Читать книгу Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich - Martin Schölkopf - Страница 15
2.2.1 Italien
ОглавлениеGrundstruktur
Bis in die 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts basierte Italiens Gesundheitswesen auf einem Sozialversicherungssystem. Der Versicherungsschutz wurde durch ca. 100 verschiedene Krankenkassen sichergestellt, die allerdings Leistungen in unterschiedlichem Umfang gewährten. Mit einer umfassenden Gesundheitsreform im Jahr 1978 wurde dies geändert: Um das große Nord-Süd-Gefälle im Versorgungsniveau zu beseitigen und ein landesweit einheitliches Leistungsangebot zu erreichen, erfolgte damals eine Umstellung auf einen zentralen staatlichen Gesundheitsdienst („Servizio Sanitario Nazionale – SSN“), der seitdem alle Einwohner Italiens erfasst. Mit mehreren Reformen Ende der 1990er-Jahre und im Jahr 2001 wurde die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung dezentralisiert. Seither sind die 19 Regionen bzw. die zwei autonomen Provinzen für die Organisation der Gesundheitsversorgung vor Ort verantwortlich und übernehmen einen Großteil der Finanzierung. Die Regionen erstellen alle drei Jahre regionale Gesundheitspläne, die u.a. vorgeben, wie die finanziellen Mittel an die lokalen Gesundheitsbehörden und Krankenhäuser verteilt werden. Die Gesundheitsversorgung vor Ort wird dann von den lokalen Gesundheitsbehörden organisiert, von denen es rd. 200 gibt und die für jeweils zwischen 50.000 und 200.000 Einwohner zuständig sind. Leistungen bei Mutterschaft und Krankengeld sind in Form einer (einheitlichen) Sozialversicherung organisiert. Dennoch hat auch der Zentralstaat weiterhin erheblichen Einfluss auf die Gesundheitspolitik: Er sorgt nicht nur für die finanzielle Ausstattung des SSN, sondern definiert auch das Basis-Leistungspaket und übt die Aufsicht über den nationalen Gesundheitsdienst aus.
Finanzierung
Mit einem Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP in Höhe von 8,8 Prozent (2017) liegt Italien mehr als einen Prozentpunkt unter dem Durchschnittswert aller EU-Mitgliedstaaten. Die Gesundheitsausgaben pro Kopf lagen in Italien im Jahr 2017 bei 3.376 US-Dollar und damit rd. 10 Prozent unter dem EU-Durchschnitt. Infolge der Finanzkrise sind die italienischen Gesundheitsausgaben pro Kopf bis 2013 gesunken und in den folgenden Jahren nur sehr moderat gestiegen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch bei der durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate der Pro-Kopf-Ausgaben zwischen 2007 und 2017 wider: Mit einem jährlichen Zuwachs von 1,2 Prozent liegt diese Kennzahl weit unter dem EU-Durchschnitt und ist vergleichbar mit der Entwicklung in Portugal, das ebenfalls stark von der Finanzkrise betroffen war. Der Anteil der öffentlichen Finanzierung an den gesamten Gesundheitsausgaben Italiens lag im Jahr 2017 bei rund 74 Prozent und damit nahe am Durschnitt aller OECD-Länder (73 Prozent). Obwohl das Leistungspaket des SSN breit angelegt ist, ist der durch die privaten Haushalte finanzierte Anteil der Gesundheitsausgaben in Italien mit 23 Prozent im EU-Vergleich sehr hoch. Die private Krankenversicherung spielt in Italien kaum eine Rolle; ihr Anteil an den Gesamtausgaben liegt aktuell bei nur rund 2 Prozent.
Der öffentliche Gesundheitsdienst Italiens finanziert sich zum größten Teil über nationale und regionale Steuern, zu einem Teil aber auch über Zuzahlungen der Patienten. Die Steuerfinanzierung erfolgt über eine regionale, von den Arbeitgebern zu entrichtende, bei privaten Unternehmen auf den Umsatz und bei öffentlichen Arbeitgebern auf die Lohnsumme bezogene Produktionssteuer sowie über einen regionalen Aufschlag auf die Einkommensteuer, Zuweisungen an die Regionen aus Bundessteuern und durch weitere Landes- bzw. Kommunalsteuern. Die Verteilung der Bundesmittel an die Regionen wird im nationalen Gesundheitsplan festgelegt und orientiert sich insbesondere an den Einwohnerzahlen und der Gesundheitsinfrastruktur. Zur Finanzierung des Krankengeldes der Arbeiter ist von den Arbeitgebern zusätzlich ein Beitrag von ca. 3 Prozent des Einkommens zu entrichten. Eine Beitragsbemessungsgrenze gibt es nicht.
