Читать книгу Schneerose - Maya Shepherd - Страница 11
Orlando Moundrell
ОглавлениеAls er sie in der letzten Nacht sah, war sie wieder dieselbe unbeschreibliche Frau, die er kennen gelernt hatte. Okay, ihr Outfit war etwas verändert, aber das war auch schon alles. Sie hat ihn weder auf ihre erste Nacht, noch auf seine Aktion auf dem Baum angesprochen. Eigentlich hat sie gar nicht mit ihm gesprochen, was ihn jedoch nicht besonderes gestört hatte. Manchmal sagen Taten einfach mehr als tausend Worte. Bei dem Gedanken huscht ihm ein selbstzufriedenes Grinsen über das Gesicht.
Nach wie vor weiß er nicht, was er von ihr halten soll. Die Frau macht ihn süchtig und das, obwohl sie kein Mensch zu sein scheint oder vielleicht gerade deshalb. Das Mädchen bringt ihm seinen Kopf zum schwirren und ihre grünen Augen haben sich ihm ins Hirn gebrannt. Es vergeht keine Nacht, in der er nicht an sie denkt.
Ein Klopfen an seiner Tür, lässt ihn aufhorchen. Das kann nur Vivienne sein, jeder andere hier würde ohne Einladung einfach hereinplatzen.
„Tritt ein“, fordert er sie auf und aus dem Schatten der Tür löst sich eine schlanke Gestalt. Das warme violett ihrer Augen strahlt ihm entgegen, doch ihre Miene verrät tiefe Besorgnis.
„Du solltest es beenden, bevor du noch mehr Schaden anrichtest, als du ohnehin schon hast.“
Diese Art Gespräch führen sie nicht zum ersten Mal und so fängt Orlando nur zu lachen an, ohne Vivienne auch nur eine Sekunde ernst zu nehmen.
„Ich habe keine Ahnung wovon du sprichst.“
„Die Leute fangen an zu reden, sie erwarten von Chasity, dass sie härter durchgreift. Wenn sie dich noch länger schützt, dann riskiert sie damit die Krone. Nicht mehr lange und es wird die Ersten geben, die sich gegen sie auflehnen.“
Auch mit diesen Worten erreicht sie ihn nicht. Er kann sich nicht mehr daran erinnern, wie es ist alleine dazustehen. Seit er ein Vampir ist, steht er unter dem Schutz seiner Familie. Unter dem Schutz von Chasity, der Königin der Vampire. Es erscheint ihm völlig abwegig, dass sich daran je etwas ändern könnte. Auch Chasity, die seinetwegen zunehmend in Bedrängnis gerät, interessiert ihn nicht.
„Die Leute reden“, äfft Orlando Vivienne amüsiert nach. „Warum sprichst du sie nicht direkt beim Namen an? Es ist kein Geheimnis, dass Claudia niemandem auch nur ein bisschen Spaß gönnt. Das liegt einzig und allein daran, dass sie selbst so frustriert ist. Würde sie sich auch mal auf ein kleines Abenteuer einlassen, würde sie das Ganze vielleicht auch mal etwas lockerer sehen. Sie ist eifersüchtig.“
„Ihre Bedenken sind nicht abwegig. Wenn du zuviel Zeit mit Menschen verbringst, kommt irgendwann einmal jemand hinter dein Geheimnis und dann dauert es nicht lange bis wir alle auffliegen, willst du das?“
„Es ist lächerlich, dass wir uns vor den Menschen verstecken, wo wir so viel mächtiger sind. Wenn die Sonne nicht wäre, hätten sie schon längst gegen uns verloren…“, gibt Orlando bedenkenlos von sich, woraufhin Vivienne nur genervt die Augen zusammenkneift.
