Читать книгу Raetia - Melissa Jäger - Страница 7
Monat Juli, am Tag vor den Kalenden des August
ОглавлениеAm Tag vor ihrer Abreise nach Bratananium traf sich Alpina mit Ilara. Sie saßen im Peristyl des Hauses von Soterichus und tranken Essigwasser. Lucius war zu einem Treffen des Collegiums der Händler gegangen, und seine Eltern informierten sich über den Fortschritt der Baumaßnahmen an ihrer Villa rustica. Der Umzug war für den Spätsommer geplant. Die beiden Schwestern hatten also endlich einmal die Gelegenheit, sich ungestört zu unterhalten.
„Wie geht es dir?“, fragte Alpina und meinte damit selbstverständlich weniger den körperlichen als den seelischen Zustand der älteren Schwester.
Ilara wog den Kopf. „Nun ja, was soll ich sagen? Verletzungen habe ich keine mehr – keine sichtbaren.“
„Komm, erzähl! Tut er dir noch immer Gewalt an, wenn er mit dir schläft?“
Die junge Ehefrau schüttelte den Kopf. „Er rührt mich so gut wie gar nicht an. Seit meiner Hochzeitsnacht war er nur einmal bei mir. Es tut jetzt nicht mehr so weh wie beim ersten Mal, aber ich habe nach wie vor Angst vor ihm und seiner fordernden Art. Ich verkrampfe mich so sehr, dass es weder mir noch ihm Spaß macht.“
Alpina konnte kaum glauben, was sie hörte. „Er rührt dich nicht an?“
Ilara schüttelte den Kopf. „Wenn ich unrein bin, oder er nicht anderweitig „versorgt“ ist, geht er zu Celsa oder vielleicht auch einer der anderen Dienerinnen im Haus. Seit Rufus wieder auf Inspektionsreise ist, sehe ich ihn kaum noch. Ich nehme an, er ist meistens bei Glycera.“
Das Gesicht ihrer Schwester wirkte leer und hoffnungslos. Alpina litt mit ihr. Es musste schlimm sein zu wissen, dass der eigene Mann eine andere Frau liebte und sogar die Sklavinnen als Sexualpartnerinnen vorzog.
„Ist er denn sonst wenigstens nett zu dir?“
Die Schwester nickte. „Er ist höflich, zumindest so lange er sich beobachtet fühlt. Wenn ich mit ihm alleine bin, schreit er manchmal oder verhöhnt mich. Alpina, ich bin so einsam! Obwohl meist viele Menschen um mich sind, fühle ich mich so verlassen! Ich weiß gar nicht, wie es werden soll, wenn Lucius‘ Eltern ausziehen. Tiberius und Tibulla sind sehr lieb zu mir, sehr herzlich. Ich sitze oft mit Tibulla zusammen, wir sticken oder weben Borten und unterhalten uns. Aber wenn sie ausgezogen sind, bleiben mir nur Celsa und die Hausmädchen, die nicht mit Tiberius und Tibulla gehen werden. Versprich mir, dass du mich oft besuchen kommst, ja?“
Flehentlich sah die Ältere Alpina an.
„Natürlich werde ich dich besuchen“, versprach Alpina schnell, „und du hast ja auch noch Balbina!“
Verächtlich schnaubte Ilara. „Balbina, pah! Die hat doch keine Ahnung! Die glaubt ja, ihr lieber Bruder wäre der perfekte Ehemann! Außerdem macht sie mich neidisch. Sie führt eine wirklich gute Ehe mit Vindelicus. Immerzu säuselt sie, wie süß er ist. Er trägt sie wirklich auf Händen, lässt ihr viele Freiräume, ehrt und schätzt sie und ist offenbar so zärtlich, dass sie sogar die Zweisamkeit mit ihm genießen kann. Ich beneide sie so, Alpina! Glaub mir!“
Die Jüngere biss sich auf die Lippen. Das war also der Grund, warum Ilara so hoffnungslos wirkte und warum sie in letzter Zeit die Treffen mit Balbina mied.
„Du bestätigst meine Vermutung, dass die Ehe nichts anderes ist als ein komfortables Gefängnis.“
Ilara nickte mutlos. „So ist es! Bleib du nur bei deinen Büchern und sieh zu, dass du Mutter nacheiferst, um eine gute Obstetrix zu werden!“