Читать книгу Allah ist unsichtbar - Martina Dr. Schäfer - Страница 18
3.2.1 De divinis nominibus
ОглавлениеIn «De divinis nominibus» (DN) geht es, wie der Titel bereits sagt, um die Namen Gottes. Geht man die 13 Kapitel von DN einmal auf der Suche nach den Namen Gottes (eigentlich: göttliche Namen!) durch, so ergibt sich folgende Liste:[67]
im IV. Kapitel:
– das Gute
– das Licht
– die Macht
– der/das Anmutige
– die Schönheit
– die Liebenswürdigkeit
– die Liebe
im V. Kapitel:
– Sein
– Leben
– Weisheit
im VI. Kapitel:
– ewiges Leben
im VIII. Kapitel:
– Kraft
– Gerechtigkeit
– Heil
– Erlösung
im IX. Kapitel:
– der Grosse
– der Kleine
– Ebenderselbe
– der Andere
– der Ähnliche
– der Unähnliche
– der feste Stand
– die Bewegung
– der Gleiche
– der Unveränderliche
– der Unvergängliche
im X. Kapitel:
– der Allmächtige
– der Alte der Tage
im XI. Kapitel:
– Friede
im XII. Kapitel:
– Heiliger der Heiligen
– König der Könige
– König für immer und ewig
– Herr der Herren
– Gott der Götter
im XIII. Kapitel:
– der Vollkommene
– der Eine
Die Reihenfolge dieser Namen ist nicht willkürlich gewählt, sondern stellt eine Art aufsteigender Systematik dar, die gewissermassen vom «Guten», das ausstrahlt gekrönt wird und zum «Einen» als Ziel und Kulminationspunkt (wieder) hinstrebt.
Wie Licht strahlt sich «das Gute» in seiner Schöpfung aus. Die treibende Kraft, die «Motivation Gottes» hierzu ist der Eros, die Liebe, welche eben diese «Schöpfung» liebenswert macht, «schön».
Zwar ist das Wesen Gottes eben nicht beschreibbar (ich komme im Abschnitt 3.2.3 zur MT noch einmal näher und ausführlicher darauf zurück), aber dieses beschriebene Wirken auf Welt und Schöpfung hin kann benannt werden, insofern es sich quasi um die Spuren «des Guten» in der Welt handelt.[68]
Da dieses bereits in der Bibel geschah, kann es auch Thema der Abhandlung zu den göttlichen Namen sein.
Der umgekehrte Weg des apophatischen/negativen Sprechens über das Wesen Gottes ist dann das Thema des Traktates MT.[69]
Dionysius Areopagites Erläuterungen, wann welche der beiden Sprechweisen über Gott zum Tragen kommen sollte, sind vor dem Hintergrund der christlichen Trinitätsvorstellung von Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist zu verstehen.[70]
Dionysius Areopagites führt zu diesem Zweck die Kategorien «geeinte» und «geschiedene» Namen Gottes ein[71]: Wird Gott als Einheit gedacht, gelten die geeinten Namen, insofern sie sich auf die «gesamte Gottheit», respektive auf die ausstrahlende Ursache von Allem beziehen. Die «geschiedenen Namen beziehen sich auf die 3 göttlichen Realitäten Vater-Sohn-Heiliger Geist. Sie sind nicht umkehrbar und jeweils nicht für alle drei, sondern nur für einen Aspekt gültig.[72]
Dieser qualitative Sprung im theologisch-philosophischen Denken der Spätantike, den Dionysius Areopagites hier vollzieht, erinnert mich sehr an jenen geistigen Sprung Einsteins zu Beginn des 20. Jahrhunderts, «Welle» und «Teilchen» in der Atomphysik gleichzeitig, als Aspekte eines Prozesses, sehen zu können.
Während bei Proklos die zweite Hypostase – als das zuerst Verströmte – geschieden von der Ersten (dem «Guten») ist, gelingt es Dionysius Areopagites gewissermassen die drei ersten Hypostasen (Hervorbringungen, Ausströmungen) in
Einem, Einung und Scheidung in Einem zu denken.[73]
Vor einer weiteren Erkenntnisarbeit betreffend den ersten Namen «das Gute», «geziemt» es sich für Dionysius Areopagites durch ein Gebet dorthin zu führen, denn wie eine Kette aus Lichtern oder das Tau beim Treideln eines Schiffes zieht uns das Gebet näher an den Gegenstand der Erkenntnis (Gott, das Gute) heran.[74]
Über das «Gute» zu sprechen, bedeutet automatisch, das «Böse» mit zu bedenken, es ebenfalls darzustellen und der Frage nach der Entstehung des «Bösen» – also letztlich der Theodizeefrage – nachzugehen, denn wenn das Gute[75] absolute und alleinige Ursache von Allem ist, wie kann dann das Böse daraus erwachsen? Wo hätte es seine Position im Weltsystem des Dionysius Areopagites?
