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II. Voraussetzungen eines Anschluss- und Benutzungszwangs

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Gesetzlich normierte Voraussetzung eines Anschluss- und Benutzungszwanges ist allein das Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses (vgl einerseits § 9 GO NRW, § 11 I bd.wtt.GO u. § 14 I sächs.GO, andererseits § 15 I m.v.KVerf. und § 13 S. 1 aE NKomVG: dringendes öff. Bedürfnis) bzw. von Gründen des öff. Wohls (Art. 24 I Nr 2 bay.GO; § 20 II Nr 2 thür.KO). Über die rechtliche Qualifikation dieser Formeln besteht Streit. Während die Rechtsprechung der meisten Verwaltungsgerichtshöfe und die überwiegende Literaturauffassung vom Vorliegen eines unbestimmten Rechtsbegriffes ausgehen, dessen kommunalseitige Anwendung konsequenterweise vollständiger gerichtlicher Überprüfung unterliege[14], sah die ältere Rspr des OVG NRW hierin lediglich eine Direktive für „kommunalgesetzgeberisches“ Ermessen[15].

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Eine primär formale Abschichtung vermag kaum zu befriedigen. Bei dieser Argumentation des OVG NRW wird zum einen zu sehr auf angebliche Legislativkompetenzen abgestellt.

Schließlich gehören die Gemeinden als kommunale Körperschaften im Lichte der staatlichen Funktionenlehre und des Prinzips der Gewaltenteilung zum Exekutivbereich. Ein Gemeinderat ist nach seinem Aufgabenkreis demnach auch kein Parlament[16]. Siehe bereits o. Rn 80.

Zum anderen wird die logische Richtigkeit der gesetzlichen Schranke verdrängt. Demgegenüber lässt die normtheoretisch überzeugendere Gegenmeinung außer Acht, dass es sich hier um Voraussetzungen normativer Gestaltung seitens einer mit Satzungsautonomie ausgestatteten Selbstverwaltungskörperschaft handelt und nicht um Vorgaben für behördliche Einzelfallentscheidungen wie etwa Verwaltungsakte.

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Dementsprechend ist zwar einerseits der schrankensetzenden Funktion der gesetzlichen Formel als eines unbestimmten Rechtsbegriffs Rechnung zu tragen; auf der anderen Seite ist aber auch zu berücksichtigen, dass die betreffende gemeindliche Entscheidung sich nicht im Normvollzug erschöpft, sondern zugleich Ausfluss kommunaler Planungshoheit und Gestaltungsfreiheiten ist und der Einpassung in ein umfängliches, weithin eigenverantwortlich zu erstellendes Leistungs- und Versorgungsprogramm bedarf.

Damit spielen lokale Einschätzungen der Dringlichkeit – unter angemessener Wahrung objektivierbarer, von der Volksgesundheit geforderter Standards – eine herausragende Rolle. So können selbst bei vergleichbarer Sachlage unterschiedliche Entscheidungen in verschiedenen Gemeinden von Rechts wegen hingenommen werden. Hinsichtlich des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen dürfte damit dem jeweiligen Gemeinderat ein gremiengebundener Beurteilungsspielraum zustehen, wie er inzwischen bei diversen Sachentscheidungen besonders prädestinierter Kollegialorgane anerkannt ist[17]. Hierzu tendiert augenscheinlich auch die zurückhaltender gewordene Rechtsprechung[18].

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Lösungshinweis zu Fall 8 (Rn 267):

Im Ausgangsfall (A) wird nicht etwa gerügt, dass die Voraussetzung eines Anschluss- und Benutzungszwanges, das Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses, nicht gegeben wäre – dies ließe sich in Ansehung heutiger hygienischer Anforderungen auch nicht mehr mit Erfolg vertreten –, sondern es geht lediglich um organisatorische Modalitäten und Fragen des richtigen Maßstabes für die Entgeltbemessung (dazu unten Rn 282 f).

