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SEBASTIAN SCHAEFFER

„Einem Pass in den Dolomiten ist es völlig gleich, ob du gut reden kannst, ein netter Kerl bist oder dich in der Zukunft mal erkenntlich zeigst. Für den bist du nur der nächste Typ in engen Klamotten auf einem teuren Fahrrad, der über ihn drüber möchte.“

Es sind zwei Dinge, die für Sebastian in einem Bikeshop unabdingbar sind: Die Kombination aus Begeisterung und Professionalität. Weil er jedoch nur Geschäfte vorfand, die entweder nur das eine oder das andere beherrschten, entschloss er sich 2015, die Sache einfach selbst in die Hand zu nehmen. Zusammen mit zwei Mitstreitern gründete er das RADsyndikat, ein Fachgeschäft für Rennräder, Gravel- und Mountainbikes, E-Bikes und Lastenräder im oberbayerischen Rosenheim. Das RADsyndikat soll jedoch mehr sein als nur eine Verkaufsfläche mit schönen Rädern und motivierten Mitarbeitern: „Es ist in erster Linie auch ein Ort, der Ausgangspunkt für besondere Momente sein kann, die sich in unseren Erinnerungen verankern. Ein Ort, der Vorfreude auf das nächste Abenteuer schafft“, erklärt Sebastian das Konzept. Nur einen Pedaltritt von der pittoresken Altstadt Rosenheims entfernt, hat sich das RADsyndikat in den letzten Jahren vom Fahrradladen auch zum Treffpunkt für viele Rad-Afficionados gemausert.


Gründer des Fachgeschäfts „RADSyndikat“ Rosenheim

„Rennradfahren wird für mich neben all seiner Eleganz und Schönheit immer fest mit diesen Erfahrungen verbunden sein. Mit dem Wissen, dass es sich lohnt, seine Grenzen neu zu setzen und zu verstehen, wozu man imstande ist, wenn man nur bereit ist, die Komfortzone zu verlassen.“

Ein lichtdurchfluteter großer Verkaufsraum mit jeder Menge Bikes und allem, was man eben dafür benötigt. Jerseys von Lokalmatadoren und Profifahrern hängen von der Decke. Es gibt jede Menge Ausrüstung, vor allem aber ausgewählte Marken. Jene, die vielleicht nicht jedermanns Sache sind, aber in denen viel Herzblut und Authentizität stecken. Das sei manchmal eben wichtiger als nur eine gute Marge. Der Mittelpunkt des Ladens ist die Kaffeemaschine. Natürlich nicht irgendeine. Denn Kaffee und vor allem Espresso ist wichtig: Sebastian, dem Team, und vor allem all denjenigen, die das RADsyndikat besuchen. Viele kommen in den Laden, um unter Gleichgesinnten zu sein, zu fachsimpeln oder beim Espresso ihre ganz persönliche Heldengeschichte zu erzählen. Und obwohl sie meist alle Hände voll zu tun haben, Rosenheims Rennrad-Community mit schönen Boliden auszustatten, für einen Kunden die richtige Ausrüstung für ein Bikepacking-Abenteuer zusammenzusuchen oder mal wieder ein Enduro-Bike instand zu setzen: Sebastian und sein Team nehmen sich die Zeit, all diesen besonderen Geschichten zu lauschen. Und sie kennen sie alle: Die von rasanten Abfahrten, gnadenlosen Wetterkapriolen, Trails so steil wie die Eiger-Nordwand, brutalen Hungerästen, knappen Podiumsplatzierungen, Strava-KOMS, Freud und Leid auf den Pässen dieser Welt. Und auch wenn er manche davon schon oft gehört hat, hört er sie sich gerne an. Denn auch das gehört zur Philosophie im RADsyndikat. Zu verschnaufen, das hektische Treiben hinter sich zu lassen, sich darauf zu konzentrieren, was einem selbst Freude bereitet. „Gemeinsam den Moment feiern, im Großen wie im Kleinen, ob ein Granfondo, ein Alpencross oder die Ausfahrt ums Haus“, sagt Sebastian.

Rennradfahren ist für Sebastian vor allem eine Lektion, die ihm das Leben „spät, aber rechtzeitig“ erteilt hat. Erst mit Ende 30 entdeckt er seine Liebe zum Rennrad. Davor fährt er hauptsächlich Mountainbike oder kickt im örtlichen Fußballverein. Er zieht nach Bayern, wo er näher an den Bergen ist, gründet eine Familie und verwirklicht seinen Traum vom eigenen RADsyndikat.

