Читать книгу Mudlake - Willkommen in der Hölle - M.H. Steinmetz - Страница 6

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Prolog

21. August – Lawrence, Kansas

»Treibt sie aus den Häusern!« William T. Anderson, Captain der Missouri Partisan Rangers, bellte den Befehl wie ein tollwütiger Hund und trieb seinem Pferd die Sporen in die Flanken, dass es sich vor Schmerzen schreiend aufbäumte. Mit harter Hand rang er es nieder, denn es hatte nicht aufzubegehren. Sein zerzaustes, schulterlanges Haar und der volle, aber ungepflegte Bart verliehen ihm das Aussehen eines erbarmungslosen Streiters. Die graue, zerschlissene Uniform mit den gelben Abzeichen hob sein wildes, womöglich bösartiges Wesen überdeutlich hervor. Kaltblütig schoss er einem kleinen Mädchen in den Kopf, das weinend aus einem brennenden Holzhaus stürzte. Er lachte, weil ihr Schädel unter der Einwirkung der Kugel wie eine überreife Tomate zerplatzte. Puppe und Kind fielen in den Schmutz. Der sterbende Körper scharrte im Dreck, bis die Muskeln den Tod akzeptierten. »Gewährt keine Gnade, sag ich! Kein Erbarmen!«

Die Luft war erfüllt von entsetzten, ja ungläubigen Schreien wegen der hemmungslosen Gewalt, die ein böser Gott namens Krieg über sie niedergehen ließ. Vom Weinen kleiner Kinder, die sich verzweifelt an ihre toten Mütter klammerten, die von Pferdehufen zertrampelt im Straßenschlamm lagen. Dem um Gnade flehenden Winseln junger Frauen, wenn die Raider sie an den Haaren packten und ihnen die Röcke vom Leib schnitten, damit sie über sie herfallen konnten, um ihre Löcher zu stopfen.

Eine Einheit Bushwhackers, das waren unabhängig von der regulären Armee operierende Partisanen, galoppierte johlend die Main Street entlang, trieb eine Gruppe Männer wie Rinder vor sich her. Viele der stolpernden Kerle trugen die Longjohns der vergangenen Nacht, einige rannten nackt und von Striemen überzogen um ihr armseliges Leben. Die Reiter kesselten die Männer ein und metzelten sie mit Säbeln und Bullenpeitschen nieder, bis der letzte von ihnen blutend und zerstückelt im Dreck lag.

An der großen Kreuzung zwischen der Bank und dem Vergnügungshaus für zahlungskräftige Gentlemen stürmten Bushwhackers mitsamt ihren Pferden in den Saloon, um einen zaghaft aufkommenden Widerstand einiger blau gekleideter Soldaten im Keim zu ersticken. Lachend ritten sie Tische und Stuhl zu Bruch, trieben verzweifelte Männer und Frauen nach oben und dort aus den Fenstern. Wer in den Straßenmatsch stürzte, wurde von Pferden niedergetrampelt, erschossen oder erschlagen.

Pulverdampf zog wie zäher Nebel durch die Straßen. Die Reiter trieben die Einwohner von Lawrence vor dem Saloon zusammen. Beißender Qualm vermischte sich mit dem scharfen Gestank menschlicher Ausscheidungen, weil sich viele der gequälten Menschenkreaturen vor Todesangst in die Hosen oder Röcke machten.

»Es gibt nichts Berauschenderes als den Geruch des Krieges.« Captain William Clark Quantrill saß mit einem übergeschlagenen Bein auf seinem Pferd und zog genüsslich an einer glimmenden Zigarre. Der Rauch umgab sein kantiges Gesicht wie eine düstere, Unheil verkündende Wolke. »So muss man das mit diesen Yankeeschweinen machen. Es gibt nur diesen einen, zur Hölle heiligen Weg der absoluten Tilgung.«

Eine ältere Frau in einem schlammbespritzten, schwarzen Kleid trat vor ihn hin und fiel mit gefalteten Händen auf die Knie, um für die friedliebenden Einwohner von Lawrence um Gnade zu flehen. Quantrill lachte, gab seinem Pferd die Sporen und ritt sie nieder.

