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ANDREAS MERCHANT

„Bei einer Tasse Kaffee sind schon viele verrückte Sachen passiert. Es wurden Streitigkeiten niedergelegt, Freundschaften geschlossen, Ehen haben sich angebahnt.“

Mit einer gekonnten Handbewegung verteilt Andi das Kaffeemehl auf den Siebträger und drückt es leicht mit einem kleinen Edelstahlstempel an. Dann hängt er den befüllten Träger in die Maschine ein und stellt eine Espressotasse darunter. Ein zischendes Geräusch, langsam läuft die karamellfarbene Flüssigkeit in die Tasse. Dampf steigt auf, es duftet nach frischen Bohnen. Andi setzt die Tasse an seine Lippen, riecht am Espresso, schließt kurz die Augen und nimmt einen kleinen Schluck. Zufrieden stellt er die Tasse auf dem Tresen vor sich ab und blickt auf die Säcke mit Rohkaffeebohnen, die sich vor ihm auf dem Boden stapeln. Die meisten davon haben einen weiten Weg hinter sich. Kryptische Zahlen und Buchstaben zieren die Jutesäcke, auf denen Namen von exotischen Ländern zu lesen sind. Hier, in der Kaffeerösterei Merchant & Friends, werden die Bohnen geröstet, verfeinert, gemahlen, abgefüllt und finden danach den Weg zu Menschen, die beim Duft von frischem Espresso ebenfalls für einen kurzen Moment die Augen schließen. So wie Andi. „Ich fand das schon als Kind toll, wenn jemand Kaffee gekocht hat und es den Leuten dann total gut geschmeckt hat“, sagt Andi. „Da hat mich der Ehrgeiz gepackt, es mindestens genauso gut hinzubekommen – oder besser.“ Andi war noch nicht mal 13, als er ganz genau wusste, was er fortan tun möchte: „Richtig guten Kaffee machen.“ Das stellte sich anfangs allerdings als gar nicht so leichte Aufgabe heraus. Da das Wasser in seinem ersten Ausbildungsbetrieb unglaublich weich ist, fängt er an zu experimentieren. Mal etwas mehr Pulver, mal weniger. Irgendwann kommt Speisesalz zum Einsatz. „Das hat mir natürlich Ärger eingebracht“, erzählt Andi und lacht. „Warum schmeckt denn der Kaffee so salzig?“, war nur die erste Reaktion der Kollegen.


Kaffeeröster, Connaisseur, Gründer von Merchant & Friends“

Doch nicht nur „richtig guter Kaffee“ hat es Andi angetan, sondern, ein paar Lebensjahre später, auch ein richtig gutes Rennrad. An sein erstes kann er sich noch genau erinnern: ein knallrotes Cannondale Saeco Caad4, natürlich mit Dura-Ace-Gruppe. „Das identische Rennrad des Radprofis Mario Cipollini. Der hat mich damals total begeistert“, erzählt Andi. „Wie er in seinem coolen Einteiler während der Tour de France alle gegen die Wand gefahren hat und dann einfach nach fünf Tagen ausgestiegen ist, als wäre es die normalste Sache der Welt.“

Für das Rennradfahren ist Andis damaliger Wohnort, die Lüneburger Heide, allerdings alles andere als geeignet. Im flachen Norden gibt es weder Berge, die man bezwingen, noch andere Rennradfahrer, mit denen man die gemeinsame Leidenschaft teilen kann. Aber es gibt einen Fahrradladen, in dem ein ebenso fanatischer Rennradfahrer wie Andi arbeitet. Mit ihm zusammen baut er sich sein Traumrad auf und unternimmt immer öfter Reisen gen Süden – in die Berge; zu den Pässen; nach Italien. „Ich bin zu einer Ausfahrt mal am Gardasee gewesen und habe mir einen Espresso geholt. Es vergingen nur wenige Minuten, und vor meinem Rennrad bildete sich eine kleine Traube von Leuten. Das war schon der Hammer! Damals war dieses Bike wirklich eine Besonderheit – ein echtes Masterpiece. So was kennt man heute gar nicht mehr. Da fährt fast jeder mit einem High-End-Bike durch die Gegend“, sagt Andi.

