Читать книгу Morality and fear - Martin Wannhoff - Страница 15
Zweites Intermezzo 1939
Оглавление„Sie machen Witze oder? Wie konntet ihr das schaffen? Ne Handvoll Gangster einfach abgeknallt und selber noch am Leben! Das war für Sansone eine fabelhafte Bilanz, oder?“
Stevenson nickte mit dem Kopf. Dass die Polizei gerufen wurde, hatte Richardson hellhörig gemacht. Er konnte nicht fassen, dass seine Kollegen nach so einem üblen Massaker einfach wieder abgezogen waren. Was war damals nur mit dem Polizeiapparat los? Wie konnte so etwas passieren, ohne dass höhere Beamte Verantwortung übernahmen und Ermittlungen einleiteten? Es war unbegreiflich, dass eine solche Auseinandersetzung einfach so in den Akten „verlorenging“. Es hätte Berichte, Tatortbeschreibungen, Fotos und Zeitungsartikel geben müssen. Aber nichts dergleichen war geschehen. Nicht einmal die Namen der Toten hatte man erfasst.
„Sie sind doch Polizist, Detective. Sie wissen genauso gut wie ich, das Sansone die ganze Stadt kontrolliert und mit diesem Geschäft mittlerweile über 25 Millionen Dollar im Jahr macht.
Die Polizei ist nur eine Marionette, damals wie heute. Ihre Kollegen und Vorgesetzten hier in der Stadt bekamen während der Prohibition Alkohol zum Einkaufspreis, und kassierten monatlich dicke Prämien von Sansone und Massimo für besondere Dienste. Verfahren eingestellt… aus Mangel an Beweisen. Man musste nur die richtigen Leute kaltstellen. In jenen Tagen reichte es aus, mit dem Verlust des Jobs zu drohen.
Dann hörten die Cops auf, in Dingen wie diesen zu ermitteln.
So war das Leben für alle Beteiligten angenehmer. Wissen Sie, wer Geld hat, besitzt auch Macht. Sansone hat heute enormen Einfluss auf den Stadtrat. Und um 1930/31 zahlte Massimo dem Stadtratsvorsitzenden Oregan zehn Riesen im Monat, nur um an interne Informationen aus dem Rathaus zu kommen. Außerdem konnte er über ihn Einfluss auf die Beschlüsse des Stadtrates nehmen. Morello war uns damit immer einen Schritt voraus.
Wir erfuhren die Dinge aus der Zeitung während er sogar wusste, wann und wo eine geheime Razzia geplant war.“
Die Schäden, die durch Korruption entstehen, sind nicht zu beziffern. Es gibt verschiedene Formen. Korruption in der Politik etwa ist eine der schlimmsten Formen des Betruges, weil es der ganzen Gesellschaft schadet, und schlimmstenfalls keiner einzigen Person etwas bringt. Der bestochene Politiker ist auf ewig verdammt dazu, sich dieser Hand auszusetzen, die ihn bestach. Der damit verbundene Amtsmissbrauch durch Vorteilsnahme ruiniert binnen kürzester Zeit das Vertrauen in die etablierte Politik. Das kann im schlimmsten Fall radikalen Kräften zu Macht verhelfen, die die Werte des Westens torpedieren. Bei der Vergabe von Bauaufträgen können Unternehmen bevorteilt werden, die Leistungen schlechter als andere oder gar nicht erbringen. Es werden Preise ausgehandelt, von denen jeder weiß, dass diese nicht zu halten sind. Beim Bau von öffentlichen Gebäuden zieht das fatale Kostenexplosionen nach sich. Es bleibt dann nur zu hoffen, dass der Korruptionsvorgang aufgedeckt wird. Bleibt er im Dunkeln, ist das Bauwerk nicht nur viel teurer als geplant, sondern könnte zudem erhebliche bauliche Mängel aufweisen. Auch im Gesundheitswesen sind die Schäden immens. In vielen Ländern der Erde ist es ganz normal, das Krankenhaus zu bestechen, um einen OP-Termin zu erhalten. Trinkgelder beim Pflegepersonal führen leicht dazu, eine Zwei-Klassen-Medizin zu etablieren, bei der die Kosten für eine medizinische Leistung in die Höhe schnellen und für die meisten in unerreichbare Ferne rücken. In jedem Fall sind alle die Leidtragenden. Vom Vertrauensverlust der Korrumpierten gar nicht zu reden. Eine Bekämpfung kann schier unmöglich sein vor allem dann, wenn in den ausführenden Staatsorganen von vornherein kein Vertrauen herrscht.