Anderson zügelte sein Pferd neben ihm, ließ es aufgeregt kreiseln. »Ein paar Häuser fehlen noch, dann haben wir alle beisammen!« Er lachte rau, brachte sein Pferd durch einen brutalen Ruck an den Zügeln zum Stehen, sodass es das Maul schäumend aufriss.

Quantrills Blick huschte wie der eines Falken über die apokalyptische Szenerie. Er gab einem seiner Raider einen Wink. »Dort hinten, der Fettsack im Nachthemd!«

Der Raider johlte auf, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte dem Fliehenden hinterher, der versuchte, eins der nahen Maisfelder zu erreichen, die Lawrence wie einen fetten Speckgürtel umgaben. Er zog seinen Säbel und spaltete dem Mann den Kopf bis zum Hals. Mit einem zweiten Hieb schlug er ihm den Schädel gänzlich ab. Der Raider sprang aus dem Sattel, zog den Kopf aus dem Dreck und schleuderte ihn lachend zwischen die Einwohner der einst blühenden Stadt, in der man sich weitab von den verhärteten Fronten des Krieges sicher gefühlt hatte.

Quantrill nickte Anderson zu, als handle es sich um die selbstverliebte Inszenierung eines verschmähten Theaterregisseurs vor einem imaginären Publikum. »Wenn du die Yankees aufhalten willst, musst du ihnen in die ungeschützte Flanke fallen … Du musst zu Satan persönlich werden, deine Männer zu Dämonen, einer fürchterlichen Geißel, der nichts heilig ist.« Er stieß eine Wolke Zigarrenrauch aus, dass sein Gesicht für einen Moment dahinter verschwand und nur der buschige Schnauzbart abstand, um sich vor dem erwachenden Tag zu verdunkeln. Seine kleinen, verkniffenen Augen krochen aus dem Dunst, sein Mund redete düstere Worte. »Werde zu Satan, sag ich, und gib dich mit keinem Geringeren zufrieden! Geh einen Pakt mit dem Bösen ein, um selbst zum Bösen zu werden, nur auf diese Weise kann es funktionieren!«

Anderson steckte seinen leer geschossenen Remington New Model Army Vorderlader weg und zog ein identisches Modell, das geladen war. Es war unmöglich, auf einem tänzelnden Pferd Pulver und Kugeln in die Kammern zu füllen und diese mit dem Ladehebel zu verpressen. »Dieser verdammte Senator James Henry Lane, wegen dem wir gekommen sind, nun, den kann keiner finden … hat sich wohl in den Mais abgesetzt. Sollen wir ’n Feuer legen, um ihn rauszutreiben, Sir?«

Quantrill schüttelte den Kopf und zeigte auf das dicht gedrängte Häuflein menschlicher Schafe. »Erst wenn wir mit denen hier fertig sind. Dazu muss ich allerdings eines von dir wissen, William.«

»Was immer Sie wollen, Sir!«

»Kannst du dir vorstellen, wie es in der Hölle zugeht?«

Anderson lachte, hob den Revolver und suchte sich ein Ziel. Er fand es in einem jungen Mann, der ihn aus der zusammengetriebenen Menge heraus anstarrte. Ein Schuldiger dessen, was in den frühen Morgenstunden über Lawrence hereingebrochen war. Einer, der nichts dagegen unternommen hatte, weil er ein Feigling war. »He du, langer Kerl!«, rief er.

Der Mann machte ein überraschtes Gesicht. Er sah sich flehend um und hoffte wohl, dass Anderson einen anderen meinte. Er senkte den Blick und nickte mit sorgenvoller Miene. Er wusste, dass seine letzte Stunde geschlagen hatte. Sein sorgfältig gestutzter Schnauzbart, das weiße Unterhemd und die feinen Hosenträger ließen auf einen Mann schließen, der eher mit Worten als mit Waffen umzugehen wusste. »Ich?«

»Ja, dich mein ich«, rief Anderson ungeduldig. »Komm hierher zu mir, Yankeeschwein!«

Der Mann tat, was Anderson wollte, sah ihn ängstlich und zugleich fragend an.

