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3 Dionysius Areopagites 3.1 Der Nicht-Greifbare: Mythos und Biografie des Dionysius Areopagites

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Was Dionysius Areopagites in einem seiner Briefe über den transzendenten Gott schreibt: «Was immer wir von ihm aussagen mögen, es bleibt unsagbar. Was immer wir von ihm ergründen mögen, es bleibt unergründlich.»[45] trifft ja in faszinierender Weise auch auf ihn selber zu: Was immer auch in den vergan­genen anderthalb Jahrtausenden über sein Leben ausgesagt wurde, blieb letzt­lich «unergründlich» bis auf den heutigen Tag und es ist bis heute weder bekannt, wer sich hinter dem Pseudonym Dionysius Areopagites verbarg, noch weiss man genau, wann er gelebt hat.

Mit Müh' und Not, möchte man fast sagen, kann man auf Grund der Tatsache, dass Dionysius Areopagites die Werke des neuplatonischen Philosophen Proklos zitierte, einen terminus post quam: Proklos' Todesjahr 485, definieren. Einen weiteren bildet das Jahr 476, in welchem das Credo, auf das Dionysius Areo­pa­gites in der EH anspielt, in die syrische Liturgie eingeführt wurde – und schliess­lich die Erwähnung von Dionysius Areopagites Werken durch Severus von Antiochien (518 oder 528) und ihre vehemente Verteidigung durch Johan­nes von Sky­thopolis anlässlich eines Konfessionsgespräches zu Konstantinopel im Jahr 532/533.[46]

Was allgemein wohl im Laufe der Zeiten die verschiedenen Theologen und Literaturwissenschaftler noch mehr erregte, als dieses unknackbare Inkognito, war wohl die poetisch-literarische Verschleierung an sich, das Deckmäntelchen eines Pseudonyms, dass Dionysius Areopagites nicht einmal in seinen eigenen Schriften konsequent aufrecht hielt, auch wenn er sich nie wirklich enttarnte.[47] Da war dann glatt von «Fälschung» die Rede, welche den gesamten Wert des CD sogleich und in toto diffamierte[48], was wahre «Fans» von Dionysius Areopa­gites mit wütender Kritik wiederum kommentierten. [49]

Mitte der 90-er Jahre des 20. Jahrhunderts listeten Theologen 22 Hypothesen auf, wer nun wohl der wahre Dionysius Areopagites gewesen sein mochte,[50] die sich um einen biografischen Kern anlagerten, der seit Abt Hilduins (814–840 Abt der Abtei St. Denis bei Paris) dritter passio Dionysii, geschrieben 835, folgende fiktive Identitäten des Dionysius Areopagites vereint:

– Athener Areopage, der von Paulus getauft wurde

– ein in Rom geweihter Bischof, der

– auf Mission das Martyrium in Paris erlitt[51]

– Verfasser des 827 dem Frankenherrscher vom Hof zu Konstantinopel geschenkten CD[52]

In der Variante von Regina SUCHLA umfasst das Mosaik des Dionysius Areopagi­tes:

– der Dionysius der Apostelgeschichte,

– der erste Bischof von Athen,

– der Verfasser von vier Traktaten und zehn Briefen,

– der Missionar des Frankenlandes,

- der erste Bischof von Paris,

– der Pariser Märtyrer.[53]

In Zeiten, da insbesondere theologische Wissenschaften, aber teilweise auch die Germanistik z.B. durchaus mit moralischen Ansprüchen daher kamen, rückte die Verwendung eines Pseudonyms gefährlich nahe an solch abscheuliche Untaten wie Plagiat oder Fälschung heran. Dass man aber grundsätzlich die Art der Zitation im ersten Jahrtausend n.d.Z. nicht mit unseren modernen Anforde­rungen an wissenschaftliche Redlichkeit vergleichen kann, hatte anscheinend keiner der entrüsteten Kritiker des Dionysius Areopagites im Blick. So war es beispielsweise zu Dionysius Areopagites Zeiten üblich, aus den Schriften noch lebender Zeit­genossen ohne Quellenangaben zu zitieren: Man schrieb sie einfach ab und ging anscheinend davon aus, dass jeder Leser wusste, wer da gemeint war. So auch Dionysius Areopagites Rezeption des Proklos.

Kurt RUH stellt dann endlich die Frage nach dem gesellschaftlichen Warum und der Funktion, welche das Pseudonym für den Autor jener so erfolgreichen literarischen Verschleierung selber hatte, die – obwohl Dionysius Areopagites einer der meist gelesenen Autoren des Früh- und Hochmittelalters wurde – kon­se­quent bis heute aufrecht erhalten werden konnte.[54]

War denn die Propagierung neuplatonischen Gedankengutes tatsächlich schon so lebensgefährlich, dass sie nur unter dem Deckmäntelchen eines mehrfachen Pseudonyms ausgeführt werden konnte?

Beate R. SUCHLA ist durchaus dieser Ansicht[55] und weist Dionysius Areopagites unter anderem die Rolle eines Brückenbauers zwischen den unterschiedlichen christlichen Richtungen selber und auch zwischen dem Christentum und der grie­chischen Philosophie zu.[56]

Als solcher plädierte Dionysius Areopagites auch selbst für einen gesitteten, unpolemischen Stil des «interreligiösen» Dialogs.[57]

Kurt RUH spekuliert noch über ganz unpolitische und sehr persönliche Gründe für Dionysius Areopagites so erfolgreiche Verschleierungstaktik[58] und hält ihn eher für irgendeinen demütigen Klostermann, fern ab der Welt in einsamer Zelle.

Um Kurt RUHs Spekulationen noch mit einer eigenen zu ergänzen, will ich zuerst einmal darauf hinweisen, dass immer nur zahlreiche M ä n n e r als potentielle Dionysii genannt werden, was mir, als mit gender-Fragen vertrauter Prähistori­kerin, auffällt.

Wäre es denn nicht tatsächlich denkbar, da bisher noch niemand die Frage stell­te, ob sich hinter dem Pseudonym des Dionysius Areopagites nicht etwa eine kluge Philosophin, ähnlich beispielsweise der Hypathia von Alexandrien (355– 415/16 n.d.Z.) verbirgt? Was SUCHLAs These eines Schreibens unter Lebens­gefahr sicher unterstützen würde, bedenkt man das Schicksal Hypathias[59] aber auch das in Glaubens- und Philosophiefragen so aufgeregte Jahrhundert, in welchem Dionysius Areopagites seine/ihre Schriften verfasste und die generelle Tendenz des immer christlicher werdenden Mittelmeerraumes zur Herausnahme der Frauen aus den öffentlich geführten gesellschaftlichen Diskursen.[60]

Trotz dieser Fragestellung, die ganz sicher doch eher mein eigenes Wunschden­ken als Dionysius-Areopagites-Fanin widerspiegelt, verzichte ich also auf die vermutlich politisch korrektere grammatikalische Genderform eines gros­sen Binnen-I oder auf umständliche Doppelpronomina à la er/sie, ihre/seine etc., beuge mich dem Geheimnis als Ganzem (= Pseudonym als Abbild einer grossen, warum-auchimmer Unaussprechlichkeit) und im Besonderen (Dionysius Areopa­gites als « M a n n ohne Eigenschaften») und fahre nun mit der Referierung seiner Werke, dem Corpus Dionysiacum, fort.

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