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Kapitel 5

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August 1831 // Jamaika // Neue Welt


Der unterdrückte Schrei einer Frau riss Lena aus dem Schlaf. Irritiert stützte sie sich auf ihre Ellbogen und schaute sich um. Nur zögernd begriff sie, wo sie sich befand. Maggie lag neben ihr und schlummerte noch immer friedlich. Allem Anschein nach hatte sie nur schlecht geträumt. Draußen war es bereits hell, und warmer Tropenwind wehte in die weißen Baumwollgardinen vor den halb geöffneten Fenstern. Ein heiterer, sonniger Tag kündigte sich an. Doch auch das muntere Vogelgezwitscher konnte die düsteren Bilder in Lenas Kopf nicht vertreiben.

Sie erinnerte sich genau, dass ihr im Schlaf eine Negerin erschienen war, das dunkle Gesicht schmerzhaft verzerrt und voll wehmütiger Anklage. Starke Hände hatten in diesem Traum zwischen die nackten Schenkel dieser dunkelhäutigen Frau gegriffen und einen winzigen, blutbeschmierten Körper aus ihrem Leib gezogen. Danach hatten die Hände das Kind an den verschrumpelten Füßchen hochgehalten und es mit dem Köpfchen nach unten baumeln lassen. Es war ein Junge, um einiges hellhäutiger als seine Mutter. Dann war ein schwarz gekleideter Mann gekommen, hatte die Nabelschnur mit einem Messer gekappt und das neugeborene Kind in einen Korb gelegt. Als drohe er den Kleinen wie Moses am Ufer des Nils auszusetzen, schrie die Mutter verzweifelt nach ihrem Kind. Doch niemand erhörte sie.

Lena fröstelte und fühlte sich leicht übel. Sie hatte noch nie gesehen, wie ein Mensch zur Welt kam, schon gar nicht bei einer Negerin. Vielleicht hatte ihr seltsamer Traum etwas mit Mr. Hansons Äußerung zu tun, dass die Niederkunft einer Sklavin für Edwards Abwesenheit verantwortlich sei? Trotzdem fragte sie sich, wie man nur so etwas Widerwärtiges träumen konnte. Nicht einmal Maggie durfte sie davon erzählen, weil die Geschichte sie ebenso entsetzen würde.

Ein Blick auf die kleine, goldene Standuhr, die auf der obersten Ablage des Sekretärs dem Bett gegenüber stand, verriet Lena, dass sie länger als gewöhnlich geschlafen hatte. Halb zehn, gaben die reich verzierten Zeiger an. Du liebe Güte, schon beinahe Mittag, und sie lag noch immer im Bett! Was wohl Edward dazu sagen würde, wenn er ihr unvermittelt seine Aufwartung machte?

Sie beschloss, noch vor dem Frühstück ein Bad zu nehmen. Am Abend zuvor hatte Estrelle ihr erklärt, dass sie morgens an der langen, gedrehten Goldkordel ziehen sollte, die vom Bettpfosten herabhing und zu einer Glocke führte, mit der man die Bediensteten herbeirufen konnte. Tatsächlich stand wenig später Larcy in der Tür.

«Missus wünschen?», fragte sie in gebrochenem Englisch.

Maggie, die von dem unvermittelten Besuch wach wurde, rekelte sich neben Lena und gähnte herzhaft, bevor sie die Augen aufschlug.

«Morgen», presste sie heiser hervor und sah sich ebenso verwirrt um, wie Lena es zuvor getan hatte.

«Ich möchte bitte ein Bad nehmen», sagte Lena zu Larcy.

Das schüchterne Mädchen nickte nur, drehte sich um und verschwand ohne ein weiteres Wort.

«Ich bitte auch», bemerkte Maggie mehr zu Lena und schnupperte demonstrativ am Ärmel ihres Nachthemdes. «Dass du es überhaupt neben mir aushalten kannst …»

«Falls du es nicht bemerkt haben solltest, man hat dir vor dem Schlafengehen noch Gesicht, Arme und Hals gewaschen. Viel mehr habe ich auch nicht zu bieten.»

