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Road Trip

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August, irgendwo in Iowa

»The Ramones? Was is’n das für’n schräger Mist?« Jamie Peterson strich sich sein braunes, zerzaustes Haar nach hinten, riss seinen Mund auf und gähnte herzhaft, während er die Musikkassette unschlüssig in der Hand drehte. Er war müde und genervt von der langen Busfahrt, die kein Ende zu nehmen schien. Zudem schwitzte er wie ein Schwein.

»Is’ echt der Wahnsinn, ich sag’s dir! Punkrock, Mann! Hab’s im Radio aufgenommen! Brandneu, kriegst nicht in ’nem Laden hier.« Brady rutschte aufgeregt auf der durchgesessenen Sitzbank des Schulbusses umher, der sich zwischen endlos erscheinenden Maisfeldern eine Landstraße entlangquälte. Er war enttäuscht, dass Jamie die Band nicht kannte. Dass dieser sich nicht von seinem schnell und gern aufbrausenden Enthusiasmus anstecken ließ. Andererseits war es kein Wunder, wenn man ihn sich ansah, in den stets schmutzigen Jeans und dem karierten Hemd, das seine beste Zeit längst hinter sich hatte und dem der Begriff »altmodisch« geschmeichelt hätte. Brady war anders. Er trug sein Haar lang und wild, mochte T-Shirts mit V-Ausschnitt, die eng am Körper saßen, und Jeanshosen mit Schlag, wie man sie in England trug, weil das verdammt cool war. »Punkrock«, wiederholte er enttäuscht. »Der aufstrebende Protest der vergessenen Generation X!« Womöglich lag es daran, dass er achtzehn war und Jamie ein Jahr jünger.

Dämliches Landei …

»Mach mal das Fenster auf, sonst erstick ich hier noch«, maulte Jamie stattdessen und gab ihm das Tape zurück. Anscheinend merkte er, dass sein Freund angepisst war, und versuchte einzulenken. »Meinetwegen, ich hör’s mir an, wenn wir angekommen sind … dafür gibst du aber jetzt damit Ruhe, okay?«

Bradys Miene hellte sich auf. »Yeah, Mann, alles cool!« Brady fuhr sich mit den Fingern über die Lippen, mimte einen Reißverschluss. Er stellte sich auf und griff nach dem Hebel, um die Scheibe nach unten zu ziehen. Sein Kumpel hatte recht, die Luft im Bus roch in der Tat verbraucht wie abgestandener Atem. Manchmal, wenn ein Lufthauch von unten durch den Bus zog, roch es fürchterlich nach Schweiß und nassen Socken. Kein Wunder, denn die Sonne brannte nur so vom Himmel. Brady hasste den Sommer. Der August war der schlimmste Monat von allen. Dann glühte in New York, wo sie herkamen, der Asphalt und die Abgase zogen nicht mehr aus den Häuserschluchten hinaus. Aber hier auf dem Land verhielt es sich kaum besser. Hier gab es keinen Schatten, sondern nur diesen verdammten Mais.

Winzige, gelbe, alles verhöhnende Gesichter …

Er schirmte sich die Augen ab, weil ihn die tief stehende Abendsonne blendete, und ließ seinen Blick über die Maisfelder schweifen. In einiger Entfernung gab es eine Baumgruppe, dazwischen ein paar Gebäude, die marode und verlassen wirkten. Dennoch war er sich sicher, dass sich dort etwas bewegt hatte. Kaum mehr als ein huschender Schatten, der sich zwischen die windschiefen Holzbauwerke duckte, während der Bus vorüberfuhr. Er hob die Schultern, entriegelte die Scheibe und zog sie nach unten.

Krass. Wie in »The Hills Have Eyes« Jetzt ’ne Autopanne, und wir sind geliefert …

Für Brady das reinste Futter für seine ausgeprägte Fantasie. Er war ein echter Horrorfreak. Ob Filme oder Bücher, er nahm alles mit. Natürlich auch den italienischen, richtig krassen Scheiß. Die neue Generation von Filmen, in denen Blut und Gedärme nur so spitzten und es nicht ganz offensichtlich war, ob es Maske oder Snuff war. Gab ja schließlich ’ne Menge Gerüchte darüber. Einer der älteren Jungs aus dem Waisenhaus jobbte als Filmvorführer und schleuste ihn an den Wochenenden ins Kino, wenn was Entsprechendes lief. Wes Cravens »The Hills Have Eyes« hatte er letzten Sonntag gesehen. Ein Hammerfilm, der alles bisher Dagewesene übertraf.