Zuzahlungsverpflichtungen existieren für diagnostische Maßnahmen, vermeidbare Inanspruchnahme von Notfallleistungen in Krankenhäusern und vor allem für fachärztliche Behandlungen. Ohne das Vorliegen einer Überweisung müssen die Kosten hier sogar komplett privat getragen werden, ansonsten fallen für jede Facharztbehandlung Gebühren in Höhe von rd. 36 Euro an. Die Zuzahlungen für Arzneimittel machen 30 Prozent aller privat finanzierten Gesundheitsausgaben aus. Da die Regionen die Zuzahlungsregelungen und die zahlreichen Ausnahmen für bestimmte Gruppen der Bevölkerungen festlegen, sind Arzneimittelzuzahlungen nicht einheitlich geregelt. In der Regel werden die Kosten von Arzneimitteln nur in voller Höhe übernommen, wenn diese auf der nationalen Positivliste verzeichnet sind und der Behandlung sehr ernster Krankheiten dienen. Nicht verschreibungspflichtige Medikamente müssen vollständig selbst finanziert werden; ebenso Preisdifferenzen zwischen Generika und Originalprodukten. Bei Verschreibungen fallen zudem Rezeptgebühren an.
Leistungen
Alle Einwohner Italiens haben Anspruch auf Sachleistungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Auch illegale Zuwanderer haben seit 1998 Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst. Das Basis-Paket des SSN wird zentralstaatlich reguliert. Die Regionen haben die Möglichkeit, zusätzliche Leistungen anzubieten, die sie allerdings selbst finanzieren müssen. Eine Zunahme der interregionalen Patientenmobilität in den vergangenen Jahren deutet darauf hin, dass die Regionen hiervon durchaus Gebrauch machen und dass diese Option zu regionalen Ungleichheiten in der Bereitstellung von Gesundheitsdienstleistungen führt.
Voraussetzung für die Leistungsinanspruchnahme im SSN ist die Einschreibung bei der jeweils zuständigen lokalen Gesundheitsbehörde. Die Leistungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes sind deutlich weniger umfangreich als der Leistungskatalog der deutschen GKV. So ist eine zahnärztliche Behandlung generell nicht im Leistungspaket enthalten, nur für Kinder und vulnerable Bevölkerungsgruppen. Mit Ausnahme der Lieferung von Prothesen für bestimmte Gruppen von Invaliden zählen auch Hilfsmittel sowie diverse Heilmittel nicht zum Leistungskatalog. Zudem müssen Transportoder Fahrtkosten selbst getragen werden. Das maximal sechs Monate lang gezahlte Krankengeld erhalten nur Arbeiter. Angestellte haben im Krankheitsfall Anspruch auf eine gesetzliche Lohnfortzahlung von mindestens drei Monaten. Rund 10 Prozent der Bevölkerung haben eine ergänzende private Zusatzversicherung, um die oben genannten Lücken abzudecken.
Organisation der Versorgung
Die ambulante medizinische Versorgung ist in Form eines Hausarztsystems organisiert. Die Behandlungen beim Hausarzt sind zuzahlungsfrei, wobei jede Person zunächst einen Hausarzt in ihrer Region wählen muss. Die Hausärzte arbeiten entweder in den Ambulanzen der lokalen Gesundheitsbehörden oder freiberuflich; im letzteren Fall bestehen vertragliche Vereinbarungen mit den regionalen Gesundheitsbehörden. Die Vergütung der Leistungserbringer erfolgt überwiegend in Form von Pauschalen. Der Zugang zur weitergehenden medizinischen Versorgung erfolgt durch Überweisung, wobei der Patient eine freie Facharzt- und Krankenhauswahl nur innerhalb des Zuständigkeitsbereichs seiner lokalen Gesundheitsbehörde hat. Auch die fachärztliche Versorgung wird von den Gesundheitsbehörden oder vertraglich gebundenen Fachärzten geleistet und findet meist in Krankenhäusern statt.
Die Krankenhausversorgung liegt grundsätzlich in der Zuständigkeit der Regionen und lokalen Gesundheitsbehörden. Diese betreiben i.d.R. auch die Krankenhäuser. In jeder Region gibt es darüber hinaus Krankenhäuser der Maximalversorgung, die – wie die Privatkliniken – einen unabhängigen Status haben und über Verträge mit den lokalen Gesundheitsbehörden an den staatlichen Gesundheitsdienst angebunden sind. 2012 waren rund 25 Prozent der Krankenhausbetten in privater Trägerschaft. Die Zahl der Betten in italienischen Krankenhäusern liegt mit 3,2 Betten je 1.000 Einwohner deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 5,0 Betten (2017).
Im internationalen Vergleich fällt auf, dass es in Italien pro 1.000 Einwohner deutlich mehr Ärzte, aber deutlich weniger Pflegekräfte gibt als im Durchschnitt aller EU-Staaten (4,0 zu 3,6 Ärzte bzw. 5,8 zu 8,5 Pflegekräfte – Werte jeweils 2017). Insbesondere in den Krankenhäusern gibt es häufig einen Mangel an Pflegekräften.
Zuständige Behörde im Internet
Ministerium für Gesundheit: www.salute.gov.it
Vertiefende Literatur
Donatini, A. 2017: The Italian Health Care System, in: Mossialos, E. et al. (Eds.): International Profiles of Health Care Systems, 2017. Commonwealth Fund. Washington, 97–106.
Ferré, F. et al. 2014: Italy. Health systems review. Health Systems in Transition. 2009, Copenhagen.
OECD/European Observatory on Health Systems and Policies 2019: Italy: Country Health Profile 2019, State of Health in the EU, OECD Publishing, Paris/European Observatory on Health Systems and Policies, Brussels