Lena drehte sich zu Maggie um und gab ihr einen spontanen Kuss auf die Stirn.

«Gott sei Dank, du siehst viel besser aus als gestern. Außerdem scheinst du auf dem besten Wege, wieder ganz die Alte zu sein.»

«Ich fühle mich auch schon viel besser.» Maggie lächelte leicht verlegen, wobei ihr dunkler Zahn, den sie sonst immer hartnäckig hinter ihren vollen Lippen verbarg, für einen Moment zum Vorschein kam. «Und wenn es so weitergeht, werde ich dir spätestens morgen wieder zu Diensten sein können, versprochen!»

«Ach, Maggie.» Lena atmete hörbar auf. «Deine Anwesenheit reicht vollkommen aus. Hauptsache, ich bin nicht alleine in dieser seltsamen Welt.»

Als das magere Dienstmädchen mit zwei vollen Eimern im Türrahmen erschien, sprang Lena aus dem Bett und nahm ihr die Kübel ab, um das Wasser eigenhändig in den Zuber zu gießen. Larcy machte große Augen und eine abwehrende Geste.

«Missus muss das nicht tun», protestierte sie.

Doch Lena winkte ab. In den Häusern ihres Vaters in London und Hamburg hatten sie stets männliche Diener im Hause gehabt, die eine solche Aufgabe übernahmen. Aber Larcy war nicht mal die Hälfte von solch einem Kerl.

In der Zwischenzeit servierte Estrelle, die wohl erfahren hatte, dass die neuen Hausbewohnerinnen erwacht waren, ihnen unaufgefordert ein üppiges Frühstück ans Bett.

«Ich bringe Ihnen Früchtebrot, in Scheiben geschnitten und in Butter gebacken», erklärte Estrelle. «Dazu gebratenen Speck und Rührei.»

«Was ist mit dem Doktor?», fragte sie und stellte das Tablett auf das Beistelltischchen neben Maggie ans Bett. «Der Bote ist zurückgekehrt und meinte, dass Dr. Lafayette vor heute Nachmittag nicht hier sein kann.»

«Ich glaube, er wird gar nicht mehr so dringend benötigt», antwortete Lena mit Blick auf ihre schon viel gesünder aussehende Freundin.

Das Schlimmste musste überstanden sein. Maggies Appetit spiegelte sich bereits in ihren gierigen Blicken auf die zahlreichen Köstlichkeiten, die sich vor ihrer Nase auftürmten. Mehr oder weniger unentschlossen griff sie zu einer silbernen Gabel und seufzte verzückt. In einer bunten Porzellanschüssel waren in Würfel geschnittene Mangos und Papayas angerichtet. Eine Kristall-Karaffe lockte mit frisch gepresstem Orangensaft, und eine große Kanne frisch aufgebrühter Insel-Kaffee verströmte einen unnachahmlichen Duft.

«Das weckt die Lebensgeister», freute sich Maggie und stürzte sich auf das Essen. «Nimm du erst mal dein Bad», riet sie Lena mit einem verschmitzten Lächeln. «mal sehen, was danach noch für dich übrig ist.»

Nachdem Larcy zwei weitere Eimer Wasser in die Wanne gekippt hatte, zog Lena hinter dem chinesischen Paravent das Unterkleid aus und stieg mit einem lang gezogenen «Ah» ins warme Wasser. Larcy schien sie verwöhnen zu wollen, denn sie überbrachte ihr noch eine duftende Jasminseife und einen Berg weicher Handtücher.

«Danke, Larcy, du kannst dann jetzt gehen», sagte sie freundlich, als das Mädchen sie mit großen Brombeeraugen erwartungsvoll anstarrte.

Wahrscheinlich hatte sie noch nie eine nackte weiße Frau gesehen, dachte Lena und glitt bis zu den Schultern ins warme Wasser.

«Wenn Missus mich brauchen, dann läuten», erinnerte Larcy, drehte sich um und ging zur Tür hinaus.

«Der Kaffee ist wunderbar», schwärmte Maggie, die im Bett mit dem Geschirr klapperte. «Meine Mutter sagte immer, wenn der Appetit wieder kommt, ist man über den Berg.»

