Читать книгу Mudlake - Willkommen in der Hölle - M.H. Steinmetz - Страница 17
ОглавлениеWelcome to Deadwood, South Dakota
13. Juli – Black-Hills-Territorium
Ungewöhnlich heftige Regenfälle hatten die Straßen in den Black Hills in Schlammlöcher verwandelt, die selbst Pferde nur mit Mühe passieren konnten. Auch jetzt regnete es wieder.
Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen. Graues Regenlicht verfärbte sich zu tiefem Schwarz. Er musste sich beeilen, wenn er die Nacht nicht draußen verbringen wollte. Der einsame Reiter zog sich den Kragen seines gewachsten Segeltuchmantels enger zusammen und neigte den Kopf nach vorne, damit das Wasser vom Hut laufen konnte. Er war vollkommen durchnässt, schnalzte mit der Zunge und der Schimmel ohne Namen setzte sich in Bewegung. Sie passierten eine improvisierte, halb im Schlamm versunkene Zeltstadt. Abgehalfterte Prostituierte zogen ihre prallen Brüste aus den fleckigen Kleidern, während er an ihnen vorbeiritt. Eine fluchte ihm hinterher, dass ihn die Krätze holen solle, weil er sie nicht beachtete. Die Luft roch in einem scharfen Unterton nach menschlichen Ausscheidungen und dem nassen Holz, das die Glücksritter in ihren Zeltöfen verbrannten.
Verdammte Goldgräber, wühlen sich in die Hänge, brechen die Erde auf und lassen ihren Unrat zurück … Was bleibt, ist ein vernarbtes, kaputtes Land …
Die Zelte der Goldgräber blieben zurück. Die Main Street wurde von grob gezimmerten, dicht beieinanderstehenden Holzhäusern gesäumt. Gelbliches Licht fiel aus den Fenstern auf die Straße, vermischte sich mit dem helleren der Petroleumlaternen zu einem diffusen Schein, der an eine Zirkusmanege erinnerte. Der Reiter fand, dass es durchaus Ähnlichkeiten damit gab, wenn man die Geräuschkulisse aus vielerlei Sprachen hinzuzog. Schilder stachen wie ausgestreckte Arme in die Straße hinein, auf denen Liquor Dealers, Dentist oder Saloon zu lesen stand. Schiefe Veranden aus ungeschälten Bohlen bildeten fragil schwebende Konstruktionen über dem Straßenschlamm. Selbst um diese späte Stunde herrschte reges Treiben. Eine Menge Pferde stand gesattelt vor den Geschäften und Saloons. Planwagen rollten schmatzend von Kaltblutpferden oder Ochsen gezogen zwischen den Häusern hindurch. Ihre Räder zogen tiefe Furchen in den Schlamm, den man hier Straße nannte. Hunde streunten herum, taxierten Passanten, die Essen mit sich führten. Bärtige Goldschürfer mit eingefallenen Wangen drängten sich neben Anzugträgern und Frauen der Heilsarmee dicht an dicht auf den hölzernen Stegen. Eckensteher mit halb zugeknöpften Westen über karierten Hemden musterten argwöhnisch jeden Fremden, die Hand lässig auf den Colt gestützt. Er kannte diese unlösbare Verbindung zwischen Schütze und Waffe nur zu gut. Aus den Saloons und Spielhallen erklangen Gelächter und Klaviermusik, durchmischt von deutlich hellerem Lachen chinesischer Huren.
Die Bank und ein imposanter Eisenwarenladen schienen die einzigen Steingebäude der Stadt zu sein. Vor ihnen lungerten bärtige Männer in dunklen Anzügen herum, um den Wert der Häuser hervorzuheben. Die hielten Flinten lässig auf die Hüften aufgesetzt, ihre Hosenbeine steckten in hohen, schlammverschmierten Stiefeln.
Der einsame Reiter zog sich den Hut tiefer ins Gesicht und ritt weiter. Sein Ziel war der Nuttall & Man’s Saloon und der musste die Straße hinab liegen. So stand es zumindest in dem Telegramm, das er von einer alten Weggefährtin erhalten hatte. Der verstörende Satz, mit dem sie ihn bat, nach Deadwood zu reiten, hatte ihn dazu bewogen, Cheyenne in Wyoming und den Zirkus seiner Frau Agnes Lake Thatcher zu verlassen, den er Zuhause genannt hatte. Die Wahrheit war, er war geritten, weil es ihn in den Fingern juckte und die Vorderlader-Colts an seinem Gürtel, die noch aus dem Krieg stammten, lange kein Feuer mehr gespuckt hatten. Der alten Zeiten willen. Das waren genug Gründe, um sich in den Sattel zu schwingen und den beschwerlichen Weg nach South Dakota auf sich zu nehmen.
Der Nuttall & Man’s Saloon lag etwa fünfzig Meter die Main Street hinab, wenn man vom Eisenwarenladen aus rechnete. Im Falle von Problemen war es angebracht, einen Maßstab zu verwenden, und die Stadt sah verdammt noch mal nach Ärger aus. Er lenkte den Schimmel zu einem freien Platz an der Anbindestange und sah sich ein letztes Mal um, bevor er sich aus dem Sattel schwang. Gegenüber dem Nuttall & Man’s stand das dritte und größte Steingebäude der Stadt. Unterhalb des ausladenden Balkons, auf dem sich Freier und Nutten in Unterwäsche tummelten, hing ein rotes Schild mit goldener Schrift, auf dem The Gem – Varieté Theater zu lesen stand. Dem Gedränge nach zu urteilen, ein Laden, der gut lief. Ihm fielen sehr wohl die Männer in den langen Mänteln auf, die mit Gewehren bewaffnet an den Ecken und auf dem Balkon des Gem standen und die Straße beobachteten. Mindestens zwei von ihnen hielten ihre Blicke auf ihn gerichtet.