Anderson lachte. »Mein Captain hat mich gefragt, ob ich mir die Hölle vorstellen kann. Was sagst du dazu, hä?«

»Ich … ich verstehe nicht ganz. Die … Hölle?«

Anderson schoss dem Mann ins Gesicht. »Falsche Antwort, Dummkopf.« Dann, an Quantrill gewandt: »Die ganze Welt ist für mich zur Hölle geworden, seit die Yankees meine Schwester haben sterben lassen. Sie haben mir alles genommen, was ich liebte, mir die Seele aus dem Fleisch gerissen.«

Quantrill grunzte. »Ich kenne deine Geschichte, William Anderson, und ich weiß, das es ’ne beschissene Lüge ist. Du kannst überhaupt nicht lieben … Hast Pferde gestohlen, drüben in Missouri. Deinen Nachbarn in Kansas und ’nen Unschuldigen erschossen, um deinen Vater zu rächen. Die Bosheit steht dir ins Gesicht geschrieben, so sieht’s aus und nicht anders!«

Anderson wich seinem Blick nicht aus, kaute auf der Unterlippe herum. »Mein Leben ist die Hölle, Sir, das ist wahrlich nicht gelogen!«

»Dann wird es Zeit, dass du deiner Hölle ein Gesicht verpasst!« Ein aufbrausender Wind wirbelte Staub auf, der sich mit dem Pulverqualm zu einem düsteren Nebel vermischte und das Sonnenlicht über den Dächern von Lawrence fraß. Quantrill drehte sich im Sattel um, denn ihnen blieb nicht mehr viel Zeit. »Zusammentreiben und durchzählen! Ich will die Namen jedes Einzelnen dieser Schweinehunde auf einem Papier haben … Patterson, nimm dir ein paar Männer und räum die Bank aus. James, nimm dir die Geschäfte vor. Alles, was Wert hat, geht mit!«

Anderson sah auf den Leichnam ohne Gesicht hinab. Rauch stieg aus dem Loch in seinem Kopf. »Es ist so weit, Sir!«

Quantrill nickte, weil es genau das war, was er hören wollte. »Dann lass deine Hölle auf Lawrence los, Anderson. Du hast hier jetzt das Sagen!« Damit wendete er sein Pferd und preschte mit einer Handvoll Raider davon. »Wir sehen uns beim Treffpunkt in Missouri!«, rief er über die Schulter zurück, bevor ihn der pulverdampfende Nebel verschluckte.

Anderson lächelte. Er wusste, dies war sein Augenblick, und Quantrill hatte ihm diesen geschenkt. All die Wut, die sich sein Leben lang aufgestaut hatte, die ihn regelrecht dazu zwang, sich über jedes Gesetz zu erheben, zu morden und zu stehlen, wurde zu einem legitimen Mittel, um Vergeltung zu üben. Das Tor zur Hölle hatte sich aufgetan und er würde alles dafür tun, um es offen zu halten.

Um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, schoss er in die Luft. »Raiders, treibt die Frauen in die gottverdammte Kirche und vernagelt die Türen!«

Unter den etwa zweihundert zusammengetriebenen Einwohnern brach Unruhe aus. Einige besonders mutige Ehemänner wollten ihre Frauen nicht ziehen lassen, weil sie befürchteten, was zu befürchten war. Kinder klammerten sich weinend an die Beine ihrer Mütter, wurden mitgeschleift.

»Was is’n mit den Bälgern?«, wollte ein Raider wissen. Er hielt eine bluttriefende Bullenpeitsche in der Hand. Ein rauer Kerl mit faulen Zähnen, der seinen Verstand in den Wirren des Krieges verloren hatte.

»Hängt sie auf, ihr Hunde. Das soll ’n verfluchtes Mahnmal werden!«, knirschte Anderson und grinste hämisch. »Gleich hier, am Balkon des Saloons, in einer Reihe!«

Mudlake - Willkommen in der Hölle

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