Lena seufzte zufrieden und begann, sich mit Schwamm und Seife genussvoll Arme und Dekolleté einzuschäumen. Kurzerhand beschloss sie, auch ohne Unterstützung einer Dienerin ihr Haar zu waschen. Hier unter der Sonne Jamaikas, bei den konstant hohen Temperaturen, würde es außerdem viel rascher trocknen als in Europa.

In Gedanken ging Lena ihre Garderobe durch und überlegte, was sich davon für eine erste Begegnung mit Edward eignen würde. Estrelle hatte die Reisekisten noch gestern Abend geöffnet und angeboten, einige Kleider aufzubügeln. Als ob sie Lenas Gedanken lesen könnte, kam sie überraschend herein und hängte drei zur Auswahl an den Schrank, um gleich darauf wieder mit zwei von Maggies Kleidern zu verschwinden.

Ohne das Wissen ihres Vaters hatte Lena sich ein paar tief ausgeschnittene Sommerkleider in pastelligen Farben anfertigen lassen, deren Anblick Edward sicher begeistern würde. Auch bei der Miederwäsche hatte ihre Londoner Schneiderin zu einer leichteren Variante mit neckischer Spitze geraten. Genau das Richtige für ein tropisches Paradies.

Verträumt fuhr Lena mit dem Schwamm über ihre Brüste und stellte sich vor, wie es sein würde, wenn Edward sie mit seinen sanften Händen massierte, so wie er es damals heimlich bei Almack’s im Keller getan hatte.

«Kann ich gleich dein Wasser benutzen?», fragte Maggie und lugte hinter dem Paravent hervor.

«Selbstverständlich», antwortete Lena und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

In solchen Momenten wusste sie, warum sie Maggie an ihrer Seite haben wollte. Sie war so herrlich unkompliziert, eine echte Kameradin. Rasch stieg Lena aus der Wanne und trocknete sich mit schnellen Bewegungen ab. Dann schlüpfte sie in ihren seidenen Morgenmantel, den Estrelle ihr ebenfalls bereitgelegt hatte, und wollte gerade etwas von dem übrig gebliebenen Frühstück genießen, als draußen vor dem Haus ein Tumult ausbrach.

«Was ist da los?», fragte Maggie, die bereits im Wasser saß.

«Keine Ahnung.» Lena trat durch die Doppeltür in ihr eigenes Zimmer und spähte durch das Fenster in den Hof. Das Pferdegetrappel nahm zu, und jetzt waren noch mehr Stimmen zu hören. Als sie glaubte, Edwards melodischen Bariton zu erkennen, stieg ihre Nervosität.

Tatsächlich entdeckte sie ihren zukünftigen Ehemann in einem Pulk von schwarzen und weißen Männern, die teils zu Fuß, teils zu Pferd auf den freien Platz vor dem Herrenhaus strömten. Lena fühlte sich an die englischen Fuchsjagden erinnert, an denen sie zusammen mit ihrem Vater auf Einladung der Countess of Lieven teilgenommen hatte. Mit dem Unterschied, dass die Hunde dort unten angeleint waren und die Reiter keinerlei Jagdkleidung trugen.

Edward saß auf einem wunderschönen Rotfuchs und war unzweifelhaft der Anführer dieser merkwürdigen Gesellschaft. Er trug einen breitkrempigen Hut und – trotz der Hitze – lederne Handschuhe. In seiner dunklen Lederhose, dem braunen Baumwolljackett und den kniehohen Reitstiefeln kam er Lena noch stattlicher vor, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Augenblicklich machte ihr Herz einen Sprung. Doch die Freude verebbte sogleich wieder, als sie unweit entfernt drei Männer in Ketten auf einem Leiterwagen bemerkte, der von zwei Mauleseln gezogen wurde. Die Gefangenen, junge Neger, deren Muskeln von Blut und Schweiß bedeckt in der Sonne glänzten, waren allem Anschein nach ausgepeitscht worden. Jedenfalls zeugten ihre aufgeplatzten Fleischwunden auf dem Rücken von einer rüden Behandlung.