Mutierte Freaks in den Hügeln, ahnungslose Spießer … Massaker pur!

Brady ließ sich schwer in den Sitz fallen und grinste Jamie an. Abgesehen von Punkrock-Musik gab ein weiteres Thema, das ihn brennend interessierte: Mädchen!

»Was meinst du, wer ist schärfer: die O’Hara oder die Neue, Hope?«

Jamie rieb sich die Augen. Ihm machte die Hitze arg zu schaffen. Er dachte einen Moment über Bradys Frage nach. Schwester O’Hara war ihre Lehrerin, hatte die Fahrt nach South Dakota organisiert, damit sie für den Sommer aus dem kochend heißen Moloch New York rauskamen. Er schätzte sie auf jenseits der vierzig bis knapp unter fünfzig. Ein fieses Grinsen stahl sich in sein Gesicht. »Ganz klar die O’Hara. Selbst in ’nem grauen Sack hat die ’ne rattenscharfe Figur. Außerdem«, er schnalzte mit der Zunge, »hab ich gesehen, dass sie ’ne echte Blondine ist.«

Brady musste nicht lange nachdenken, um zu wissen, was er damit meinte. »Ich dachte, Nonnen tragen diese graue Zirkuszeltunterwäsche. Alter, wir hab’n ’ne heiße Nummer als Lehrerin.« Er beugte sich verschwörerisch zu Jamie und zwinkerte ihm zu. »So wie in dem Film, den wir heimlich geschaut haben. Weißt, was ich meine.« Er kicherte. »Musst mal ’n Blick auf ihr Schwesternkleid werfen, wenn die sich bückt und sich der Stoff an ihren Körper schmiegt. Ich schwör dir, die hat nichts drunter, genau so, wie du’s sagst …«

Jamie grinste. »Yeah, ich wette, die ist …« Eine zusammengerollte Zeitschrift schlug von hinten auf seinem Kopf ein und stoppte seinen Redefluss. »Autsch …!« Jamie sprang auf und drehte sich auf der Bank um, damit er sah, wer ihn geschlagen hatte.

»Ihr seid so was von bescheuert«, kommentierte Hope sein Gespräch mit Brady. Jamie wurde feuerrot, weil ihm schlagartig bewusst war, dass sie nicht nur das mit der O’Hara mitbekommen hatte, sondern auch die Vergleichsfrage.

Gleich zu Beginn der Klassenfahrt unten durch … voll verkackt …

»Ich sollte es ihr stecken, damit sie euch die verdammten Ohren langzieht!« Sie musste alles mit angehört haben. Ihm war peinlich, dass er sich von Brady zu solchen Äußerungen hatte hinreißen lassen. Hope hatte verdammt noch mal recht, sich so aufzuregen. Jetzt galt es, Schadensbegrenzung zu betreiben, damit Hope sie nicht bei ihrer Lehrerin verpfiff. Schwester O’Hara war der Inbegriff der Unerbittlichkeit. Lachen stand bei ihr ebenso wenig auf dem Programm wie Barmherzigkeit.

Hope hatte ihn von der ersten Sekunde an fasziniert, vor allem, weil sie der Sängerin von Blondie ähnlich sah. Sie hatte glattes, weißblondes Haar, das ihr bis zum unteren Rücken reichte. Ihr knackiger Hintern und die kleinen Brüste wirkten ihrem Alter entsprechend jugendlicher als bei der Sängerin. Sie grinste die beiden Jungs keck an. »Also, wie war das denn gleich, wer schärfer ist, hm? Denkt mal genau drüber nach!«

Jamies Gesicht glühte. Er wollte im Erdboden versinken, während sich Brady auf der Bank möglichst klein machte. Hätte es einen Weg gegeben, um im Erdboden zu versinken, er hätte ihn genutzt. »Na ja, wir dachten nur …«, stammelte Jamie und rang um einen Ausweg aus der für ihn äußerst peinlichen Lage. Er sah zwar nach hinten, wo Hope mit ihren Freundinnen Cherryl und Lissy saß, war sich aber sicher, dass ihn jeder im Bus anstarrte. Er konnte ihre hämisch grinsenden Gesichter vor seinem geistigen Auge sehen, wie sie einander feixend ansahen und hinter vorgehaltener Hand tuschelten.

