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4. Kommunale Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr 4b GG)
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Verletzungen des Rechts auf Selbstverwaltung gemäß Art. 28 GG durch gesetzliche Regelungen können Gemeinden und Gemeindeverbände im Wege der kommunalen Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht rügen. Dieses Rechtsschutzinstrument[130] ist in Art. 93 I Nr 4b GG und §§ 13 Nr 8a, 91 ff BVerfGG verankert.
Die Separierung von Individualverfassungsbeschwerde des Bürgers und kommunaler Verfassungsbeschwerde ist übrigens ein weiteres Indiz dafür, dass die Selbstverwaltungsgarantie für die Kommunen nicht ein Grundrecht darstellt (so noch § 184 Paulskirchenverf. 1849), sondern die Gewährleistung einer öffentlich-rechtlichen Funktionsebene, für die nur in ähnlicher Weise eine subjektive Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet werden sollte (s. oben Rn 49).
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Bei der Würdigung dieses Instrumentariums kommunalen Rechtsschutzes sind die Fragen der verfassungsgerichtlichen Kontrolleröffnung (dazu Rn 86), der verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstäbe (dazu Rn 89) und der verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte (dazu bereits oben Rn 50 ff) von Belang.
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Die Zulässigkeit einer solchen kommunalen Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr 4b GG iVm §§ 13 Nr 8a, 91 BVerfGG)[131] setzt zunächst die Behauptung voraus, durch ein Gesetz des Bundes oder des Landes in Rechten aus Art. 28 GG verletzt zu sein.
Einbezogen sind hier nicht nur förmliche Gesetze, Rechtsverordnungen[132] und Satzungen, sondern auch Gewohnheitsrecht[133] sowie Schutzflächenausweisungen eines Gebietsentwicklungsplans[134], nicht aber gerichtliche Entscheidungen[135] sowie – vor den Verwaltungsgerichten angreifbare – Ministerialerlasse[136]. – Eine Untätigkeit des Gesetzgebers ist mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde nicht angreifbar[137].
Für diese Beschwerdebefugnis gilt:
„Das Erfordernis, dass die Verfassungsbeschwerde wegen einer Verletzung des Art. 28 II GG erhoben sein muss, setzt voraus, dass mit der Verfassungsbeschwerde ein Sachverhalt dargetan wird, auf Grund dessen der Schutzbereich des Art. 28 II GG betroffen sein könnte“[138].
Nach Auflösung einer Gemeinde im Wege gesetzlicher Neugliederung bleibt sie für die gegen diese Maßnahme gerichtete Verfassungsbeschwerde beschwerdebefugt und parteifähig[139].
Die Einlegungsfrist beträgt gemäß § 93 III BVerfGG ein Jahr seit In-Kraft-Treten des Gesetzes.
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Die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ist bei Landesgesetzen ausgeschlossen, soweit eine Beschwerde wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung gemäß Landesrecht beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann (Art. 93 I Nr 4b GG, § 91 S. 2 BVerfGG)[140]. Dieser Subsidiaritätsgrundsatz greift allerdings nicht, wenn die landesverfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung hinter dem materiellen Gewährleistungsniveau des Art. 28 Abs. 2 GG zurückbleibt, was beispielsweise der Fall ist, wenn das Landesverfassungsrecht die Eigenverantwortlichkeit der gemeindlichen Aufgabenerfüllung oder die Eigenständigkeit der Gemeinden gegenüber den Landkreisen negiert.[141]
Wenn Länder Landesverfassungsgerichte mit entsprechenden Kompetenzen eingerichtet haben, ist die Wahrung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden damit ihnen anvertraut. Die Gemeinden sind mithin auf das Verfahrensrecht des Landes ebenso wie auf die Auslegung des in der jeweiligen Landesverfassung garantierten Selbstverwaltungsrechts und die sich aus der Landesverfassung ergebenden Prüfungsmaßstäbe verwiesen (s. aber Rn 47 mit Fn 5). In Rh.Pf. etwa kann die Kommunalverfassungsbeschwerde im Unterschied zur bundesrechtlichen Regelung nicht nur gegen Rechtssätze, sondern auch gegen andere Akte der öffentlichen Gewalt des Landes erhoben werden[142].
