Читать книгу Frühkindlicher Fremdsprachenerwerb in den " Elysée-Kitas " - Matthias Springer - Страница 19
2.2 Europa beginnt im Kleinen: Elysée-Kitas in München 2.2.1 Implementierung beim Städtischen Träger
ОглавлениеIn Absprache mit den jeweiligen Einrichtungen wurden im Oktober 2014 in zunächst fünf Kindertageseinrichtungen (Kitas) unter städtischer Trägerschaft für 3- bis 6-Jährige ohne Vorkenntnisse altersgerechte Aktivitäten auf Französisch angeboten. Hierfür wurde nach qualifizierten muttersprachlichen Lehrkräften mit Erfahrung in der Frühpädagogik gesucht. Auf der Basis einer öffentlichen Ausschreibung wird das Angebot seither durch den externen Dienstleister Institut Français in Form einer wöchentlichen sog. Schnupperstunde Französisch durchgeführt. Grundsätzlich für alle Kinder offen, beruht das Angebot auf Freiwilligkeit und ist dem Konzept der jeweiligen Häuser angepasst.
Die hier gewählte Terminologie „Schnupperstunde“ bedarf einer Erklärung. In diesem Begriff kristallisiert sich das konzeptuelle Grundverständnis der Umsetzung beim städtischen Träger deutlich heraus. Entgegen der französischen Herangehensweise der école maternelle, die Regelmäßigkeit, Verbindlichkeit und Kontinuität als Leitlinie favorisiert, sollte die Schnupperstunde zunächst freiwillig besucht werden können, die freie Selbstbestimmung der Kinder trat in den Vordergrund. Bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung hat sich das Konzept in den städtischen Kindertageseinrichtungen weiterentwickelt1, was die Autoren der vorliegenden Studie dazu führt, in den Handlungsempfehlungen dazu Stellung zu nehmen2.
Ursprünglich sollten die Leistungen in folgenden fünf Einrichtungen im Stadtgebiet München erbracht werden:
Sandstr. 22
Corneliusstr. 17
Himbselstr. 1
Müllerstr. 5
Stielerstr. 63
Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der vorliegenden Studie blieb die Konstellation der teilnehmenden Einrichtungen weitgehend stabil. Aufgrund der positiven Resonanz des Pilotprojektes sind die wöchentlichen Module inzwischen in acht Kindertageseinrichtungen implementiert: Sandstr. 22, Corneliusstr. 17, Reitmorstr. 41, Müllerstr. 5, Lanzenstielweg 14, Dietzfellbingerplatz 7, Fallmerayerstr. 2 und Hort4 Nimrodstr. 2.
Mit dem Institut Français wurde vertraglich festgelegt, wie viele 45-minütige Einheiten von Oktober 2018 bis Juli 2019 (d.h. für etwa ein Kindergartenjahr) für Kindergruppen mit max. zehn Kindern anzubieten waren. Die LH München subventionierte die Module, da dieses freiwillige fremdsprachliche Bildungsangebot für die Teilnehmenden frei von zusätzlichen Gebühren bleiben sollte. Je nach Kapazität und Resonanz in den jeweiligen Einrichtungen wurde der Umfang der Einheiten angepasst und auf verschiedene Kindergruppen aufgeteilt.
