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MARC LEHMANN

„Rennradfahren, puh. Das waren damals Vereinstrikots, RTFs und Vereinsmeierei. Nicht diese lifestylige Community, wie wir sie heute kennen.“

Marc sitzt im Wohnzimmer seiner Altbauwohnung im Stuttgarter Stadtteil West. Auf dem Tisch vor ihm hat er seinen Laptop aufgeklappt. Er klickt sich durch alte Fotos und schmunzelt. „Das war 2012, glaube ich“, sagt er und deutet auf ein Foto, auf dem er in Rennradmontur gekleidet gerade auf den Gehsteig kotzt. „Völlig erschöpft war ich da, ans Limit gefahren …“, kommentiert er das Bild und lacht über das Ergebnis seiner ersten anspruchsvollen Radtour. Heaven & Hell Cycle Club steht auf seinem Cap. Die Interessengemeinschaft aus Stuttgarts Rennrad- und Fixed-Gear-Fahrern hat er 2011 gegründet. Zusammen mit einem Kumpel aus der Universität. Der wollte eigentlich eine „richtige Rockergang“ gründen. „Er war von dieser Serie „Sons of Anarchy“ total begeistert. Die kam ja damals gerade raus, und er wollte auch unbedingt so eine Jeansweste tragen und in einer Gang sein. Ich habe ihn dann immer ein bisschen aufgezogen, weil er noch nicht mal einen Motorradführerschein besaß“, erzählt Marc. Weil sein Freund aber Fixie fuhr und ihn vor allem die amerikanische Kurier-Szene faszinierte, gründete er mit ihm zusammen den Heaven & Hell Cycle Club. „Eine richtig geile Gang, so mit Kutten und Totenköpfen!“ Dass die Fahrer nicht auf Harleys, sondern auf Fahrrädern sitzen, ist ihnen egal. Auch wenn Marc im Gegensatz zu seinem Kommilitonen tatsächlich einen Motorradführerschein besitzt. Nach seiner Ausbildung zum Motorradmechaniker studiert er Fahrzeugtechnik. „Ich war voll in dieser Benzinblase“, sagt Marc. „Mit Radfahren kam ich erst in Berührung, als wir den Club gründeten.“


Mitbegründer des Stuttgarter Radclubs „Heaven & Hell Cycle Club“

„Auf den letzten sechs Kilometern, nach 28 Stunden Radfahren, wäre ich beinahe auf dem Bike eingeschlafen. Ich war körperlich und geistig völlig erledigt.“

Die Mitglieder des frisch gegründeten Heaven & Hell Cycle Club fahren zunächst Fixie, die reduzierteste Form des Rennrads. Keine Gänge, gar keine oder nur eine Bremse, aber dafür jede Menge Coolness und Street Credibility. Zwei Dinge, die es zu dieser Zeit in der Rennradszene kaum gibt. „Rennradfahren, puh“, holt Marc aus. „Das war damals Vereinstrikots, RTFs und Vereinsmeierei. Nicht diese lifestylige Community, wie wir sie heute kennen.“ Die finden Marc und die Heaven & Hell Gang vor allem auf den Fixed-Gear-Veranstaltungen, auf denen es weitaus weniger bourgeois zugeht als auf klassischen Sonntagsrennen vom Bund Deutscher Radfahrer. „Einfach mal irgendwelche Sprints, irre Kriterien oder Last Man Standings. So mit fetter Musik und Feuerwerk. Das hat diesen gewissen Rock 'n' Roll in die Sache gebracht und neue Anreize geschaffen als der bisher eher öde Radrennsport“, sagt Marc. „2014 gab es hier in der Region so gut wie nichts. Es gab da einen Rennradtreff für Sonntagsausfahrten. Wer da mitfahren wollte, musste vorher seine Rennlizenz vorzeigen!“ Marc schüttelt den Kopf. Mit dem Heaven & Hell Cycle Club wollen sie es anders machen. Cooler, moderner. Sie schaffen ein erstes Gegenangebot – und stärken damit die Rad-Community in der schwäbischen Hauptstadt. Feierabendausfahrten, einen monatlichen Gran Fondo mit 120 Kilometern, einen Weekly Spin jeden Dienstagabend. „Inzwischen starten da immer 50 bis 60 Leute. Vor drei Jahren stand ich noch alleine da“, erzählt Marc. „Es ging uns stets darum, Radkultur zu schaffen und zu formen. Und daraus entstehen dann wieder andere spannende Sachen, weil es die Leute gewissermaßen inspiriert.“

