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2.2.2 Spanien
ОглавлениеGrundstruktur
Spanien verfügt seit Mitte der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts über einen für die gesamte Bevölkerung zugänglichen öffentlichen Gesundheitsdienst („Sistema Nacional de Salud“, SNS). Zuvor basierte das spanische Gesundheitssystem auf einer beitragsfinanzierten Sozialversicherung, die allerdings nur etwa 80 Prozent der Bevölkerung absicherte. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist seit 2002 vollständig regionalisiert. Seit diesem Zeitpunkt liegt die Verantwortung für die Planung, die Bereitstellung und die Qualitätssicherung der Versorgung bei den 17 Regionalregierungen bzw. den 17 regionalen Gesundheitsbehörden. Diese treten gleichermaßen als Versicherungs- wie als Finanzierungsträger auf und sind für diese Aufgabe mit einer weitgehenden Finanzautonomie ausgestattet. Der interregionale Rat, dem neben dem spanischen Gesundheitsminister auch die Gesundheitsminister der 17 autonomen Regionen angehören, koordiniert, reguliert und überwacht auf zentralstaatlicher Ebene die Ergebnisse des SNS. Ferner obliegt der Zentralregierung die Rahmengesetzgebung für den SNS.
Neben dem öffentlichen Gesundheitsdienst existieren für die 2,2 Mio. Versicherten des öffentlichen Dienstes bzw. der Armee noch obligatorische, ergänzende Versorgungssysteme, die eine Reihe von Privilegien in der medizinischen Versorgung mit sich bringen.
Finanzierung
Im Jahr 2017 lag der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP in Spanien bei 8,9 Prozent und somit unter dem Schnitt aller EU-Länder (9,8 Prozent) und nahezu exakt beim Durchschnitt aller OECD-Staaten. Bis 2010 war dieser Wert in Spanien noch deutlich höher. Im Zuge der Finanzkrise kam es zwischen 2009 und 2015 jedoch zu einem Rückgang der öffentlichen Gesundheitsausgaben um 12 Prozent. Auch die Gesundheitsausgaben pro Kopf liegen in Spanien mit 3.224 US-Dollar unter dem Schnitt aller EU-Staaten (rd. 4.050 US-Dollar). Die Austeriätspolitik der letzten Jahre spiegelt sich auch in dem durchschnittlichen jährlichen Wachstum der realen Gesundheitsausgaben pro Kopf zwischen 2007 und 2017 wider, dieses fällt mit einem jährlichen Plus von 1,7 Prozent im internationalen Vergleich sehr moderat aus.
Mit einem Anteil der öffentlichen Ausgaben an den Gesamtausgaben für Gesundheit in Höhe von rund 71 Prozent liegt Spanien 2017 nahe am Durchschnitt aller OECD-Staaten (73 Prozent). Direktzahlungen der privaten Haushalte finanzierten 2017 weitere 24 Prozent der Gesamtausgaben, dieser Anteil lag deutlich über dem Durchschnitt aller EU-Staaten (15,8 Prozent). Die privaten Krankenversicherungen trugen ihrerseits rd. 5 Prozent zu den Gesamtausgaben bei.
Die Finanzierung des spanischen Gesundheitswesens erfolgte bis weit in die 1980er-Jahre dominant durch Sozialversicherungsbeiträge, wird aber mittlerweile hauptsächlich (zu 95 Prozent) über allgemeine Steuern sowohl auf zentralstaatlicher als auch auf regionaler Ebene sichergestellt: Der Zentralstaat stellt den Regionen zur Erfüllung ihrer gesundheitspolitischen Aufgaben steuerfinanzierte Zuweisungen zur Verfügung, die anhand einer – am Versorgungsbedarf orientierten – Verteilungsformel für jede Region kalkuliert werden. Die Regionen finanzieren ihre Aufgaben überdies aus verschiedenen Steuern, für die sie eine eigene Erhebungshoheit haben bzw. aus ihnen zustehenden Anteilen aus dem Einkommen- und Umsatzsteueraufkommen. Eine direkte Zweckbindung der Steuereinnahmen für Gesundheitsdienste existiert nicht, aber es gibt indikatorengestützte, bedarfsorientierte Vorgaben zum Mindestumfang der Mittel, die dem Gesundheitssektor zur Verfügung gestellt werden müssen.
Krankengeld und Mutterschaftsleistungen werden über die Sozialversicherung finanziert, die darüber hinaus die Risiken Alter, Invalidität und Arbeitsunfälle absichert. Die Finanzierung erfolgt über einen Globalbeitrag auf die Löhne in Höhe von 28,3 Prozent; davon tragen die Arbeitgeber 23,6 Prozent und die Arbeitnehmer 4,7 Prozent. Diese Beitragssätze gelten bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze von 3.751 Euro im Monat (alle Werte 2019).
Die ergänzenden Versorgungssysteme des öffentlichen Dienstes werden zu rd. 85 Prozent staatlich und zu rd. 15 Prozent aus Beiträgen der Beschäftigten finanziert (diese liegen zwischen 20 und 50 Euro pro Monat). Rund ein Fünftel der spanischen Bevölkerung verfügt zudem über eine private Krankenversicherung, die einen schnelleren Zugang zur Versorgung gewährleisten soll, bzw. Leistungen versichert, die der öffentliche Gesundheitsdienst nicht – oder aus Sicht der Betroffenen – nur unzureichend bereitstellt. Das gilt insbesondere für die zahnmedizinische Versorgung, die nicht Teil des Leistungspaketes des öffentlichen Gesundheitsdienstes ist.