Der geduldige Schreibblock des Polizisten hatte jetzt ein genaues System. Den groben Fakten ordnete er Namen, Jahreszahlen und Auftraggeber zu. Zu den Mafiagesetzen wollte er aber doch noch ein paar ausführlichere Informationen. Woher kamen diese Gesetze und wer setzte sie vor welcher Instanz durch?
1. Der Cosa Nostra ewige Treue zu schwören bedeutete, dass man sie nie wieder verlassen konnte. Wer einmal dieses Leben begonnen hatte, war bis ans Ende seiner Tage gefangen.
2. Dieser Apparat funktionierte nur, wenn man Respekt vor seinem Boss hatte, keine Fragen stellte und tat, was einem aufgetragen wurde. Der Respekt vor dem Don und die Angst, in der Familie das Gesicht zu verlieren, mussten größer sein als der Respekt vor dem Gesetz und die Angst vor einer Gefängnisstrafe. Verlor der Don den Respekt seiner Leute, wurden sie unzuverlässig. Das Regelwerk brauchte jemanden mit Autorität, der es durchsetzte.
3. Da die Mafia ein Geheimbund war, konnte nicht jeder Mitglied werden. Man gelangte nur über die Bekanntschaft der Capos (in Stevensons Fall waren es Nuncio und Luigi) in die Organisation. Wer sich selbst für eine Mitgliedschaft empfahl, wurde dezent überhört. Andere mussten den Kandidaten beim Don persönlich empfehlen. Sie wurden dann noch im Vorfeld sehr gründlich durchleuchtet und es gab präzise Regeln, wer reindurfte und wer nicht. Hatte der Anwärter beispielsweise Verwandte bei der Polizei, war ihm der Weg schon versperrt. So wollte man Geheimdiensten vorbeugen, die versuchten, sich in die Organisation einzuschleusen. Ein Capo bürgte nämlich mit seinem Leben für die Mitgliedschaft derer, die er angeworben hatte. Luigi hatte Stevenson in die Familie gebracht und dessen Bürgschaft übernommen. Baute einer von ihnen Mist, wurde der Bürge häufig angewiesen, das neue Mitglied selbst zu töten. Tat er das nicht, wurde er mit bestraft. Da ging es wirklich ans Eingemachte. Zum Beispiel tat man seiner Frau Gewalt an, oder brachte dessen Kind um. Man steckte die Wohnung in Brand, oder trieb ihn mit permanenter Überwachung in den Wahnsinn. Es kam aber auch vor, dass sie mit ihrem Leben bezahlten. Capos achteten also sehr genau darauf, wen sie beim Don empfahlen und wen nicht.
4. Rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen bedeutete, dass es keine geregelten Arbeitszeiten gab. Und wenn man am Grab der Mutter stand: Wenn der Don rief, hatte man zu erscheinen. Wer dem nicht nachkam, riskierte seine Gunst, sein Ansehen und sogar sein Leben.
5. Die Frauen zu respektieren hatte, oberflächlich betrachtet, einen hohen moralischen Wert. Auf den zweiten Blick jedoch erkannte man auch hier geschäftliches Kalkül. Wer Streit zuhause mit der Frau hatte, war in seiner Seele angeschlagen und arbeitete weniger effizient. Noch schlimmer wurde es, wenn man sich die Frau eines Familienmitgliedes anlachte. Eine derartige Respektlosigkeit ließ sich niemand bieten. So etwas machte man nicht. Und wenn doch, dann war derjenige nicht ganz dicht.
6. Diese Regel verlangte, dass man die Wahrheit zu sagen hatte. Das war absolut unmöglich einzuhalten. Denn das Leben in der Mafia basierte auf Lügen. Man konnte niemandem vertrauen, wusste nie, woran man beim Don war. Man musste sich seine Gunst immer wieder neu erkämpfen, indem man sich selbst in ein gutes Licht stellte, andere aber nach Möglichkeit anschwärzte. Die Wahrheit sagte man also nur, wenn es einem selbst nützte.
