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2.3.3 Norwegen
ОглавлениеGrundstruktur
Norwegens Gesundheitssystem wird von einem öffentlichen Gesundheitsdienst dominiert, der auf regionaler sowie auf lokaler/kommunaler Ebene umgesetzt wird. Die Absicherung im Krankheitsfall umfasst dabei obligatorisch alle Einwohner. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist sowohl zentralstaatlich als auch kommunal organisiert. Hinsichtlich der zu Beginn des Abschnittes 2.3 erwähnten Tendenz zur Re-Zentralisierung (auch) des Gesundheitswesens in den skandinavischen Ländern war Norwegen der Vorreiter: Bereits seit dem Jahr 2002 ist der Zentralstaat für die Krankenhausversorgung verantwortlich, die von den regionalen Gesundheitsbehörden organsiert wird; die Kommunen tragen die Verantwortung u.a. für die ambulante Versorgung. Die Absicherung über private Krankenversicherungen ist in Norwegen vergleichsweise unbedeutend; weniger als fünf Prozent der Bevölkerung verfügen über eine ergänzende private Zusatzversicherung.
Finanzierung
Norwegen hatte im Jahr 2017 kaufkraftbereinigt mit umgerechnet 6.064 US-Dollar die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit in der EU und nach den USA und der Schweiz die dritthöchsten aller OECD-Staaten. Auch bezogen auf das durchschnittliche jährliche Wachstum dieses Indikators über die letzten zehn Jahre liegt Norwegen mit einem Plus von 4 Prozent p.a. im europäischen Spitzenfeld. Beim Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP liegt Norwegen mit einem Wert von 10,4 Prozent ebenfalls über den Vergleichswerten der EU bzw. der OECD, allerdings im Ranking nicht ganz so weit vorne wie bei der Kennzahl „Gesundheitsausgaben pro Kopf“. Mit rund 85 Prozent hat Norwegen darüber hinaus auch den höchsten öffentlichen Finanzierungsanteil aller OECD-Staaten; dort beträgt der Anteil der öffentlichen Finanzierung im Durchschnitt rund 73 Prozent. Der privat finanzierte Anteil der gesamten Gesundheitsausgaben in Norwegen hat sich hingegen in den letzten Jahren sogar rückläufig entwickelt. Er liegt aktuell bei 15 Prozent und geht nahezu ausschließlich auf die Ausgaben privater Haushalte zurück. Die private Krankenversicherung spielt bei der Finanzierung der Gesundheitsausgaben hingegen keine substanzielle Rolle.
Die Finanzierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes erfolgt aus allgemeinen, nicht zweckgebundenen Steuermitteln des Zentralstaats und der Kommunen sowie aus dem Sozialversicherungsbeitrag. Dieser wird als Globalbeitrag für alle sozialen Sicherungssysteme erhoben, ist nicht zweckgebunden und hat damit ebenfalls steuerähnlichen Charakter. 2019 betrugen die Beitragssätze zur Nationalen Sozialversicherung 8,2 Prozent für Arbeitnehmer, 11,45 Prozent für Selbstständige und 5,1 Prozent für Rentner. Der Arbeitgeberanteil variiert regional zwischen 0 und 14,1 Prozent. Im Ergebnis werden 74 Prozent aller Gesundheitsausgaben Norwegens aus Steuern und rund 11 Prozent aus Mitteln der Sozialversicherung getragen. Das Parlament entscheidet jeweils im Dezember, wie hoch die öffentlichen Gesundheitsausgaben im Folgejahr maximal sein dürfen. Die Kommunen verfügen über ein gewisses Ausmaß an eigener Steuerhoheit und können bzw. müssen so bei unterjährig steigenden Gesundheitsausgaben entsprechend reagieren.
In Norwegen ist nur bei stationärer Versorgung keine Selbstbeteiligung fällig. Bei der Konsultation eines Hausarztes hingegen fallen umgerechnet 15 Euro an Gebühr an. Im Falle eines Facharztbesuchs sind es umgerechnet rund 34 Euro. Für die grundsätzlich verordnungsfähigen, verschreibungspflichtigen Medikamente, die auf einer Positivliste geführt werden, ist zudem eine Zuzahlung von 39 Prozent der Kosten bis zu einer Grenze von umgerechnet rund 50 Euro im Quartal erforderlich. Für alle Selbstbeteiligungen im ambulanten Bereich gilt dabei eine Jahreshöchstgrenze von 227 Euro (alle Zahlen 2020); diese Grenze der wird jährlich vom Parlament neu festgesetzt. Nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel sind üblicherweise vollständig selbst zu bezahlen – ebenso wie die zahnärztliche Versorgung für Erwachsene bis zu einer Jahreshöchstgrenze von 200 Euro. Bezieher von Mindestrenten sowie Kinder bis zum Alter von 16 Jahren sind von den meisten Zuzahlungen befreit. Ausnahmen sind zudem für Patientengruppen mit bestimmten Krankheiten (z.B. HIV) vorgesehen.