„Es ist mir egal, was du da wieder am Laufen hast, aber du solltest es sowohl in deinem als auch in dem Interesse der armen menschlichen Frau, die auf dich reingefallen ist, so schnell wie möglich beenden.“
Ihre Stimme bebt vor Wut. So aufgebracht hat Orlando sie schon lange nicht mehr erlebt. „Hey, was hast du denn? Ist doch nichts passiert. Vertrau mir, ich hab da meine Erfahrungen...“, scherzt er weiter und weicht erschrocken zurück als Vivienne mit ihren bloßen Fingern das Weinglas in ihrer Hand zerdrückt. Blut, sowohl ihr eigenes als auch fremdes, läuft ihren Arm hinab und fällt zu Boden, während sie selbst am ganzen Körper zittert. Die Schnitte in ihrer Hand verheilen zwar schneller als man schauen kann, doch ihre Stimme hat einen bedrohlichen Ton angenommen.
„Kannst du dir auch nur im Entferntesten vorstellen, was für ein Gefühl es ist, die Menschen zu töten, die du liebst, nur weil unser Kodex oder dein eigener Blutdurst dich dazu zwingen?“
Vor Orlandos innerem Auge taucht das Bild einer bleichen Frau in seinen Armen auf. Ihr Herz rast und er schüttelt den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben.
„Die Wenigen, die deinen Angriff überleben, empfinden nur noch Hass und Verachtung für dich. Trotzdem kannst du nicht aufhören sie aus dem Verborgenen zu beobachten und zu sehen wie sie alt und immer schwächer werden, bis sie schließlich sterben.“
Die Atmung der Frau hört abrupt auf. Blut läuft ihren Hals hinab von der Wunde, die seine scharfen Zähne hinterlassen haben. Nein! Daran will er nicht denken. Doch Vivienne fährt unbarmherzig fort.
„Das ist nicht das Leben, das für die Menschheit vorherbestimmt war. Menschenleben sollten nicht Jahrhunderte überdauern. Je länger wir leben, desto mehr verkommen wir.“
Er presst schreiend und weinend seinen blutenden Arm auf den geöffneten Mund der Frau, doch es ist zu spät. Ihr Herz ist bereits zum Stillstand gekommen.
„Es ist das letzte Mal, dass ich für dich und Mary gelogen habe!“
Viviennes Worte sind ungewohnt hart und lassen keinen Zweifel an ihrer Ernsthaftigkeit. So kennt er sie gar nicht. Sonst ist sie immer die Ruhe in Person, nie aufbrausend und nie laut.
„Mary? Ist etwas passiert?“ Panik schwingt in seiner Stimme mit, denn das kleine Mädchen ist die Einzige mit der man ihn wirklich erreicht. Ihr Wohlergehen liegt ihm mehr am Herzen als sonst irgendetwas. Jedenfalls direkt nach seinem eigenen Wohl.
„Sie wurde in der Manor Street dabei aufgegriffen, wie sie einen Wachmann mitten im Schein einer Straßenlaterne aussaugte. Das war gerade mal zwei Häuser nach dem Eingang zum italienischen Garten. Du kannst dir vorstellen, was für eine Arbeit es war, jegliche Erinnerung an den Mann bei den Menschen auszulöschen und die Leichen loszuwerden. Wie du weißt, lösen sich Menschen leider nicht einfach in Staub und Asche auf.“
Orlando schluckt, seine Augen weiten sich.
„Welche Leichen? Ich dachte es gebe nur einen Wachmann…“, fragt er nun kleinlaut.
„Chasity hat direkt alle Wachen umgebracht, die zu dem Zeitpunkt Dienst hatten. Außerdem noch die schwangere Frau des Mannes. Es hätte Fragen aufgeworfen, wenn sie sich nicht mehr daran hätte erinnern können, von wm sie schwanger geworden ist. Viele sind jedoch der Meinung, dass sie eher hätte Mary töten sollen. Wenn sie ihre Sucht nicht in den Griff bekommt, wird jemand früher oder später für ihren Tod sorgen. Lange werden sie sich das nicht mehr mit ansehen!“
„Das würde ich niemals zulassen!“, beteuert Orlando sofort energisch. Vivienne hebt darauf nur ungläubig eine Augenbraue.
„Ach ja und wie willst du das bitteschön verhindern, wenn du nie da bist? Du würdest es ja nicht einmal mitbekommen.“
Diese Worte sitzen. Orlando weiß, dass Vivienne Recht hat und er sich dieses Mal nicht mit einem dummen Spruch herausreden kann.
