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1. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

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Eine zentrale Rolle nehmen Bürgerbegehren und Bürgerentscheid gem. § 21 bd.wtt.GO, Art. 18a bay.GO, § 20 KV M-V; §§ 32, 33 NKomVG; § 26 GO NRW ein.

Das Bürgerbegehren stellt einen an ein bestimmtes Unterschriftenquorum geknüpften schriftlichen Antrag von Bürgern dar, der darauf zielt, dass die Bürgerschaft selbst über eine Angelegenheit der Gemeinde an Stelle des Rates – mit der Wirkung eines Ratsbeschlusses – entscheidet (Bürgerentscheid)[26]. Ziel eines Bürgerbegehrens kann es daher nicht sein, dem Rat lediglich Vorgaben für eine erst noch von ihm zu treffende Entscheidung zu machen.

Zu unterscheiden ist zwischen einem sog. kassatorischen und einem sog. initiierenden Bürgerbegehren. Ersteres greift in eine vom Rat getroffene Regelung ein, sei es, dass sie sich in der Aufhebung dieser Regelung erschöpft, sei es, dass es sie durch andere ersetzt; letztere „bearbeiten gleichsam ein noch unbestelltes Feld und stoßen damit ausschließlich gemeindliche Aktivitäten an“[27].

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Bevor ein Bürgerbegehren zum Bürgerentscheid heranreifen kann, muss es eine Reihe von Zulässigkeitsvoraussetzungen[28] erfüllen: In formeller Hinsicht bedarf es eines hinreichend bestimmten Antrags mit Bezeichnung einer Frage, die mit Ja/Nein beantwortet werden kann,[29] einer Begründung und der Benennung von vertretungsberechtigten Personen. In vielen Ländern wird ferner ein Vorschlag zur Kostendeckung gefordert[30]. Das vom Bürgerbegehren zu erreichende Unterstützungsquorums liegt in Deutschland zwischen 3% der Einwohner bei großen Städten in Bayern oder NRW und 10% etwa in Sachsen[31] und ist innerhalb einer bestimmten Frist zu erreichen. Zudem sind die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung thematisch begrenzt, was die Gemeindeordnungen zumeist in einem Negativkatalog zum Ausdruck bringen. Zu den Themenkreisen, die einem Bürgerbegehren nach Maßgabe gesetzlicher Festlegung verschlossen bleiben, gehören in jedem Falle solche Anträge, die kommunale Abgaben betreffen (vgl § 32 II Nr 3 NKomVG; § 26 V Nr 3 GO NRW), mit denen ein gesetzwidriges Ziel verfolgt wird oder die sittenwidrig sind (vgl § 32 II Nr 8 NKomVG). Je nach Landesrecht sind dies aber etwa auch Fragen der Organisation der Gemeindeverwaltung und ihrer Mitglieder oder Belange mit besonderer Komplexität. Stets muss es jedenfalls um eine Angelegenheit der Gemeinde gehen, für die innergemeindlich grundsätzlich der Gemeinderat organzuständig ist.

Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind und das Bürgerbegehren zulässig ist, wird in der Regel vom Gemeinderat (vgl § 26 VI 1 GO NRW; Art. 18a VIII 1 bay.GO; § 20 V 4 KV M-V), in Niedersachsen jedoch (gem. § 32 VII 1 NKomVG) vom Hauptausschuss festgestellt. Ist dies der Fall, kann das Vertretungsorgan entweder dem Bürgerbegehren entsprechen[32] oder den Bürgerentscheid durchführen lassen. Die kommunalen Verfahren sachunmittelbarer Demokratie sind also stets zweistufig ausgestaltet. Der abschließende Bürgerentscheid selbst fordert eine Ja/Nein-Entscheidung, die regelmäßig beim Erreichen der einfachen Mehrheit und eines hinreichenden Zustimmungsquorums, das wiederum zwischen den Ländern variiert[33], erfolgreich ist.