Lena verengte den Blick, um in der gleißenden Sonne besser sehen zu können, und entdeckte Trevor Hanson, der, auf einem Pferd sitzend, eine Peitsche in der Hand, mit lautem Knallen den Karren umrundete. Dahinter hatte sich eine Gruppe schwarzer Männer und Frauen in einfacher Kleidung versammelt. Offenbar handelte es sich um Sklaven, die auf Redfield Hall ihre Arbeit versahen. Stumm verfolgten sie die bedrückende Szenerie.

Hanson setzte unvermittelt zu einer flammenden Rede an, die offenbar an die Neger gerichtet war und sie allem Anschein nach einschüchtern sollte.

«Nun, was ist?», drängelte Maggie aus dem Hintergrund.

«Wenn ich das wüsste», flüsterte Lena beinahe lautlos und schob die Gardine ein Stück beiseite, wobei sie peinlich darauf bedacht war, dass sie von dort unten niemand sehen konnte.

Als Edward plötzlich eine Pistole zückte und in die Luft schoss, zuckte sie erschrocken zurück. Ihr Herzschlag galoppierte davon, und es dauerte eine Weile, bis sie den Mut fand, noch einmal nach unten zu schauen.

«Du meine Güte!», rief Maggie entsetzt. «Sag nur, die Franzosen kommen?»

«Franzosen?» Lena drehte sich um, durchschritt die Doppeltür und erschrak ein zweites Mal, weil Estrelle unbemerkt den Raum betreten hatte.

«Sie können unbesorgt sein, das sind nur Sklaven, die gegen das Gesetz verstoßen haben», erklärte die schwarze Dienerin nüchtern und hängte eins von Maggies frisch gebügelten Kleidern an den Schrank. «Mr. Hanson soll sie nach Kingston bringen, wo sie dem Richter vorgeführt werden.»

«Was haben sie denn verbrochen?», wollte Lena wissen.

«Master Edward weiß das weit besser als ich», erwiderte die Haussklavin tonlos. «Er ist soeben von seinen Ländereien in St. Thomas zurückgekehrt.» Als Lena sie weiterhin verständnislos anstarrte, fuhr sie unwillig fort: «In den letzten Tagen hat es Ärger mit Aufständischen gegeben. Aber nun ist alles wieder in Ordnung.»

Ihre Augen hatten plötzlich einen melancholischen Ausdruck, der Lena nicht gefiel. Doch Estrelle ließ sich nicht zu weiteren Erklärungen hinreißen.

«Sie werden sich noch erkälten, Missus», verkündete sie mit ernstem Gesicht. «Auch wenn es bei uns das ganze Jahr über warm ist, schützt Sie das nicht vor einem Schnupfen, wenn Sie mit feuchtem Haar und nur mit einem dünnen Hemd bekleidet umherlaufen. Soll ich Ihnen beim Ankleiden behilflich sein?»

Estrelle hielt Lena ein Kleid aus hellblauem Blümchenstoff entgegen, das so gar nicht zu ihrer Stimmung passte. Trotzdem protestierte sie nicht, sondern ließ die Frau gewähren. Nichts erschien ihr wertvoller, als eine Verbündete beim Personal zu besitzen, erst recht, wenn es sich um die erste Hausdame handelte.

Nachdem Lena in das Kleid geschlüpft war, dirigierte Estrelle sie zu einer Spiegelkommode, wo sie ihr das lange, hellblonde Haar ausbürstete, bis es fast trocken war.

«Soll ich Ihnen das Haar aufstecken, Missus?»

Estrelle sah sie mit einem undefinierbaren Blick an, der nicht verriet, was sie wirklich dachte.

Lena nickte stumm und verfolgte im Spiegel, wie die Sklavin sie mit routinierten Handgriffen in eine strenge, englische Lady verwandelte. Das Haar straff aus dem Gesicht gekämmt und zu einem schlichten Knoten auf dem Hinterkopf aufgetürmt, wirkte Lena nun nicht mehr wie das unbeschwerte Mädchen, das Edward in London zurückgelassen hatte, sondern wie eine echte Dame.

