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AttributAttribut

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Attribute spielen eine zentrale Rolle bei der Konstitution von Nominalstil, weil sie zum Ausbau der Nominalgruppen und somit auch zum Aufbau nominalstilistischer Komplexität Komplexitätbeitragen. Laut Ágel ist „[a]lles, was in einer Wortgruppe Wortgruppenicht Kern Kernund nicht Kopf Kopfist, […] syntaktisch abhängige, lexikalische Spezifizierung/Modifikation Modifikationdes Kerns. Diese Spezifizierungen/Modifikationen werden traditionell […] Attribut genannt.“ (2017: 698) Bevor wir uns mit Beispielanalysen der Frage nähern, was für Typen von Attributen es gibt und welche Rolle Attribute beim Ausbau des Nominalstils spielen, sei auch hier wieder ein kurzer Blick in die Diskussion um den Attributbegriff in der Forschung geworfen.

Diskurs: Was ist ein Attribut?

Der Begriff des Attributs gehört wie auch der Satzgliedbegriff Satzgliedbegriffzu den zentralen Konzepten der Schulgrammatik. Eine genauere theoretische Betrachtung zeigt jedoch, dass die Antwort auf die Frage, was ein Attribut ist, alles andere als trivial ist. Die hier bereits getroffene Unterscheidung zwischen Attribut, Kopf Kopfund Kern Kernals verschiedene Typen von Wortgruppengliedern Wortgruppengliedbietet bereits eine wichtige Eingrenzung des Attributbegriffs. Hingegen kam es in der Diskussion um den Attributbegriff im 20. Jahrhundert zeitweise auch zu einer Gleichsetzung von Attribut und Gliedteil. Der Terminus ‚Gliedteil‘ wurde von Glinz (1968 [1952]) in die germanistische Linguistik eingeführt; im Grunde genommen war sein Verständnis vergleichbar mit dem, was wir hier Wortgruppenglied nennen (1968: 489). In der Folge ist teilweise ‚Attribut‘ mit ‚Gliedteil‘ gleichgesetzt und auch auf Artikel Artikelausgedehnt worden (Fuhrhop/Thieroff 2005: 313). Diese Entwicklung kann man sehr gut an der Dudengrammatik nachvollziehen: In der vierten Auflage (1984: 592) wurden auch die Artikel den Attributen zugeordnet. In der aktuellen achten Auflage (2016) ist der Possessivartikel Possessivartikelnach wie vor Attribut, weil dieser auch als Aktant Aktant(= ErgänzungErgänzung) fungieren kann (vgl. Sie lacht → ihr Lachen).

Eine weitere zentrale Frage der Attributdiskussion ist die, auf was sich Attribute beziehen können und was als Attribut in Frage kommt. Einen hervorragenden Überblick über diese Frage bietet der Aufsatz „Was ist ein Attribut?“ von Fuhrhop/Thieroff (2005). Wir können dem entnehmen, dass gegenüber der traditionellen Auffassung, Substantive Substantivseien die Bezugselemente von Attributen, nach heutigem Verständnis im Grunde fast jede Wortart Attribute an sich binden kann (bspw. AdjektivAdjektiv: der sehr begabte Schüler, PronomenPronomen: Ich Idiot, SubjunktorSubjunktor: Kurz bevor er einschlief …; das Attribut ist jeweils fett markiert). Es liegt nahe, dass für unsere Beschäftigung mit Nominalstil nach wie vor das Substantiv/Nomen Nomender zentrale Bezugsbereich von Attributen ist; allerdings können auch durch Attribute erweiterte Adjektive bzw. adjektivisch verwendete Partizipien Partizipstark zum Ausbau von Nominalgruppen beitragen.

Eine zentrale Rolle in der Attributdiskussion spielt auch die Unterscheidung zwischen Komplementen und SupplementenSupplement, also valenzgebundenen valenzgebundenund nicht valenzgebundenen Attributen (Fuhrhop/Thieroff 2005: 325). Das ist für unsere Thematik insofern relevant, als deverbale Nominalisierungen Nominalisierungdeverbalhäufig auch Ergänzungen als Attribute an sich binden, die zur Valenzpotenz Valenzpotenzdes zugrunde liegenden Verbs in einem Satz gehören (bspw. Wir hoffen auf Frieden unsere Hoffnung auf Frieden). Für die quasi einem Satzglied analoge Verwendung eines Attributs hat bereits Blatz (1896) den Begriff ‚sekundäres SatzgliedSatzgliedsekundär‘ verwendet (den Hinweis darauf verdanke ich dem Text von Fuhrhop/Thieroff 2005: 310). Ágel spricht in Bezug auf die Wiederverwertung von Satzgliedern als Attribute von ‚RecyclingRecycling‘ (2017).

