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NominalisierungNominalisierung
ОглавлениеDie Unterscheidung zwischen Substantiven Substantivund Nomen Nomenhaben wir deshalb vorgenommen, weil für die Auseinandersetzung mit dem Nominalstil gerade die Nomen interessant sind: Der Eindruck, dass ein Text im Nominalstil verfasst ist, entsteht nicht einfach dadurch, dass viele Substantive verwendet werden, sondern in der Regel erst, wenn es sich um Nomen – meist deadjektivische oder deverbale Nominalisierungen Nominalisierungdeverbal– handelt:
(1) | Die SPD wäre gut beraten, die Sache genau zu studieren, manches davon könnte ihr in den kommenden Gesprächen zur Anbahnung einer Sondierung zur Herbeiführung von Koalitionsverhandlungen zur Ermöglichung einer schwarz-roten Regierung wieder begegnen. (Die ZEIT, 30.11.2017) |
(2) | Bis jetzt konnte also von Elektrizität gar keine Rede sein, und der Wagenführer hatte nicht das geringste mit irgendwelchen Kurbeln und Hebeln zu tun, sondern er hielt in der linken Hand die Zügel und in der rechten die Peitsche. (Erich Kästner: Emil und die Detektive) |
Beispiel (1) enthält 33 Wortformen, davon zehn Nomen (die drei Substantive SPD, Sache, Gespräch, das Pronomen manches sowie die sechs deverbalen NominalisierungNominalisierungdeverbalen Anbahnung, Sondierung, Herbeiführung, Koalitionsverhandlung, Ermöglichung, Regierung). Der Anteil der Nomen beträgt also 30,3%. In Beispiel (2) kommen neun Nomen auf 39 Wörter. Die meisten der neun Nomen sind gleichzeitig auch Substantive; der Wagenführer bspw. ist zwar ein deverbales Nomen Nomendeverbal(einen Wagen führen → der Wagenführer), deverbale Personenbezeichnungen wie diese gelten aber (wahrscheinlich aufgrund ihrer starken LexikalisierungLexikalisierung) nicht zwingend als Nominalstilphänomen (der Lehrer, die Verkäuferin). Der Anteil der Nomen in Beispiel (2) ist mit 23,08% zwar etwas niedriger als in Beispiel (1), der Abstand ist aber nicht so groß, wie man aufgrund der ganz unterschiedlichen Wirkung der Beispiele erwarten könnte. Der Eindruck, dass es sich bei Beispiel (1) um einen nominalstilistischen Satz handelt, entsteht folglich stärker auf der Basis der Qualität der Nomen als allein aufgrund ihrer Quantität. Dabei ist es sicherlich kein Zufall, dass alle sechs Nominalisierungen in Beispiel (1) deverbale Nominalisierungen sind.
Die zahlreichen Möglichkeiten, durch Derivation Derivationoder Konversion KonversionLexeme aus einer anderen Lexemklasse Lexemklassein die nominale Domäne Domänenominalzu überführen, ist also offenbar eine wichtige Grundlage für den Ausbau des nominalen Stils: Nominalisierungen sind sozusagen das Herzstück des Nominalstils. Werfen wir also einen genaueren Blick auf den Begriff der Nominalisierung:
Diskurs: ‚Nominalisierung‘ als morphologischer und syntaktischer Begriff
Wie so viele andere Termini wird auch dieser unterschiedlich gebraucht. In der Dudengrammatik bspw. wird der Terminus ‚SubstantivierungSubstantivierung‘ nur für die Bildung von Substantiven durch Konversion Konversion(langes Anstehen, die Neuen) verwendet (2016: 678f., 809); Eisenberg hingegen benutzt ihn sowohl für die Bildung von Substantiven durch Konversion als auch durch Affigierung Affigierung(2013a: 280). Der Terminus ‚NominalisierungNominalisierung‘ wird in der Fachliteratur etwa von Ehrich (1991) und Lübbe/Trott (2017) für deverbale NomenNomendeverbalbildungen verwendet. Deverbale Nominalisierungen werden traditionell ‚VerbalabstraktaVerbalabstraktum‘ genannt. Für Nominalstilfragen relevant sind aber auch sogenannte ‚AdjektivabstraktaAdjektivabstraktum‘, die durch Affigierung mit Suffixen Suffixwie -heit oder -keit gebildet werden (Beschaffenheit, Heiterkeit).