Gemeinsam halfen sie anschließend Maggie aus der Wanne. Lenas Gesellschafterin befand sich zwar sichtbar auf dem Weg der Besserung, war aber noch ziemlich wackelig auf den Beinen.

«Ich glaube, ich bin noch nicht so weit, dass ich Bäume ausreißen kann», verkündete Maggie mit erschöpfter Stimme.

Estrelle half ihr beim Abtrocknen, steckte sie in ein frisches Nachthemd und brachte sie wieder ins Bett.

«Ich denke auch, es ist besser, du schläfst noch ein wenig», sagte Lena und zog Maggie die Decke fast bis zur Nase.

«Estrelle, wären Sie bitte so freundlich, Sir Edward zu informieren, dass ich in meinem Zimmer auf ihn warte?»

Estrelle nickte ergeben und zog sich lautlos zurück. Danach wünschte Lena ihrer Freundin eine angenehme Ruhe, ging in den angrenzenden Raum und schloss die Verbindungstür. Gerade wollte sie ihre Perlenohrringe anlegen, die ihr Vater ihr zum Abschied geschenkt hatte, als die Tür zum Korridor aufflog. Es war Edward.

Lena ließ vor Schreck einen der Ohrringe fallen. Auf solch einen Überfall war sie nicht vorbereitet. Hastig bückte sie sich, um das Schmuckstück aufzuheben, obwohl sie ihrem Verlobten eigentlich vor Freude in die Arme fliegen sollte.

«Was ist das denn für eine Begrüßung?», beschwerte er sich prompt.

Das Gleiche könnte ich dich fragen, lag es Lena auf der Zunge, als sie sich aus der Hocke erhob und den Ohrring ansteckte. Von plötzlichem Unmut erfasst, dachte sie an die Strapazen, die sie auf sich genommen hatte, um zu ihm zu reisen.

«Wäre es nicht angebrachter, sich zunächst nach meinem Wohlergehen zu erkundigen, anstatt zu erwarten, dass ich dir ohne Wenn und Aber um den Hals falle?», bemerkte sie spitz. «Ich hoffe, du hast eine gute Erklärung für deine gestrige Abwesenheit?»

«Du siehst zauberhaft aus», stieß er hervor, wobei er ihre Verärgerung schlichtweg ignorierte. Sein verlangender Blick heftete sich wie gebannt auf ihre Brüste, die appetitlich verpackt aus dem Ausschnitt ihres Kleides hervorlugten. «Viel besser, als ich dich in Erinnerung hatte.»

«Danke», sagte sie trocken, nicht wissend, was sie von einem solch fragwürdigen Kompliment halten sollte.

Er selbst hatte es offenbar nicht für nötig erachtet, sich zu waschen, zu rasieren und standesgemäß zu kleiden, bevor er ihr seine Aufwartung machte. Nur den Hut hatte er abgenommen. Mit seinem schwarzen Bartschatten und dem zerzausten, dunklen Haar, das ihm verschwitzt und staubig am Kopf klebte, sah er geradezu wild und leidenschaftlich aus. Obwohl sie sich innerlich dagegen wehrte, erlag Lena augenblicklich seinem ungezähmten Äußeren und erwischte sich bei einer Reihe von sündigen Gedanken, die ihr äußerst unangebracht erschienen.

Auch Edward war offensichtlich nicht entgangen, welche Wirkung er auf sie hatte. Mit zwei langen Schritten war er bei ihr und umarmte sie heftig. Ehe Lena es sich versah, presste er seine Lippen auf die ihren, und seine Zunge drang tief in ihren Mund ein. Zugleich packte seine große Hand ihren Hintern und drückte ihren flachen Bauch fordernd an sein spürbar geschwollenes Glied.

Lena vergaß zu atmen. Die Hitze zwischen ihren Schenkeln vernebelte ihren Verstand. Und so ließ sie es zu, dass sich seine andere Hand in ihren Ausschnitt drängte und gierig ihren Busen knetete. Als Edward eine Brust anhob, um an dem rosigen Nippel zu saugen, stieß Lena einen kleinen, spitzen Schrei aus. Er musste das als Aufforderung aufgefasst haben, denn er drängte sie aufs Bett.