Die zweite Frage (B) zielt nicht auf das „Ob“ eines Anschluss- und Benutzungszwanges, sondern auf im Laufe des Benutzungsverhältnisses anfallende Kosten, und zwar nicht solche der laufenden Überwachung und Instandhaltung der Leitungen, die in die allgemeine Kostenrechnung eingehen, sondern spezielle, separate Erneuerungskosten. Strittig ist hier die prognostische Einschätzung der Erneuerungsbedürftigkeit, für welche die gleichen Kriterien heranzuziehen sind wie bei der Begründung eines Anschlusszwanges. Auch insoweit steht dem entscheidenden, unmittelbar demokratisch legitimierten Kollegialorgan der betreffenden Gemeinde daher ein gremiengebundener Beurteilungsspielraum zu. Es kommt nicht darauf an, ob die Leitung korrodiert oder konkret bruchgefährdet war, sondern darauf, ob die Gemeinde sämtliche technischen Erfahrungswerte unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ermittelt und daraus in Ansehung der im Interesse der Anschlussnehmer vorrangigen Versorgungssicherheit vertretbare Folgerungen gezogen hat.

Hinzuweisen ist noch darauf, dass die Gemeinde bei der Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses hinsichtlich der hier in Rede stehenden Wasserversorgung (ähnliches gilt übrigens für die Versorgung mit Elektrizität, Gas und Fernwärme) im Wege gemeindlicher Satzungsbestimmungen und Versorgungsbedingungen nicht frei ist, sondern die AVB WasserV vom 20.6.1980 (BGBl. I S. 750) zu beachten hat, eine noch auf der Grundlage von § 27 S. 1 AGBG (jetzt: Art. 243 EGBGB) ergangene bundesrechtliche Verordnung, in der sich Vorgaben zum Zwecke eines Ausgleichs zwischen den Interessen des Versorgungsträgers und den individuellen Belangen der Verbraucher finden.

Zur Anspruchsgrundlage der Stadtwerke bei privatrechtlicher Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses siehe Art. 243 EGBGB und § 10 AVB WasserV. Bei öffentl.-rechtl. Ausgestaltung siehe §§ 6a, 8 nds.KAG; § 10 KAG NRW; § 35 AVB WasserV.

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Gewissermaßen stillschweigend als selbstverständlich vorausgesetzt wird, dass es sich um eine öffentliche Einrichtung der Gemeinde (siehe oben § 7) handelt, für die von dieser ein Anschluss- und Benutzungszwang angeordnet wird:

„Da die öffentliche Einrichtung durch die gesetzlichen Zugangsansprüche der Berechtigten und die korrespondierende Verpflichtung der Gemeinde, den Zugang zu angemessenen Bedingungen zu gewährleisten, gekennzeichnet wird, kann ein Betrieb in privater Trägerschaft nur dann eine öffentliche Einrichtung der Gemeinde darstellen, wenn diese in rechtlicher Hinsicht in der Lage ist, ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen. Die Gemeinde muss den Berechtigten die Benutzung des privaten Betriebs zu angemessenen Bedingungen verschaffen können. Dies setzt voraus, dass ein maßgeblicher Einfluss der Gemeinde auf die wesentlichen betrieblichen Entscheidungen des privaten Unternehmens rechtlich sichergestellt ist. Sind die Rechtsbeziehungen zwischen diesem und der Gemeinde – wie regelmäßig – in einem Betreibervertrag geregelt, so muss dieser Vertrag die Verpflichtung des Betreibers enthalten, den Vertragsbeziehungen mit den Benutzungsberechtigten die rechtlichen Vorgaben von § 10 Abs. 2, 3 und 5 SächsGemO und des Satzungsrechts der Gemeinde zu Grunde zu legen. Demzufolge muss dem privaten Unternehmen in dem Betreibervertrag ein Kontrahierungszwang ebenso auferlegt werden wie die Übernahme der von der Gemeinde vorgegebenen Benutzungsbedingungen in die Vertragsbeziehungen mit den Benutzungsberechtigten. Auch muss sich das Unternehmen verpflichten, Änderungen des Betriebs, die sich auf die Benutzung auswirken, und Änderungen der Benutzungsbedingungen, insbesondere der Benutzungsentgelte, nur im Einvernehmen mit der Gemeinde vorzunehmen.“[19]

Teil I Kommunalrecht§ 8 Der Anschluss- und Benutzungszwang › III. Ausnahmemöglichkeit bei Unzumutbarkeit

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