Ein weiterer interessanter Diskussionspunkt findet sich im Text von Fuhrhop/Thieroff: Die beiden Autoren weisen darauf hin, dass es nicht selbstverständlich ist, davon auszugehen, dass sich ein Attribut auf ein Wort bezieht. Vielmehr könnte es sich auch auf eine Wortgruppe Wortgruppebeziehen. So komme für die Interpretation des Bezugs von in Buchholz in die Brücke über den Kanal in Buchholz u.a. die Lesart Lesartin Frage, dass sich dieses Attribut auf die gesamte bisherige Nominalgruppe bezieht (also auf die Brücke über den Kanal) und nicht nur auf Brücke oder Kanal (2005: 330).

Wie genau Attribute in einer Nominalgruppe zu bewerten sind, hängt vom grammatiktheoretischen Kontext der Begriffsbestimmung ab: So ist etwa die folgende Auffassung die Folge des konstituenzgrammatischen Ansatzes von Eisenberg: „Attribute sind unmittelbare KonstituenteKonstituenteunmittelbarn von Nominalgruppen und dem Kernsubstantiv Kernnomennebengeordnet.“ (Eisenberg 2013b: 235) In einem dependenzgrammatischen DependenzgrammatikAnsatz hingegen sind Attribute nicht dem Kernnomen nebengeordnet, sondern hängen von diesem ab (vgl. die Abbildungen 3 und 4).

Wie angekündigt wollen wir uns nun über eine Analyse des bereits zitierten Beispiels einer komplexen Nominalgruppe aus der IdS-Grammatik weiter an den Attributbegriff annähern.

(5) die erste Durchsteigung der Nordwand der großen Zinne auf der Direttissima im Winter 1989 durch Kurt Albert und Gefährten im Rotpunkt-Stil (IdS-Grammatik 1997: 1927)

Um eine Grundlage für die Interpretation der Bezüge der Attribute zu haben, sei die Nominalgruppe zunächst in einen Satz „übersetzt“:

(5‘) Kurt Albert und Gefährten durchsteigen die Nordwand der großen Zinne auf der Direttissima im Winter 1989 zum ersten Mal im Rotpunkt-Stil.

Der Umformulierung können wir entnehmen, dass es mehrere Konstituenten gibt, die sich auf das Verb durchsteigen beziehen:

 Kurt Albert und Gefährten sind diejenigen, die durchsteigen (= SubjektSubjekt);

 die Nordwand wird durchstiegen (= AkkusativobjektAkkusativobjekt):

 mit auf der Direttissima wird die Route benannt, auf der die Durchsteigung erfolgt (= lokales AdverbialAdverbial);

 mit im Winter 1989 wird der Zeitpunkt der Durchsteigung benannt (= temporales TemporalitätAdverbialAdverbial);

 die Durchsteigung erfolgt zum ersten Mal (= Frequenzadverbial);

 mit im Rotpunkt-Stil wird die Art und Weise der Durchsteigung beschrieben (modales AdverbialAdverbial).

Diese Satzgliedanalyse ist deshalb ein wichtiger erster Schritt bei der Bestimmung der Attribute, weil wir daraus schlussfolgern können, dass sich all diese „recycletenRecycling“ Attribute auf den Kern KernDurchsteigung beziehen. Sie sind folglich Attribute ersten Grades. Das Ergebnis ist, dass nur die Nominalgruppe Nominalgruppeder großen Zinne übrigbleibt. Es handelt sich also um ein Attribut zu Nordwand als Kern des ersten Attrib uts ersten Grades. Das Genitivattribut Genitivattributder großen Zinne ist deshalb ein Attribut zweiten Grades. Das Adjektivattribut Adjektivattributgroßen wiederum kann, da es sich auf Zinne als Kern des Attributs zweiten Grades bezieht, als Attribut dritten Grades eingeordnet werden.

Ich wähle im Folgenden zwei Darstellungsformate, mit denen die Beziehungen der Attribute in dieser Nominalgruppe systematisch erfasst und visualisiert werden. Das erste Darstellungsformat ist eine dependenzgrammatische DependenzgrammatikAnalyse in Anlehnung an die Dependenzgrammatik von Eroms (2000), s. Abbildung 3. In dieser Darstellung ist Dependenz Dependenzdaran erkennbar, dass eine (schräg verlaufende) Linie nach unten eingezeichnet ist. Wenn sich mehrere Elemente auf einer Ebene befinden – wir hatten ja bereits festgestellt, dass es in diesem Beispiel mehrere Attribute ersten Grades gibt –, bedeutet das, dass sie auf einer Ebene in der Dependenzstruktur Dependenzstrukturliegen. Die runden Bögen über Det (ArtikelArtikel) und N (NomenNomen) kennzeichnen, dass die beiden Bestandteile einer Nominalgruppe zusammengehören, ohne dass eine Dependenzrelation Dependenzrelationzwischen ihnen besteht. Die gepunkteten Linien ordnen die grammatischen Kategorien Kategoriegrammatischden Wortformen im Beispiel zu. Bei Verschmelzungen aus Präposition Präpositionund Artikel (hier: im) erfolgt in diesem Studienbuch in der Analyse immer eine Aufteilung in den präpositionalen Teil und den Artikelteil (hier: i und m), damit beide Teile für die Analyse der Wortgruppengliedfunktionen zur Verfügung stehen.

