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2. Zur Forschungsgeschichte
ОглавлениеAls erster wesentlicher wissenschaftlicher Beitrag zur Interpretation der Freiheit innerhalb der Theologie des Paulus kann ein Vortrag des liberalen Theologen Johannes Weiß aus dem Jahr 1902 angesehen werden, in dem unter anderem die Frage nach der Herkunft des Freiheitsbegriffs gestellt wird (zur Forschungsgeschichte insgesamt Jones 1987: 11–24; Coppins 2009: 18–45). Paulus habe, so Weiß, den Begriff aus der griechischen, vorwiegend stoischen Popularphilosophie entliehen, ihn im Wesentlichen als eine Freiheit von Abhängigkeiten verstanden, sodann allerdings in einen neuen Zusammenhang verpflanzt (vgl. Weiß 1902: 7–9.33). Rudolf Bultmann, der u.a. bei Weiß studiert hatte, gab in seiner 1958 erstmals erschienenen Theologie des Neuen Testaments der Freiheit eine zentrale Stellung im Lehrgebäude des Paulus (aber auch Schlier 1935: 492–500). Sie ist nach der Gerechtigkeit Gottes, der Gnade und dem Glauben das vierte Kennzeichen des glaubenden Menschen und wird in den §§ 38–40 im Einzelnen beschrieben als Freiheit von der Sünde, als Freiheit vom Tod und als Freiheit vom Gesetz. Bultmann orientiert sich hierbei an den Textaussagen des Paulus in Röm 5–8, denn es sei eindeutig, »daß sein Denken und Reden aus seiner theologischen Grundposition herauswächst, die sich ja auch in Rm einigermaßen vollständig expliziert« (Bultmann 1968: 191). Demgegenüber orientierte sich Mußner stärker am Galaterbrief und bezog das Befreiungsgeschehen zusätzlich auf die Befreiung von den dämonisierten Weltelementen (vgl. Mußner 1976: 28f.). Samuel Vollenweider hingegen legte in allen und stets grundlegenden Veröffentlichungen zum Thema Wert auf den Nachweis, dass Paulus seine Freiheitsaussagen in einem einigermaßen kohärenten Zusammenhang zum Ausdruck bringe, etwa demjenigen der Freiheit vom Gesetz (vgl. Vollenweider 1989: 21; ders./Link 1997: 502). Damit gehen in seiner Beschreibung des paulinischen Freiheitsverständnisses die Perspektiven auf die neue Schöpfung oder die Gotteskindschaft|42| als Folge des Befreiungsgeschehens einher, während in seiner letzten Publikation die Freiheit von dem Gesetz in ihrem Stellenwert innerhalb der Freiheitsbotschaft des Paulus eher abgeschwächt wird (vgl. Vollenweider 2000: 307). Gleichzeitig verwiesen andere darauf, dass im Freiheitsverständnis zwischen Galater- und Römerbrief Differenzen bestehen, so dass die Vorstellung eines einheitlichen, am Römerbrief gewonnenen Lehrsystems fraglich wurde und sich gleichzeitig die Annahme einer Entwicklung im paulinischen Denken Bahn brach. Dies betrifft vorwiegend das Verhältnis von Freiheit und Gesetz. In einem diametralen Gegensatz zu Bultmanns Ausgangspunkt bindet Jones alle Freiheitsaussagen des Paulus direkt an ein hellenistisches, auf die innere Freiheit bezogenes Verständnis (vgl. Jones 1991: 700).
Paulus spricht über Freiheit in sehr unterschiedlichen Kontexten, aber thematisiert sie nicht in jedem Brief. Liegt seinem Denken überhaupt ein einheitliches christliches Freiheitsverständnis zugrunde? Oder bieten die Aussagen des Paulus situationsbedingte Adaptionen eines hellenistischen Freiheitsbegriffs (Betz 1994; Jones 1987; Coppins 2009)? Die ungefähr zeitgleich angefertigten Arbeiten von Jones und Vollenweider stimmen jedenfalls in dem religionsgeschichtlichen Urteil überein, dass die paulinische Freiheitsbotschaft vor einem hellenistischen Hintergrund zu verstehen sei (vgl. Jones 1987: 145; Vollenweider 1989: 21). Viel hängt natürlich von der Beantwortung der Frage ab, ob erst Paulus beides, Freiheitsverständnis und -begriff, in die christliche Theologie einträgt oder ob er auf frühchristlichen, möglicherweise sogar mit Jesus (so Niederwimmer 1992: 1053) in Verbindung stehenden oder ins hellenistische Judentum reichenden Voraussetzungen aufbaut. Der Befund deutet klar zur ersten Annahme hin: Paulus ist innerhalb des frühen Christentums der Theologe der Freiheit, und er hat Begriff und Sache in das christliche Denken eingeführt (vgl. Jones 1987: 16–18; Vollenweider 2000: 307). Daher wird besonderes Augenmerk auf das Vorkommen des Wortstamms ἐλευθερ- in den Korintherbriefen zu legen sein, in denen erstmals innerhalb der paulinischen Briefliteratur dieser Wortstamm bezeugt ist.