Читать книгу Internationales Kauf-, Liefer- und Vertriebsrecht - Martin Rothermel - Страница 8
ОглавлениеI. Pragmatischer Ansatz: Man nimmt einen deutschen Standardkaufvertrag und wählt am besten deutsches Recht und einen deutschen Gerichtsstand?
1. Innerhalb der EU
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Der pragmatische Ansatz funktioniert innerhalb der EU recht gut (wenn man das deutsche Recht überhaupt haben möchte – zu Für und Wider und alternativen Überlegungen siehe weiter unten im Text und auch die Tabelle in Rn. 85 sowie die Kapitel zu anderen Rechtsordnungen (siehe unten Kap. E, F und G):
– Eine Rechtswahl ist in der EU weitgehend möglich, wenn es um ein grenzüberschreitendes Geschäft geht. Liegt ein Binnensachverhalt (beide Parteien kommen aus einem Land) vor, kann man zwar anderes Recht wählen, es gelten dann aber auch national zwingende Vorschriften (siehe unten Kap. C Rn. 84).
– Für Kauf- und Liefergeschäfte gelten in der EU nach dem Landesrecht anderer Länder relativ wenige international zwingende Bestimmungen, die auch im grenzüberschreitenden Vertrag eine Rechtswahl zugunsten der Anwendung des deutschen Rechtes aushebeln könnten (siehe unten Kap. C Rn. 128ff.).
– Für internationale Vertriebsverträge hingegen gibt es beachtliche international zwingende Bestimmungen in anderen EU-Ländern (siehe unten Kap. H Rn. 108ff.). Die Rechtsfolgen des deutschen Rechts verstoßen hingegen in anderen EU-Ländern wohl nicht gegen ordre public, sind also durchsetzbar (nicht zu verwechseln mit der Vollstreckbarkeit von Urteilen – dazu sogleich).
– Bei der Wahl des deutschen Rechts erscheint die Wahl eines deutschen Gerichts nicht unzweckmäßig (siehe unten Kap. C Rn. 211ff.); eine Gerichtsstandsvereinbarung ist möglich nach den Formvorschriften der Brüssel Ia- Verordnung oder auch EuGVVO genannt (siehe unten Kap. C Rn. 244ff.). Innerhalb der EU sind deutsche Gerichtsentscheidungen vollstreckbar (siehe unten Kap. C Rn. 223ff. und 333). Auch Schiedsgerichtsabreden sind möglich (siehe unten Kap. D).
– Soll die Wahl deutschen Rechts und die Vereinbarung eines deutschen Gerichts in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Standardverträgen (AGB) erfolgen, müssen diese wirksam einbezogen sein, d.h. nach der Rechtsprechung wahrscheinlich sicherheitshalber beim Vertragsschluss mitgeschickt werden (siehe unten Kap. C Rn. 99). Für die Gerichtsstandsvereinbarung oder Schiedsgerichtsabreden empfiehlt sich eine Unterschrift beider Parteien (siehe unten Kap. C Rn. 273).
– Incoterms® (Ex Works, FOB etc.) funktionieren immer (siehe dazu unten Kap. K).
2. Außerhalb der EU
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Problematisch ist der pragmatische Ansatz außerhalb der EU, denn dort ist schon die Wahl deutschen Rechts und eines deutschen Gerichtsstandes nicht sicher möglich:
– Vielfach ist gar keine Rechtswahl möglich (siehe unten Kap. C Rn. 185) oder unterliegt gewissen zusätzlichen Voraussetzungen. Ob die Rechtsfolgen des deutschen Rechts in anderen Ländern gegen ordre public verstoßen und damit nicht durchsetzbar sind, ist oft schwer zu sagen – ausgeschlossen ist das aber nicht. Vielfach bestehen auch international zwingende Bestimmungen in Ländern außerhalb der EU (siehe unten Kap. C Rn. 128). Beides (Probleme mit ordre public und zwingenden Bestimmungen) dürfte für Vertriebsverträge (siehe unten Kap. H Rn. 108ff.) wahrscheinlicher sein als für Kauf- und Lieferverträge.
– Teilweise ist auch keine Gerichtsstandsvereinbarung möglich (siehe unten Kap. C Rn. 360ff.) bzw. von besonderen Formvorschriften abhängig.