„Da, wo ich groß geworden bin, in Oldenburg, kennt man den Begriff ‚halbe Höhe‘. Wenn du also nicht mehr machst, als Du musst, dann ist das ‚halbe Höhe‘. Nach diesem Prinzip habe ich mich durch einen Großteil meines Lebens geschummelt. Was ich an Talent mitgebracht habe, hat meistens gereicht. Ob in der Schule, auf dem Fußballplatz oder später im Beruf. Das Ergebnis war immer gut. Und wenn mich der Ehrgeiz dann doch mal gepackt hat und ich besser werden wollte, hat das Vorhaben meist nicht lange Bestand gehabt“, sagt Sebastian. Für die „großen Momente“ habe das aber nicht ausgereicht. „Einem Pass in den Dolomiten ist es völlig gleich, ob du gut reden kannst, ein netter Kerl bist oder dich in der Zukunft mal erkenntlich zeigst. Für den bist du nur der nächste Typ in engen Klamotten auf einem teuren Fahrrad, der über ihn drüber möchte.“ Einer von diesen „großen Momenten“ ist für Sebastian im Frühjahr 2017. Zwei Jahre nach seiner ersten Begegnung mit dem Rennrad nimmt er am Granfondo Sportful Dolomiti Race teil – ein über 200 Kilometer fassendes Radrennen in den Dolomiten, bei dem die Teilnehmer 5.000 Höhenmeter zurücklegen müssen. Es ist sein erstes Rennen. Zur Vorbereitung reist er mit einem seiner Mitstreiter nach Meran, Pässe fahren. Sebastian leidet, schon beim ersten steilen Anstieg. Jeder Kilometer ist eine Herausforderung. Die Sonne brennt, Schweiß, Tränen, ein Puls, höher als der Everest. Der Plan des „irgendwie wird das schon gehen“ scheitert. Nach 3.200 Höhenmetern gibt er auf, völlig am Ende seiner Kräfte. Sein Begleiter muss ihn mit dem Auto vom Berg holen. Sebastians Erkenntnis: „Halbe Höhe“ gibt es beim Rennradfahren nicht. Wieder zu Hause angekommen, packt ihn der Ehrgeiz. Er trainiert hart, lässt sich von Spezialisten einen Trainingsplan erstellen, den er penibel abarbeitet. Am Morgen des Rennens hat er weiche Knie. Dann der Startschuss. Schnelles Tempo, das Fahrerfeld schenkt sich nichts. Doch diesmal läuft es – auch wenn es ab und zu nicht nur in den Beinen zwickt. „Ich bin, vom physischen Kraftakt abgesehen, wohl durch mehr mentale Täler gefahren als durch topografische“, sagt Sebastian und muss dabei lachen. Am Ende schafft er das Rennen in der vorgegebenen Mindestzeit. Das reicht zwar nicht fürs Podium, aber definitiv für eine ganz persönliche Heldengeschichte. Eine, die sich einfügt in die vielen Erlebnisse und Abenteuer der Kunden und Besucher des RADsyndikats. „Rennradfahren wird für mich neben all seiner Eleganz und Schönheit immer fest mit diesen Erfahrungen verbunden sein. Mit dem Wissen, dass es sich lohnt, seine Grenzen neu zu setzen und zu verstehen, wozu man imstande ist, wenn man nur bereit ist, die Komfortzone zu verlassen.“

An der Eingangstür klingelt es. Ein Mann Mitte 30 schiebt mit zerknirschtem Blick sein sichtlich zerschossenes Rennrad in den Laden. Begrüßung. Schadensaufnahme. Mit den Händen in den Hüften schauen sich beide das an, was vom Rennrad übrig geblieben ist. Kopfschüttelnd, grinsend. Dann geht Sebastian zur Kaffeemaschine. „Espresso?“

Pfeif auf die Likes!

„Wenn du auf dein Rad steigst, dann mach es deinetwegen. Nicht für die Anerkennung deiner Mitmenschen oder wegen des neuesten Gadgets. Nur so kann aus deinen Mitmenschen mehr werden als nur ein Like oder Kudo und aus dem Gadget mehr als nur das nächste Vorgängermodell. Dann werden sie Begleiter und eine hilfreiche Unterstützung.“



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