Die Besonderheit der Kurse lag darin, auch Eltern zu beteiligen.5 Hiermit wird an die erwünschte Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern unter dem Aspekt angeknüpft, dass „sozial benachteiligte Familien und Migrantenfamilien in die Kindertageseinrichtung durch gezielte Ansprache und besondere Angebote“6 explizit eingebunden werden sollen. Wenn „ungünstigere Startchancen nicht genuin migrationsbedingt sind, sondern auf eine ungünstige sozialstrukturelle Position der Eltern zurückzuführen [sind]“,7 ist tatsächlich zu erwarten, dass bildungsnahe Familien rasch den Mehrwert eines qualitativ hochwertigen Bildungsangebots wie dem der Schnupperstunde Französisch erkennen und ihre Kinder davon überzeugen, daran teilzunehmen. Eltern, die das deutsche Bildungssystem durchliefen, wissen außerdem, dass in Deutschland Französisch nach Englisch die am häufigsten gelernte Sprache ist und in der EU als bildungsrelevante Fremdsprache gilt.8
Fallen Migration und Bildungsferne zusammen, spricht man in der Forschung von „soziale[r] und migrationsgekoppelte[r] Ungleichheit“.9 Werden von Erzieherinnen höhere Erwartungen an Kinder gestellt, potenziert das ihre Leistungsmotivation. Damit kann der sog. „institutionellen Diskriminierung“10 entgegengetreten werden. An dieser Stelle ist es Aufgabe der Einrichtung, Eltern, die sich der Stellung und des Bildungspotenzials der französischen Sprache nicht bewusst sind, von diesem Angebot zu überzeugen. Vom pädagogischen Personal wird erwartet, dass es an alle Kinder mit und ohne Migrationshintergrund unabhängig vom sozioökonomischen Status der Eltern die gleichen Erwartungen hat. Alle Eltern sollten dezidiert miteinbezogen werden, um einer Verstärkung von Ungleichheiten entgegenzusteuern. Kindertageseinrichtungen sind zwar, anders als Grundschulen oder französische Vorschulen, keine primär leistungsorientierten Institutionen. Nichtdestotrotz „kann der Kindergarten als Bildungsort verstanden werden, der zwar nicht leistungsorientiert ist, aber für die Grundlegung des späteren Schulerfolgs mehr oder weniger förderlich sein kann.“11
Vor diesem Hintergrund wurde in der von der LH München ausgeschriebenen Leistungsbeschreibung ein großes Augenmerk sowohl auf die Qualität als auch auf die Originalität des von den Bewerbern vorgeschlagenen Konzepts gelegt. Das Institut Français bietet zusätzlich zum Konzept für die Schnupperstunde monatliche partizipative Eltern-Kind-Workshops am Institut Français an, welche für die am Pilotprojekt Teilnehmenden vorgesehen sind.12 Für die LH München ist dies ein interessantes Angebot. Aufgrund früherer guter Zusammenarbeit und seines Status als kulturelle Einrichtung des französischen Auswärtigen Amtes erhielt das Institut Français den Auftrag für das Pilotprojekt und führt diesen bis heute aus. Gesucht war ein Kooperationspartner, der nicht kommerziell handelt und befugt ist, den Städtischen Träger im Austausch mit den französischen écoles maternelles, also mit dem französischen Bildungsministerium, direkt zu unterstützen. Bildungskooperation gehört zum Auftrag des Institut Français.
Die Aufnahme der städtischen Münchner Einrichtungen ins bundesweite Netzwerk Elysée-Kitas und deren Zertifizierung auf der Grundlage der Deutsch-Französischen Qualitätscharta für bilinguale Kindertageseinrichtungen konnte nach der ersten erfolgreichen Antragsstellung der Regierung von Oberbayern ab dem Jahr 2016 erfolgen. Damit sind inzwischen sieben Münchner Einrichtungen Teil des bilateralen Netzwerks „Elysée-Kitas – écoles maternelles 2020“, welches bis dato 164 deutsche Kindertageseinrichtungen und 98 französische écoles maternelles zertifiziert hat.13 Der achte Antrag für eine Münchner Einrichtung liegt vor.
Die Münchner Kitas, die im Folgenden untersucht wurden, arbeiten mit einem anderen Auftrag als Eltern-Kind-Initiativen oder kommerzielle Einrichtungen, die einem (halb)frankophonen oder elitären Publikum die Familiensprache für (halb)frankophone Kinder immersiv anbieten. Dass die Zertifizierungen insbesondere bei kommerziellen Einrichtungen einer anderen Strategie folgen, sieht man daran, dass manche in erster Linie einen Marketingvorteil daraus ziehen wollen.