»Ich bezweifle, dass ihr überhaupt denken könnt«, erwiderte Hope zwinkernd und ließ sich nach hinten neben ihre Freundinnen auf die Bank fallen. Brady schielte zwischen den Sitzen hindurch. In Jamies Augen musste sie in dem Jeansmini, der geknoteten roten Bluse und den Cowboystiefeln wie eine Göttin wirken.

Sie ist ’ne verdammte Sexgöttin …

Brady beschloss, Hope sein besonderes Augenmerk zu widmen, sobald sie an ihrem Zielort in South Dakota angekommen waren. Er würde von dieser Fahrt nicht als Jungfrau zurückkehren, egal was Schwester O’Hara anstellen mochte, um ihn davon abzuhalten.

Die schwarzhaarige Lissy, die eine knallenge Schlagjeans trug, von der man denken konnte, jemand hätte sie darin eingenäht, kicherte albern. »Der sabbert doch gleich.« Sie stellte einen Fuß nach oben und spielte mit ihren rot lackierten Zehennägeln vor Jamies Gesicht herum. »Lutsch meinen Zeh, Jamie Peterson!«

Brady kniete sich jetzt ebenfalls auf die Bank, um seinem Kumpel beizustehen, der mit den Mädchen offensichtlich überfordert war. »Hey, lass Jamie in Ruhe, blöde Zicke. Spiel deine verdammten Spielchen mit ’nem anderen!«

Lissy zeigte ihm den Mittelfinger, verschränkte beleidigt die Arme und sah aus dem Fenster. »Du bist ’n Idiot!«

Die beiden anderen Mädchen kicherten. Hope strich eine Strähne aus dem Gesicht. »Lass gut sein, Brady, bist echt nicht mein Typ.«

Brady keuchte, suchte nach einer passenden Antwort, doch ihm wollte keine einfallen. Hope lähmte sein Denken, machte ihn tumb.

Cherryl, die ihren atemberaubenden Cheerleaderkörper in eins dieser Lycra-Minikleidchen zwängte, sprang in die Bresche, sah ihn mit schüchternem Augenaufschlag an und setzte einen obendrauf. »Och, is’ er jetzt traurig, der Kleine … weil er nicht mitspielen darf?« Sie schnalzte obszön mit der Zunge, um ihn zu provozieren.

Brady hasste es, wenn die Mädchen derart herablassend mit ihm redeten. Es machte ihn stinksauer. Sie hatten alle eine beschissene Kindheit hinter sich, ohne Frage. Manche von ihnen waren durch die Hölle gegangen, hatten alles verloren. Doch das St. Marys hatte sie allesamt aufgenommen, egal welche Geschichte sie ihnen auftischten oder wie daneben sie sich verhielten. Cherryl hatte kein Recht, ihn auf diese Weise fertigzumachen.

Wenn sie doch nur nicht so ein höllisch scharfes Gerät wär …

Innerlich brodelnd legte er Jamie eine Hand auf die Schulter. »Scheiß drauf, Jamie, die schafft’s nicht, dass ich mich aufrege …«

Jamies Lippen formten ein »Was soll das denn jetzt?« als stumme Frage und er ließ sich auf die Bank sinken. »Sag mal, was war’n das?«

Brady setzte sich den Kopfhörer auf und drückte auf dem klobigen Kassettenrekorder die Taste Play nach unten, bis sie laut klickte. Das Gerät hatte die Größe einer Handtasche und steckte in einer mit Löchern perforierten, braunen Kunstlederhülle. Es war schwer und unhandlich, verbrauchte außerdem eine Menge Batterien, aber das war es ihm wert. Er schob den Lautstärkeregler weit nach oben, bis die Welt im Sound von Sheena Is a Punk Rocker von den Ramones versank und er nicht mehr in dem schaukelnden, nach Schweiß stinkenden Bus saß.