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Das BVerfG entscheidet über kommunale Verfassungsbeschwerden gegen eine landesrechtliche Rechtsverordnung, wenn das Landesverfassungsgericht seine Prüfung auf formelle Landesgesetze beschränkt[143].
Im Ausgangsfall war daher richtigerweise nicht das BVerfG, sondern der VerfGH NRW angerufen worden. Die Beschwerdebefugnis der Gemeinde G ergab sich aus einer möglichen Verletzung der gemeindlichen Organisationshoheit; wohingegen weder die Finanz- noch die Personalhoheit (unter Zugrundelegung des in Rn 55 f skizzierten Begriffsverständnisses) tangiert war[144].
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Prüfungsmaßstab in diesem bundesrechtlichen Verfassungsbeschwerdeverfahren ist ausweislich des Wortlauts der einschlägigen Vorschriften nur Art. 28 GG. Die Rechtsprechung zieht jedoch zusätzlich den allgemeinen Gleichheitssatz[145] und solche Verfassungsvorschriften mit heran, die „ihrem Inhalt nach das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen geeignet“ sind, wie die bundesstaatliche Kompetenzverteilung[146]. Demgemäß müsste es möglich sein, im Rahmen des kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahrens eine Kontrolle auf potenzielle Verletzungen allgemeiner Verfassungsprinzipien (Rechtsstaatlichkeit, Demokratie) zu erreichen[147].
Die Zulässigkeit der kommunalen Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht im Ausgangsfall ergibt sich aus Art. 75 Nr 5 Verf. NRW iVm §§ 12 Nr 8, 52 VGHG NRW. Gerügt werden kann eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts durch „Landesrecht“; umfasst sind damit neben Gesetzen jedenfalls auch Rechtsverordnungen. Auch in materieller Hinsicht bleibt die landesverfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 1 I, 78, 79 Verf. NRW) nicht hinter der grundgesetzlichen Garantie aus Art. 28 II GG zurück (s.o. Rn 87). Infolge der Subsidiarität (vgl Art. 93 I Nr 4b GG, § 91 S. 2 BVerfGG) scheidet mithin eine Verfassungsbeschwerde zum BVerfG aus.
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In diesem Kontext taucht die Frage auf, ob denn die Kommunen auf das speziell ihnen zur Verfügung gestellte verfassungsgerichtliche Rechtsschutzinstrument des Art. 93 I Nr 4b GG beschränkt sind oder ob sie nicht auch, soweit Art. 19 III GG dies zulässt, auf die Individualverfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 I Nr 4a GG rekurrieren und die Verletzung von Grundrechten rügen können. Diese Frage ist jedenfalls insoweit zu verneinen, als es um den Schutz des seinerseits grundrechtsgebundenen öffentlich-rechtlichen Aufgabenkreises der Kommunen geht (sog. Konfusionsargument)[148]. Zu bejahen ist sie im Hinblick auf die Geltendmachung der sog. Justizgrundrechte (Art. 101 ff GG)[149]. Strittig ist sie in Ansehung von Rechtspositionen, hinsichtlich derer die Gemeinden in vergleichbarer Weise wie der Bürger der Staatsgewalt unterworfen sind[150].
Beispiele:
Berufung auf Art. 14 GG im Falle einer Enteignung gemeindlicher Grundstücke, die wirtschaftlich genutzt werden, zugunsten von Verteidigungszwecken.
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Gliedert eine Gemeinde bestimmte Aufgaben organisatorisch in Kapitalgesellschaften aus, etwa durch Gründung einer Stadtwerke-GmbH, so wird dieses Privatrechtssubjekt hinsichtlich der Grundrechtsträgerschaft nicht anders behandelt als die dahinterstehende Gebietskörperschaft[151]. Mithin ist die Individualverfassungsbeschwerde einer kommunalen Eigengesellschaft unter Berufung auf eine Grundrechtsverletzung unzulässig. Strittig ist allerdings die Einstufung sog. gemischtwirtschaftlicher Unternehmen (zu ihnen noch Rn 310)[152].