„Natürlich geht es auch um die Wirkung von Koffein im sportlichen Sinne, also dass Koffein die Durchblutung fördert und den Fettstoffwechsel ankurbelt. Aber es geht eben auch um die Schönheit des Moments. Um das Auskosten und den Genuss. Und das bekommt man nicht, wenn man wie ein Getriebener behämmert durch die Gegend knallt, sondern wenn man vielleicht auch mal stehen bleibt, die Landschaft wahrnimmt und dabei einen Espresso genießt.“

Warum aber hat Kaffee vor allem bei Rennradfahrern einen so hohen Stellenwert? „Nun, das Rennrad ist eine Maschine in Reinform. Etwas, in dem man sich total verlieren kann. Bei der Kaffeemaschine ist es nicht anders. Man muss viel experimentieren, die richtigen Rädchen drehen und wissen, was man tut. Am Ende bekommt man eine schöne Crema als Belohnung. Und beim Rennradfahren neben dem schönen Moment im besten Fall auch noch eine phänomenale Aussicht“, sagt Andi. Kaffeekultur und Rennradkultur: Beides sind für ihn Dinge, die eng zusammengehören, und das nicht nur wegen des gesundheitlichen Aspekts. „Natürlich geht es auch um die Wirkung von Koffein im sportlichen Sinne, also dass Koffein die Durchblutung fördert und den Fettstoffwechsel ankurbelt. Aber es geht eben auch um die Schönheit des Moments. Um das Auskosten und den Genuss. Und das bekommt man nicht, wenn man wie ein Getriebener behämmert durch die Gegend knallt, sondern wenn man vielleicht auch mal stehen bleibt, die Landschaft wahrnimmt und dabei einen Espresso genießt.“

„Am Ende geht es uns nicht um die vielen belanglosen Tassen Kaffee, die da draußen jeden Tag millionenfach getrunken werden. Es geht uns um die Tasse Kaffee, an die man sich erinnert“, heißt es auf der Website von Andis Rösterei. Ein Statement, das genau diesen Aspekt des Innehaltens unterstreichen soll. Wie muss er also sein, der Kaffee für den perfekten Moment? „Es gibt verschiedene Definitionen des perfekten Kaffees“, so Andi. „Einerseits die perfekten Extraktionsprofile, die mit einem sehr hohen Aufwand in die Tasse gezaubert werden. Andererseits gibt es auch die andere perfekte Tasse Kaffee. Die, die man mit einem ganz besonderen Moment verknüpft. Wo einfach alles passt, auch wenn vielleicht mal Extraktion oder Wasser nicht ganz so ideal sind, aber eben alles andere: Die Atmosphäre, die Stimmung, die Kombination aus unseren Sinneswahrnehmungen.“

Ein Moment, an dem alles gepasst hat, erlebte Andi bei seiner ersten Tour Transalp. Bei dem Jedermann-Etappenrennen müssen die Teilnehmer in einer Woche 1.000 Kilometer und 20.000 Höhenmeter zurücklegen. „Und dann die Zieleinfahrt in Riva del Garda! Das war unglaublich – und ich völlig im Arsch“, erinnert sich Andi. „Vor Riva geht es so einen kleinen Berg hoch. Und in diesem Moment weißt du, dass es dein letzter Berg in diesem Rennen sein wird. Eine Woche Strapazen liegen hinter dir. Ich habe für die Tour zwei Jahre trainiert, und dann kommt dieser eine letzte Moment der Anstrengung. Beidseits der Straße jubeln dir die Menschen zu. Und dann fährt man endlich über die Ziellinie. Was für ein Gefühl!“

Ob er den Plan, an einem strapaziösen Rennen wie diesem teilzunehmen, bei einem Kaffee geschmiedet habe, das weiß er nicht mehr. Aber gut möglich wäre es. Andi schwenkt nochmals seine Espressotasse und nimmt einen letzten Schluck. „Weißt du, wenn man mal in der Geschichte des Kaffees nachliest, dann sind bei einer Tasse Kaffee schon so viele verrückte Sachen passiert. Es wurden Streitigkeiten niedergelegt, Freundschaften geschlossen, Ehen haben sich angebahnt. Kaffee ist ein unglaublich wichtiges Element in unserer Gesellschaft. Dieses ’Lass uns mal auf einen Kaffee treffen‘ ist ganz oft der Beginn von etwas Großartigem, etwas Außergewöhnlichem. Wichtig ist nur: Der Kaffee muss passen, denn solche Momente kann man nicht wiederholen.“

Wie gelingt ein richtig guter Kaffee?

„Eigentlich bin ich jemand, der sagt: Nimm's nicht so ernst. Vor allem, wenn es ums Radfahren geht. Man kann sich damit nämlich schnell das Leben versauen. Aber beim Kaffee, da sind die Details wichtig! Wer eine gute, reproduzierbare Tasse machen möchte, sollte sich immer an das exakte Rezept halten. So sind 20 oder 30 Gramm geschmackliche Welten. Auch beim Wasser sollte man nicht rumexperimentieren. Ich vergleiche das immer ganz gerne mit dem Zuschneiden von einem Holzbrett: Man nimmt Maß, markiert die Sägestelle, nimmt nochmals Maß, sicher ist schließlich sicher, fängt an zu sägen, und am Ende ist es zu kurz. Ein Schreiner hat mal zu mir gesagt: ’Mach es so genau wie möglich, ungenau wird es von allein.‘ Diesen Spruch sollte man immer beherzigen, sowohl beim Kaffeekochen als auch beim Radfahren.“



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