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Kinder des Mais

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»Der ist voll süß«, kicherte Cherryl albern.

Hope konnte durch die Maisstauden hindurchsehen, wie sie sich durch ihre haselnussbraunen Locken strich und ihr megakurzes Kleidchen glatt nach unten zog, damit wenigstens ihr runder Hintern bedeckt war. Cherryl stand auf. »Mädels, wie seh ich aus?«, wollte sie wissen.

Hope machte Cherryls Verhalten traurig, weil sie sich selbst nur über Äußerlichkeiten definierte. Zu alldem gehörte eine Geschichte, die man kennen musste, um sie zu verstehen. Die Cops hatten sie bei einer Razzia in einem Stripladen aufgegriffen, da war sie fünfzehn gewesen. Kein Wunder also, dass sie den Kontakt zu Männern mit Sex gleichsetzte. Was sie Hope darüber erzählt hatte, glich einer abstoßenden Sammlung von im Waisenhaus verbotenen Worten und geistig erwachsenden Bildern, die ihr die Tränen in die Augen trieben. Und es lag auf der Hand, dass Cherryl diese Worte nicht nur in der Theorie beherrschte. Sie war ohne Zweifel durch eine harte Schule gegangen, aber letztendlich waren sie das auf ihre jeweils eigene Art alle. Hope mochte sie total gerne, doch sobald Jungs in der Nähe waren, wurde Cherryl zu einer sexbesessenen Bestie, die keine Hemmungen mehr kannte.

Und keine Grenzen …

»Bist ’ne notgeile Bitch«, brummte Lissy zwei Reihen weiter und brachte es damit auf den Punkt. Sie klang genervt. Ihr Feuerzeug klickte, kurz darauf roch Hope den Rauch einer Zigarette. »Lässt dich mit jedem ein. Ich sag dir, das geht eines Tages schief!« Lissy war in ihrer Art verletzend direkt, aber auch gemein. In diesen Momenten brach es unbeherrscht und derbe aus ihr heraus. Sie kicherte leise. »Hörst wohl kein Radio, hm? In der Nacht vom 29. Juli, da hat so’n Irrer ein Mädchen in den Bronx abgeknallt … die Kleine, nun, im Radio haben sie gesagt, sie hieß Donna, war auf der Stelle tot … Bämm … Kopf geplatzt … alles Matsche … Scheiben vollgespritzt mit roter Soße. Ihre Freundin Jody kam mit ’ner Fleischwunde davon!«

»Ach, leck mich doch, Lissy!«, schnauzte Cherryl gespielt aufgebracht. Ihr war anzuhören, dass sie auf Lissys Ausführungen einen Dreck gab.

»Keine gute Idee, im Mais zu rauchen«, gab Hope zu bedenken, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, und bereute es sogleich. Sie hatte etwas anderes sagen wollen. Dass dieser Killer ein Monster war, wenn er wehrlose Mädchen nach einem Discobesuch auflauerte und sie ohne speziellen Grund erschoss. Dass man damit keine Scherze machte. Jetzt war es anders gekommen. Was sollte es? Sollten die Mädchen sie doch ruhig für eine Spießerin halten.

Hope wusste von Lissy, dass sie ihre Eltern bei einem Wohnungsbrand verloren hatte. Danach hatte sie eine Zeit lang bei ihrem Onkel gewohnt, bekam Drogenprobleme, weil der Dreckskerl fixte und sie mit reinzog. Das führt dazu, dass sie aus einem Grund, den sie beharrlich verschwieg, die Wohnung abfackelte und damit auch ihren Onkel verlor. Hope gab einen Dreck auf das hartnäckige Gerücht, dass es Lissy gewesen war, die das Feuer bei ihren Eltern und später bei ihrem Onkel gelegt hatte. Wenn Lissy das tatsächlich getan hatte, gab es einen triftigen Grund. Sie vermutete, es ging mit ihrem Hang zu impulsiver Gewalt einher, die durch ein falsches Wort wie aus dem Nichts ausgelöst werden konnte.

Hope versuchte, auf andere Gedanken zu kommen und sich zu entspannen, damit sie pinkeln konnte, doch es wollte einfach nicht klappen.