Abb. 3:

Attributanalyse im Format der Dependenzgrammatik (Eroms 2000)

Abb. 4:

Attributanalyse im Format der Konstituentenstrukturgrammatik (Eisenberg 2013)

Mit ‚DependenzDependenz‘ ist gemeint, „dass im Satz Wörter (bestimmter WortartenWortart) Wörter (anderer Wortarten) regieren“ (Eroms 2000: 76). Der Begriff Dependenz ist also weiter und erfasst nicht nur AttributrelationenAttributrelation. In der Darstellung sehen wir das daran, dass auch die Abhängigkeit von Nominalgruppen von Präpositionen Präpositionals Dependenzrelation Dependenzrelationdargestellt ist.

Ergänzend sei das Beispiel nun im Konstituentenstrukturformat nach Eisenberg analysiert (s. Abbildung 4). Der Vorteil dieser Form der Darstellung besteht darin, dass wir alle Konstituentenkategorien Konstituentenkategoriebenannt sehen und wir auf diese Weise gleich nachvollziehen können, welche formale Gestalt die Attribute aufweisen. Das ist für uns vor allem deshalb relevant, weil es allgemein üblich ist, Attribute auf der Basis ihrer formalen Realisierung zu klassifizieren. Auf diese Weise können wir in diesem Beispiel die folgenden Attribute bestimmen:

 Adjektivattribut Adjektivattribut(= Adjektiv als Attribut): erste als Attribut zu Durchsteigung und großen als Attribut zu Nordwand;

 Genitivattribut Genitivattribut(= Nominalgruppe im Genitiv als Attribut): der Nordwand als Attribut zu Durchsteigung und der großen Zinne als Attribut zu Nordwand;

 Präpositionalattribut Präpositionalattribut(= Präpositionalgruppe Präpositionalgruppeals Attribut): auf der Direttissima, im Winter 1989, durch Kurt Albert und Gefährten und im Rotpunkt-Stil als Attribute zu Durchsteigung;

 Apposition Apposition(Nominalgruppe mit Kasuskongruenz Kasuskongruenzals Attribut): 1989 als Apposition zu Winter.

Die Analyse im Konstituentenstrukturformat macht die hierarchischen hierarchischVerhältnisse als Einbettungen sichtbar: Beispielsweise ist die Nominalgruppe der großen Zinne in die Nominalgruppe der Nordwand eingebettetEinbettung, die wiederum – wie auch die anderen Attribute ersten Grades – in die maximale Nominalgruppe Nominalgruppemaximaleingebettet ist.

Das Grundprinzip der Benennung eines Attributs auf der Basis seiner formalen Gestalt – also etwa der WortartWortart- oder Wortgruppenkategorie Wortgruppenkategorie– kann auch auf weitere Typen von Attributen angewendet werden. Ich verzichte deshalb hier auf den Versuch einer Gesamttypologie an Attributen und verweise diesbezüglich auf die Darstellungen in den Grammatiken (bspw. Dudengrammatik 2016: 812f.; Ágel 2017: 768ff.).

Abschließend sei hier jedoch noch auf das Partizipialattribut Partizipialattributhingewiesen, weil stark erweiterte Partizipialattribute Partizipialattributerweitertzweifelsohne zum Eindruck von Nominalstil beitragen können:

(5‘‘) die von Kurt Albert und Gefährten im Winter 1989 auf der Direttissima im Rotpunktstil durchgeführte erste Durchsteigung der Nordwand der großen Zinne

Auf das Kernnomen KernnomenDurchsteigung wurde hier als Partizipialattribut das Partizip PartizipII des Verbs durchführen bezogen. Als Partizipialattribut verhält es sich insofern wie ein AdjektivattributAdjektivattribut, als es wie ein Adjektivattribut vor dem Bezugsnomen Bezugsnomensteht und wie ein Adjektiv dekliniert Deklinationist. Auf das Partizipialattribut durchgeführte beziehen sich von Kurt Albert und Gefährten, im Winter 1989 und auf der Direttissima als quasi recyclete RecyclingPräpositionalattributePräpositionalattribut. Wenn auch auf andere Weise als Nominalisierungen, so können doch auch Partizipialattribute stark zum Ausbau von Nominalgruppen und somit eines Nominalstils beitragen (ausführlicher dazu im Kapitel „Grammatische Merkmale des Nominalstils: Erweiterte Partizipialattribute“).

Attribut

Ein ATTRIBUT ist ein WortgruppengliedWortgruppenglied, das den Kern Kerneiner Wortgruppe Wortgruppeerweitert/modifiziert. Das Attribut schränkt den Geltungsbereich des durch den Kern Bezeichneten ein (vgl. das grüne Auto = nur ein Auto mit der Farbe Grün; das Auto mit dem Kennzeichen KS H 9693 = nur das Auto mit genau diesem Kennzeichen). Ein Attribut kann sich auf verschiedene WortartWortart- und Wortgruppenkategorien Wortgruppenkategoriebeziehen. Prototypisch bezieht es sich auf ein NomenNomen. Eine Nominalgruppe Nominalgruppekann beliebig viele Attribute enthalten.

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