Dionysius Areopagites Erörterungen zum Guten beginnen mit einer Art grossem «Sonnengesang»: Dem Vergleich des Guten mit dem Licht.[76] Es ist Dionysius Areopagites wichtig, zu betonen, dass das Gute nicht die Sonne ist sondern die Sonne ist ein Symbol für das Gute, für Gott.[77] «Licht» ist der zweite Name in der absteigenden Reihenfolge der Namen Gottes und «Sonne» ist das Symbol dafür.
Und wie alles Irdische allein durch die Kraft der Sonne leben kann, so existiert auch Alles an sich – vom Engel bis zum «Leblosen»[78] – durch das Gute, ist Folge seiner Ausstrahlung, erwärmt durch dieses Sonnenlicht.
Selbst wenn etwas mangels dieser Wärmequelle erkaltet, wie Dionysius Areopagites zum Guten in DN IV schreibt, bleibt doch das Licht, die Sonne weiter existent – und das Erkaltete übrigens auch, wie ich weiter unten zum Thema Ursprung des Bösen zeigen werde.
Da das Gute über allem Seienden, vor Allem besteht, ist es auch die Idee der Struktur vor dem Strukturlosen, das immer Seiende vor dem Nichtseienden … und dann eben ausstrahlend sämtliche folgenden Hierarchiestufen, wie sie Dionysius Areopagites dann ausführlich in den Himmlischen und Kirchlichen (= irdischen) Hierarchien erläutert, hinab.
Sehr geschickt baut Dionysius Areopagites nun bereits sehr früh in seiner Darstellung des Lichtes als Bild für die erste Hypostase des Guten auch den Vorschein des Bösen mit ein oder umgekehrt: Beschreibt die Stellung des Unvollkommenen in dieser Ausstrahlung des vollkommen absolut Guten.[79]
Warum nun strahlt dieses Gute überhaupt aus? Wie kommt es denn zur Hypostasierung? Denn eigentlich hätte das Gute/Gott eine solche Ausstrahlung wohl gar nicht nötig und könnte doch ruhig, ewig weiter bewegungslos von der Anschauung seiner selbst träumen.
Dionysius Areopagites erweist sich auch hier als treuer Schüler der Platoniker, sowohl der «alten» als auch der «neuen» Variante: Eros/Liebe ist die treibende Kraft, die das Gute zum Ausströmen, zur Schöpfung letztlich treibt. Und weil das Gute aber letzter und erster Grund ist, ist es auch die Liebe: Treibendes insofern es treibt und Getriebenes insofern es hypostasiert wird, sich selbst hypostasiert. In Anlehnung an Einstein ausgedrückt: Welle und Teilchen.[80]
Übrigens ist es nicht nur das grosse Bild, der Himmel, Erde und Gott umfassende neuplatonische Wurf, welcher bei Dionysius Areopagites fasziniert. Das haben schliesslich andere PhilosophInnen vor Dionysius Areopagites so oder ähnlich auch schon geschrieben und gesagt. Faszinierend ist eben auch, wie Dionysius Areopagites in diesem grossen Entwurf seine eigene, persönliche Auseinandersetzung mit dem damaligen Zeitgeist, dem Mainstream eines sich allmählich auf eine ideologisch einförmige, staatlich legitimierte Form des Christentums verengende Religion und dem daraus resultierenden gesellschaftlichen Misstrauen gegen Andersdenkende, gegen Sprache, etc. einbaut.
Am Beispiel des Begriffes «Liebe» schildert er gleichzeitig, wie Vorurteile und Klischees ein differenziertes Sprechen oder Schreiben verunmöglichen und entwickelt sein eigenes Anliegen, Sprache wieder als korrektes und differenzierendes Instrument für die Darstellung komplexer Inhalte zu verwenden.[81]
Eine korrekte Sprache als Teil der sinnlich wahrnehmbaren Welt ist Dionysius Areopagites geradezu notwendig, um sich auf den Weg der schlussendlichen Übersteigung dieser Sinnlichkeit zu machen.
Liebe ist die prozesshafte Seite, das treibende Agens. Doch was treibt diese Liebe selber schlussendlich an?