Ambulante und stationäre Versorgung sowie Heil- und Hilfsmittel werden ohne Zuzahlungen erbracht. Dies gilt auch für verschriebene Arzneimittel, die zum Kernleistungspaket des SNS zählen. Zum Teil spürbare Zuzahlungen existieren allerdings bei Arzneimitteln, die den beiden „ergänzenden“ Leistungspaketen zuzurechnen sind (s.u.). Bei diesen fallen für Arbeitnehmer – je nach Einkommen – Zuzahlungen zwischen 40 und 60 Prozent an; ohne Belastungsgrenze. Geringere Zuzahlungsverpflichtungen gelten für Rentner: Je nach Rentenzahlbetrag liegen diese zwischen 10 und 60 Prozent des Arzneimittelpreises, hier gibt es auch Obergrenzen. Für chronisch Kranke gilt generell eine Zuzahlung von 10 Prozent bis zum Erreichen der Belastungsgrenze.
Leistungen
Der spanische Gesundheitsdienst stellt allen in den SNS eingeschlossenen Personen – d.h. 99,1 Prozent der Bevölkerung – ein relativ umfassendes Leistungspaket bereit. Dieses wird auf nationaler Ebene vom Gremium der Gesundheitsminister (s.o.) festgelegt. Es besteht aus einem Kernpaket und zwei „ergänzenden“ Leistungspaketen. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit zu regionalen Erweiterungen des Leistungspakets durch die autonomen Regionen.
Geleistet wird neben der ambulanten und stationären Versorgung auch für Prävention, Gesundheitsförderung, Palliativversorgung und Rehabilitation sowie für Arzneimittel und Heil- und Hilfsmittel. Letztere unterliegen zumindest jenseits des Kernleistungspakets hohen Zuzahlungen (s.o.). Die zahnmedizinische Behandlung im einheitlichen Leistungskatalog ist nur rudimentär abgedeckt, Kuren und Psychoanalyse sind ebenso wie Zahnersatz nicht im Leistungskatalog enthalten. Krankengeld und Mutterschaftsleistungen werden für abhängig Beschäftigte über die Sozialversicherung (s.o.) gewährt.
Organisation der Versorgung
Um die o.g. Gesundheitsdienstleitungen vor Ort anbieten zu können, schließen die regionalen Gesundheitsbehörden meist Jahresverträge mit den entsprechenden öffentlichen bzw. privaten Leistungserbringern. Die finanzielle Steuerung erfolgt regelmäßig anhand von Globalbudgets, die vor allem auf die von den Leistungserbringern zu versorgende Anzahl an Patienten/Einwohnern abstellen.
Die ambulante hausärztliche Versorgung wird in Spanien im Regelfall nicht durch niedergelassene Ärzte, sondern in den lokalen, öffentlich getragenen Gesundheitszentren erbracht, in denen – neben anderen Gesundheitsberufen (z.B. Physiotherapeuten) – die Hausärzte als abhängig Beschäftigte arbeiten. In Spanien gibt es mehr als 13.000 solcher Primärversorgungszenten. Diese betreuen im Durchschnitt rund 3.500 Patientinnen und Patienten. Die Wahl des Hausarztes ist innerhalb des jeweiligen Gesundheitsgebietes frei. Den Hausärzten kommt dabei grundsätzlich die Rolle des Gatekeepers zu: Sie überweisen zur fachärztlichen Versorgung. Anschließend wird vom Patienten erwartet, dass er sich erneut zum Hausarzt begibt, damit dieser die weitere Versorgung durchführt bzw. organisiert. In der Realität umgehen allerdings viele Spanier den Hausarzt und weisen sich selbst über die Notfallambulanzen in die Krankenhäuser ein, wo die fachärztliche Versorgung dann – sowohl ambulant wie stationär – auch tatsächlich überwiegend stattfindet.
Rund 40 Prozent der spanischen Krankenhäuser befinden sich in Trägerschaft des öffentlichen Gesundheitsdienstes, alle anderen werden von Kommunen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen oder privaten Unternehmen getragen. Im Regelfall sind die Krankenhäuser auch für die ambulante fachärztliche Versorgung geöffnet. Diese wird in Teilen des Landes aber auch in speziellen privaten Ambulanzkliniken erbracht, die keine Anbindung an ein Krankenhaus haben. Prinzipiell gibt es für elektive Eingriffe das Recht zur freien Krankenhauswahl; obwohl dies in der Versorgungspraxis selten in Anspruch genommen wird.
Spanien verfügt über deutlich weniger Betten je 1.000 Einwohner als der Durchschnitt der EU-Staaten (3,0 zu 5,0, Werte des Jahres 2017). Dies ist auch ein Indikator dafür, dass das spanische Gesundheitssystem trotz der jüngsten Reformbemühungen in Richtung integrierter Versorgung immer noch einen Schwerpunkt in der Primärversorgung hat.
Ähnlich wie in Italien und Griechenland ist das spanische Gesundheitssystem eher arztzentriert: Die Anzahl der Ärzte pro 1.000 Einwohner war 2017 mit 3,9 etwas höher als der EU-Schnitt, während das Verhältnis von Pflegekräften zu Einwohnern deutlich unter dem EU Durchschnitt lag (5,7 pro 1.000 Einwohner in Spanien vs. 8,5 pro 1.000 Einwohner im Schnitt der EU-Staaten).
Zuständige Behörde im Internet
Ministerium für Gesundheit und Verbraucherschutz: www.msc.es
Vertiefende Literatur
Bernal-Delgado, E.S. et al. 2018: Spain. Health system review. Health Systems in Transition, Copenhagen.
OECD/European Observatory on Health Systems and Policies 2019: Spain: Country Health Profile 2019, State of Health in the EU, OECD Publishing, Paris/European Observatory on Health Systems and Policies, Brussels