«Du duftest so gut», murmelte er, während er selbst den Geruch von Schweiß, Pferd und dem Staub der Straße verströmte. «Ich muss dich unbedingt haben, jetzt und hier. Ich kann nicht länger warten.»

Rücklings fiel sie mit ihm in die seidenen Laken und erlag seinen hingebungsvollen Küssen. Seine Rechte suchte sich derweil den Weg unter ihre Röcke und schob sie allesamt mit einer gezielten Bewegung so weit nach oben, dass er Lenas nackte Scham entblößte. Erst als er sich keuchend darüberbeugte und begann, den blonden, noch unschuldigen Flaum zwischen ihren Schenkeln zu küssen, kam sie wieder zu Verstand.

«Nicht hier und nicht jetzt!», stieß sie schwer atmend hervor und schob ihn mit unerwarteter Kraft von sich weg.

Edward hielt verdutzt inne. «Was hast du denn?», fragte er hitzig.

«Es ist …», sie stockte, nach einer Begründung ringend, «… weil wir noch nicht verheiratet sind.»

«Kein gutes Argument», protestierte er ärgerlich und richtete sich halb sitzend auf. Lena registrierte mit Schrecken, dass seine Hose bereits geöffnet war und sein hart geschwollenes Geschlecht ans Tageslicht drängte. Sofort spürte sie, wie ihr die Schamesröte heiß den Hals hinaufkroch, und sie sprang fluchtartig vom Bett.

«Um Gottes willen, was wäre, wenn uns jemand so sieht», stieß sie mit erstickter Stimme hervor und dachte an Estrelle oder Maggie, die jeden Moment hätten hereinkommen können.

Edward brach unvermittelt in schallendes Gelächter aus. «Wir sind so gut wie verheiratet», antwortete er amüsiert. «Denkst du wirklich, meine Dienerschaft würde sich etwas daraus machen, wenn sie ihre Herrschaft im Bett erwischt?»

«Nicht die Dienerschaft», gab Lena klein bei, obwohl sie anderer Auffassung war, «aber vielleicht Maggie, die direkt nebenan schläft. Wenn du der Gentleman bist, als den ich dich kennengelernt habe, bedeckst du dich augenblicklich», forderte sie leise. «Mein Vater würde es ebenfalls nicht gutheißen, wenn ich nicht jungfräulich in die Ehe ginge.»

Edward knöpfte resigniert seine Hose zu und schüttelte den Kopf. «Dein Vater würde es auch nicht gutheißen, wenn er wüsste, wie groß in Wahrheit dein Verlangen nach mir ist. Oder glaubst du, mir wäre entgangen, wie sehr du mich begehrst?» Er sah sie herausfordernd an. «Ich bin auch nur ein Mann. Und ich habe Monate darauf gewartet, dich endlich in meinem Bett zu haben.»

«Dann wird es dir sicher nichts ausmachen, wenn wir noch bis zur Hochzeitsnacht warten», bemerkte sie deutlich verschnupft und ordnete ihr Kleid.

Edward schnaubte verdrossen und sah sie verständnislos an.

«Bist du denn gar nicht froh, mich zu sehen – nach all der langen Zeit, die wir getrennt waren?»

«Natürlich freue ich mich, dich zu sehen. Ich habe die ganze Überfahrt an nichts anderes gedacht.»

Lena traute sich nicht, seinen lodernden Blick zu erwidern. Zumal er sich anschickte, aufzustehen und ihr zu folgen. Denn noch immer lag eine ungebändigte Lüsternheit darin.

«Willst du mich denn gar nicht fragen, wie die Schiffsreise war?» Sie hatte Mühe, den bissigen Unterton in ihrer Stimme zu unterdrücken.

«Wie war die Schiffsreise?», fragte er lahm vom anderen Ende des Zimmers. Wobei er ein paar Schritte auf sie zuging.