„Wo ist Mary? Geht es ihr gut?“
„Sie ist in ihrem Zimmer. Du solltest selbst nach ihr sehen, sie hat schon mehrmals nach dir gefragt, aber du warst wie immer nicht da. Sie hätte dich gebraucht, Orlando!“ Der Vorwurf in ihrer Stimme ist unüberhörbar und legt sich wie eine Fessel um Orlandos Herz. Er und Mary haben eins gemeinsam, sie sind beide süchtig, wenn auch nach vollkommen unterschiedlichen Dingen.
Mary liegt mit erstarrtem und tränenverschmierten Gesicht auf ihrem rosa Himmelbett und starrt die Decke an, auf der ein wunderschöner Sonnenaufgang abgebildet ist. Ein Anblick, den keiner von ihnen jemals wieder ohne mit dem Tod zu bezahlen, genießen können wird. Orlando setzt sich neben sie, doch Mary kehrt ihm nur den Rücken zu. Wie so oft, ist sie wieder in eine ihrer melancholischen Phasen verfallen.
„Sei froh, dass sie dich nur in dein Zimmer und nicht in den Kerker gesperrt haben.“, versucht er sie aufzuheitern, jedoch ohne Erfolg. Es ist so gut wie aussichtslos zu ihr durchzudringen, wenn sie sich erst einmal entschlossen hat jeden zu ignorieren. Vielleicht wäre es angebracht sich bei ihr zu entschuldigen, weil er nicht da war. Doch Orlando weiß auch so, dass man sie mit einem Thema immer locken kann, da sie sich mehr danach sehnt, als nach irgendetwas anderem und es doch nie erleben können wird. Die Liebe.
„Ich habe SIE letzte Nacht wiedergesehen.“
Mary schweigt weiterhin eisern, doch er spürt auch so wie sie ihre kleinen Ohren spitzt, um keines seiner Worte zu verpassen.
„Sie war wieder die Gleiche.“, fügt Orlando gedankenverloren hinzu.
„Hast du denn etwas anderes erwartet?“, gibt sich Mary geschlagen, zu groß ist ihre Neugier.
„Ich war mir nicht sicher, ob mich meine Erinnerung an sie nicht täuscht.“ Er denkt an das schüchterne Mädchen von der Nacht davor, doch davon braucht Mary nichts zu wissen, er versteht es ja selbst nicht mal.
Interessiert dreht sich Mary zu ihm um.
„Ich habe dir geraten sie kennenzulernen, darunter habe ich nicht verstanden eine weitere Nacht mit ihr zwischen den Laken ihres Bettes zu verbringen. Das ist nicht romantisch. Weißt du mittlerweile wenigstens ihren Namen?“
„Wir haben nicht miteinander gesprochen. Sie scheint nicht an Gesprächen interessiert zu sein.“
„Dann solltest du den ersten Schritt machen.“, schlägt Mary trocken vor, so als wäre es das Einfachste und Offensichtlichste der Welt.
„Vielleicht will ich sie ja gar nicht kennenlernen.“
„Ich kenne dich besser als du dich selbst und deshalb weiß ich, dass du nicht mal halb so oberflächlich bist wie du tust.“
„Sie ist nur eine Frau von vielen, nichts besonderes.“
„Mach dir doch nichts vor, sie hatte bereits dein Interesse geweckt als du sie zum ersten Mal sahst. Sie ist nicht wie die anderen. Sie ist etwas besonderes, weil sie die Einzige ist, deren Blut du nicht haben kannst.“
„Das ist doch gar nicht erwiesen!“, währt Orlando ab.
„Ach und warum hast du es dann nicht versucht? Das würdest du dir doch nicht freiwillig entgehen lassen, da sind wir uns ja wohl einig!“
So ungern Orlando es auch zu gibt, hat Mary Recht. Die selbstbewusste, wortlose Frau mit den Augen aus kaltem Stein herrscht über seine Träume, doch den Kopf zerbrechen tut er sich über das Mädchen mit den traurigen, grünen Augen. Sie ist es, die er nicht vergessen kann und die ihm gleichzeitig Angst macht.