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Erstes Intermezzo 1939

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So war er zwischen die Fronten zweier sich rivalisierender Mafiaclans geraten. Das Leben bei Sansone schien auf den ersten Blick viele Vorteile zu haben. Als armer Taxifahrer kämpfte er jeden Tag um seine Existenz und niemand scherte sich um sein Schicksal. Die harten, entbehrungsreichen Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen.

So kam es, dass er trotz seines Alters den Mythos vom amerikanischen Traum für einen Schwindel hielt. Er sah sich um seine Möglichkeiten betrogen. Nun war er durch einen Akt der Gewalt um seine karge Existenz gebracht worden. Da ihn kein soziales Gefüge auffing, stand er buchstäblich vor dem Nichts. Er hatte die Wahl, sich damit abzufinden, oder unter dem Schutz Sansones noch einmal neu zu beginnen, Amerika von einer ganz anderen Seite kennen zu lernen.

Schon die Kleidung macht einen gehörigen Unterschied. Im Anzug wird man anders wahrgenommen als in gewöhnlicher Arbeitskleidung. Vor allem dann, wenn man eine Kanone mit sich führt. In diesem Fall allerdings ist es Angst, auf der die Anerkennung ruht. Sie kann verzerren, was die Leute wirklich von einem denken. Sie beeinträchtigt die Wahrnehmung von harmloser Meinungsverschiedenheit oder offener Feindseligkeit.

Anerkennung ist etwas, nachdem sich jeder Mensch sehnt und Aufgabe einer Gesellschaft ist es, den Einzelnen anzuerkennen, ihm ganz ohne Vorurteil seine Existenz zuzusprechen. Ihn freundlich willkommen zu heißen, zu tolerieren und ihm Platz zur persönlichen Entfaltung zu lassen. So gelingt es, Vertrauen herzustellen und Freundschaften über Kulturgrenzen hinweg zu ermöglichen. Gelingt dies, formt sich eine Gesellschaft, die miteinander und durcheinander reicher wird. So wächst Zusammenhalt und eine neue, gemeinsame Kultur entsteht, in der man voreinander keine Angst hat. Schafft eine Gesellschaft dies nicht, oder diskriminiert sie ihre Minderheiten sogar, bilden sich Parallelwelten, in denen die eigene Sprache gesprochen, der eigene Glaube gepflegt, die eigenen Traditionen für sich behalten werden. So entstehen Ghettos wie in Tryonee Harbour, einer Stadt, in der Italiener, Chinesen, Araber und Juden jeweils für sich lebten. Das ist in der Regel von Nachteil, denn es verhindert einen Kulturaustausch. Misstrauen entsteht, ein idealer Nährboden für meist völlig unbegründete Ängste.

Allerdings können diese Ghettos auch Brutstätten für organisierte Kriminalität sein und eine Gesellschaft versagt zur Gänze, wenn sie diese ausgegrenzten Minderheiten loswerden will, weil von ihnen möglicherweise eine Gefahr ausgehen könnte. Dann braucht es nur noch einen Funken und Angst sowie Misstrauen schlagen in offenen Hass um. Der Einzelne verachtet Menschen, die er gar nicht kennt. Wer kann einen solchen Weg ernsthaft gutheißen?

„Ich konnte mich auf die Mitglieder der Familie verlassen. So glaubte ich anfangs. Anders als allein zu leben und niemand schert sich um dein Leben. In ihr fand ich einen nie gekannten Zusammenhalt. Ich konnte kommen, wenn ich etwas brauchte oder mit jemandem Streit hatte. Ich verdiente bei Sansone auf Anhieb besser als in den besten Tagen meines Taxifahrerdaseins. Außerdem hatte ich mir in Massimo einen mächtigen Feind gemacht. Ich konnte jetzt nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen und so nahm ich dieses Angebot an. Ich würde aber lügen, wenn ich sage, ich hätte die Vorzüge nicht genossen. Ich arbeitete als Taxifahrer bis zu 18 Stunden am Tag. Bei Sansone war man zwar rund um die Uhr auf Abruf, doch die Arbeitszeiten hielten sich durchschnittlich bei 9-12 Stunden täglich in Grenzen. Ich hatte einen ganzen Haufen neuer Freunde gefunden und besaß auf einmal wieder ein echt schickes Auto. Es war wirklich nicht übel, ein Teil der Cosa Nostra zu sein.“

Detective Richardson hatte sich einen Notizblock hergenommen und einige Dinge mitgeschrieben. Unter anderem die Regeln (es waren 10), die ihm geschildert worden waren. Stevenson war ein interessanter Zeuge.

Zumindest das gestand ihm der Polizist jetzt zu. Er würde es ihm erlauben, einen tiefen Blick hinter die Kulissen der Mafia zu werfen. Vielleicht konnte er sogar herausfinden, warum sie so mächtig war. Wie gelang es ihr, selbst mächtige Staatsapparate zu korrumpieren? Er konnte sich gut in Stevenson hineinversetzen. Ob er selbst wohl anders gehandelt hätte? Und dennoch: Als Mörder wurde man nicht geboren. War das kriminelle Potenzial in Stevenson wirklich so groß gewesen, dass er ohne Probleme fremdes Eigentum beschädigen und einen Menschen schwer verletzen, ja sogar töten konnte? Hatte er keine moralischen Probleme damit? Konnte jeder Mensch zu einem solchen Tier werden, wenn man ihm nur entsprechende Regeln auferlegte? Dem Polizisten wurde ganz übel bei dem Gedanken, dass potenziell jeder aus Angst oder Loyalität morden konnte. Es war glaubhaft, dass so der erste Kontakt zur Mafia entstanden war. Antonio Sansone hatte ihm ein Angebot gemacht, dass er nicht ablehnen konnte und so wurde Stevenson über die Jahre immer tiefer in Kriminalität verstrickt. Auch wenn er sich jederzeit der Polizei hätte stellen können. Richardson malte sich die Schlagzeilen bereits aus. Der Polizist taute auf, die Skepsis schwand und er tauchte vollends ein in diese Welt, die ihm so fremd war.

Demonstrativ schlug er einen freundlichen Ton an. Er fragte, warum Stevenson so bereitwillig seine Zukunft in Sansones Hände gelegt hatte. Es war doch nun wirklich kein Geheimnis, dass es sich bei ihm um einen zwielichtigen Italiener handelte, der mit der Mafia zu tun hatte.

„Ich kannte den Namen, wusste, wo sich seine Bar befand, aber wusste nicht, wer er war und mir war auch egal, was er tat. Ich kannte durch das Taxifahren seine Lokalkette in Little Italy und Little Germany. Fakt ist jedenfalls, dass er mir in meiner schwierigen Lage geholfen hat. Das hat mich an ihn gebunden. Ich habe mich ihm verpflichtet gefühlt, weil er mir die Gangster vom Hals schaffte und noch mehr, weil er mir das Auto überließ, einfach so. Wie hätte ich mich jetzt noch herauswinden sollen? Auf seine hilfsbereite Art und Weise hat sich Sansone Freunde gemacht und die standen dann in seiner Schuld, was er sehr geschickt für sich zu nutzen wusste…

Morality and fear

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