– Darüber hinaus wäre vielfach die Wahl eines deutschen Gerichtes nicht zweckmäßig, weil deutsche Gerichtsurteile in dem Land des Vertragspartners außerhalb der EU womöglich gar nicht vollstreckbar sind (siehe unten Kap. C Rn. 213); dann drängen sich Schiedsgerichtsabreden auf. Bisweilen sind aber auch Schiedsgerichtsabreden schwierig oder Schiedssprüche im Land des Vertragspartners nicht vollstreckbar (siehe dazu unten Kap. C Rn. 355 und Kap. D).
– AGB sind mit den vorstehend beschriebenen Maßgaben verwendbar, aber bestimmt weniger rechtssicher als individuelle Vereinbarungen.
– Incoterms® (Ex Works, FOB etc.) funktionieren immer (siehe dazu unten Kap. K).
3. Änderungen in der EU-Zugehörigkeit
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Änderungen im Kreis der EU-Mitgliedstaaten (etwaige Eintritte oder Austritte in die EU/aus der EU, also Exits, „Brexits“, „Grexits“ etc.) kommen selten vor und haben nur mittelbare Auswirkungen auf internationale Kauf- und Lieferverträge bzw. die dazu im Vorfeld angestellten Überlegungen (siehe unten Kap. C Rn. 32). Für die hier erörterten Fragen zu Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarung ist zu beachten, dass die dazu maßgeblichen EU-weit vereinheitlichten Antworten in der Rom I-VO bzw. Brüssel Ia-VO (EuGVVO) zu finden sind (siehe unten Kap. C Rn. 69ff. und 129ff.). Die zeitlichen Anwendungsbereiche sind dabei in der jeweiligen Verordnung selbst festgelegt, und im Falle eines Eintritts weiterer Mitgliedstaaten in die EU braucht es eine entsprechende Erklärung, ab wann die bestehenden Verordnungen auch für diesen Mitgliedstaat gelten; im Falle eines Austritts eines Mitgliedstaates aus der EU braucht es eine völkerrechtliche Regelung, bis wann die entsprechenden Verordnungen für diesen Mitgliedstaat noch gelten. Laut Europäischem Parlament sind vom Austritt Großbritanniens aus der EU 21.000 Regelungen und Gesetze betroffen, die gestrichen oder entsprechend angepasst werden müssen. Das erstreckt sich insbesondere über Bereiche wie das Vertragsrecht, das Arbeitsrecht, das Gesellschaftsrecht, das Markenrecht, den Datenschutz und das Finanzaufsichtsrecht. Für Brexits, Grexits oder Exits gibt es also in der Vertragsgestaltung wenig zu beachten, was Recht und Gericht angeht, wenn die derzeitigen EU- Verordnungen noch einige Zeit gelten. Ob eine jetzt vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarung weit in der Zukunft (nach einem etwaigen EU-Austritt) dann noch akzeptiert würde, kann nicht sicher vorhergesagt werden – diese Unsicherheit lässt sich aber auch vertraglich nicht beheben. Hinsichtlich etwaiger weiterer Rechtsfolgen eines Exits (Ein- und/oder Ausfuhrbeschränkungen, Zölle, sonstige Hindernisse) lässt sich vielleicht eine vertragliche Regelung dahingehend fassen, dass sich die Parteien auch für den Fall eines Exits so stellen, wie die Rechtslage vor dem Exit war und/oder wie eine Modifikation und auch Aufhebung der Vertragsbeziehung zwischen den Parteien möglich ist. Veränderungen mit Auswirkungen auf die gegenseitigen Leistungspflichten, wie sie etwa durch einen EU-Exit bewirkt werden, dürften dann vor dem Hintergrund des Stichwortes Wegfall der Geschäftsgrundlage, Hardship, Force Majeure o.Ä. diskutiert werden1 – um solche Unsicherheiten zu vermeiden, lassen sich vielleicht vertragliche Vereinbarungen fruchtbar machen.
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Der Brexit ganz konkret brachte wenig tiefgreifende Änderungen zu anwendbarem Recht und Rechtswahl, denn die Rom I-VO (siehe dazu unten Kap. C Rn. 68) gilt nach wie vor für die Gerichte in der EU (den verbliebenen 27 Staaten). Zudem hat das Vereinigte Königreich Großbritannien deren Inhalte in nationales IPR-Recht von England und Wales umgesetzt. Die Brüssel Ia-VO oder auch EuGVVO gilt allerdings seit dem 1.1.2021 nicht mehr im Königreich (für bis dahin eingereichte Verfahren soll sie aber weiter gelten); sie wird „ersetzt“ durch den Beitritt Großbritanniens am 28.9.2020 zum Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (siehe dazu unten Kap. C Rn. 336). Das Lugano-Abkommen gilt allerdings nicht (mehr), solange der beantragte Beitritt des Königreiches dazu nicht erfolgt ist (eine Beitrittserklärung liegt vor).