Wenn wir von diesem Scheißtrip zurück sind, zieh ich los und besorge mit ’ne vernünftige Lederjacke und schwarze Jeans … Anschließend werden wir sehen, wer nur spielen will … Dann geht’s so richtig horrorfilmmäßig ab …

Als er bei Here Today, Gone Tomorrow angekommen war, stieß ihm Jamie schmerzhaft in die Rippen. Brady riss sich den Kopfhörer von den Ohren. »Mann, bist du irre?«

»Sorry, aber …« Jamie deutete nach vorne. Schwester O’Hara war aufgestanden, sah durch die Frontscheibe des Schulbusses und schien sich mit dem Fahrer zu unterhalten. Sie stand vornübergebeugt da, dass sich unter dem dünnen Stoff der sommerlichen Schwesternbekleidung ihr runder Hintern deutlich abzeichnete. Am Steuer saß der fette Mister Kindermann, der aus Louisiana kam und von allen mit seinem Vornamen Bart angesprochen werden wollte, aber in diesem lang gezogenen, bescheuerten Südstaatenslang.

Boooort …

Brady konnte die rot-verschwitzte Baseballmütze sehen, die er auf seinem footballgroßen Kopf trug, und wie sie sich nickend bewegte. Kindermann war ein geiler Bock, der den jungen Dingern hinterhergaffte, bis ihm der Sabber aus den stets feuchten Mundwinkeln tropfte. Kein Wunder, dass er sich die Finger nach dieser Fahrt geleckt hatte, denn die Hälfte der zwanzig Jugendlichen waren Mädchen.

Die fette Hand des Fahrers schaltete einen Gang runter, dann einen weiteren. Der Motor heulte protestierend und die Bremsen kreischten trocken, bis der Bus schaukelnd zum Stehen kam. Brady stand wie alle anderen auf und sah aus dem Fenster, um den Grund des ungeplanten Stopps zu erfahren. Sie befanden sich mitten im Nirgendwo auf der Landstraße, die sich wie eine schnurgerade Narbe durch die endlosen Maisfelder zog. Nichts hatte sich in den letzten Stunden an der Landschaft verändert. »Beschissene Iowa-Einöde …«

Kindermann bewegte den langen Hebel, um von seinem Sitz aus die vordere Tür zu öffnen, damit er und Schwester O’Hara aussteigen konnten. Brady fing an zu grinsen, stieß Jamie an und beugte sich dicht an das Ohr seines Freundes. »Sieh dir nur diesen geilen Hintern an. Hundertprozentig hat die nichts drunter.«

Jamie kicherte heiser, ging aber nicht auf die Bemerkung Bradys ein. »Is’n Motorradfahrer.«

Brady runzelte die Stirn. »Was?«

»Na, weswegen wir angehalten haben«, erklärte Jamie. »So’n Kerl, der mit seiner Mühle Probleme hat.«

»Ihr miesen kleinen Spacken … hab genau gehört, was ihr über unsere Lehrerin gesagt habt«, zischte ihnen Hope warnend zu, während sie an ihnen vorbeischlüpfte, um auszusteigen. »Armselige Wichser! Sollte ihr vielleicht mal stecken, was in euren kranken Birnen vorgeht.«

Jamie wurde feuerrot, obgleich er es nicht gewesen war, der das über die O’Hara gesagt hatte. Resignierend sank er auf seinen Sitzplatz zurück. »Werd nie bei der landen, solang du solchen Mist laberst …«

Brady hörte ihm nur beiläufig zu. Er dachte an etwas vollkommen anderes. An den Film The Hills Have Eyes und den Schatten, den er zwischen den verlassenen Hütten gesehen hatte. Ein geheimnisvoller Beobachter, der es vorzog, in den Schatten zu bleiben. Es passte einfach alles.

Hab doch gleich gewusst, dass die Sache spannend wird …

Mudlake - Willkommen in der Hölle

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