Nervös verschränkte sie ihre Arme vor der Brust. «Nun, du wärst stolz auf mich, wie gut ich die Strapazen verkraftet habe. Die Überfahrt hat mir beinahe nichts ausgemacht, obwohl wir in mehrere Stürme geraten sind.»

Sie ging um das Bett herum, um noch ein wenig mehr Abstand zwischen sie zu bringen.

«Maggie war dagegen während der Reise überhaupt nicht gut», plapperte sie weiter. «Ich hatte entsetzliche Angst um sie, weil ich fürchtete, sie könnte sterben, bevor wir Redfield Hall erreichen.»

«So schnell stirbt man nicht», sagte er mit einem überheblichen Lächeln.

«Das war der Lieblingsspruch meiner Großmutter», konterte sie, «und eines Tages fiel sie um und war tot.»

Lena ärgerte sich über Edwards Sorglosigkeit. Dieser nachlässige Charakterzug war ihr in London gar nicht an ihm aufgefallen.

«Wir können nur froh sein, dass Maggie sich bereits auf dem Wege der Besserung befindet und sogar etwas gefrühstückt hat.»

«Ach», stieß er hervor und machte eine wegwerfende Handbewegung. «Dann scheint es ja so schlimm nicht zu sein.»

«Ich hätte mich gefreut, wenn du uns am Hafen abgeholt hättest!», brach es aus ihr hervor, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Ob es Tränen der Wut oder Tränen der Trauer waren, vermochte Lena nicht zu sagen. Nur dass Edward ihr mit einem Mal so entsetzlich gefühlskalt erschien.

«Es tut mir leid», lenkte er überraschend sanft ein und machte noch einmal den Versuch, ihr näher zu kommen.

Doch Lena wich unwillkürlich zurück.

«Ich hatte dringende Geschäfte zu erledigen.» Er zuckte mit den Schultern. «Wir wussten nicht genau, wann das Schiff einlaufen würde, deshalb habe ich Trevor an meiner Stelle geschickt. Er ist mein bester Mann, auf ihn kann ich mich blind verlassen.»

«Aber nicht er will mein Ehemann werden, sondern du», erwiderte sie trotzig. «Außerdem hat er sich vor der Abfahrt nach Redfield Hall betrunken. In meinen Augen ist er ein Scheusal ohne Manieren.»

«Ist es nicht ein ausgesprochenes Glück für dich», neckte er sie und lachte, «dass ich es bin, der um deine Hand angehalten hat und nicht er?»

Lena warf Edward einen zornigen Blick zu.

«Wer weiß, vielleicht überlege ich es mir ja noch», giftete sie. «Da reise ich fünftausend Meilen übers Meer, und mein zukünftiger Ehemann schickt seinen betrunkenen Vertreter, um mich am Hafen abzuholen. Wenn sich das in London und Hamburg rumspricht, wird sich die Meinung, dass du eine glänzende Partie bist, rasch ändern.»

Plötzlich wurde Edward ernst.

«Ich bin eine sehr gute Partie!», bekräftigte er mit erhobener Stimme. Deutlich sanfter fügte er hinzu: «Es war nicht meine Absicht, dich zu erzürnen. Ich werde es wiedergutmachen, ich verspreche es dir. Gleich heute Mittag beim Lunch fange ich damit an.» Feierlich hob er die Hand, als ob er einen Eid leisten wollte. «Und sobald mein Vater aus Spanish Town zurückgekehrt ist, werden wir die Hochzeit vorbereiten.»

Lena entspannte sich zunehmend, weil ihm anscheinend doch etwas an ihr lag. Plötzlich konnte sie sogar wieder lächeln. Edward ergriff seine Chance und kam langsam auf sie zu, um sie – diesmal um einiges vorsichtiger – in den Arm zu nehmen. «Vertraust du mir?», fragte er leise.

«Ja», hauchte sie und ließ es geschehen, dass er sie zärtlich küsste.

«Ich werde dich nicht enttäuschen, das verspreche ich dir.»

Edward machte ein feierliches Gesicht.

Als er ging, blieb Lena in der unbestimmten Hoffnung zurück, dass er die Wahrheit sagte.

Flamme von Jamaika

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