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Catos Eigenart und die Argumentationsweise der Rede
ОглавлениеAlle wörtlich erhaltenen Fragmente der vorliegenden Rede verdanken wir Aulus Gellius,43 verbunden mit knappen Zusammenfassungen ihres Inhalts. Gellius setzt sich mit Tiro, dem Freigelassenen Ciceros, auseinander, der Catos Rede kritisiert hatte.44 Die Vorwürfe Tiros verdienen Erwähnung, weil gerade am Gegensatz zur Denkweise der ciceronischen Zeit die Eigenart Catos sichtbar gemacht werden kann.
Tiros erster Einwand richtet sich gegen Catos Befürchtung, die Senatoren könnten in der Freude über den Sieg die Besonnenheit verloren haben und wären nicht mehr imstande, vernünftig zu urteilen. Nach Tiro müsste ein Anwalt am Anfang versuchen, die Richter durch ehrerbietige Worte für sich zu gewinnen. Schmähungen und gebieterische Drohungen seien hier fehl am Platze. Gellius entgegnet hierauf, Cato verteidige die Rhodier ja nicht wie ein Anwalt vor Gericht, sondern rate in seiner Eigenschaft als Senator, Consular und ehemaliger Censor, was er zum Besten des Staates für tunlich halte. Die auctoritas erlaubt dem Censorier einen Ton, den man zur Zeit Ciceros dem Senat gegenüber nicht mehr ohne Weiteres angeschlagen haben würde.
Ließ dieser erste Einwand Tiros indirekt die Gestalt des Censors in ihrer Bedeutung ermessen, so führt sein zweiter Vorwurf zu einem besseren Verständnis der Gedankenführung der Rede. Wenn Cato zugibt, dass die Rhodier gegen Rom eingestellt waren, so ist das nach Tiro keine Verteidigung, sondern ein Schuldbekenntnis. Gellius macht dagegen zweierlei geltend. Einmal, Cato gebe gar nicht zu, dass die Rhodier den Sieg der Römer nicht gewünscht hätten, sondern er führe diesen Gedanken nur als seine private Meinung an.45 Zum anderen – und dies ist das Entscheidende – hat Cato nach Gellius hier nicht nur keinen Fehler gemacht, sondern sogar ein Meisterstück vollbracht; verschafft er sich doch durch seine Offenheit bei allen Parteien Kredit und wendet eine Tatsache, die scheinbar gegen die Rhodier spricht, zu ihren Gunsten: Wenn die Rhodier Perseus nicht unterstützten, obwohl dies in ihrem Interesse gewesen wäre, so verdienen sie für diesen Freundschaftsbeweis die Sympathie der Römer.
Der zweite Einwand Tiros gewährt also einen Einblick in die Erfindung der Rede und macht zugleich zwei Grundzüge Catos sichtbar: einmal seine nüchterne Offenheit,46 dann aber auch seine Fähigkeit, vielseitig und wendig zu argumentieren und aus dem scheinbar schwächsten Punkt den stärksten zu machen.
An dritter Stelle beanstandet Tiro folgendes Enthymem: quod illos dicimus voluisse facere, id nos priores facere occupabimus? Nach Tiro wäre die einzige folgerichtige Antwort: occupabimus certe; nam si non occupaverimus, opprimemur. Dagegen wendet Gellius ein, im Menschenleben gehe es nach anderen Gesetzen zu als im Gladiatorenkampf. Der Gladiator stehe vor der Wahl, entweder dem Gegner zuvorzukommen oder unterzugehen. Im Leben aber herrsche kein so unerbittlicher Zwang, ein Unrecht zuerst zu tun, aus Furcht, es sonst vielleicht selbst zu erleiden. Dies widerstrebe auch der milden Art des römischen Volkes. Die Senatoren ließen sich ja gerne an ihre Milde erinnern, vor allem, wenn es sich um einen relativ ungefährlichen Gegner wie die Rhodier handelte. (Im Falle Karthagos hat allerdings Cato selbst bekanntlich47 das umgekehrte Prinzip vertreten.)
Auch dieser Einwand Tiros lässt ungewollt sichtbar werden, dass es Cato hier nicht um irgendwelche Prinzipien oder auch nur um eine durchgehende Argumentation geht, sondern dass seine Äußerungen mit taktischer Wendigkeit dem Augenblick angepasst sind.48
Während Tiro zuletzt die allzu moralische Haltung Catos angriff (ohne zu bemerken, dass es in diesem Fall ungefährlich und sogar sachdienlich war, sie einzunehmen), beanstandet er im Folgenden umgekehrt, Cato gebrauche Argumente, die nicht ehrenwert genug und allzu kühn seien. Eine solche Taktik passe nicht zu dem großen Mann, der Cato sonst war, sondern sei verschlagen, trügerisch und sophistisch. Dies bezieht sich auf die Behauptung, man dürfe die Rhodier nicht angreifen, da böse Absicht allein kein ausreichender Anlass für eine Bestrafung sei. Cato hat (wie auch Gellius zugibt) durch das Beispiel aus dem Privatrecht die Gewichte erheblich verschoben: Mehr Land oder mehr Vieh zu begehren, ist keine Sünde. So wird die romfeindliche Haltung der Rhodier verharmlost. Immerhin zeigt Gellius, dass Cato seine anfechtbare Argumentation geschickt vorbereitet und ihre Schwächen versteckt hat.
Auch der letzte Vorwurf Tiros macht also mittelbar Catos Eigenart deutlich: Hauptziel der Rede ist es, die Sache der befreundeten Rhodier als gerecht oder wenigstens als verzeihlich hinzustellen. Diesem Ziel wird alles andere untergeordnet, auch die Einheitlichkeit der Argumentation: Bald erklärt Cato, die Rhodier hätten gegen Rom weder Krieg geführt, noch Krieg führen wollen; bald sagt er, man dürfe nur über Taten richten, der Wille allein sei aber nicht strafbar; bald verlangt er aber Nachsicht, als gäbe er zu, dass sie sich schuldig gemacht hätten. Auch hier zeigt sich, dass die Denkform der Rede Catos nicht mit strenger Logik zu fassen ist, sondern dass es sich um eine Art ‚Nahkampfstil‛ handelt, bei dem jedes Mittel gut genug ist, um das Ziel zu erreichen.49