»Mir doch egal«, schnippte Lissy schlecht gelaunt zurück. »Hab keinen Bock auf die nächsten Wochen …« Es plätscherte und sie stöhnte erleichtert auf. »Andererseits«, Hope hörte, wie Lissy aufstand und sich die Schlagjeans nach oben zog, »könnten wir mit ausreichend Alkohol und den Jungs ’ne Menge Spaß haben.« Es raschelte, als sie sich ihren Weg durchs Maisfeld bahnte, um Cherryl zu folgen.

»Willst du dir die Jungs etwa schönsaufen oder was?«, feixte Cherryl kichernd.

Hope konnte durch den Mais hindurch die besagten Jungs neben dem Motorrad stehen sehen und wie sie rauchten. Dieser Dummkopf Brady prahlte mit seinem albernen Rekorder, der aussah wie ein Tricorder aus der Serie Raumschiff Enterprise, und den Musikkassetten, die er so oft abgespielt hatte, dass sie leierten. Hope musste innerlich lachen, weil sie sich an den Bandsalat von gestern erinnerte und wie er verzweifelt versucht hatte, das Band mit einem Bleistift im Rädchen aufzuspulen. Wenn er alleine war, konnte er ein richtig süßer Typ sein, der ein verschmitztes Lächeln hatte, das Herzen höher schlagen ließ. Sie saß tief im Feld und genoss das Gefühl, als der Druck in ihrer Blase endlich nachließ. Angewidert beobachtete sie das Rinnsal, das sich im anthrazitfarbenen Staub seinen Weg um ihre Cowboystiefel bahnte.

Der Boden ist hier unheimlich schwarz …

Sie hatte gedacht, dass er in Iowa rot sei. Warum, wusste sie nicht mehr. Womöglich, weil hier Indianer lebten. Stattdessen war er schwarz und erinnerte sie an Lavagestein.

Toter Boden, unter dem Böses gärt …

Ein Wirbel aus schwarzen Vögeln über einer Stadt, in der das Böse regiert …

Ein Prediger des falschen Gottes, der das Obere nach unten kehrt …

Ein See voll mit schwarzem Schlamm, der den Boden unter dem Mais gebiert …

Schweinedung und Leichenasche …

Hope schrak aus einer Art Trance auf, schüttelte den Kopf, um ihre wirren Gedanken zu vertreiben. Es kam oft vor, dass Mist wie dieser in ihrem Kopf herumspukte.

Reflexionen meiner verkorksten Kindheit …

Hope wurde von Visionen heimgesucht, seit sie denken konnte. Ihre früheste Erinnerung reichte in ein Kinderheim in den Sümpfen Louisianas zurück, wo sie die ersten Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Ihre Fragen nach ihren Eltern blieben unbeantwortet, nach dem Warum natürlich auch. Angeblich hatte man eines Morgens vor der Tür einen Korb und einen Koffer gefunden. Im Korb lag sie, der Koffer war abgesehen von einem handbeschriebenen Zettel leer. Sie kannte die eilig hingekritzelten Worte auswendig.

Hope Cannary Burke … geboren an einem verregneten Freitag in Butte La Rose, Louisiana …

Abgestellt wie Müll, den man loswerden wollte, weil er störte. Im Kinderheim machte man ihr nachdrücklich klar, dass sie, anstatt unnütze Fragen zu stellen, zu arbeiten hatte, um ihren Beitrag zu leisten. Also hielt sie ihren Mund und fraß beim Bodenschrubben oder Bettenbeziehen alles in sich hinein, bis sich eine imaginäre Halde aufgetürmt hatte, die schwarz und hoch war. Während die anderen Kinder wenigstens Erinnerungen mitbrachten, hatte sie nichts. Sie schuf sich ihre eigene Welt. Eine Welt der Träume, in die sie sich nach Belieben zurückzog. Doch ihre Welt machte sich selbstständig. Was sie anfangs kontrollierte, entglitt nach und nach ihrer Kontrolle. Die Träume wandelten sich in pures Chaos, das Bilder schuf, die sie nicht deuten konnte. Mit zwölf lief sie aus Louisiana weg und ging nach New York, weil die Visionen in ihrem Kopf es ihr befohlen hatten. Hope ließ sich von den Bildern leiten, gab sich ihnen hin, weil es das Einzige war, was sie hatte.

