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2.1.4 Das «Höhlengleichnis» aus der «Politeia»[24]

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Die Seele ist also das bewegende Prinzip, welche Geist und Leben mit ihrem Begehren, dem eros, voran treibt – im Idealfall dem Begehren nach dem Wah­ren, Guten und Schönen, ihrer eigentlichen «Heimat».

Den Ausgangspunkt, die Form der Gefallenheit der Seele, beschrieb Platon als durchaus sehr tristen, traurigen Zustand, als eine Form der Vermitteltheit, des Indirekten, abgeschnitten und gefesselt, als einen Zustand der «Entfremdung», wie es moderner nicht sein kann: Wer sieht schon gerne die Schatten von daher getragenen Gegenständen an? Nicht einmal die Träger sind sichtbar, geschwei­ge denn die Wirklichkeit des Schatten werfenden Feuers, des echten Sonnenlich­tes draussen vor der Höhle, der duftenden Pflanzen, dem Singen, Rauschen und Rappeln des Lebendigen schlechthin?

Ich möchte an dieser Stelle einmal eine moderne Nacherzählung des «Höhlen­gleich­nisses» versuchen, (einen gekürzten Text des Gleichnisses stelle ich unten in die Fussnote[25]) denn wir haben ja tatsächlich das Glück, nicht mehr in Höhlen zu hausen, woraus wir merkwürdigerweise schliessen, dass wir «weiter» seien als die Leute damals – aber sind wir das tatsächlich?

Man gehe also einmal so im Vorwinter zwischen 20 und 22 Uhr durch eine Stadt: Strassenlaternen, beleuchtete Geschäfte und Ampeln bieten Sicherheit, die Angst vor der Dunkelheit schmilzt in ihrem Licht dahin und das ist sicher auch gut so.

Doch wo sind die Menschen?

Blau flimmert es aus allerlei Fenstern; alleine sehr oft, manchmal zu zweien, seltener zu dritt oder mehr, sitzen sie gebannt da und starren auf einen mehr oder weniger grossen Kasten, in welchem sich bunte Schattengestalten und bonbonfarbene Gegenstände hin und her bewegen.

Die mögliche reale Grundlage dieser Schatten ist nicht im gleichen Raum mit diesen Menschen, z.B. hinter einer halb hohen Schrankwand oder Küchenzeile verborgen, sondern vermutlich längst vergangen, verschwunden, abgebaut – nicht nur einfach weit, weit weg in einem Studio, einer hollywoodesken Land­schaft, von welcher aus die schattig-blauen Abbilder geworfen wurden, sondern ganz, ganz weit weg im Nirgendwo und Istnichtmehr und Längstnichtmehrwahr.

Das gilt natürlich auch für jene buntblütigen Schattensequenzen, welche «Nach­richten» genannt werden und mit einem absoluten Wahrheitsanspruch auf­tre­ten, wie es selbst Platons Schattenspiele niemals gewagt hätten. Dort wussten die Trä­ger der Schatten werfenden Gegenstände zumindest, dass sie blosse Illusio­nisten, Puppenspieler, Taschentrickdiebe sind.

Welcher Art sind wohl die Ketten, die die Leute in ihrer merkwürdig starren Ab­hän­gigkeit vor den kleinen Kästen halten? Man sieht sie ja gar nicht.

Tatsächlich, die Gefangenschaft könnte schlimmer nicht sein, denn die Fesse­lung besteht in einer Art bonsaihaften[26] Illusion von Erfüllung: Die Pferde stehen still und starr, weil sie glauben, angekommen zu sein, befriedigt vom blauen Geflimmer, im Lichte der Wahrheit einer bunten Popcornwelt.

Die Gefesselten verhungern, ohne es zu merken, die Sehnsucht der Seele blutet nicht mehr in unerfülltem Verlangen aus (das kann es auch geben und ist ein geläufiger Zustand fürs Apophatische in der Romantik), sondern erstickt sich selbst, die Nase in einem illusionären Hafersack.

Gibt es überhaupt jemanden, der aufsteht und die Fenster öffnet, die Gerüche des nahen Parks einatmet, den Lärm der Stadt goutiert als Zeichen des Leben­digen, gar Sterne anschaut über den Strassenlaternen, später den Aufgang der Sonne hinter den Bahngleisen zu restlichen Welt?

Die eine Person, welche bei Platon die Ketten sprengt, tut es aus Sehnsucht, Hunger, Begierde, Eros – wie immer wir das feurige Tier benennen wollen. «Höhle» ist auch eine Allegorie des Unfertigen, Unbefriedigten, Ungemütlichen, sie ist kalt, zugig, die Steine rau und hart, Feuchtigkeit tropft von Überall her, muf­fi­ger Geruch oder kribbelndes, krabbelndes Viehzeug aus dem Dunkeln hervor. «Höhle» meint immer einen nicht befriedigten Zustand – und das ist, war die Chance … Das Wohnzimmer ist warm und weich, keimfrei freundlich, befrie­det. – Die Sehnsucht stockt, der Philosoph hängt am Tropf aus Kartoffelchips und Bier. –

Schade, leben wir nicht mehr in Höhlen – schade, glauben wir alles, was wir seh'n!

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