Читать книгу Naturphilosophische Emergenz - Maximilian Boost - Страница 10
2 Einführung
ОглавлениеDie historische Entwicklung des Emergentismus lässt sich mit Achim Stephan in vier Phasen unterteilen5: Seinen Anfang nahm der Emergentismus im 19. Jahrhundert mit den Werken seiner Vordenker John Stuart Mill („A System of Logic“6, 1843) und George Henry Lewes („Problems of Life and Mind“7, 1875). In der ersten Hälfte der 1920er Jahre kamen in der zweiten Phase die Theorien des Britischen Emergentismus8 zur Blüte. Die Hauptvertreter dieser Strömung sind Samuel Alexander („Space, Time and Deity“9, 1922), Conwy Lloyd Morgan („Emergent Evolution“10, 1925) und Charles Dunbar Broad („The Mind and its Place in Nature“11, 1925). Obwohl der Britische Emergentismus schon in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wieder rapide an Bedeutung verlor, wurde er noch bis in die 60er Jahre hinein diskutiert bzw. kritisiert. Diese – vergleichsweise lange – Periode bildet die dritte Phase des Emergentismus. Erst in den 1970er Jahren gewann der Emergenzbegriff wieder an Bedeutung. Besonders Karl Popper („The Self and its Brain“12, 1977) und Mario Bunge („The Mind-Body Problem“13, 1980) entwickelten wieder eigenständige Emergenzkonzeptionen und trugen damit zur Wiederkehr emergenztheoretischer Ideen in die Philosophie bei. Ihre Arbeiten leiteten die vierte Phase des Emergentismus ein, die bis heute anhält. Der jüngere Teil dieser Phase, die aktuelle Qualia-Debatte, aus welcher die derzeit stärksten Argumente für eine emergenztheoretische Position in der Philosophie stammen, führt aus der historisch-systematischen Betrachtung des Emergentismus heraus und wird daher im zweiten Teil behandelt.
Doch muss erwähnt werden, dass es auch Vertreter emergentistischer Theorien neben dem Britischen Emergentismus gab, wie den Amerikaner Roy Wood Sellars („Evolutionary Naturalism“14, 1922). Da Sellars sein Werk zunächst unabhängig vom Britischen Emergentismus verfasst habe, spricht Stephan – welcher die bislang umfassendste Analyse der Geschichte des Emergenzbegriffs vorgenommen hat – auch vom „Britischen und amerikanischen Emergentismus“15. Aber auch Pragmatisten wie William James, John Dewey und George Herbert Mead vertreten emergentistische Positionen, wie Charbel el-Hani und Sami Pihlström betonen.16 Und auch Alfred North Whitehead und seine Schülerin Dorothy Emmett lassen sich mit emergenztheoretischem Denken in Verbindung bringen.17 Stephan hat außerdem herausgearbeitet, dass Elemente einer Emergenztheorie bereits in den Theorien einiger kontinentaler Philosophen aus der Zeit vor dem Britischen Emergentismus – hierzu zählen Johann Christian Reil, Hermann Lotze, Gustav Theodor Fechner und Wilhelm Wundt – zu finden sind.18 Und sogar in der Antike lassen sich ihm zufolge schon emergentistische Anklänge verorten, nämlich bei Aristoteles und Galen.19 John Haldanes Auffassung dagegen, hier sei auch Empedokles einzuschließen20, wird von Stephan kritisiert.21 Es soll hier jedoch davon abgesehen werden, emergenztheoretische Ansätze außerhalb der Tradition des Britischen Emergentismus zu untersuchen, da sie keine prägende Wirkung auf die Entwicklung des Emergenzbegriffs hatten und zum größten Teil nicht als emergentistische Positionen im vollen Sinne verstanden werden können.22
Die historisch-systematische Analyse, die maßgeblich durch Achim Stephan beeinflusst ist, wird durch eine Untersuchung der Beiträge von John Stuart Mill und George Henry Lewes, den Vordenkern aus der ersten Phase des Emergentismus, eingeleitet. Daraufhin werden die Werke von Samuel Alexander, Conwy Lloyd Morgan und Charles Dunbar Broad, den drei Hauptvertretern der zweiten Phase des Emergentismus, betrachtet. Anschließend werden mit Stephan die sich aus dem Britischen Emergentismus ergebenden Hauptmerkmale emergentistischer Theorien beschrieben. Hierdurch wird die Betrachtung der Hauptwerke der Britischen Emergentisten noch einmal vertieft. Darauf folgt die Beschreibung und Diskussion der zwei gebräuchlichen Modelle der Varianten der Emergenz. Die dritte Phase des Emergentismus, in welcher vor allem kritische Einwände gegen ihn erhoben wurden, wird in der Frage nach den Gründen für den Niedergang des Britischen Emergentismus aufgegriffen. Eine kurze Erwähnung der emergenztheoretischen Konzeptionen von Karl Popper und Mario Bunge, welche die vierte Phase des Emergentismus einleiteten, wird die historisch-systematische Analyse beschließen.