Ich sehe hier nicht einen verdammten schwarzen Vogel … hab am Ende noch ’n Hitzschlag, wenn ich an solchen Mist denke …

Als nichts mehr kam, zog sie ihr Höschen hoch und den Jeansmini runter, damit er ihren Hintern bedeckte. Sie wollte bereits wieder zu den anderen gehen, doch sie hörte ein seltsames Geräusch in ihrem Rücken: ein Knacken im Mais, gefolgt von einem flüchtigen Rascheln. Hopes Magen krampfte, weil ihr die Kurzgeschichte von Stephen King in den Sinn kam, die sie letzte Nacht gelesen hatte.

Kinder des Mais …

Kinder mit beschissenen weißen Augen, die einfach nur dastehen und dich anstarren …

Dieser Blödmann Brady hatte ihr die Readers-Digest-Ausgabe vom Juni gegeben und behauptet, die Geschichte wäre eine coole Einstimmung für den Trip nach South Dakota. Dass es sich dabei um Horror handelte, hatte er ihr verschwiegen. Dennoch hatte sie die Geschichte bis zum Ende gelesen, einfach weil sie wissen musste, wie sie ausging. Und nun saß sie in einem Maisfeld und rechnete damit, eins dieser Psychokinder zu Gesicht zu bekommen.

Dieser kleine Scheißer …

Womöglich saß einer der Jungs aus dem Bus im Mais und biss sich in die Handballen, um nicht laut aufzulachen. Es raschelte wieder. Gleichmäßig und leise. Etwas pirschte sich an sie heran. Ebendiese Gleichmäßigkeit ließ sie den Wind von vornherein ausschließen.

Könnte ein Hase sein … oder ein Einheimischer, der uns beobachtet hat und sich jetzt Gott weiß, was tut … scheiß Spanner …

Egal, was es sein würde, es war ihr äußerst unangenehm. Hope glaubte, Blicke zu spüren, die sie fixierten. Da war es wieder: ein Rascheln; Stauden, die sich bewegten. Es schien sie zu umkreisen wie ein Tier, das den besten Platz zum Angriff suchte. Hope schluckte.

Wenn es zwischen mich und die Straße gelangt, schneidet es mich von den anderen ab … treibt mich weiter ins Maisfeld hinein …

Sie sprang auf. Ihr Stiefel platschte in die entstandene Pfütze, doch das war ihr gleich. »Lissy, Cherryl, wartet auf mich!« Hope spurtete los. Sie rannte, weil sie dachte, die durchgeknallten Kinder wären hinter ihr her. Sie machte dabei eine Menge Lärm, brach Stauden ab und fiel sogar hin, doch sie rannte weiter. Die Reihen öffneten sich und sie fand sich auf der Straße wieder. Hope blieb stehen und drehte sich mit klopfendem Herzen um. Tiefer im Feld wankten Stauden. Es entfernte sich – oder war es nur der Wind, der den Mais bewegte?

Nie wieder lese ich solchen Kram … nie wieder! Zur Hölle mit dir, Brady Potts!

»Alles in Ordnung, Baby?« Lissy kam zu ihr, berührte sie an der Schulter. Sie blies in der für sie typisch nervösen Art den Zigarettenrauch aus.