Nach fast sechs Jahren auf dem Fixie sattelt Marc auf das Rennrad um. Eine Entscheidung, die auch mit seiner beruflichen Neuorientierung einhergeht. Denn seinen Job in der Automobilbranche hat er inzwischen an den Nagel gehängt. Was mit einer bescheuerten Idee anfing, bestimmt jetzt sein Leben. Er arbeitet bei einem Fahrradhersteller und hat nun ein Rad mit Gängen und richtigen Bremsen unterm Hintern. In der Branche weht inzwischen ein anderer, frischerer Wind als noch 2011. Rennradfahren ist lange nicht mehr so spießig wie früher. Es kommen neue Leute dazu, neue Marken entstehen, und junge Magazine befeuern die Renaissance des Lebensgefühls Rennrad. Eine neue Gemeinschaft formt sich. Vom Fixie zum Rennrad – und darüber hinaus. Die Szenen verschmelzen. Und in Marcs Wohnung stehen jetzt jede Menge Bikes: Rennrad, Gravelbike, Klapprad– sogar Mountainbikes. Und Marc? Der hat seine „Benzinblase“ endgültig verlassen und fährt wie ein Irrer durchs Ländle. Bei glühender Hitze oder klirrender Kälte. Bei Sonnenschein und Regen. „Nicht weil ich es kann, sondern weil es geht“, sagt Marc. Zu Hause zu sitzen und auf besseres Wetter zu warten oder mit dem Auto zur Arbeit zu fahren ist für ihn keine Option. Und in den letzten Jahren hat er auch einige verrückte Rad-Abenteuer erlebt: knallharte Alpenüberquerungen, Mehrtagestouren, fordernde Rennrad-Trainings, Fixie-Sessions, monumentale Brevets wie das berühmte Atlas Mountain Race, bei dem die Teilnehmer sich durch das Atlasgebirge in Marokko kämpfen müssen. Marc nimmt mit einem Freund daran teil. Knapp 1.200 Kilometer und 23.000 Höhenmeter durch Wüsten und Gebirge. Es ist Marcs bisher härteste Erfahrung auf dem Rad. „Wir wollten in unter sechs Tagen im Ziel in Agadir ankommen, koste es, was es wolle. Auf den letzten sechs Kilometern, nach 28 Stunden Radfahren, wäre ich beinahe auf dem Bike eingeschlafen. Ich war körperlich und geistig völlig erledigt.“ Marc und sein Begleiter schaffen es in 5 Tagen, 23 Stunden und 45 Minuten ins Ziel. Eine knappe Nummer. „Um das zu schaffen, haben wir noch mal all unsere Kräfte mobilisiert“, sagt Marc. Begeistert erzählt er von diesem verrückten Abenteuer. Den Bergpässen, dem schwierigen Terrain, den Entbehrungen und den für ihn unvergesslichen Moment der Zieleinfahrt. Ein Gang durch die Hölle, für ein himmlisches Erlebnis. Heaven & Hell – eine Metapher auf das Radfahren? Marc blickt noch einmal auf das Foto aus seinen Anfangstagen. Dann sagt er: „Manchmal schwebt man auf Wolke sieben, manchmal ist es die Hölle. Aber am Ende lohnt es sich immer.“

Lässig im Ländle

„Wer im Stuttgarter Umland unterwegs ist, der sollte unbedingt mal durch das Würmtal fahren. Hier gibt es auf über 18 Kilometern eine Neigung von 0,4 Prozent. Wo sonst kann man über 20 Minuten 40 km/h fahren? In Stuttgart selbst ist der Birkenkopf Pflicht! Jeder, der etwas auf sich hält, sollte unbedingt mal den Stuttgarter Hausberg gefahren sein. Einheimische nennen ihn Monte Scherbelino, da er einer der riesigen Schuttberge ist, die nach dem Zweiten Weltkrieg dort entstanden sind. Heute ist es der höchste Punkt im inneren Stadtgebiet, und von dort oben hat man einen super Blick auf die Stadt. Außerdem ist der Gipfel perfekt für einen Early-Bird-Kaffee vor der Arbeit. Hochfahren, Kaffee kochen und dann ab ins Office.“



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