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14. Stahltrassen

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Mai 2016 ... Ja, das Ruhrgebiet, voller gelebter Hoffnung, sich entwickelnder Zukunft und gemeinschaftsförderndem Fußball. Egal, wo du hier hinfährst hast du anständige und intelligente Menschen, die nicht so verbohrt sind wie die wohlmeinenden Leute auf dem Dorf im Norden. Ok, es gibt auch hier nicht so schlaue Individuen, doch jeder ist eigentlich einer neuen Idee recht aufgeschlossen und sie haben auch gute eigene Ideen komplett neben der Spur und dem starren Lehrbuch. Das mag ich sehr. Das zeigt Fortschritt, Anpassung und Zukunft. Bei solchen Leuten kann man sein Wissen einbringen und noch etwas dazu lernen. So, die Idee war, innerhalb der Kalkulation die Materialelemente herauszunehmen, um innerkonzernlich nicht noch Gewinnaufschläge auf Gewinne zu kalkulieren, da der globale Preiskampf faktisch nicht zu gewinnen war. Ja, wir leben in Zeiten des Stahlpreisdumpings der Chinesen, die rotzfrech entgegen jeder guten Weise und anständiger kaufmännischer Gepflogenheiten ihre Konkurrenten massiv unterbieten wollen, selbst wenn sie jahrelang Verluste machen würden. Das ist nicht sportlich oder ehrbar. Das ist schlicht Betrug zum Schaden der regionalen Wirtschaft und muss international geächtet werden. Egal, die Idee war, anhand kreativer Kalkulationsmodelle den Preis weit unterhalb des Angebotspreises zu drücken, aber trotzdem noch einen annehmbaren Gewinn zu machen. Kann man Chinesen eigentlich unterbieten? Ich meine, da ist ein Konkurrent, der den Grundrohstoff Stahl auf ein Drittel des Marktpreises drücken kann und noch bei 50% Strafzoll munter mit Gewinnen verkauft. Warum rechnen wir in Euro pro Tonne Stahl? Dieses einfache Kostensenkungsdenken ist hier (und auch woanders) nicht immer hilfreich und muss intelligent umgangen werden. Warum nimmt man sich nicht das Angebot vor und verändert die Trassenführung? Ich weiß, das ist sehr ambitioniert. Sehen wir uns doch einmal das Projekt an, bevor wir im Detail nur eine Variable unnötig oder sogar unmöglich drücken, was nicht heißt, dass die Idee der Materialumgehung in der Kalkulation grundsätzlich falsch ist. Die Idee war sogar richtig gut, doch diese Firma war so in sich geteilt und unkommunikativ, dass gar nicht klar war, wo sich die größten Kostensenkungspotentiale befanden, da Kunden auch mal Fehler machen. Seien wir ehrlich, wir sind nicht die hellsten, doch im Vergleich zu anderen sind wir unschlagbar. Also, wer hat die Ausschreibungsunterlagen? Wer kann zu dem Trassenprojekt Auskunft geben? Ist hier überhaupt jemand? Gehe die Abteilungen ab und frage dich durch und du wirst alle Charaktere finden, die du benötigst, das gesamte Angebot umzuschreiben. Ach ja, und kontaktiere die Ortskundigen. Wir machen ein gutes Gegenangebot. Und wir feuern jeden Kasper, dem die Aufgabe zu groß erscheint. Du kannst nicht einen Preiskampf mit Chinesen gewinnen, wenn du ganz streng nach Richtlinie korrekt an deinem Bürotisch sitzt. Komm arbeite mal. Fürchte dich nicht vor dem Übereifer deiner Untergebenen, die sind oft heller als sie aussehen und das weißt du zur Genüge. Jetzt kommt das Problem der Firma zu Tage, die Engstirnigkeit der Promovierten, der Beförderten und deren Günstlingen. Wer 20 Jahre streng nach Vorschrift wirkte, hat gemeinhin Probleme weiter zu denken als es von Nöten ist. Aber wir sind hier im Ruhrgebiet. Die alten Strammsäcke hatten meine Idee schon längst gedacht, doch wurden immer von Leuten, die erst ab 10:00 Uhr ins Büro kommen und wirklich nicht viel können, abgeblockt. Sicher wirst du dich jetzt fragen, wer mich eigentlich engagiert? Meistens sind es die Geldgeber oder die Besitzer, die oft kaum Bezug zum Geschäft haben, aber genug wissen, dass hier der Unfug übernommen hat. Der Wille zur Veränderung fängt bei uns tief im Inneren an, wie in der Firma und wie im Vorgesetzten, dumm nur, wenn gerade dieser noch nie außerhalb der engen Rahmenbedingungen eines Problems gedacht hat. Verändere deine Kalkulation, nehme das Material heraus, errechne die Wertschöpfung, senke die Verwaltungskosten mittelfristig, füge 2%-Punkte Gewinn für die Unwägbarkeiten hinzu und dann warte auf das Ausschreibungsergebnis. Wenn du Zeit hast, senke die unproduktiven Kosten, damit nur die reine Arbeit am Produkt in den betrieblichen Aufwendungen erscheint. Ich weiß, dass ist schwer zu entscheiden und man muss dafür die Firma in ihren Abläufen kennen, doch die Zeiten des Prunkes sind vorbei. Wer hätte gedacht, dass die arbeitsamen Leute hier im nahen Ruhrgebiet noch richtig fit im Geist und sehr empfehlenswert im starken Willen sind.


95 ROZ E10

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