Ächzend schwang er sich aus dem Sattel, band den Schimmel fest und tätschelte ihm die Flanke, ehe er sich die Satteltaschen überwarf, sein Gewehr aus dem Scabbard zog und es schulterte. Die Glücksritter hoch im Norden benutzten meist die alten Springfield Rifles aus dem Bürgerkrieg. Er hingegen setzte auf eine Winchester Modell 1873, denn der Unterhebelrepetierer verschoss moderne Metallhülsenpatronen, die unempfindlich gegen Feuchtigkeit waren und die man schnell nachladen konnte. Ein entscheidender Vorteil, wenn man es mit mehreren Männern gleichzeitig zu tun bekam. Er stieg mit klirrenden Sporen auf die Veranda und stampfte sich den Schlamm von den kniehohen Stiefeln. Während er sich den Mantel aufknöpfte, trat er zwischen den Männern hindurch, die auf der Veranda herumlungerten und rauchten.
Er strich sich das Wasser aus dem langen Vollbart, betrat den Saloon durch die offen stehende Tür und wurde von einem Brodem aus Alkohol, Rauch, altem Schweiß und ungewaschener, zu lang getragener Kleidung empfangen, durchsetzt von einer Note Erbrochenem und Urin. Der typische Geruch der aus dem Boden gestampften Goldgräberstädte. Unter dem gigantischen Kronleuchter war es zum Bersten voll. Die runden Tische, die Bar. Dazwischen leichte Mädchen in einem Alter, in dem sie besser die Schulbank hätten drücken sollen. Erfahrene Nutten in rüschenbesetzten Kleidern, hinten weit ausgestellt, um ihre fetten Ärsche zu überdecken, zwängten sich zwischen den Tischen hindurch. Ein Mann mit Bowler und gestreiftem Hemd klimperte auf dem Klavier, ein paar schlammverkrustete Goldgräber standen daneben und hoben ihre Biergläser, um zu singen. Der Klavierspieler trug diese Ärmelschoner aus gewachstem Segeltuch, um sein teures Hemd zu schützen. James lachte in sich hinein, denn er wusste, dass die hässlichen Dinger den Hemdstoff weit mehr verschmutzten, als wenn er keine tragen würde.
Er legte den halben Weg zwischen Tür und Bar zurück und sah sich mit zusammengekniffenen Augen im verrauchten Zwielicht um. Den Spieltisch, an dem gepokert wurde, verbannte er aus seinem Sichtfeld, denn er wusste, was geschehen konnte, wenn er sich einen Stuhl nahm und sich setzte. Er hatte sich an den Karten zu oft die Finger verbrannt, obgleich er ein exzellenter Spieler war und wissen sollte, wie es am runden Tisch lief.
Wo zur Hölle steckt sie nur?
»Suchst du mich, Fremder?«, sagte ein rothaariges Mädchen neben ihm, die seine Tochter hätte sein können und hakte sich an seinem Arm unter. Sommersprossen umspielten ihre Stupsnase. »Hast Lust, ein armes Mädchen auf ’nen Drink einzuladen, hm?«
Der Fremde befreite sich sanft aus ihrem Griff. »Bist ’n schönes Mädchen, aber sorry, ich bin wegen jemand anderem hier. Kennst du Martha Jane Cannary … manchmal nennt sie sich Burke?« Das Mädchen legte enttäuscht ihren Zeigefinger auf die Nasenspitze und tat nachdenklich. »Da muss ich jetzt wirklich überlegen, Süßer …«
Er spielte mit einer Münze zwischen seinen Fingern. »Das hilft dir beim Denken, Süße.«
»Lass dir nicht die Hosen dabei ausziehen«, lästerte eine Frauenstimme hinter ihm, die er nur zu gut kannte. Der Fremde drehte sich um und grinste. »Martha!«
Er steckte die Münze der Kleinen zu und zwinkerte. »Hast mir Glück gebracht.«
Dann umarmte er die große Frau mit dem geflochtenen, schwarzen Zopf, die Männerkleidung und einen Waffengürtel über der zugeknöpften Jacke trug. »Halleluja noch mal, wie lang ist das jetzt her?«
»Viel zu lange, Mister James Butler«, hauchte ihm Martha ins Ohr. »Und nenn mich Jane, alter Dummkopf.« Sie fuhr ihm dabei mit den Fingern durch sein langes, nasses Haar. »’n Bad und trockene Sachen wären nicht schlecht, was?«
James löste sich von ihr und hielt sie an den Schultern fest, um sie sich anzuschauen. Auf den ersten Blick wirkte sie gelöst, doch wenn man genauer hinsah oder weil man sie kannte, konnte man die Besorgnis erkennen, die sie plagte. »Erst erzählst du mir, was es mit diesem ominösen Telegramm auf sich hat, das mir keine Wahl ließ, außer herzukommen!«