Читать книгу Morality and fear - Martin Wannhoff - Страница 10

1930

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Eines Abends betrat ein Mann die Bar. Er war lang und schlank, schwarzhaarig, leicht gebräunte Haut, Ende 20 und mit einer abgetragenen Arbeitsjacke bekleidet. Er wirkte angespannt. Ob es einer von Massimos Leuten war?

Giovanni wurde misstrauisch. Er kannte ihn nicht, also behielt er diesen Gast im Auge, obwohl er hinter dem Tresen mehr als beschäftigt war.

Giovanni war ein fast kahler Italiener, Ende 40 und übergewichtig. Er schwitzte stark, weshalb sein Gesicht das Licht des Tresens seltsam reflektierte. Er trug hinter der Bar immer einen weißen Kittel und eine karierte Schürze. Sein Gesicht war stets rot angelaufen und machte durch das reflektierende Licht einen fleischigen Eindruck. Der auffällig nervöse Gast bestellte sich mehrere doppelte Whisky und bat dann, Don Sansone sprechen zu dürfen. Der Verdacht erhärtete sich und Giovanni wurde noch vorsichtiger. Er wollte und durfte ihn nicht zu Sansone ins Hinterzimmer schicken. Doch dem ständigen Bitten des Mannes gab er schließlich nach. Als keine Gäste mehr da waren, filze er ihn gründlich und ging selbst nach hinten, um dem Don über den Gast zu informieren. Erst als er sagte, dass es sich bei ihm um einen Italiener handelte, war Sansone bereit, sich von seinen Büchern zu erheben und sich gediegen in den Speisesaal zu begeben. Giovanni wies auf den Mann an der Bar. Mit einer Handbewegung wies ihn der Don an, herüber zu kommen und sich an einen der Tische zu setzen. Sansone zog dieses Spiel nicht das erste Mal ab. Bei Stevenson war es ganz ähnlich abgelaufen, auch wenn der Don dieses Mal allein war. Er wusste sein Gegenüber einzuschüchtern und Giovanni spielte das Spiel mit. Dieser brachte dem Don und seinem Gast jeweils ein halbvolles Weinglas mit einem guten Chianti, steckte dem Don eine Zigarre in den Mund und zündete ihm diese an. Eine Weile sah er den Mann an, der wie ein Häufchen Elend vor ihm hockte und nicht wusste, was er sagen sollte. Sansone genoss es, seinem Gegenüber vor lauter Angst den Atem zu rauben. Eine perfekte Inszenierung grenzenloser Macht mit spürbarer

Lebensgefahr, die Sansone aber nicht zu offen zeigte. Denn trotz dieser Machtdemonstration gab er sich betont freundlich. Er nahm die Zigarre aus dem Mund in die rechte Hand und faltete sie ineinander. Da sein Gegenüber kein Wort herausbrachte, begann Sansone schließlich das Gespräch:

„Wie heißt du, mein Junge?“

Aurelio Frattini war ein waschechter Sizilianer. Das verrieten Statur, Akzent und auch sein Name. Er war vor vier Jahren in die Staaten gekommen und hatte für eine Autowerkstatt gearbeitet. Er walzte Karosserieteile, hauptsächlich Kotflügel. Die erlitten des Öfteren im Straßenverkehr kleinere Blessuren. Seit dieser Zeit hatte er heimlich gespart, nur von Wasser und Brot gelebt, weil er das Potenzial des Autos erkannt hatte. Die Zahl der Automobile würde in den nächsten Jahren enorm zunehmen. Er spekulierte darauf, dass Autowerkstätten sehr bald wie Pilze aus dem Boden schießen würden, und bei diesem Trend wollte er einer der ersten sein. Da alle Welt an der Börse ein kleines Vermögen zu verdienen schien, wurde auch er darauf aufmerksam. Und so hatte er sich noch im August 1929 bei der „Bank of America“ einen Kredit über 25.000 Dollar geben lassen, um seine Werkstatt in Little Italy aufzubauen. Nach dem fatalen Börsencrash vom 24. Oktober 1929 forderte die Bank ihre Privatkredite zurück.

Innerhalb einer Woche hatte er die ganze Summe samt Zinsen aufzutreiben. In vier Tagen würde die Frist ablaufen, dann würde man seine Werkstatt pfänden. In seiner Not wandte er sich an Sansone. Dieser sah ihm seine Verzweiflung an: Aurelio rann gerade alles durch die Finger.

Es war eine unter Alkohol getroffene Entscheidung, Sansone aufzusuchen. Er hatte sich in keinster Weise auf das Gespräch vorbereitet, die Hände waren dreckig und er roch nach geschweißtem Metall und Schmierfett.