»Da war was im Mais«, keuchte Hope aufgeregt. »Gibst du mir ’ne Kippe?«

Lissy hielt ihr ihre hin. »Sicher nur ’n bescheuertes Reh, das dir beim Pinkeln zugesehen hat …«

»Toll«, stellte Hope fröstelnd fest. »Find’s nicht gerade angenehm, dabei von ’nem Tier beobachtet zu werden.«

Kurz darauf standen Hope und ihre Freundinnen am Straßenrand und sahen Mister Kindermann dabei zu, wie er neben dem Motorrad kniete und daran herumfummelte. In Wirklichkeit hatte er keine Ahnung. Hope hatte sich wieder beruhigt. Sie stöhnte und verdrehte die Augen. »Zur Hölle, ich kann seine behaarte Arschfalte sehen.« Dankbar nahm sie die bereits angezündete Zigarette aus Lissys Hand entgegen, steckte sie sich zwischen die Lippen und inhalierte den Rauch. Eine weiße Wolke blieb zurück und sie schielte zu dem jungen Mann, der neben der O’Hara mit gerunzelter Stirn dastand und ebenfalls auf Kindermanns Arschfalte sah. Cherryl hatte recht. Der Typ war süß, obgleich ihm eine Dusche guttun würde, staubig und verschwitzt, wie er war. Er hatte ein verschmitztes Lächeln und strich sich mit einer schüchternen Geste die halblangen dunkelblonden Haare aus dem Gesicht.

Der ist absolut heiß …

Bevor ihr Kopfkino zu sehr auf Touren kam, holte ein harter Stoß gegen die Schulter sie in die Wirklichkeit zurück. Cherryl!

»Hab’s doch gewusst … unsere kleine Hope hat ein Auge auf den Biker geworfen«, feixte sie augenzwinkernd.

»Blöde Kuh!« Hope blies ihr den Rauch der Zigarette ins Gesicht und ging zu der Ordensschwester, weil sie sich ertappt fühlte. »Hab über was anderes nachgedacht«, log sie.

»Schwester O’Hara?«

Die Lehrerin drehte sich zu ihr um und sah sie mit ihren kalten blauen Augen an. Die Frau war eine Schönheit, auch wenn Fältchen ihre Augen umspielten und sie einen harten Zug um den Mund hatte, der an Verbissenheit grenzte. »Hope, alles in Ordnung? Bist ein bisschen blass um die Nase.«

»Ja, alles gut«, druckste Hope herum. Es war ihr plötzlich peinlich, sie angesprochen zu haben. »Wollt nur wissen, wann’s endlich weitergeht. Wir schwitzen alle und, na ja, Hunger haben wir auch.«

»Tut mir schrecklich leid, Schätzchen. Mister Kindermann tut, was er kann.«

Und das ist nicht besonders viel, dachte Hope.

Schwester O’Hara drehte sich zu Kindermann um und tippte ihm auf die Schulter. Sie schwitzte stark und schien ebenfalls wenig begeistert von dem Aufenthalt auf der brütend heißen Straße zu sein. »Kann ich Sie mal kurz sprechen, ja?«

Kindermann erhob sich grunzend. Seine Hose blieb jedoch auf halber Höhe der behaarten Arschbacken hängen, was ihn allerdings nicht zu stören schien. »Klar, Ma’am …«

Die beiden gingen zum Heck des Busses. Hope stand jetzt neben dem Fremden, die Jungs auf der anderen Seite des Motorrads. Es entstand ein kurzes Schweigen, bei dem alle mit wissenden Blicken auf die Maschine starrten.

Das Motorrad mit dem Ledersattel und einem einzigen Zylinder machte keinen besonders gepflegten Eindruck. Die Felgen waren rostig und der Lack zeigte sich stumpf. Hinten hatte er zwei Packtaschen und einen Schlafsack festgeschnallt. Musste ein ausländisches Fabrikat sein.

»Hey, Hope«, feixte Brady, »warum hast’n geschrien dort hinten im Feld?«

»Hab an deine dämliche Visage gedacht und Angst bekommen«, schnauzte Hope zurück. Langsam entwickelte sie einen Hass auf den Typen. Nicht, weil er diesen Unsinn verzapfte, sondern weil er das pure Gegenteil eines hormongesteuerten Idioten sein konnte, wenn er nur wollte. »Mit dir hab ich eh ’n Hühnchen zu rupfen, Homeboy!«

Brady öffnete den Mund, um ihren Angriff zu erwidern, doch Jamie stieß ihm mit dem Ellbogen in die Rippen. »Lass jetzt einfach gut sein, Brady.« Er sah leicht verlegen zu Hope. »Denke, wir alle wollen nur so schnell wie möglich weiter, hab ich recht?«

