Читать книгу Der den Teufel weckt - Maxi Hill - Страница 12
Karim Üljaz
ОглавлениеAm Mittwoch im Speisesaal sah er sie am Lehrertisch sitzen. Sie fiel immer auf mit ihrem Haar – orange mit dunkelbraunen derben Strähnen. Sehr natürlich. Und sie trug Schmuck aus Naturstein, aus Holz und rauem Leder, wie ihn kaum eine Frau hier trug. Im Vergleich zu Vera Hensel, die täglich in einer anderen auffälligen Klamotte erschien, war die ÜLjaz wohltuend schlicht. Vielleicht sitzt sie deshalb allein am Tisch?
Für zwei Sekunden war er wie gehemmt. Frauen spüren männliche Signale sofort. Momentan lagen seine auf einer völlig anderen Ebene.
Weil er sie anstarrte, senkte sie die Augen, drehte ihren Kopf zur Seite und vertiefte sich in das Ritual bedächtigen Speisens.
Es waren noch viele Tische frei. Er steuerte geradewegs auf sie zu, legte die Mappe, die er unter den Arm geklemmt hielt, auf den Tisch und lächelte sie an.
»Ich darf doch? «
Dasselbe ausweichende Lächeln. »Bitte«, sagte sie, und er war hingerissen von ihrer Stimme, von ihrem Akzent, den sie spielerisch einsetzte und doch nicht ahnte, wie sie damit andere Menschen in ihren Bann zog. Mit festem Blick auf die Frau nahm er sein Glas, als prostete er ihr zu. Ihres war noch gefüllt mit Sauerkirschsaft, der wie Wein funkelte: »Trinkt man in Ihrem Alter schon Alkohol?« Sein linkes Auge zuckte dabei, was jede andere belustigt hätte. Die Üljaz warf ihren Konter zurück:
»Trinkt man in Ihrem Alter noch immer Alkohol?« Nur ihre Stimme klang nicht angriffslustig, eher atemlos.
Das war schlagfertig, dachte er. Ungeachtet davon traf es ihn irgendwie. Er war schließlich keine zehn Jahre älter als sie. Vielleicht sechs oder sieben?
»Ist das Ihr Problem?« Sein Grinsen misslang.
»Meines oder Ihres? Jedes Problem kennt zwei Seiten. Die falsche und die eigene. «
»Das trifft sich. Ich suche gerade die eigene Lösung, weil die falsche mal wieder gescheitert ist. «
»Hätte ich anderes erwarten dürfen?« Sie konnte lachen, dass man verstehen musste, wie sie es meinte.
»In welcher Klasse behandelt man Alkohol?«, fragte er frei heraus. Nicht ganz so frei zog ein rosiger Schimmer über ihre Wangen.
»In der …« Sie stockte, fügte aber sehr rasch nach, dass es in der neunten Klasse behandelt werde. Aus ihren Worten hörte er zum ersten Mal eine kleine Unsicherheit heraus. »Warum interessiert Sie das? « Sie hatte den Teller bereits zur Seite geschoben, aber sie blieb sitzen. Für einen Moment zögerte er. Dann siegte der Übermut.
»Weil ich Sie brauche.« Zugegeben, es kam etwas zu direkt. Welche Wahl hatte eine Referendarin, wenn sie gebraucht wurde? Sie schien den Atem anzuhalten. Eine trügerische Stille erfüllte den großen Raum. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie beinahe allein zurückgeblieben waren. Nur vom Tresen her kamen die üblichen Geräusche, die das Hin- und Herschieben der Teller verursachten.
»Sie? Mich? Und wie geht das mit Alkohol zusammen?« Ein stummer Protest saß auf ihrer Stirn.
»Gar nicht. Aber mit Prävention. «
»Aha. «
Er wusste nicht, ob sie zum Unterricht musste. Er redete einfach, als müsste sie nicht.
»Ich verfolge ein Programm mit ganz neuem Ansatz von Prävention. Keine bloße Belehrung. Keine moralische Aufklärung. Keine trockenen Abstinenzpredigten. Im Gegenteil. Es ist wie praktische Fahrschule für bewusstes Trinken. «
»Praktisch? «
»Praktisch und Theoretisch. Nur, was man an seinem Körper erfährt, erfährt man intensiv und nachhaltig.« Was war nur mit seiner Stimme los. Er musste sich konzentrieren. »Mit erhobenem Zeigefinger erzieht es sich schlecht. Verbote haben keine Wirkung, verlagern das Problem nur. Alles, was bisher gegen zu frühen Alkoholkonsum getan wird, dient nur der politischen Gewissenbefriedigung, der Symptombekämpfung. Dieses Programm«, er tippte auf die Mappe, »ist ein Landes-Experiment. Mir erscheint es besser geeignet als tausend Verbote und hundert Gesetze. Erfahrung mit Alkohol ist für die Heranwachsenden der beste Lehrmeister. Kontrollierte Erfahrung. «
Karim Üljaz schob schon damals ihren Handrücken unter ihr Kinn, eine Geste, die er nicht erwartet hatte, die typisch für Karim bleiben sollte. Das Armband aus verschiedenen Holzperlen, das sie immer trug, erinnerte ihn an jene Ketten, an denen Gläubige ihren Rosenkranz beteten. Waren es Perlen des Glaubens? Trug sie das Band aus diesem Grund?
Sie hatte seinen Blick bemerkt und schaute ihn lange an. Zu lange. Ihm war, als konnte er diese dunklen Augen nicht länger ertragen, und er ahnte, was jetzt kommen würde. Vom abstinenten Islam hatte er keinen Schimmer. Er musste ihr zuvorkommen, aber er wurde zu belehrend.
»Extremer Alkoholgenuss unter Jugendlichen hier im Abendland entspringt dem Reiz, einmal auszuprobieren wie es ist, total besoffen zu sein. Und niemand gibt ihnen Erklärungen. Wir können ihnen helfen – im geschützten Rahmen – für sich selbst verbindliche Normen zu entwickeln, wie sie – vernünftig - mit Alkohol umgehen. «
Sie schüttelte schweigend eine Strähne aus der Stirn. Die Reinigungsfrau wirbelte ihren Wischmob bedrohlich nah an ihren Füßen entlang, entfernte sich wieder, rückte an den Stühlen herum, von denen die meisten bereits rücklings auf die Tische gestellt waren. Ihre hölzernen Beine reckten sich wie undurchdringliches Unterholz zur Decke.
»Dafür brauchen Sie in der Tat Verbündete? «
»Es ist ja nichts Illegales, für das ich jemanden überzeugen müsste. Im Gegenteil. Die Landesregierung hat das Projekt in Auftrag gegeben und zwei kluge Leute haben es entwickelt. Trotzdem wird es kontrovers diskutiert. «
Seine Worte waren klar, ehrlich und eindringlich genug. Seine Sinne sagten ihm, er überforderte gerade einen Menschen, doch dann stellte sich das pure Gegenteil heraus.
»Was ist mein Part dabei?«, fragte sie ganz unaufgeregt, als sie sich einmütig erhoben und der genervten Putzfrau endlich das Terrain überließen. Allein für diese Frage ohne Wenn und Aber hätte er Karim Üljaz schon damals umarmen können.