Leistungen
Auch in Norwegen gibt es keinen festgeschriebenen Leistungskatalog des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Dieser bietet jedoch eine große Bandbreite an Versorgungsleistungen; sie reichen von Präventionsmaßnahmen über die ambulante und stationäre Versorgung sowie die Arzneimittelversorgung bis zu Heilmitteln wie beispielweise Physiotherapie. Zahnärztliche Behandlung ist nur bei Kindern und Jugendlichen bis zum Alter von 20 Jahren Teil des Leistungskatalogs. Bei Erwachsenen hingegen wird sie nur in Ausnahmefällen finanziert. Auch Zahnersatz und Sehhilfen sind im Regelfall nicht im Leistungskatalog enthalten; begrenzte Leistungen gibt es in einigen medizinisch begründeten Ausnahmefällen.
Daneben gibt es in Norwegen auch Geldleistungen bei Krankheit und Mutterschaft sowie bei berufsbedingten Unfällen. Diese Leistungen verantwortet und finanziert die nationale Sozialversicherung.
Organisation der Versorgung
Für die Sicherstellung und Organisation der ambulanten medizinischen Versorgung in Norwegen sind grundsätzlich die Kommunen zuständig, die im Hinblick auf diese Aufgabe eine große Gestaltungsfreiheit genießen, die zuletzt auch nochmals bekräftigt bzw. gestärkt wurde.
Im Regelfall schließen die Kommunen für die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung Verträge mit selbstständigen Allgemeinärzten ab, die in der Regel in Gemeinschaftspraxen arbeiten. Jeder Bürger soll sich für einen Hausarzt entscheiden und sich bei diesem einschreiben; er hat dabei die freie Arztwahl (allerdings höchstens zwei Mal im Jahr). Einen Zwang zur Einschreibung in dieses Hausarztsystem gibt es zwar nicht, wohl aber finanzielle Anreize, weil Personen, die nicht daran teilnehmen, höhere Zuzahlungen beim Hausarztbesuch entrichten müssen. De facto sind über 99 Prozent der Bevölkerung bei einem Hausarzt eingeschrieben. Den Hausärzten kommt die Gatekeeperfunktion zu, denn eine Übernahme der Kosten der fachärztlichen Behandlung durch den öffentlichen Gesundheitsdienst erfolgt grundsätzlich nur, wenn dieser eine Überweisung durch den Hausarzt vorausgegangen ist (Ausnahme ist die Notfallambulanz). In den vergangenen Jahren gab es auch in Norwegen Bemühungen, den integrierten bzw. interdisziplinären Ansatz in der Primärversorgung zu stärken – um so insbesondere den Bedarfen von chronisch kranken und alten Menschen im Versorgungsalltag besser Rechnung tragen zu können.
Die ambulante fachärztliche Versorgung findet in Norwegen meist in den Krankenhäusern statt. Nur rund ein Viertel der gesamten ambulanten fachärztlichen Behandlungen wird von niedergelassenen Spezialisten durchgeführt, die einen Vertrag mit der jeweiligen regionalen Gesundheitsbehörde haben. In Norwegen gibt es vier dieser regionalen Verwaltungseinheiten, die direkt dem Gesundheitsministerium und damit dem Zentralstaat unterstellt sind. Bei ihnen liegt der Sicherstellungsauftrag für die stationäre/fachärztliche Versorgung. Die Krankenhäuser sind im Regelfall als öffentliche Stiftungen organisiert und rechtlich selbstständig, unterliegen aber der Aufsicht der jeweiligen regionalen Gesundheitsbehörde. Zudem gibt es auch einige wenige private bzw. gemeinnützige Krankenhäuser, die einen Versorgungsvertrag mit einer der vier regionalen Gesundheitsbehörden abgeschlossen haben. Norwegische Patienten können frei zwischen den Krankenhäusern wählen. Seit einiger Zeit gibt es Bestrebungen, die norwegischen Krankenhäuser in Netzwerken zusammenzuschließen, um so mehr Kooperation in der stationären Versorgung bzw. zwischen den Häuser verschiedener Versorgungsstufen zu etablieren.
Im europäischen Vergleich fällt die Bettendichte in Norwegen – ebenso wie in den anderen skandinavischen Ländern – eher unterdurchschnittlich aus: Während es 2017 im Durchschnitt aller EU-Staaten 5,0 Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner gab, waren es in Norwegen 3,6 Betten. In Bezug auf die Arztdichte und die Versorgungsdichte mit Krankenpflegepersonal liegt Norwegen jeweils weit über dem europäischen Durchschnitt; bei der Arztdichte nimmt Norwegen mit 4,7 Ärzten je 1.000 Einwohner einen OECD-Spitzenplatz ein.
Zuständige Behörden im Internet
Ministerium für Gesundheit und Pflege: www.regjeringen.no
Norwegische Gesundheitsbehörde: www.helsedirektoratet.no
Vertiefende Literatur
Morgan, D./Gmeinder, M./Wilkens, J. 2017: An OECD Analysis of Health Spending in Norway. OECD Health Working Paper. OECD Publishing, Paris.
Lindahl, A.K. 2017: The Norwegian Health Care System, in: Mossialos, E. et al. (Eds.): International Profiles of Health Care Systems. Commonwealth Fund. Washington. 133–141.
OECD/European Observatory on Health Systems and Policies 2019: Norway: Country Health Profile 2019, State of Health in the EU, OECD Publishing, Paris/ European Observatory on Health Systems and Policies, Brussels.
Sperre Saunes, I. et al. 2020: Norway. Health system review. Health-Systems in Transition, Copenhagen.