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Jörg Grüntal

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„Es wundert mich nicht, dass ihr bei euren Recherchen das Gefühl habt, nicht richtig hinter die Dinge zu sehen.“

Fabian saß in seinem Büro und telefonierte mit Jörg Grüntal. Viele Jahre waren sie Kollegen gewesen, als Geologen hatten sie etliche Projekte zusammen bearbeitet. Gemeinsam waren sie für den Bergbaukonzern mehrmals im Ausland gewesen, beide wussten, dass in schwierigen Situationen auf den anderen Verlass war. Der Kontakt war nie abgebrochen, an Geburtstagen telefonierten sie miteinander, und stets ließen sie bei dieser Gelegenheit die alten Zeiten ein wenig aufleben.

„Alle Konzerne halten ihr verfahrenstechnisches Wissen rund ums Fracking unter Verschluss, das sind sorgfältig gehütete Firmengeheimnisse“, fuhr Jörg fort, „die meisten haben eigene Forschungsinstitute, in denen hochspezialisierte Wissenschaftler tätig sind. Auch diese Leute überblicken in der Regel jeweils nur einen begrenzten Teil der Prozesskette, nur wenige Wissenschaftler kennen das genaue Zusammenspiel aller Verfahrensschritte und aller Technologien. Für Industriespione wird es dadurch schwieriger, in den Besitz des gesamten Know-Hows eines Konzerns zu kommen. Es geht dabei um sehr viel Geld. Gelingt es einem Unternehmen, die Fördertechnik geringfügig zu verbessern, kann das den Gewinn letztlich um viele Millionen nach oben treiben, was wiederum zu Wettbewerbsvorteilen führt, wenn der Staat neue Förderlizenzen versteigert. In den vergangenen Jahren habe ich einige Forschungsaufträge für Fracking-Konzerne bearbeitet. Wenn du mir Diskretion zusicherst, kann ich dir noch einige Details sagen, die du vermutlich nirgendwo lesen kannst. Als Informationsquelle möchte ich meinen Namen jedoch unter keiner Reportage lesen.“

„Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich verspreche es dir als Redakteur und als ehemaliger Kollege ohnehin“, erwiderte Fabian.

Jörg machte eine kurze Pause, holte tief Luft und begann: „Seit wenigen Jahren gibt es Bohrverfahren, mit denen kostengünstig durch jedes Gestein hindurch in jede beliebige Tiefe gebohrt werden kann. Mit dieser Technik lassen sich auch sehr tiefe Lagestätten mit geringen Öl- und Gasvorräten wirtschaftlich erschließen. Beim Fracking selbst gibt es ebenfalls eine bedeutsame Entwicklung. Die Kompressoren, mit denen die Frackingflüssigkeit in den Untergrund gepresst wird, um das ölhaltige Gestein aufzubrechen, arbeiten heutzutage mit gewaltigen Drücken, die bis vor wenigen Jahren als unerreichbar galten. Im Gestein bilden sich dadurch extrem viele und sehr weit verzweigte Risse. Auch geringe Öl- und Gasgehalte können durch ein solches Risssystem gut entweichen und über das Bohrloch zur Erdoberfläche strömen. Bei den Energiekonzernen wird diese neue Technologie intern auch als Hyper-Fracking bezeichnet. Klar ist, dass die neue Methode sehr viel mehr Frackingflüssgkeit benötigt als es bei den alten Verfahren der Fall war. Ein ausgedehnteres Risssystem nimmt eben auch mehr Frackingfüssigkeit auf. Damit erhöhen sich jedoch die Umweltrisiken, auch deswegen wird die Verfahrenstechnik von den Konzernen streng geheim gehalten.“

Eine Gesprächspause folgte. Fabian setzte sich aufrecht in den Bürostuhl, seine Schultern waren verspannt und schmerzten, der Räusperreiz quälte ihn.

„Zu diesen tiefen Bohrungen fällt mir nur noch ‚Einmal Hölle und zurück‘ ein. Mit diesen Worten beginnt der Song ‚Mein König‘ von Sarah Conner. Jörg, erinnerst du dich?“

„Natürlich“, lachte Jörg, „ihr Album ‚Muttersprache‘ hat uns im brasilianischen Urwald immer dann besonders getröstet, wenn die letzte Flasche deutsches Bier ausgetrunken war, und das Heimweh unerträglich wurde. Das müsste 2015 gewesen sein, oder?“

An beiden Telefonen entstand eine Pause, es schien als stiegen die Musik und das damalige Lebensgefühl aus der Vergangenheit empor. Ihre gemeinsamen Erinnerungen lagen viele Jahre zurück, nichts davon war verloren gegangen, in Fabians Kopf spielten Bruchstücke des Liedes.

https://www.youtube.com/watch?v=dkormqFsjfs

„Du könntest versuchen, Kontakt zu einem Frackingkonzern aufzubauen und dir eine Energieplantage zeigen lassen“, kehrte Jörg wieder zum Thema zurück. „Mit den Stichworten aus unserem Gespräch schaffst du es vielleicht, weitere Einzelheiten herauszubekommen.“

Das Telefonat war zu Ende, die Kernarbeitszeit ebenfalls. Fabian zog seine Fahrradkleidung an und bestieg das Mountainbike. In den Wäldern rund um Stuttgart versuchte er, seinen Kopf frei zu bekommen.

Asche und Stimme

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