Nicht nur bei den «ehrwürdigen biblischen Schriftstellern», wie Dionysius Areopagites in Kapitel IV schreibt,[82] sondern gerade auch bei Plato und den Neuplatonikern findet sich das Postulat, dass das Schöne immer dieses Gute ist. Besser: Dass das Gute sich schön, sich anmutig darlebt.[83]
Dionysius Areopagites ist nicht nur wegen seiner «Sprachtheorie» modern. Neuplatonische Ideen wurden auch ausserhalb des theologisch-kirchlichen Diskurses, beispielsweise von den Dichtern und Philosophen des deutschen Idealismus, weiter verwendet und bearbeitet. Als e i n e der herausragenden Abhandlungen zur Ästhetik überhaupt gilt Kleists «Marionettentheater»[84]. Als Nachdenken über das Verhältnis von Anmut und Rationalität im künstlerischen Schaffensprozess bis heute höchst aktuell.[85]
Anmut oder Schönheit als das Ziel allen (zumindest künstlerischen und spirituellen) Strebens schlechthin, ein Streben, das sich eben nur als Liebe/Eros bezeichnen lässt.[86]
Das Gute, das Schöne/Anmutige und die Liebe sind aber schlussendlich (nur) Aspekte ein und derselben Einheit: Mal statisch zu denken, mal bewegt-bewegend. Es verwundert im Grunde, wieso die griechischen Philosophen nicht schon früher auf die sich daraus ergebende spirituelle Triade (Schöpfer – Sohn – Geist) gekommen sind.
Das Prinzip aus Schön – Liebe – Gut durchzieht und prägt in Dionysius Areopagites' Weltentwurf natürlich nun alle Hierarchien des Seins und sie alle bewegen sich jeweils in drei verschiedenen Modi darin: In sich kreisend, insofern sie an sich und dem Ursprungsguten beteiligt sind, gradlinig in Hinsicht auf gleich- oder tiefer geordnete, spiralförmig im jeweiligen Rückbezug auf das Gute.[87]
Immer mal wieder kurz vorher schon angetönt, wie erwähnt, wendet Dionysius Areopagites sich dann am Schluss des Kapitels IV der Frage nach dem Bösen zu. Wo ist sein Platz in diesem bewegten, vom absolut Guten geprägten Weltsystem?[88]
Mit der ganzen logisch ausgebildeten Kraft eines, sicher auch mehrsprachig geschulten Philosophen seiner Zeit, der auf höchstem Niveau denkt und lehrt,[89] entwickelt Dionysius Areopagites kurz und schlüssig und in der Nachfolge des Proklos, die klassische neuplatonische Idee von der Defizienz des Bösen weiter: Warum es gar kein «Böses» an sich (analog dem Guten) geben könne und zeigt auf, wo sich die Stellung dieser «Schwäche» im System des ausgeströmten Guten befindet, sowie, auf welche Art und Weise es entsteht.
Fast verschlägt es einem den Atem, ob der Modernität dieser Herleitung und Einordnung, die man auch bei Augustinus finden kann, und man fragt sich unwillkürlich, wie die Christen nach Dionysius Areopagites überhaupt noch der Annahme eines «Bösen» an sich anhängen konnten, diese gar als «Teufel» personifizieren und sodann aus Millionen von angeklagten Opfern (Heiden, Hexen und Häretikern) im Laufe der Jahrhunderte gewaltsam meinten austreiben zu können.
Im Einzugsbereich des Islam entwickelte sich eine solche Verabsolutierung des Bösen übrigens nicht.[90]
Das Böse als «Schwäche», «Defekt»[91], partielle Ab- oder gar verminderte Anwesenheit des Guten[92], insofern eben a l l e s Streben/Lieben ja gut ist, zu deuten, zeigt eine, beinahe bin ich versucht zu sagen: moderne und auch relativierende Einstellung, wie sie eigentlich erst in der Neuzeit wieder gefahrlos artikuliert werden konnte.[93]
Das Gute, so Dionysius Areopagites, könne nie vollständig abwesend sein, weil sonst die Existenz selbst beendet wäre[94], woraus folgt, dass in jeder boshaften Schwäche, in jedem bösen Begehren irgendwo ein Quäntchen Gutes stecken muss – sonst gäbe es das gar nicht, denn wie Dionysius Areopagites an mehreren Stellen erklärt, hat das Böse an sich weder Erscheinungsform noch Kraft, noch Willen noch Unabhängigkeit vom Guten.