„Aurelio, warum bist du nicht gleich zu mir gekommen? Warum hast du dir erst bei der „Bank of America“ Geld geliehen?

Glaubst du vielleicht, ich bin ein größerer Verbrecher als die?

Glaubst du das? Glaubst du, dass ich kein rechtschaffener Amerikaner bin?“

Wie zur Salzsäule erstarrt saß Aurelio da und antwortete nicht. Sansone zog an seiner Zigarre, atmete erhaben und schaute an die Decke:

„Weißt du, Ich habe diesen Verbrechern noch nie über den Weg getraut. Sie haben die Kleinanleger beruhigt. Haben behauptet, dass man auf einem Langzeitplateau angekommen sei. Dabei wussten sie genau, was passieren würde.“

Offiziell hieß es, Sansone habe sein Geld an der Börse verdient. Er sei ein Gewinner, weil er seine Aktienanteile zum richtigen Zeitpunkt verkaufte. Dabei hatte er nie auch nur einen Cent in Wertpapiere investiert. Sein Reichtum hatte andere Quellen. Darüber wurde viel gemunkelt, aber man wusste nichts Genaues. Davon hatte sich dieser Kerl aus Palermo, wie Sansone auf Nachfrage erfuhr, nicht abbringen lassen. Frattini bat seinen Landsmann um 35.000

Dollar. Das war eine gewaltige Summe und zynisch fragte Sansone, ob er denn diese Summe jemals würde begleichen können.

„Tut mir leid, ich werde dir kein Geld geben, selbst wenn ich könnte. Ich will dir sagen warum: Du spazierst hier rein, belästigst meinen Barkeeper und verlangst dann diese ungeheure Summe von mir, von der ich nicht weiß, ob ich sie jemals wiedersehe. Schließlich kennen wir uns nicht. Wer sagt mir, dass du nicht irgendein kleiner Gauner bist, der einen rechtschaffenen Mann um eine ganze Stange Geld erleichtern will?“

Obwohl diese Worte hart und abweisend waren, hatte er insgeheim bereits beschlossen, ihm zu helfen. Aurelio war flüssiges Wachs in seinen Fingern. Wenn er ihm aus einer solchen Misere rettete, würde er ein Leben lang dankbar dafür sein müssen. Um diese Dankbarkeit ging es Sansone.

Sie war mit Gold nicht aufzuwiegen. Von Leuten, die derart in seiner Schuld standen, würde er erbitten können was er wollte: er würde es bekommen. Das allein war Sansone das Risiko wert. Es interessierte ihn noch nicht einmal Aurelios Werkstatt, da er ja in Gildo bereits jemanden hatte, der sich um seinen Fuhrpark kümmerte. Ihm ging es um den Menschen, den er mir seiner Großzügigkeit für sich vereinnahmte.

„Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, Don! Sie werden Ihr Geld zurückbekommen, doch ich bitte Sie, mir zu helfen!“

Hilfe, sagte der Don, wollten sie alle. Doch wie sah es mit den Sicherheiten aus? Wie könne er ihm vertrauen, ohne dass er ihn näher kannte? Aurelio war mit diesen Fragen offensichtlich völlig überfordert. Sansone druckste noch eine Weile herum, als ob er mit sich ringen würde. Dann willigte er schließlich, gespielt zögernd, ein. Aurelio konnte sein Glück kaum fassen. Sansone fügte unter diesen mündlich geschlossenen Vertrag noch eine wesentliche Klausel:

„Heute helfe ich dir. Ich erwarte von dir, dass du mir genauso hilfst, wenn einmal der Tag kommt, an dem ich dich um eine kleine Gefälligkeit bitten muss.“

Eine seltsame Rede. Wenn er jetzt einwilligte, könnte der Don in Zukunft alles von ihm verlangen. Er würde sich dem nicht widersetzen können. Das begriff Aurelio nicht, als er hoch und heilig versprach, immer zur Stelle zu sein, wenn der Don seine Hilfe bräuchte. Glücklich bedankte er sich für das Entgegenkommen und so machten sie für den kommenden Donnerstag einen Termin aus. Sansone würde das Geld persönlich mitbringen. Sie umarmten sich wie zwei enge Freunde, dann verließ Aurelio die Bar. Er hatte nichts Verbindliches in der Hand. Keinen Scheck, keinen Vertrag, nichts. Nur den Handschlag des Dons.