5 Vgl. Stephan, Achim (1999b). Emergenz – Von der Unvorhersagbarkeit zur Selbstorganisation. 2. Aufl. Paderborn: Mentis 2005. S. XI-XII.
6 Mill, John Stuart (1843). A System of Logic. Ratiocinative and Inductive. Collected Works, Vol. VII und VIII. Toronto/Buffalo: University of Toronto Press/Routledge/Kegan Paul 1974. Reprinted 1978.
7 Lewes, George Henry (1875). Problems of Life and Mind. Vol. 2. Reprint. Boston/New York: Houghton, Mifflin and Company 1891.
8 Die Bezeichnung ‚Britischer Emergentismus‘ geht zurück auf McLaughlin, Brian (1992). „The Rise and Fall of British Emergentism“ in: Ansgar Beckermann/Hans Flohr/Jaegwon Kim. Emergence or Reduction? – Essays on the Prospects of Nonreductive Physicalism. Berlin/New York: Walter de Gruyter. S. 49.
9 Alexander, Samuel (1920). Space, Time, and Deity. The Gifford Lectures at Glasgow 1916-1918. Two Volumes. Vol. 2. Reprint. London: Macmillan and Co. 1927.
10 Lloyd Morgan, Conwy (1923). Emergent Evolution. The Gifford Lectures. Delivered in the University of St. Andrews in the Year 1922. Second edition. New York/London: Williams and Norgate Ltd. 1927.
11 Broad, Charles Dunbar (1925). The Mind and its Place in Nature. Tarner Lectures delivered in Trinity College, Cambridge, 1923. Seventh edition. London: Routledge/Kegan Paul Ltd. 1962.
12 Popper, Karl R. (1977). The Self and its Brain. Part I. In: Karl R. Popper/John C. Eccles. The Self and its Brain. Corrected Printing. Berlin/Heidelberg/London/New York: Springer International 1981.
13 Bunge, Mario (1980). The Mind-Body Problem. A Psychobiological Approach. Oxford: Pergamon International Library.
14 Sellars, Roy Wood (1922). Evolutionary Naturalism. Chicago/London: The Open Court Publishing Company.
15 Stephan (1999b). S. 3. Hervorhebungen durch den Verfasser geändert. Vgl. auch Stephan, Achim (1999a). „Emergenz“ in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.). Enzyklopädie Philosophie. Bd. 1. Hamburg: Felix Meiner Verlag. S. 304.
16 Vgl. el-Hani, Charbel/Sami Pihlström (2002). „Emergence Theories and Pragmatic Realism“. Essays in Philosophy – A Biannual Journal. Vol. 3. No. 2. Erhältlich online auf URL: www.humboldt.edu~essays (Archiv) (Stand: 16. März 2007). S. 26-33 und vgl. Stephan (1999b). S. 253.
17 Vgl. Stephan (1999b). S. 252-253.
18 Vgl. Stephan (1999b). S. 99-128.
19 Vgl. Stephan (1999b). S. 249-251 und Caston, Victor (1997). „Epiphenomenalisms, Ancient and Modern“. The Philosophical Review. Vol. 106. No. 3. S. 332-339 und S. 351-354.
20 Vgl. Haldane, John (1996). „The Mystery of Emergence“. Proceedings of the Aristotelian Society. Vol. 96. S. 261.
21 Vgl. Stephan (1999b). S. 249.
22 Vgl. Stephan (1999b). S. 76-77 und Stephan (1999a). S. 304.