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10. Hydraulikzylinder
ОглавлениеMai 2017 … Es ist unglaublich, wie viele Industriestädte in Deutschland nicht am Autobahnnetz angeschlossen sind. So sehr ich beschauliche Sommerstraßen genieße, umso überraschter bin ich, wie oft man sich zum Kunden förmlich durchschlagen muss. In dem Fall fuhr ich eine angenehme und unterhaltsame Stunde von der Autobahn inmitten grün bewaldeter Berge und dünn besiedelter Täler zu einem geschichtsträchtigen Stück Hessen, hier werden Maschinenstahl und Hydrauliköl harmonisch zu einer Einheit recht motiviert und vor allem sehr modern maschinell verbunden. Einst 2.600 Mitarbeiter stark wandelte sich diese stolze Firma über die Jahrzehnte zu einem 180 Mann Trümmerhaufen. Auszüge aus dem Bundesanzeiger bestätigten nur den traurigen Anblick und doch passte etwas hier nicht zusammen. Nach meinem Eintreffen suchte ich eine Übersicht der absatzstärksten Produktvarianten. Erfreulicherweise waren diese schon als Materialien im System angelegt und mit ihren einzelnen Verkaufspreisen beziffert, was organisatorisch sehr zu loben ist. Wer es mir nicht glaubt, kann es halten, wie er will, doch eine Firma, die täglich ums Überleben kämpft, verschenkte ganze 6,0 Mio EUR an Bruttogewinn pro Jahr und das nennen wir konkret geplanter und gezielt eingesetzter Irrsinn. Sicher war das eine grobe Berechnung von mir, doch die 6.000.000 Euro Ergebnis pro Jahr geben schon eine Hausnummer vor! Die geringe Motivation der doch ausgebildeten und erfahrenen Werkern und die unnötig hyperaktive Hektik in der Verwaltung beruhte auf der sehr irrigen Annahme, dass der globale Markt seinen Tribut fordert. Eine sehr erklärungsbedürftige und eher steuerschonende, wenn nicht gar eine korruptionsverdächtige sehr variable Preispolitik zwischen den einzelnen Auslieferungen verschenkte die Unternehmensgewinne zu den wenigen Kunden. Lieferanten, Werker und fremde Dienstleister waren dem natürlichen Kostendruck ausgesetzt, aber so, wie massiv Kosten eingespart wurden, wurden diese durch unnütze Preissenkungen an den Kunden weitergegeben. Ein neutraler Gewinn wird vor interessierten Besitzern schwer erklärbar, wenn nur minimale Änderungen in der Verkaufspreiskalkulation den Nettogewinn von 50.000 EUR auf knapp über gesunden 2.000.000 EUR erhöhen würden. Dass bei schwankenden Stahlpreisen jedes Jahr genau um die 50 TEUR Gewinn vor Steuern erreicht werden, sollte nicht nur dem Controlling und der Produktionsverwaltung, sondern auch dem Finanzamt auffallen. Eine interessante Beobachtung war, dass es kaum Nachbearbeitung oder Qualitätsmängel gab. Das Produkt selbst wurde an einem Stück mit minimalen Fertigungstoleranzen gefertigt. Einen Stapel von Ausschussware neben der Taktstraße kannte man nicht. Um die Stückkosten (angeblich) weiter zu senken, wurden in China die Rohlinge vorgefertigt, die dann in Europa endveredelt wurden, die wieder nach China zum Endkunden mit dem LKW und dem Schiff zurückgebracht wurden. Die Dauer der Fertigung betrug, inklusive Stahlbestellung, Vorfertigung in China, Transport, Endfertigung in Europa und Auslieferung wieder nach China, verständliche, weil nicht zu lange 16 Wochen. Die vertraglichen Bedingungen sahen aber sehr kundenfreundlich vor, dass die Bestellungen innerhalb einer Woche ohne Grund geändert werden konnten, sodass die aktiv gelebte Hektik in der Materialverwaltung erklärbar wurde. Eine zu hohe Arbeitslosigkeit, ein Gebäude-Leerstand von 50%, kaum Industrie in der Stadt und ein Skandal an hiesiger Polizeischule, sowie eine jüngste Massenentlassung von 30% in der Firma begünstigten die sehr demotivierenden Umstände. Die moderne Fertigung mit älteren Maschinen, aber kurzen Entscheidungswegen und einem engagierten Fertigungsmanagement konnten die bedauernswerte Gewinnsituation nicht mehr erklären. Ein für gut und gerne 6,00 EUR/Kg Produkt wurde für gerade einmal 2,40 EUR/Kg verschenkt. Das ist nicht einfach zu erklären oder schönzureden. Hier hat sich jemand ganz frech und frei an der Firmenkasse über Umwegen bedient. Als Berater sollte man loyal und verschwiegen zu seinem Kunden stehen, aber nicht als der Sündenbock dienen, der unanständig Geld aus der Firma zieht. Das Produkt war ein sehr gutes Beispiel deutscher Qualitätsarbeit mit minimalen Toleranzen im besten Finish. Die Firma hingegen war ein sehr schlechtes Beispiel des ausländisch und blind fremdfinanzierten, etwas kleinadelig, wie kleingeistig und unsozial selbstsüchtig geführten erbärmlich niedergehenden Mittelstands mitten im grünen und unberührten Herzen Deutschlands.