Читать книгу Laufet, so werdet ihr finden - Meike Scharff - Страница 12

Оглавление

Tag 9 - 2. April 2012: Ledigos

Gleich nach dem Aufstehen packe ich meine Sachen. Mit Ausnahme der dicken Socken ist die komplette Kleidung auf der Leine getrocknet. Die Tür zur Wirtsstube ist verriegelt, hier bekomme ich kein Frühstück - ebenso die große Eisentür, die sich als Zweittür hinter der nicht abschließbaren Außentür befindet. Daher also der Knall letzte Nacht. Meine Angst vor nächtlichen Gästen war unberechtigt. Ich nehme mir vor, zukünftig weniger ängstlich zu sein.

Zwei Müslikekse aus meinem Vorrat sind meine erste Mahlzeit des Tages. Ich genieße die morgendliche Kühle, als ich über den geschlängelten Weg an Wiesen und Büschen vorbei spaziere. Gegen 11 Uhr erreiche ich das sieben Kilometer entfernte Hostal Moratinos und staune über das perfekte Deutsch im ausliegenden Prospekt.

Ich trete ein, der helle, österlich dekorierte Raum mit einer grasgrünen Wand strahlt vor Sauberkeit. Ich frage nach einem entkoffeinierten Kaffee. Die Wirtin reicht mir nickend ein Osternest entgegen, um mir ein Schokoei daraus anzubieten. Es überrascht mich nicht, dass sie eine Deutsche ist - hier sieht es aus, wie in einer „Schöner Wohnen“-Zeitschrift. Als ich das stille Örtchen aufsuche, trete ich in ein deutsches Gäste-WC ein - ein rundes Wachbecken aus weißem Porzellan leuchtet mir entgegen, weiche Handtücher laden zum Händetrocknen ein. Erst jetzt fällt mir auf, dass die spanischen Toiletten deutlich einfacher ausgestattet sind.

Ich setze mich auf die Terrasse, schlürfe den Kaffee und erkundige mich nach den Hügeln gegenüber, in denen Öffnungen mit kleinen Türen zu sehen sind. Die Wirtin erklärt mir, dass es sich um Bodegas handelt. Den Begriff kenne ich, nun erfahre ich, dass es sich um Vorratsräume für Wein und andere Speisen handelt, quasi ein Kellerersatz. Sie reicht mir einen Ordner, in dem sie Informationen über den Jakobsweg gesammelt hat, unter anderem sind alle Pilgerunterkünfte beschrieben. Ich lese mir die Beschreibungen der kommenden Herbergen durch. In El Burgo Ranero, das ich morgen erreichen kann, gibt es eine städtische Herberge mit Waschmaschine. Auf einmal kommt bei mir das Bedürfnis hoch, meine Klamotten mal so richtig in einer Waschmaschine durchzuwaschen. Ich merke mir also den Ortsnamen.

Die Wirtin reicht mir einen Stadtplan von León, während sie mir ein Hotel empfiehlt, das sie gleich auf der Karte einzeichnet.

Nach kurzer Zeit platziert sie einen etwa vierzigjährigen Spanier mit Zahnspange an meinen Tisch. Er spricht kein Englisch, bis auf „Hola“ und „Adiós“ wechseln wir keine Worte.

Eine Viertelstunde später verlasse ich den Ort wieder. Der Camino führt eine kurze Zeit zwischen zwei Fahrbahnen einer Schnellstraße entlang. Der Jakobsweg ist nicht unbedingt immer schön, genauso wie das restliche Leben. Eigentlich macht genau das die Sache interessant.

Das Gehen macht mir leider wieder Schwierigkeiten. Der rechte Fuß ist in Ordnung, der linke dagegen schmerzt aufgrund der Blase an der Ferse so sehr, dass ich den Fuß nicht richtig abrollen kann. Immerhin scheint die Sonne - es sind bestimmt über 20 Grad - noch 387 Kilometer bis nach Santiago.


Eine halbe Stunde später holt mich der Spanier ein. Er stellt eine Frage, in der das Wort acompañar vorkommt. Weil es wie accompagner - Französisch für begleiten - klingt, errate ich, was er meint und stimme zu. Er stellt sich mir als „Miro“ vor. Wir laufen eine ganze Weile nebeneinander, ich passe mich seinem Tempo an, werde also schneller. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, ist er den Camino schon viele Male gepilgert. Er zeigt einigen Ehrgeiz, mir nützliche Redewendungen beizubringen.

¿Cómo estás? – Wie geht’s?

Estoy bien. – Mir geht es gut.

Estoy muy cansada. – Ich bin sehr erschöpft.

Auf den letzten Satz legt er besonderen Wert. „Muy cansada“ wiederholt er dreimal, ächzt und beugt den Oberkörper vor, sodass er mit den Händen fast den Boden erreicht. Ich spreche den Satz lachend jedes Mal mit einem ähnlichen Seufzer nach. So bekomme ich ganz umsonst den herbeigewünschten Sprachunterricht.

