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Nina Joswig

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Sie hat es sich nicht so schwer vorgestellt: Liebe. Aber sie hätte es wissen können. Sie ist kein Kind mehr. Sie weiß, was Liebe ist.

Sie hat nur keine Erfahrung, wie es ist mit dem Nachgeben … mit der Bewunderung … mit dem Vertrauen?

Durch ihr müdes Bewusstsein zieht die Stimme ihrer Mutter: »Wir helfen dir, aber du musst es wollen. « Vorher hatte Vater gepredigt: »Du bist jetzt selbst dafür verantwortlich, was du tust. «

Also hätte sie sich anders entscheiden müssen? Anders heißt gegen Pattrick und das wiederum bedeutet, sich für einen Verlust zu entscheiden.

Über eine solche Geschichte hatten sie im Deutschunterricht mit Frau Hensel geredet. Aber hier und jetzt geht es nicht um eine Romanfigur, hier geht es um sie und ihre Liebe.

Als Pattrick im neuen Schuljahr an diese Schule kam, war er ihr sofort aufgefallen. Jeder bewunderte ihn. Wenn sie mit dem Fahrrad zur Skatbahn fuhr, stand er schon da - sein Sturzhelm auf die Sitzbank gebunden, dunkle Brille und Gel im Haar. Mit Augen zu Schlitzen verengt, schickte er weiße Kringel aus Zigarettenqualm in die Luft und grinste so süß, dass die Haut an ihren Armen fror.

Sie war zufrieden, wenn er sie nicht übersah. Ein paar Worte. Ohne Bedeutung. Ein Blick, wenn er tollkühn die Halfpipe nahm. Breites Lachen, wenn er sein Handgelenk am Gashebel verdrehte, bis der Motor aufheulte.

Im Unterricht hielt er sich zurück, schalt die Fleißigen als Streber und jene als Weicheier, die sich an Mädchen hielten. Dabei war er ihr selbst sehr nah gekommen. Es prickelte auf der Haut, wenn er sein Gesicht von hinten über ihre Schulter schob. Von diesen Momenten an gab es immer einen Grund, dass sie sich zu ihm traute. Er lachte nur, wenn sie nichts anderes wusste, als über Mathe zu reden.

»Voll analog. Aber ich mach jetzt ´n Abgang. Kein Bock, hier rumzustressen.«

Klar war sie enttäuscht, aber dann sah sie das ganz besondere Funkeln in seinem Blick, als er versprach:

»Irgendwann ziehen wir beide unser Ding durch. «

Sie hat ihn nicht daran erinnert, weil er sie Kirsche nannte. Kirsche. Das erste Mal beim Karneval.

An diesem Tag hatte er getrunken. Er sagte, zum Karneval gehöre es dazu. Aber später einmal leugnete er zuerst, dann brüstete er sich damit vor anderen, und ihr sank der Mut, wieder von seinem Motorrad abzusteigen. Sie hätte es wissen müssen. Spätestens in Peenemünde.

In all den Monaten zuvor war sie oft genug mit sich selbst uneinig. Zu viele Mädchen himmeln Pattrick an. Er nennt sie alle Ische oder Brumme. Nur sie nennt er Kirsche und grinst dabei. Er sagt es zu Rille, und zu Kaktus, und manchmal auch zu Janetta, was bei der die Zornesröte in die Augäpfel treibt.

Einmal hatte sie Janetta sagen hören: »Lass dich mit der Ische eindosen, aber blümelt nicht vor unseren Augen rum. «

Auf einmal ist ihr klar, dass sie keinem anderen Mädchen ihr Gefühl gegönnt hat, sobald sie Pattrick in die Augen schaute. Bis gestern dachte sie: Ein starker, zufriedener Typ. Ein selbstsicherer Junge. Jetzt weiß sie nicht mehr, was richtig ist.

Noch niemals hatten sie Gedanken an die Liebe so stark berührt. Sie hatte so ihre Wünsche an das Leben. Vorstellungen, die im Nichts endeten, weil Erfahrung fehlte. Und dann sein erster Kuss. Ihr war, als habe der Augenblick des Lebens gut für sie entschieden. Als sei dieser Junge nur für sie geboren worden.

Gestern auf seiner Geburtstagsfeier wollte er es endlich tun, irgendwo im Hinterhof der Disco. Ihr fehlte der Mut. Sie hatte sich das erste Mal mit einem Jungen romantischer vorgestellt. Er meinte, nach drei Jägermeistern sei es leichter …

Wie fremdgesteuert gleitet eine Hand über die Stelle, wo er sie berührt hat. Die Wangen sind schlaff, schlaffer als ihr Geist, der zu ahnen beginnt, was bald folgen wird.