4. Alternativen zu deutschem Recht und Gericht
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Möglicherweise besteht bei Geschäften in- und außerhalb der EU die Gelegenheit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts zu nutzen, um nichtdeutsches Recht zu wählen. Hierfür gibt es durchaus Gründe:
– Für Kaufverträge „fehlt“ dem Käufer im deutschen Recht (im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen) die verschuldensunabhängige Haftung des Lieferanten. Eine Verschärfung der Haftung ist zumindest in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Standardverträgen nicht möglich (siehe zu Alternativen die Tabelle hier unter Rn. 85 und unten die Kapitel E., F., G. zum UN- Kaufrecht, Schweizer Recht, Common Law.).
– Für Lieferverträge wird im deutschen Recht aus Verkäufersicht der zwingende Rückgriff innerhalb der Lieferkette (im Verbrauchsgüterkauf und seit 1.1.2018 auch im Unternehmenskauf) bemängelt. Außerdem besteht im Falle des Verschuldens eine unbeschränkte Schadensersatzhaftung und eine Beschränkung der Haftung ist zumindest in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Standardverträgen nicht möglich (siehe zu Alternativen die Tabelle hier unter Rn. 85 und unten die Kapitel E., F., G. zum UN-Kaufrecht, Schweizer Recht, Common Law.).
– Für Handelsvertreter gibt es kaum ein günstigeres Recht als das deutsche; die Möglichkeiten für den Prinzipal, von zwingenden Vorschriften (die allerdings aufgrund der EU-Richtlinie EU-weit sehr ähnlich sind) abzuweichen, gibt es nur, wenn der Handelsvertreter außerhalb der EU oder des EWR tätig ist. Modifikationen sind in Standardverträgen allerdings ebenfalls kritisch (siehe unten Kap. H Rn. 8ff.).
– Für Vertragshändlerverträge erscheint die analoge Anwendung des Handelsvertreterrechts durch die deutsche Rechtsprechung nachteilig (zumal dies – anders als beim Handelsvertreter – bereits innerhalb der EU in anderen Ländern günstiger ist). Modifikationen sind in Standardverträgen auch kritisch (siehe unten Kap. H Rn. 29).
– Für Franchiseverträge gilt in Teilen das Gleiche wie für Vertragshändler; die vergleichsweise liberale (weil nicht vorhandene) deutsche Gesetzgebung zu Franchiserechten mag allerdings ein Vorteil sein (siehe unten Kap. H Rn. 48).
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Oft wird Schweizer Recht in Erwägung gezogen, weil es dort praktisch keine AGB-Kontrolle gibt, sowie das Prinzip der geltungserhaltenden Reduktion gilt und die Vertragsfreiheit regelmäßig als weiter empfunden wird (siehe unten Kap. F). Teilweise kommt auch Common Law in Betracht (siehe unten Kap. G). Natürlich bietet sich, für Kauf- und Lieferverträge, auch das UN- Kaufrecht an (siehe unten Kap. E); idealisierte Kombinationen sind denkbar, bspw. UN-Kaufrecht mit Schweizer Recht oder Ähnliches. Vielleicht kann man auch an Soft Law (also nichtstaatliches Recht) denken (siehe unten Kap. C Rn. 38).
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Man zieht auch oft in Betracht, ein anderes als ein deutsches Gericht zu wählen; Gründe dafür sind die Vollstreckbarkeit und die Zuständigkeit (siehe unten Kap. C Rn. 213) oder auch gewissen Praktikabilitätsgesichtspunkte (Gericht passt zur Rechtswahl, liegt nahe etc.)
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Möglicherweise ist man auch mit einer Schiedsgerichtsvereinbarung gut oder besser bedient (als mit der Wahl eines staatlichen Gerichts). Das kann darin begründet liegen, dass Schiedsgerichtsvereinbarungen international eher anerkannt werden als eine Gerichtsstandsvereinbarung (siehe unten Kap. D) und zudem Schiedssprüche besser vollstreckbar sind (siehe unten Kap. C Rn. 355 und Kap. D). Außerdem hat man die Möglichkeit, Schiedsrichter zu wählen, die das gewählte Recht kennen, Erfahrungen in der betreffenden Branche haben oder sonst größeres Vertrauen genießen. Auch Verfahrensabläufe und -kosten können für ein Schiedsgericht sprechen (siehe unten Kap. D).
1 Siehe dazu Rothermel, IHR 2020, 89ff.