Als wir in Sahagún eintreffen, kenne ich die Zahlen von eins bis hundert, die Wochentage, die Grundfarben, diverse Speisen sowie Körperteile. Außerdem kann ich das wichtigste Verb hier – gehen - konjugieren. Miro erzählt stets langsam von vielen Gesten begleitet. Er meint, ich verstünde Spanisch ganz gut dafür, dass ich es nicht spreche. Kommunikation ist einfach, wenn es beide wollen!

Ich möchte wissen, ob er in Sahagún bleiben will oder weiter läuft. Für mich reicht es definitiv – die Blasen sind unerträglich. Miros Antwort verstehe ich jedoch selbst nach mehreren Erklärungsversuchen nicht. „Estación de tren“ – Bahnhof – sowie „horario“ – Fahrplan – kommen darin vor. Die Antwort ist jedenfalls weder ja noch nein. Die Frage, ob ich ihn zum Bahnhof begleite, beantworte ich entschieden mit einem „estoy muy cansada“ – bloß keinen Schritt mehr tun, als unbedingt notwendig! Miro begleitet mich zu einem Hostal, in dem auch Essen serviert wird, deutet auf sich, sagt „Bahnhof“ und macht eine ausladende Handbewegung, an deren Ende er mit den Zeigefinger auf den Stuhl zeigt. Er kommt also zurück, schließe ich daraus und nehme erst mal eine Cola.

Nach einer Weile steht Miro wieder vor mir, dieses Mal ohne Rucksack und in kurzer Hose. Offenbar hat er den Rest der Sachen in einem Schließfach deponiert. Im Übrigen kombiniere ich jetzt auch, dass er bis eben noch nicht gewusst hat, ob er einen Ort weiter läuft oder hier schon mit der Bahn nach Hause fährt. Auf seinem iPhone zeigt er mir, wo er wohnt. Es handelt sich um einen Ort in der Nähe von Santiago. Ich schreibe ihm meine Emailadresse auf, in der Hoffnung, eines seiner Fotos von mir zu bekommen. Miro notiert seine Telefonnummer in meinem Tagebuch, für den Fall, dass ich auf dem Camino in Schwierigkeiten gerate. Die Vorstellung, ohne Spanischkenntnisse mit ihm auch noch zu telefonieren, belustigt mich.

Schließlich verabschieden wir uns mit einer Umarmung. Miro wünscht „buen camino“, ich suche mir eine Unterkunft.

Sahagún bietet einige Möglichkeiten, ich entscheide mich für eine Unterkunft im Kloster, Pilger bezahlen dort für ein Einzelzimmer einen ermäßigten Preis. Im Bad wasche ich erst mal die durchgeschwitzte Kleidung und hänge sie über der Badewanne zum Trocknen auf. Anschließend suche ich eine Apotheke und kaufe dort drei Packungen Blasenpflaster, im Supermarkt ergänze ich meinen Proviant durch Zwieback, Erdnüsse und Kekse.

Von einem Moment zum anderen überfällt mich eine wahnsinnige Müdigkeit, meine Beine werden weich, ich kann kaum noch laufen. Wegen des hungrigen Ziehens in meinem Magen gehe ich jedoch nicht in mein Zimmer, sondern zu dem kleinen Platz in der Innenstadt. Leider steht nur „Käsebrot“ als einziges vegetarisches Gericht auf der Schiefertafel. Immerhin muss ich nicht Hunger leiden! Mir fallen fast die Augen zu. Nach dem Essen kehre ich zurück ins Kloster und lege mich gegen 18 Uhr in dem karg eingerichteten Zimmer, in dem lediglich eine Kruzifix an der Wand hängt, auf das frisch bezogene Bett.

Um 20 Uhr schaffe ich es dennoch, mich zur Pilgermesse aufzuraffen. Da es keine innerklösterliche Verbindung zur Kirche gibt, trete ich aus der großen Eingangstür ins Freie. Es nieselt etwas. So schnell es in Badelatschen eben möglich ist, husche ich um die Ecke und trete in die Klosterkirche ein. Betreten sehe ich auf meine Füße. Die Latschen passen gar nicht zum Kirchenambiente. Was soll’s – in Wanderschuhen mag ich keinen Schritt mehr gehen.

Während der Messe in der düsteren Kirche betrachte ich das barocke Altarbild mit all den pausbäckigen Engeln auf riesigen Wolken. Ich finde es nicht besonders schön – bin aber dennoch beeindruckt, weil es sich mit seinem Kitsch von der Kunst in großen Kathedralen abhebt. Dort hätte man das Altarbild in Laufe der Jahre sicherlich durch ein schöneres ersetzt. Die Messe wird auf Spanisch abgehalten. Schräg hinter mir sehe ich noch eine weitere Frau auf den Besucherbänken, die Nonnen dagegen sitzen seitlich im Altarraum. Dann winkt uns eine von ihnen nach vorne. Eine andere verliest einen Text, währenddessen nicke ich aufs Geratewohl. Sie wünscht uns eine frohe Ankunft in Santiago und spendet uns den Pilgersegen. Anschließend werden wir nach unseren Herkunftsländern befragt. „Alemania“ sage ich, „Ireland“, die andere Pilgerin.

Laufet, so werdet ihr finden

Подняться наверх