Auch die spätere Naturfeindlichkeit im Christentum ist bereits bei Dionysius Areopagites widerlegt[95] und selbst Hässlichkeit (als Abwesenheit des Schönen) tritt niemals vollkommen ohne dieses Schöne auf, es ist nur «weniger» schön.[96]
Lehnt Dionysius Areopagites für das Gute/Anmutige jede Relativierung ab, wie ich oben darstellte, entwickelt er in Bezug auf die Genese des Bösen ein vollkommen relativistisches Modell, welches die letztliche Abhängigkeit und Bezogenheit des Bösen auf das Gute logisch sehr schlüssig darstellt.[97]
Im Weltgefüge der Hierarchien bedeutet Böse-Sein dann auch für Jeden/Jede/ Jedes etwas anderes. [98]
In jene grossen Tragödie zum Entwicklungsweg des neuzeitlichen Menschen Faust lässt Johann Wolfgang von Goethe den Engelschor am Ende von Faust' Leben singen: Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen. Und hat an ihm die Liebe gar von oben Teil genommen, begegnet ihm die selige Schar mit herzlichem Willkommen. Lange nachdem Mephisto auf einer populären, theaterwirksamen Ebene Dionysius Areopagites Definition des Bösen[99] publikumswirksam geseufzt hatte: Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft, um Faust dann durch jene Höhen und Tiefen seines Erkenntnisweges zu zerren, der anscheinend ohne das Böse so wenig zu bewältigen ist wie ohne die Liebe.
Dass das eben referierte Kapitel IV der DN ganz sicher als zentrales Kapitel zu sehen ist, zeigt alleine schon die schlichte Auszählung der Seiten im Verhältnis zum gesamten Text der DN: Kapitel IV umfasst die Hälfte des gesamten Buches DN, 26 Seiten gegenüber 54 in der Übersetzung von Beate R. SUCHLA in der Bibliothek der griechischen Literatur.
Das heisst, die Fragen nach der Art und Weise des «Einen» (= gut), nach dem seines Wie (= schön), seiner ersten Hypostase (Weltwerdung = Licht), der treibenden Kraft von Allem (= Liebe) und dem Ort des Gegenteils, des Bösen darin (= Schwäche) sind die wichtigsten in Bezug auf den Erkenntnisablauf nach der Methodik der positiven Theologie.
In Kapitel V[100] erläutert Dionysius Areopagites die Bezeichnung «Sein», eher wohl dessen Wirkung, als die Mitteilung des Guten/Gottes an welcher jedoch das/die Seiende/n mit beteiligt, besser vielleicht ausgedrückt: Antwortend, spiegelnd sind.
Ähnliches gilt für die Namen «Leben» (Kapitel VI[101]) und «Weisheit» (Kapitel VII[102]) oder «Kraft» (Kapitel VIII[103]), an welchen die Menschen in gleicher Weise Teil haben können.
Das Kapitel IX[104] spielt mit Gegensätzen wie «gross» – «klein», «ähnlich» – «unähnlich», etc. und was sich daraus für die Menschen ergibt.[105]
In Kapitel X[106] wird Gottes Stellung über und vor aller Zeit (der «Alte der Tage») beschrieben, Kapitel XI[107] erklärt den Namen «Friede» aus der oben beschriebenen spiralförmigen Bewegung des Menschen sowohl in sich selbst zurück als auch jeweils zum Guten an sich hin.
In Kapitel XII[108] kulminiert Dionysius Areopagites mit Namen wie «Gott der Götter», «König der Könige» die Übersteigerung und die Fülle.[109] Kapitel XIII[110] schliesst die Rückwärtsbewegung der erkennenden, positiven Benennungen Gottes, welche ja etwa im IX. Kapitel wieder begonnen hat und gelangt nun bei den Namen «der Eine», der «Vollkommene» letztlich wieder «oben» an.[111] Wobei ich den Ausdruck «Überwindung» doch ein wenig abwertend von Beate R. SUCHLA finde. In meinen Augen fördert Dionysius Areopagites christliche Weiterentwicklung des platonischen Modells vom Reden über das Transzendente einen kreativen Beitrag zur praktischen Pastorale oder Mission, in dem die doch etwas abstrakt ästhetische Triade aus Gut/Schön/Liebe in der Dreiheit von Schöpfer (= Schönheit) – Sohn (= Liebe) – Geist (= Gut) gewissermassen, um das mal so lapidar modern auszudrücken, «Fleisch am Knochen» erhält.
Noch mehr «Fleisch» findet sich dann im Folgenden in seiner Ausfaltung der Ordnung: Den himmlischen und kirchlich-irdischen Hierarchien, die ich im folgenden Abschnitt darstellen werde.