Hope lächelte, weil sie seine Geste nett fand. »Danke, Jamie …« Hope musterte Jamie und fand, dass er sich ziemlich gut gemacht hatte in den letzten Wochen. Die Cops hatten ihn völlig verwahrlost ins Waisenhaus gebracht. Zuvor hatte er wie ein Hobo gelebt, sich aus dem Süden bis zu ihnen nach New York durchgeschlagen. Und das konnte man durchaus wörtlich nehmen. Jamie hatte nie darüber gesprochen, was mit seinen Eltern war, nur dass es sie für ihn nicht mehr geben würde. Manchmal sprach er von einem Onkel Joe, zu dem er sich geflüchtet hatte, wenn sich seine Eltern stritten. Er hatte Hope nie erzählt, was für ein Typ Onkel Joe war und ob es sich bei ihm um einen echten Onkel handelte. Oder, was nicht ausgeschlossen war, dass er nur in Jamies Kopf existierte.

Hope wollte nicht mehr über solche Geschichten nachdenken, weil ihr sonst ihre eigene in den Sinn kam. Sie warf dem Motorradfahrer einen scheuen Seitenblick zu. Er scharrte mit den Boots nervös auf dem Boden herum, sah auf seine Stiefelspitzen. Ihm schien das alles unangenehm zu sein. Hope räusperte sich. »Cooles Motorrad.«

Wie dämlich …

Als hätte sie ihn aus einem Traum geschreckt, sah er zu ihr auf, blinzelte. Er antwortete jedoch nicht sofort, sondern schien sich die Worte zurechtzulegen. »Ist ’ne Enfield … Bullet 500.« Seine Stimme hatte diesen angenehmen weichen Klang der Südstaaten, wo man die Worte mehr sang als sprach. Der Kerl sah in seinen schmutzigen Wranglers und der abgewetzten Canvasjacke, die er trotz der Hitze trug, nicht besser aus als das Motorrad, das er fuhr. Er roch nach Benzin und frischem Schweiß, was ihn aber nicht weniger attraktiv machte.

»Und was verschlägt Mister Schweigsam in diese gottverlassene Einöde von Iowa?« Sie grinste ihn frech an. »Will er etwa Maisbauer werden?«

Er ignorierte ihre Spitze und hob seine breiten Schultern, denn ihm fiel nichts dazu ein. »Hm … Kein Maisbauer, nein … Ist eher so’n Auf-den-Spuren-der-Vergangenheit-Ding.« Er sah zu ihr auf und lächelte. »Ich bin Jason.« Er zwinkerte leicht mit dem rechten Auge, was wie ein Tick rüberkam. Jason wischte sich die öligen Finger an der alten Canvasjacke ab und streckte ihr die Hand entgegen.

Hope musste wegen der unbeholfenen Geste lachen und ergriff seine Hand. Der Händedruck war fest, aber nicht schmerzhaft. Seine Handflächen waren rau, jedoch nicht unangenehm. »Hope … Hope Burke.« Sie löste sich von ihm, nickte zum Motorrad. »Na, was ist, bekommt Kindermann die wieder flott?«

Jason lachte. »Der hat keine Ahnung von Motorrädern.« Er ging in die Hocke. »Ist was mit der Zündung, nehm ich an.«

Hope schluckte, weil seine Jacke beim Bücken nach oben rutschte und sie das Messer sah, das er am Gürtel trug. Ein Riesending in einer speckigen Lederscheide mit indianischen Mustern, mindestens dreißig Zentimeter lang.

Lang genug, um einem den Kopf damit abzuschneiden …

»Na, war jedenfalls nett, dich kennengelernt zu haben«, stammelte sie unbeholfen. Hope hatte eine rege Fantasie. In ihrem Kopf formten sich bereits Bilder dessen, was er mit einer Klinge wie dieser alles anstellen könnte.