Von diesen Dingen wusste Stevenson nichts. Sansone forderte ihn nur zwei Tage später auf, seinen Wagen mit dem F8 zu eskortieren. Es ging ans andere Ende von Little Italy. Zusammen mit einer Handvoll weiterer bewaffneter Männer besah sich Sansone die Werkstatt, die er quasi als sein Eigentum betrachtete. Er war nicht begeistert von dem, was er vorfand. Über eine Hofeinfahrt durch ein Mietshaus ging es in einen verlotterten Innenhof. Er war holprig gepflastert und mit schimmligen Holzlatten abgegrenzt, so dass man nicht in die Nachbargrundstücke sehen konnte. Es stand ein modriger Geruch in der Luft. Der Geruch von Benzin und Öl mischte sich bei. Unrat sammelte sich in den Nischen. In der Mitte des Hinterhofes befand sich die Werkstatt. Sie war in ihrem Grundriss trapezförmig und sehr klein. Mehr als drei Autos brachte Aurelio in seiner Werkstatt nicht unter. Die Lagerhalle für Kohlebriketts, aus Wellblech gebaut, hatte er notdürftig gereinigt und ausgebaut. Zu den größeren Umbaumaßnahmen gehörten das elektrische Rolltor sowie ein Wartungsschacht im Boden. Werkzeug, Elektrik, zwei hydraulische Hebebühnen und ein kleiner Kran in der hinteren Ecke gehörten ebenso zu seinem Equipment wie ein Abschleppwagen, den er zwar besaß, aber noch nicht vor seiner Werkstatt stehen hatte.

Sansone, Silvio, Luigi, Nuncio, Peter, Patricio und Stevenson betraten sichtbar bewaffnet die Halle. Zuerst erstarrte Aurelio vor Schreck, dann aber sah er, dass Sansone einen Koffer bei sich hatte. Diesen legte er auf eine Mauerbrüstung und begann vorzurechnen. 250 Dollar würde er wöchentlich zurückzuzahlen haben, wobei die erste Rate in einem Monat fällig werden würde. Über 5 Jahre sollte das so laufen, so dass Aurelio im Laufe der Zeit 65.000 Dollar an Sansone abführen musste. Als er die Summe hörte, wurde ihm schwindelig. Doch sein Zustand besserte sich sofort, als Sansone den Koffer öffnete.

Abermals bedankte er sich, küsste ihm die Hand und umarmte ihn. Noch am selben Tag brachte er das Geld zur Bank und war zumindest vorerst an einer Schließung vorbeigekommen.

Die ersten Raten konnte er noch ohne Probleme zahlen. Mit der Zeit hatte er Schwierigkeiten, jede Woche das Geld zusammenzukratzen. Manchmal tat es ihm nicht weiter weh.

In anderen Wochen gingen drei Viertel seiner Einnahmen an Sansone. Wieder lebte er nur von Wasser und Brot. Und richtig schlimm wurde es, wenn er neues Werkzeug anschaffen musste. Ab und an blieb er 30 bis 50 Dollar schuldig, zahlte diese aber nach. Das Wasser stand ihm bis zum Hals, als auch noch eine der Hebebühnen den Geist aufgab und er die Kosten für eine Reparatur beim besten Willen nicht übrighatte. Schließlich war die kriminelle Energie in ihm stark genug. Das begann damit, dass er Benzin von den Tankstellen stahl und unter der Hand weiterverkaufte. Das waren aber aufgrund des niedrigen Ölpreises nur sehr geringe Summen, die er damit zusätzlich einspielte. Mit zwei anderen ging er das dann etwas größer an. In nur einer Nacht zapften sie an allen acht Tankstellen in der Stadt unbemerkt Benzin ab. Ein Coup, bei dem immerhin eine schöne dreistellige Summe herauskam.

Allerdings musste er seine Helfer bezahlen, um sich ihrer Loyalität sicher zu sein. So blieben ihm nur 150 Dollar. Das reichte aber, um die Hebebühne wieder klar zu machen.

Auch Alkohol verkaufte er unter der Hand. Doch war er als Händler zu klein, um dieses Geschäft rentabel funktionieren zu lassen. Außerdem gab ihm einer der Capos mal einen Warnschuss ab, er solle sich nicht in anderer Leute Branchen einmischen. Später stellte er sich ein loyales dreiköpfiges Team zusammen, knackte Autos und verkaufte sie meist ins Landesinnere oder nach Kanada. Er hatte mächtig zu rudern, aber irgendwie kam er über die Runden, trotz der Tatsache, das Sansone ihm nie auch nur einen Cent seiner Schuld erließ.

Morality and fear

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