Wenn sie sich einem einzigen Menschen anvertraut, ist sie Pattrick los. Für immer. Mehr noch – und das drückt viel stärker gegen ihr Herz – wer Pattrick zum Feind hat, der hat es schwer in der Clique.

Ob er wirklich achtzehn geworden ist? Warum hinkt er zwei Jahre hinterher?

Bis gestern hätte sie ein Ende nicht für möglich gehalten. Nicht in ihrem Herzen. Was ist das für ein Freund, der sofort eine Andere knutscht, wenn er nicht bekommt, was er will. Ausgerechnet Janetta! Sie weiß, dass sich Janetta seit einiger Zeit diversen Jungen hingibt. Womöglich haben sie es dann miteinander getan, als sie heulend weggelaufen ist.

Sie hatte sich eine fröhliche Art zu feiern gewünscht, aber Pattrick war nicht zu überzeugen, dass es auch ohne Alkohol schön wäre. Sein Lachen war gemein. Jetzt sieht sie die Bilder vor sich und sie hört seine höhnischen Worte und die von Janetta. Warum musste sie auch von dem Trinkexperiment anfangen. Warum grinste Janetta? Sie hat doch selbst den Test absolviert. Sie hat sogar zu Herrn Stein gesagt, dass sie endlich begriffen hat.

War das noch derselbe Tag, auf den sie sich so gefreut hatte? War das noch derselbe Freund, den sie so gerne geküsst hat. Auf einmal küsste er Janetta! Und wie er sie küsste!

Ihre Augen füllen sich mit Feuchtigkeit. Klare, salzige Feuchte, die der Welt ihre Konturen nimmt. Alles verschwimmt, nur die Erinnerung an diesen Schmerz verschwimmt nicht so schnell.

Fünf verschiedene Drinks. Das war sein Geburtstagswunsch, und alle johlten laut: Binge-drinking! Ihr war so elend zumute und sie glaubte doch nur, es sei die Enttäuschung, die immer klarer, immer schmerzhafter auf sie zurollte. Pattrick und Janetta? Janetta die Brumme. Genau weiß sie nicht, ob das Wort gut oder schlecht ist. Auf Janetta passt es. Flapsige Sprache. Bunte Strähnen im wirren Haar. Piercings an Brauen, Zunge und Nabel. Janetta brummt.

Ob es das ist, was Pattrick gefällt?

Das Weinen bringt Erleichterung. Warum hat sie auf Herrn Stein gehört? Und dann fällt ihr ein, dass sie gar nicht auf ihn gehört hat, und dass sie deshalb hier liegt …

Zwei Einheiten, das war ihr persönliches Maximum nach dem Experiment. Nicht fünf. Und womöglich waren die drei Jägermeister doppelte, so genau kennt sie sich nicht aus.

Sie schiebt ihren Kopf, in dem sich alles dreht, auf den Ellenbogen. An der Wand verschwommen sein Bild. Sie weiß, dass sie ihm nur schwer verzeihen kann, aber sie muss ihn wiederhaben. Nur wie? Kann man sich für die Liebe an Unmögliches gewöhnen?

Was wäre jetzt, wenn sie mit ihm gegangen wäre?

Vielleicht wäre alles gar nicht so schlimm gewesen. Vielleicht läge sie nun für immer in seinem Arm ... Vielleicht hat Karim Üljaz recht: Manchmal haben die Jungen plötzlich genug von einem Mädchen, wenn sie es einmal hatten … Aber Frau Üljaz ist eine Türkin ...

Die Stunden bei Tage strecken sich. Was kommt jetzt noch? Was bedeutet Entgiftung?

Der Schatten steht wieder hinter ihr.

»Ich bin Schwester Beate. Kann es sein, dass der Mann, der dich im Park gefunden hat, dein Lehrer ist? «

Sie antwortet nicht. Ihr Körper hebt sich ruckartig, das Gesicht wühlt sich in die Kissen. Das Weinen wird stärker. Warum passieren ihr jetzt so peinliche Dinge. Sie schnellt in die Höhe. Vom äußeren Rand einer Zentrifuge fällt sie zurück auf das fremde Bett.

»Welcher Lehrer? «

»Stein heißt er und sitzt draußen im Gang. «

Verdammte Scheiße. Warum Herr Stein. Warum konnte man sie nicht liegen lassen, bis sie verreckt wäre … Immer noch besser als diese Blamage.

Zum ersten Mal in ihrem Leben möchte sie sterben. Nicht richtig zwar, nur um zu sehen, ob Pattrick um sie trauert. Die Furcht vor ihrem Vater, die Scham vor ihrem Lehrer, verdrängt sie.

Sie ahnt nicht, dass ihr Mathelehrer Jan Stein schon in der Nacht Stunden auf dem Gang der Notfallstation zugebracht hat. Jetzt sitzt er wieder da und grübelt, was falsch gelaufen ist.

Der den Teufel weckt

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