Jason sah zu ihr auf. »Mister Kindermann meinte, er könne die Maschine hinten auf dem Gepäckträger festmachen und mich bis zu eurem Übernachtungsstopp mitnehmen …« Er griff sich in die Innentasche und entnahm ihr eine zerknautschte Zigarettenschachtel, zog mit den Fingern eine heraus, legte sie sich lässig zwischen die Lippen. Er steckte die Packung weg, ohne ihr eine anzubieten. »Hast nicht zufällig Feuer?«

»Liegt im Bus«, antwortete Hope. Jason war nett, aber sie hatte den Eindruck, dass er etwas vor ihr verbarg. Und das Messer weckte schlimme Gefühle in ihr, Vorahnungen gleich. Sie wurde den Verdacht nicht los, dass er ein für ihn sehr persönliches Ziel verfolgte und dieses Wissen nicht mit ihr teilen wollte. Und da war sein Blick, den sie nicht deuten konnte.

Jeder hat ’n Ziel vor Augen, also mach dich jetzt bloß nicht lächerlich, schalt sie sich selbst. Der Typ ist süß und hier draußen alleine hätte ich auch ’n Messer dabei …

»Dann geh’n wir es holen, hm?« Jason wandte sich von ihr ab und wollte zur offenen Bustür gehen.

Hope ergriff seinen Arm. »Ähm, hallo?« Sie sah Hilfe suchend zu Schwester O’Hara, die sich mit Kindermann hinten am Bus aufhielt. Der war damit beschäftigt, den Gepäckträger nach unten zu klappen. »Schwester O’Hara? Könnten Sie bitte mal kommen?«

Die Ordensschwester sah sofort, dass etwas nicht stimmte. Mit wehendem Kleid lief sie zu Hope, die Jason festhielt. »Was ist hier los?«

»Jason wollte in den Bus.« Hope versuchte, Schwester O’Haras strengen Blick standzuhalten, senkte aber ihren eigenen. »Ich dachte, das sollten Sie wissen.«

Schwester O’Hara bemaß Jason mit einem langen, eindringlichen Blick, dass Hope fast den Eindruck bekam, sie würden auf eine verborgene Weise miteinander kommunizieren. »Junger Mann, helfen Sie Mister Kindermann mit dem Motorrad?« Dann, an Hope gerichtet: »Ich denke, du kannst Mister Bullock jetzt loslassen. Es war richtig, dass du mich gerufen hast.« Dann, mit einem strengen Blick auf Jason: »Schließlich kann man heutzutage nie wissen, was sich hinter einem freundlichen Gesicht für kranke Gedanken verbergen, nicht wahr, Mister Bullock?«

»Wenn Sie das sagen, Ma’am!«

Hope ließ Jasons Arm los und sah ihm hinterher, wie er zu seinem Motorrad ging, um es zu Kindermann hinter den Bus zu schieben. »Da ist was, dass Sie wissen sollten, Schwester.«

»Und das wäre?«

»Na ja. Jason, ich meine Mister Bullock, trägt ein ziemlich langes Messer am Gürtel.« Hope druckste herum, weil sie sich albern vorkam. »Hat mir ’n bisschen Angst gemacht …«

Schwester O’Haras schlanke Finger berührten Hopes Kinn und hoben es an, damit sie ihr in die Augen sehen konnte. »Solange ich bei dir bin, brauchst du nichts zu fürchten. Denn der Herr ist an deiner Seite!«

Hope schluckte. Normalerweise hätte sie sich über einen derartigen Spruch lustig gemacht, das Gesprochene veralbert, weil sie einen feuchten Dreck auf Gott und seine Engel gab. Es war die eiskalte Härte, die in den Worten klang, der stahlharte Blick, der Angst einflößte. Nicht dass sie deswegen an Gott glaubte, denn das war ausgeschlossen. Nicht nach dem, was geschehen war. Woran sie allerdings glaubte, das war die Stärke von Schwester O’Hara. Hope war sich sicher, dass körperliche Gewalt durchaus ein Mittel war, das die Schwester zur Durchsetzung ihres Willens für legitim befand. Ihr fiel dazu ein sehr treffender Spruch aus der Bibel ein.

Den Weg verlassen bringt böse Züchtigung, und wer Zurechtweisung hasst, der muss sterben …


Mudlake - Willkommen in der Hölle

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