Читать книгу Der Vermisste vom Vierwaldstättersee - Martin Widmer - Страница 11

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Auf dem EuroAirport Basel Mulhouse Freiburg schaute David Brunner auf die Uhr. Er war nicht für das Trauern in Gesellschaft gemacht, lieber nahm er alleine von seiner Mutter Abschied. An ihr Grab wollte er ein andermal gehen.

Noch eine Stunde dauerte seine Schicht in der Abflughalle. Er arbeitete am Rollband, wo das Handgepäck der Passagiere kontrolliert wurde. Innert Bruchteilen von Sekunden musste er am Bildschirm Taschenmesser, Nagelscheren und andere spitze Gegenstände erkennen, ebenso Flüssigkeiten, die nur in kleinsten Mengen im Handgepäck mitgeführt werden durften. Er konzentrierte sich, das half ihm, alles Private zu vergessen.

Am schwierigsten war es, Sprengstoff am Bildschirm zu erkennen. Einmal war ihm ein Paar Herrenschuhe mit dicken Sohlen verdächtig vorgekommen. Drogen, hatte er zuerst vermutet, doch als die Polizei die Schuhe aufgeschlitzt hatte, kam eine gelatineartige Masse zum Vorschein. Hätte der Wahnsinnige damit ein Flugzeug in die Luft sprengen können? Die Analyse kam zu keinem eindeutigen Schluss. Doch David war noch immer stolz, dass dank seiner Aufmerksamkeit ein potenzieller Selbstmordattentäter verhaftet werden konnte. Zündschnüre, Schwarzpulver und Sprengkapseln interessierten ihn seit seiner Kindheit. Und über Selbstmörder las er alles, was er finden konnte. Dabei versuchte er sich vorzustellen, wie diese die letzten Momente ihres Lebens erleben würden.

Nach Dienstschluss zog David in der Garderobe seine Uniform aus und verstaute sie im Spind. Er streifte den Kapuzenpulli über den Kopf und schlüpfte in die etwas zu gross geschnittenen Jeans. Unschlüssig blieb er stehen. In die Stadt mochte er nicht fahren und auch nicht nach Hause. Das Mobiltelefon vibrierte in seiner Hosentasche. Eine SMS seiner Schwester. «Warum bist du nicht an die Beerdigung gekommen?», fragte sie.

Er klickte die Mitteilung weg und verliess die Garderobe. Er brauchte dringend eine Zigarette. Vor dem Haupteingang des Flughafens setzte er sich auf eine Bank und rauchte. Ein Taxi fuhr vor, und er beobachtete, wie ein junges Ehepaar mit zwei kleinen Kindern ausstieg. Der Chauffeur half beim Ausladen der Koffer. Die Frau sah sich nach einem Gepäckwagen um und streifte seinen Blick. Er hätte gewusst, wo sie standen, doch er reagierte nicht. Er war froh, dass er keine Familie hatte und sich nach der Arbeit um nichts kümmern musste. Es ist einfacher so, sagte er sich.

Am Flughafen kaufte er jeweils eine Mahlzeit zum Mitnehmen, Bier hatte er zu Hause immer im Kühlschrank. Doch heute mochte er nicht in seiner Wohnung alleine vor dem Fernseher essen. Er stand auf, warf den Zigarettenstummel weg und ging zurück in die grosse Halle. Auf der Rolltreppe fuhr er hinauf zur «Bye Bye Bar». Er konnte sich nicht entscheiden, was er bestellen wollte, bis ihm der Kellner einen Apfelkuchen empfahl. Die Äpfel waren jedoch ohne Geschmack und der Teigboden nicht mehr knusprig. Er nahm einen Bissen, dann schob er den Teller weg. Den besten Apfelkuchen hatte seine Mutter gemacht.

Als er an sie dachte, hörte er, wie sie ihn leise rief: «David!» Er schaute sich um. «David, hilf mir!», hörte er sie. Er schreckte auf. Eine alte Frau stand verloren beim Aufzug. Sie stützte sich auf ihren Stock und schaute zu ihm. David beobachtete, wie ein junger Mann auftauchte und ihr den Arm anbot. Als sich die Lifttüren öffneten, verschwanden sie. «Meine Mutter ist tot», sagte er trotzig und stellte sich im nächsten Moment vor, dass sie ihm vom Himmel aus zusah. Er ärgerte sich über seine kindliche Vorstellung.

Durch die grossen Fenster schaute er den startenden und landenden Maschinen zu. Vor zwei Monaten war er aus Kanada zurückgekehrt. Er war an der Westküste gewesen, im Regenwald. Nicht im tropischen, sondern im gemässigten Regenwald. Dabei war er mit einem Schlag in seine Vergangenheit zurückgeworfen worden.

Der Vermisste vom Vierwaldstättersee

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