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Fragestunde

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Die Kabelbinder, mit denen sie Enrico vor Stunden an den Stuhl gefesselt hatten, schnitten ihm schmerzhaft in die Handgelenke. Seine Beine waren eingeschlafen, Schweiß stand auf seiner Stirn. Es fehlte nicht viel und er würde sich vor ihnen in die Hose pissen.

Direkt gegenüber von Enrico saß zusammengesunken sein Boss, Vicente. Seit seiner Jugend arbeitete Enrico jetzt schon für Vicente. Er war wie eine Vaterfigur für ihn, von der er sich über viele Jahre hinweg immer wieder die gleiche Leier anhören musste: „Weißt du“, fragte Vicente dann stets, „warum meine Mama mich auf Vicente taufen ließ? Na? Na? Ich verrat’s dir: Kommt aus dem Lateinischen von ‚vincere‘ und bedeutet so viel wie ‚Der Siegende‘.“ Dabei klopfte sich Enricos Boss wie ein Gewinner mit den flachen Händen auf die Brust. Das, was nunmehr von Vicente übrig geblieben war, hatte nichts mehr mit einem Sieger gemein. Sie hatten ihm übel zugesetzt. Sein rechtes Ohr fehlte, abgeschnitten. Sie hatten es Vicente blutbesudelt in den Rachen geschoben, inmitten abgebrochener, ausgeschlagener Zähne. Von seinem Gesicht war nach der Spezialbehandlung kaum noch etwas zu erkennen. Sein Antlitz war eine dunkelrote, zu Brei geprügelte Masse. Kleine Blutblasen bildeten sich dort, wo einst die Nase und die breiten Lippen ihren Platz hatten, und rot gefärbte Spuckefäden zogen sich bis auf den Boden. Aber Vicente atmete noch.

Unbewusst nach vorn und hinten wippend, starrte Enrico angsterfüllt auf die ohne Skrupel übel zugerichtete Gestalt. Würde ihn nun das gleiche Schicksal ereilen?

Aus dem Augenwinkel heraus nahm Enrico eine Bewegung wahr. Sie kam von einem elegant aussehenden Mann, dem er zwar zuvor noch nie begegnet war, den er jedoch von Erzählungen seines Ziehvaters her kannte. Mitte fünfzig, grau meliertes Haar, ein wie mit dem Lineal akkurat gezogener Scheitel, bekleidet mit dunklem Anzug und camelfarbenem Wintermantel. Gelassen, als würde soeben ein Werbefilm für eine italienische Modemarke gedreht, streifte sich dieser einen Lederhandschuh über, während er seinem Begleiter durch Nicken Anweisung erteilte.

Die zweite Person hatte die Figur eines Athleten und maß mindestens einen Meter neunzig. Das kantige Gesicht des Hünen sowie der massige Schädel waren glatt rasiert. Eine mächtige Narbe zog sich von der linken Augenbraue bis hoch in die Stirn und bei genauerem Hinsehen konnte man die Mulde erkennen, die sich entlang der Narbe auf der Schädeldecke abzeichnete. Seit über einer Stunde schon hatte die verschrobene Glatze den Job übernommen, Fragen an Vicente zu richten. Nachdem ihm dieser nicht die gewünschten Informationen preisgegeben hatte, prügelte der Glatzköpfige mit regungsloser Miene den Schlagstock in Vicentes Gesicht. Immer wieder. Die wuchtigen, klatschenden und knackenden Geräusche, die die Schläge verursachten, hallten dumpf in der Lagerhalle, in die Vicente mit Enrico vor über zwei Stunden verschleppt worden waren.

Jetzt griff die Glatze nach hinten in den Hosenbund, zog eine Walther P99 mit Schalldämpfer hervor und richtete die Waffe an die Schläfe Vicentes. Das leise Knacken des Abzugshahns riss dessen Kopf zur Seite. Blut und Gehirnmasse spritzten auf den staubigen Betonboden und formten gemeinsam mit eingetrockneten Ölflecken ein bizarres, abstrakt anmutendes Muster.

Sekunden der Stille.

„Hast du gesehen, was passiert, wenn man sich meinen Regeln widersetzt?“ Der grau melierte Gentleman, der auf den Namen Paolo Fucari hörte, wandte sich nun flüsternd an Enrico.

Mit vor Entsetzen starrem Blick konnte dieser weder ein Wort sagen noch eine Regung zeigen. Die Angst hatte jeden seiner Muskeln einfrieren lassen.

„Sicher verrätst du mir jetzt, von wem Vicente in den letzten Monaten das Koks bezogen hat?“ Ohne jede Notation in der Stimme war es weniger eine Frage denn ein Befehl.

„Mister, Mister Fucari“, hörte Enrico sich jetzt stammeln, „ich, ich habe wirklich keine Ahnung. Vicente hat daraus ein Geheimnis gemacht. Die Lieferungen kamen meist nachts ins Lagerhaus. Ich …“ Mehr brachte Enrico nicht zustande. Ohne es zu wollen, quollen Tränen aus seinen Augen, während er wie ein kleines Kind zu schluchzen begann.

Der Hüne mit Glatze wollte gerade zum Schlag ausholen, als die erhobene Hand Paolo Fucaris Einhalt gebot.

Fucari trat an Enrico heran, beugte sich zu dessen Ohr und flüsterte: „Ich glaube dir, mein Freund. Du bist doch mein Freund, oder?“

„Ja, ja, alles, was Sie wollen“, jammerte Enrico.

„Gut. Ulrich, binde ihn los.“ Enrico spürte den warmen Atem Fucaris an seiner Wange, während der Glatzkopf namens Ulrich ein Messer zückte und die Kabelbinder durchschnitt. Wie bei einer Marionette, deren Fäden losgelassen wurden, sackten Enricos Arme seitlich des Stuhls nach unten.

„Hör gut zu, Enrico. Gerade ist ein Platz in meiner Organisation frei geworden. Freu dich. Ich befördere dich soeben! Du nimmst den Posten von diesem Dreckskerl Vicente ein. Sicher wirst du mir ein zuverlässigerer Weggefährte sein als dieses stinkende Etwas. Du unterbindest die Lieferungen – hast du gehört! Auf die Straße kommt nur unsere Ware. Du wirst mir sagen, von wem das Koks kommt. Ulrich wird ein Auge auf dich haben. Und jetzt entsorg dieses Schwein und sieh zu, dass der Boden gereinigt wird.“

Fucari tätschelte freundschaftlich Enricos Schulter. Dann verschwanden er und die vernarbte Glatze Ulrich durch eine Seitentür der Lagerhalle.

Enrico blieb sitzen. Noch immer spürte er den Druck der Hand auf seiner Schulter. Übelkeit stieg in ihm auf und er erbrach sich.

Drug trail - Spur der Drogen

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