Читать книгу Asche und Stimme - Mathieu Lichtkron - Страница 15

Verluste

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„Ich habe gestern die Unterlagen durchgesehen, die uns vergangene Woche auf der Energieplantage übergeben wurden.“ Wolfram saß an seinem Schreibtisch und sah müde aus, in der vergangenen Nacht hatte er offensichtlich nur wenig geschlafen.

„Und, enthalten sie irgend welche interessanten Informationen?“, wollte Fabian wissen.

„Ja, allerdings.“ Eine kurze Gesprächspause folgte, Fabian sah seinen Kollegen fragend an.

„Na sag schon Wolfram, so weltbewegend wird es kaum sein“, drängte Fabian.

Wortlos überreichte Wolfram seinem Kollegen eine Präsentation von annähernd 60 Blättern, die beidseitig bedruckt waren. Eine Spiralbindung am Seitenrand hielt das Dokument zusammen. Fabian begann zu blättern. Texte, Tabellen, Diagramme, Landkarten und Fotos wechselten einander ab. Auf den letzten Seiten änderte sich das Layout des Dokuments. Für einen Moment dachte Fabian, er habe einen Anhang in englischer Sprache vor sich, was seine Neugier weckte. Er begann zu lesen, Wolfram unterbrach ihn nach wenigen Augenblicken.

„Das ist es. Ein anderes Dokument, ein Statusbericht, der versehentlich in die Präsentation geraten ist. Herr Crown hatte während der Besichtigungsfahrt mit seiner Sekretärin telefoniert und sie gebeten, uns eine Standortpräsentation über die Energieplantage auszudrucken, erinnerst du dich? Ich vermute, dass dieser Statusbericht zuvor von einer anderen Person ausgedruckt wurde und im Drucker liegen geblieben ist. Die Sekretärin nahm dann beide Dokumente aus dem Drucker und hat die Standortpräsentation versehentlich zusammen mit dem Statusbericht gebunden, eine Panne! Zwischen dem Anruf von Herrn Crown und dem Ende unserer Rundfahrt hatte sie nicht viel Zeit, um die Präsentation auszudrucken, vielleicht war sie im Stress.“

„Fast wie bei uns in der Redaktion“, murmelte Fabian vor sich hin.

„Und was steht drin?“, fragte er mit wachsender Neugier. Eine kurze Pause folgte, Wolfram sah aus dem Fenster und suchte nach passenden Worten.

„Fabian, sie scheinen ein Problem zu haben. Das hier ist ein streng vertraulicher Bericht, der direkt an das Management der First German-American Fracking Company in Berlin und Chicago adressiert ist. Seit über einem Jahr werden enorme Mengen Frackingflüssigkeit in den Untergrund gepresst, weil die Fördermenge zurückgeht. Eigentlich müsste die geförderte Öl- und Gasmenge stark ansteigen, was aber nicht der Fall ist. Die Förderraten steigen nach den Einpressphasen nur schwach und für kurze Zeit an. An mangelndem Ölgehalt im Gestein liegt es offenbar nicht, wenn ich den Bericht richtig verstehe. Sie wissen nicht, wie sie die Fördermenge aufrechterhalten sollen, und sie wissen auch nicht, was mit der Frackingflüssigkeit im Untergrund geschieht.“ Wolfram blätterte in dem Statusbericht, er umfasste kaum 10 Seiten. Aus Diagrammen war ersichtlich, dass die Fördermenge seit vielen Monaten abnahm, obwohl ein Vielfaches der früher verwendeten Frackingflüssigkeit in den Untergrund eingepresst wurde. Es ging um zehntausende Tonnen Flüssigkeit, die mit Sand und Chemikalien versetzt waren. Wolfram las eine Passage vor, die davon berichtete, dass auch der Druck, mit dem die Flüssigkeit in den Untergrund gepresst wurde, verdreifacht worden war.

„Ich bin zwar Physiker“, fuhr Wolfram fort, „verstehe den Inhalt dieses Papiers jedoch nur zur Hälfte. Bemerkenswert finde ich, dass der Statusbericht wöchentlich aktualisiert werden muss. Für den Konzern scheint es in dieser Sache ums Ganze zu gehen. Mit allerhand wissenschaftlichen Tests versucht man offenbar fieberhaft, dem Problem auf den Grund zu gehen. Man hat sogar Kontrollbohrungen niedergebracht, mit deren Hilfe untersucht wird, ob die eingepresste Frackingflüssigkeit Richtung Erdoberfläche aufsteigt, dies scheint allerdings nicht der Fall zu sein, sie verschwindet im Untergrund. Auch andere Energieplantagen entlang der Schwäbischen Alb haben anscheinend ähnliche Probleme.“

„Ich muss etwas essen, komm wir gehen ins Bistro“, wechselte Fabian das Thema. Es war früher Nachmittag, fast zu spät für eine Mittagspause. Hungergefühl hatte sich während der vorangegangenen Unterhaltung bei den Kollegen nicht eingestellt, dafür kämpfte Fabian mit aufziehenden Kopfschmerzen, ständig musste er sich räuspern. Kurz darauf saßen sie im Bistro. Sie nahmen eine Suppe und ein Sandwich zu sich, die sonst übliche Unterhaltung wollte nicht in Gang kommen.

„Wie soll es mit der Reportage nun weitergehen?“ Die Frage drängte sich auf, Fabian sprach sie aus, seine Stimme war brüchig, und das Reden strengte ihn an.

„Ich denke, dass wir auf etwas sehr Bedeutsames, Interessantes gestoßen sind, dem wir weiter nachgehen sollten. Uns liegen nur bruchstückhafte Informationen vor, die wir nicht deuten können, die wir offiziell auch gar nicht besitzen dürfen und daher vorerst nicht veröffentlichen sollten. Wir verstehen von den Vorgängen in diesen Energieplantagen einfach viel zu wenig. Wir müssen also versuchen, den Dingen systematisch auf den Grund zu gehen.“ Wolfram war ein sorgfältiger, analytisch denkender Mensch. Fabian fühlte sich ausgelaugt, seine Gedanken pendelten zwischen Brasilien und dem Feriendorf hin und her. Auf dem Rückweg in die Redaktion beschlossen sie, den Statusbericht zur genaueren Auswertung an Jörg Grüntal zu senden.

Asche und Stimme

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