7. Nochmals verlangte man Zuverlässigkeit: Ein Mitglied der Mafia musste funktionieren wie ein Schweizer Uhrwerk.
Man sollte von den Mafiosi sagen können, dass sie ehrliche Leute waren, keinesfalls gefährliche Gangster. Damit verbunden war eben auch die Aufforderung, seine getroffenen Vereinbarungen einzuhalten. Ganz besonders dann, wenn sie innerhalb der Familie getroffen wurden.
8. Es gab verschiedene Gründe, warum die sizilianische Mafia offiziell dem Drogenhandel entsagte. Ein maßgeblicher Grund war es, unter dem Radar der Ermittler zu operieren. Manche Dinge tolerierte die Polizei, aber nicht alles. Alkohol und Glücksspiel waren eher harmlose Laster, die der Gesellschaft allgemein nicht schadeten. Auch Polizisten gaben sich diesen Lastern hin, wurden erpressbar. Damit ließ sich mehr oder weniger gefahrlos Geld verdienen. Bei Drogen allerdings verstand die Staatsgewalt keinen Spaß. Hier griffen übergeordnete Behörden rigoros durch. Außerdem wurde ein wachsender Mitwisserkreis geschaffen, wodurch die Organisation angreifbar wurde. Ihr bester Schutz waren Verschwiegenheit und Anonymität ihrer Mitglieder. Dieser Schutz wurde vom Handel mit Drogen massiv beschnitten. Zudem waren Dealer in der Regel selbst abhängig, was sie zu einem unkalkulierbaren Risiko für die Familie machte. Selbst wenn ein Don sich entschied, mit Drogen Geld zu verdienen, so bestand Anfang der dreißiger Jahre die Gefahr, das ganze amerikanische Mafia-Syndikat gegen sich aufzubringen. Erst in den 1950ger Jahren gaben die Dons der Gier nach dem schnellen Geld nach und weichten diese Regel gegen den Drogenhandel auf, auch wenn sie nie gestrichen wurde.
9+10. Die letzten beiden Regeln machten Stevenson etwas verlegen. Schließlich brach er diese beiden gerade jetzt, mit diesem Gespräch. „Ich verrate weder meine Familie, noch spreche ich mit Außenstehenden über das Wesen der Cosa Nostra.“ Diese Regel war der Garant dafür, dass die Organisation weiterlebte. Ihr enger, familiärer Zusammenhalt und ihre drakonischen Strafen schützten sie vor Verrätern und Polizisten. Ihr Netzwerk zwischen den Familienclans machte sie zu einem international operierenden Verbrechersyndikat. Die Angst vor dem Syndikat war größer als die Angst vor dem Gesetz des Landes, in dem man lebte. Darum machte man keine Geschäfte mit der Polizei, um etwa eine Strafmilderung zu erreichen. Falls es zu Verurteilungen kam, saßen die Betroffenen schweigend ihre Strafe ab. Der Don kümmerte sich währenddessen um die Familie des Inhaftierten. Man konnte das auch als Geiselhaft bezeichnen. Denn packte man im Knast doch noch aus, machte man mit der Familie des Verräters kurzen Prozess. Saß der Gefangene jedoch schweigend seine Strafe ab, war er in der Regel rehabilitiert und wurde mit offenen Armen empfangen.
Sansone und Massimo wollten alles. Aber beide wussten, was auf dem Spiel stand. Massimo hätte die Mittel gehabt Sansone in den Ruin zu treiben. Doch seine Organisation stagnierte, während Sansone mächtiger wurde und auch zahlenmäßig wuchs. Doch es war ein weiter Weg, bis er Massimo als Nummer 1 in der Unterwelt ablösen konnte.
„Sie sagten, dass Ihr Freund verletzt war. Wie erging es ihm?“
„Besser als man zunächst glaubt. Sansone hatte einen sehr guten Arzt in der Stadt. Er hat niemals zu viele Fragen gestellt und nach ein paar Wochen war er wieder fit. Der Einzige, der uns Sorgen machte, war Massimo. Er wollte wohl austesten, wie weit er gehen konnte. In den nächsten Monaten gab es ähnliche Fälle wie in Bills Motel.“
Den Polizisten ärgerte es, das Stevenson die Schutzgeldeintreibung als eine völlig legale Versicherungsleistung rechtfertigte.
„Sansone beschützte jene Leute, die ihn bezahlten, tatsächlich.
Am deutlichsten wurde das nach einem Zwischenfall im darauffolgenden Jahr…“