im Modus des Bekenntnisses, und dies geschieht eher in späteren als in älteren Texten.

So ist der Exodus in der Geschichtstheologie des Deuteronomismus, also des Buches Deuteronomium und der davon inspirierten Literatur des Alten Testaments, zu einem grundlegenden Credo ausgestaltet worden, das Jahwes Gabe und Israels Aufgabe zugleich beschreibt. Seinen beispiellosen Aufstieg verdankt das Credo offenbar der Tatsache, dass mit ihm ein Lebens- und Glaubensgrund formuliert werden konnte, der in der jüdischen Gemeinde des zweiten Tempels, die auf den Zusammenbruch des Staates und der traditionellen Nationalreligion der Königszeit zurückblickte, neuen Halt bot. Dass man dabei auf die vorstaatliche Urzeit zurückgriff und den Gedanken der »Freiheit« in den Vordergrund rückte, ist kein Zufall. Man wird sicher nicht so weit gehen dürfen, die mit dem Exoduscredo evozierten Vorstellungen von »Freiheit« und »Befreiung« unmittelbar zeitgeschichtlich auszudeuten. Aber es ist doch mehr als auffällig, dass die jüdische Gemeinde in Zeiten der äußeren Bedrängnis und inneren Bescheidung verstärkt von einem |28|befreienden Gott spricht, der sein Volk aus der Knechtschaft erlöst hat – und, so die Erwartung, auch künftig erlösen wird.

So wird Ägypten – namentlich im Buch Deuteronomium – nach und nach zu einem Symbol, zu einer Chiffre für Not, Unfreiheit und Elend jeglicher Art. Hier hat die Rede vom »Sklavenhaus« Ägypten (vgl. den Dekalog: Ex 20,2; Dtn 5,6) ihren Ort, die – wie oben bereits gesehen – sogar als Grundlegung der Ethik dienen kann: »Denkt daran, dass ihr selbst einst Sklaven in Ägypten wart!« (Dtn 5,15). Aus der kollektiven Erinnerungserfahrung der Befreiung folgt, wie der Dekalog im Einzelnen veranschaulicht, die Verpflichtung zum Einhalten der göttlichen Gebote (vgl. Hermisson 1985: 141–145; Köckert 2007: 44–48, 68–72). Befreiung und Verpflichtung gehören untrennbar zusammen; eine bindungslose Freiheit ist ausgeschlossen.

Doch die Reflexions- und Aktualisierungsleistung des Deuteronomismus geht noch weiter. Ein Beispiel aus einer späten literarhistorischen Stufe im Buch Deuteronomium: »Nicht weil ihr zahlreicher wärt als alle Völker, hat sich Jahwe an euch gehängt und euch erwählt – denn ihr seid das kleinste unter den Völkern –, sondern weil Jahwe euch liebt und seinen Eid hält, den er euren Vätern geschworen hat, hat Jahwe euch mit starker Hand aus Ägypten herausgeführt und dich freigekauft aus dem Sklavenhaus, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten« (Dtn 7,7f.). Mit einem geschickten Kunstgriff gelingt es dem Verfasser, Vergangenheit und Gegenwart eins werden zu lassen, zur Deckung zu bringen. Die jüdische Glaubensgemeinde wird mit der Exodusgeneration gleichzeitig. Und dieser Gemeinde wird Unerhörtes ins Stammbuch geschrieben: Das Gottesvolk ist gewiss erwählt, doch es darf sich darauf nichts einbilden, denn vorzuweisen hat es rein gar nichts, weder Größe noch eigenes Verdienst. Es war nichts als die freie Gnade Gottes, der das Volk seine Sonderstellung unter den Völkern verdankt. Ja, nicht einmal auf die Befreiungstat Gottes im Exodus darf sich Israel etwas einbilden. Denn der Exodus wird hier in charakteristischer Weise neu ausgelegt und aktualisiert: Er gibt die Richtung an, aus der das Heil kommt; es kommt ohne eigenes Verdienst und von außen, gewissermaßen sola gratia (»allein aus Gnade«), auf Israel zu. Die Befreiung, die der Exodus gewährt, steht |29|damit nicht mehr für ein äußerliches Auszugsgeschehen, sondern für das extra nos (»außerhalb von uns«) des Heils.

Das Alte Testament ist, so wird hier erkennbar, von einem wörtlichen, unmittelbaren Verständnis des Exodus weit entfernt. Wo es in theologisch produktiver Weise von ihm redet, redet es von der Freiheit als dem Lebensgrund des jüdischen Menschen, ja der jüdischen Gemeinde überhaupt. Und von der Freiheit Gottes zu reden, heißt, dem Menschen das extra nos seines Heils vor Augen zu führen. Dies geschieht explizit dort, wo »Ägypten« zur austauschbaren Chiffre für Bedrängnis jeglicher Art geworden ist: »Führe mich heraus aus dem Gefängnis, damit ich deinen Namen preise!« (Ps 142,8; vgl. auch Ps 25,15.17; 31,5; 66,12; 107,28). Hier sind nicht die Gefängnismauern aus Stein gemeint, sondern der Kerker des »in sich selbst verkrümmten Menschen« (homo incurvatus in se), der keinen Ausweg mehr weiß und deshalb aus seiner geistigen Not »herausgeführt« wird. In eine ähnliche Richtung weist der eschatologische Ausblick in Jes 61,1, wo den Elenden und Gefangenen die frohe Botschaft der »Befreiung« und »Freilassung« zugesprochen wird (vgl. Jes 35,10; 51,11; Ps 146,7). Die »Befreiungstheologie« des Exodus ist damit vollends von einem Ereignis der erinnerten Vergangenheit zum Signum einer sehnsüchtig erwarteten Zukunft geworden.

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