Bei ‚Nominalisierung‘ geht es aber nicht nur um die morphologischen Prozesse der Bildung von Nomen Nomenaus Lexemen anderer Wortklassen, sondern auch um die syntaktischen Konsequenzen der Verwendung der Nominalisierungsprodukte als Nomen (vgl. Welke 2011: 250ff.). Man kann folglich zwischen einer morphologischen und einer syntaktischen Perspektive Perspektiveauf den Begriff ‚Nominalisierung‘ unterscheiden. Für Analysen zum Beitrag von Nominalisierungen zum Nominalstil ist vor allem ihr syntaktisches Verhalten relevant. Zentral für die „SubstantivitätSubstantivität“ (Eisenberg 2013a: 328) ist: „Die Verwendung des Substantivs innerhalb der NGr ist bestimmt durch seine Funktion als Kern Kern(nuk).“ (Eisenberg 2013a: 329) Auch in der Dudengrammatik heißt es: „Substantive bilden den Kern von Nominalphrasen.“ (2016: 149)
Nominalisierung Nominalisierung
Mit dem Terminus NOMINALISIERUNG bezeichnen wir den Prozess der Überführung eines Lexems einer nicht-substantivischen Lexemklasse Lexemklassein die nominale DomäneDomänenominal. Aus morphologischer Perspektive Perspektivebezeichnet ‚Nominalisierung‘ den Wortbildungsprozess, der diesem Lexemklassenwechsel zugrunde liegt (Derivation Derivationdie Wanderung, Konversion Konversiondas Wandern). Der Lexemklassenwechsel führt zu einer Veränderung der syntaktischen Eigenschaften: Das Nomen Nomenals Produkt der Nominalisierung ist Kern Kerneiner NominalgruppeNominalgruppe.
Die Begriffsbestimmung kann prinzipiell auf alle Arten der Nominalisierung Nominalisierungangewendet werden und ist also unabhängig davon, aus welcher Lexemklasse das nominalisierte Nomen stammt. Für die Beschäftigung mit dem Nominalstil in diesem Studienbuch sind deverbale Nominalisierungen Nominalisierungdeverbalvon besonderem Interesse. Deshalb seien hier die morphologischen Möglichkeiten der deverbalen Nominalisierung mit Welke (2011: 256) explizit aufgeführt:
Im Deutschen gibt es unterschiedliche Arten der deverbalen AbleitungAbleitung: explizite Derivation Derivationexplizitmit dem Suffix Suffix-ung [a] und dem Suffix -e [b], implizite Derivation Derivationimplizit[c], Stammkonversion Stammkonversion[d], Infinitivkonversion Infinitivkonversion[e].
1 verwandeln – Verwandlung
2 bitten – Bitte, liegen – Liege
3 springen – Sprung, stehen – Stand
4 laufen – Lauf
5 verlangen – das Verlangen
Für deverbale Nominalisierungen Nominalisierungdeverbalverwenden wir in diesem Studienbuch häufig die gängige Bezeichnung ‚VerbalabstraktumVerbalabstraktum‘. Parallel dazu kann eine deadjektivische Nominalisierung Nominalisierungdeadjektivischals ‚AdjektivabstraktumAdjektivabstraktum‘ bezeichnet werden.
An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, dass im Sinne der hier erfolgten Begriffsbestimmung und des mit diesem Studienbuch verfolgten Anliegens diejenigen Nominalisierungen von Interesse sind, die sinnvoll auf eine verbale Struktur zurückgeführt werden können. Das ist dann nicht der Fall, wenn sich das Produkt der Nominalisierung durch Lexikalisierung Lexikalisierungvom Geberlexem Geberlexemzu weit entfernt hat. Die Übergänge sind natürlich fließend. Als Beispiel sei hier das deadjektivische Nomen NomendeadjektivischAllgemeinheit genannt: Formal ist das Nomen als deadjektivische Nominalisierung Nominalisierungdeadjektivischan der expliziten Derivation Derivationexplizitmit -heit gut erkennbar. Eine Rückführung auf einen Satz wie X ist allgemein ergibt hier aber keinen Sinn, weil sich die Bedeutung des Derivats von diesem Ursprung entfernt hat (vgl. Duden Universalwörterbuch: Öffentlichkeit, Gesamtheit, alle). Um auf einen in diesem Sinne engeren Begriff von Nominalisierung zu verweisen, wird in diesem Studienbuch an den entsprechenden Stellen auch von ‚satzwertiger NominalisierungNominalisierungsatzwertig‘ gesprochen.