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Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Ratsbeschlusses. Er entfaltet bindende Wirkung hinsichtlich der Angelegenheit, über die die Bürgerschaft entschieden hat.[34] Vor Ablauf von zwei Jahren kann er nur auf Initiative des Rates durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden (so § 33 IV 2 NKomVG; § 26 VIII GO NRW; § 20 I 2 KV M-V in der Abänderbarkeit abweichend Art. 18a XIII bay.GO).

Daraus ergibt sich mittelbar, dass nach zwei Jahren ein Bürgerentscheid durch Ratsbeschluss kassiert werden kann. Diese Vorschrift ist aber nicht umgekehrt anwendbar auf die Kassation eines Ratsbeschlusses durch einen Bürgerentscheid. Für eine Analogie fehlt es an einer Regelungslücke, insbes. in NRW, wo für sog. kassatorische Bürgerbegehren in § 26 III GO NRW eine abschließende Fristenregelung getroffen ist[35].

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Anders als bei Wahlen sind die Gemeindeorgane regelmäßig nicht zur Neutralität gegenüber einem Bürgerbegehren verpflichtet. Ihre Befugnis, sich zu einem kassatorischen Bürgerbegehren wertend zu äußern, erfährt jedoch Einschränkungen durch Kompetenznormen, den Grundsatz der Freiheit der Teilnahme an Bürgerbegehren und das Sachlichkeitsgebot[36]. Letzteres gilt allerdings auch für die Bürgerbegehren, die, wenn ihre mangelhafte Begründung als Täuschung des Wählerwillens erscheint, unzulässig sein können[37].

Der plebiszitär-demokratische Charakter des Bürgerbegehrens verleiht diesem einen besonderen Schutz gegenüber den Handlungen der Gemeindeorgane. Der aus dem allgemeinen Staatsrecht entwickelte Grundsatz der Organtreue gilt auch im Verhältnis der Gemeindeorgane zur Bürgerschaft im Rahmen eines Bürgerbegehrens. Gleichwohl besteht allein durch Einleitung eines Verfahrens zur Herbeiführung eines Bürgerbegehrens bzw Bürgerentscheides noch keine generelle „Entscheidungssperre“ für den Rat oder andere Gemeindeorgane[38]. Andererseits ist das Handeln der Gemeindeorgane aber dann als treuwidrig anzusehen, wenn es in der Sache oder hinsichtlich des dafür gewählten Zeitpunkts bei objektiver Betrachtung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, sondern allein dem Zweck dient, dem Bürgerbegehren die Grundlage zu entziehen und damit eine Willensbildung auf direkt-demokratischem Wege zu verhindern[39]. So darf der Gemeinderat nicht einseitig durch Beschleunigung von Verfahrensschritten, kombiniert mit einer Verzögerung des Verfahrens des Bürgerbegehrens Fakten schaffen, welche letztlich dem Bürgerbegehren die Grundlage entziehen[40]. Im Konfliktfall stellt sich mithin die Aufgabe, „die direkte Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene mit der Handlungsfreiheit der Gemeinden und ihrer gewählten Organe zu verbinden“[41].

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Rechtsschutzfragen können sich nun in allen diesen geschilderten Stadien des Bürgerbegehrens ergeben, wobei der praktische Schwerpunkt bei den Klagen gegen Entscheidungen über die Unzulässigkeit eines Bürgerbegehrens liegt. In allen denkbaren Konstellationen geht es im Kern um drei Grundfragen, die miteinander zusammenhängen: Wem steht das geltend gemachte Recht zu? Um welche Art von Recht – Innen- oder Außenrechtsverhältnis – handelt es sich? Und welche Klageart steht verwaltungsprozessual zur Verfügung, um das Klageziel zu erreichen? Insoweit lassen sich sieben verschiedene Fallkonstellationen unterscheiden, deren Thematisierung im Detail jedoch den Umfang dieses Lehrbuchs sprengen würde, weshalb hier auf die Rechtsprechung und Spezialliteratur zu verweisen ist[42].

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